11. Dezember 2007
Historischer „Akt deutscher und internationaler Solidarität“
Vor 25 Jahren, am 22. Oktober 1982, tagte in Bukarest unter dem Vorsitz Nicolae Ceaușescus der Staatsrat der Sozialistischen Republik Rumänien. Der Text des bei dieser Gelegenheit beschlossenen Dekrets wurde am 5. November 1982 vom kommunistischen Parteiorgan Scînteia, am 7. November von der deutschsprachigen Tageszeitung Neuer Weg, beide Bukarest, veröffentlicht. Er löste in den Staaten des Westens heftige Reaktionen aus und wurde hier unter dem Namen „Freikauf-Dekret“ bekannt und kommentiert. Hans Bergel, damaliger Chefredakteur der Siebenbürgischen Zeitung und Protagonist der rasch legendär gewordenen „Kundgebung vor dem Kölner Dom“ vom 4. Dezember 1982, erinnert an die Ereignisse, die die Siebenbürger Sachsen vor 25 Jahren auf die Straße gebracht haben.
Die zweiwöchentlich erscheinende Siebenbürgische Zeitung (SbZ) konnte erst am 15. November reagieren. Unter der Überschrift „Schwerer Schlag gegen die Familienzusammenführung“ beschäftigte sie sich mit dem Acht-Punkte-Papier. Sie kam bis in die zweite Hälfte des Jahres 1983 darauf zurück, weil im Gefolge der politischen und publizistischen Auseinandersetzungen um das „Freikaufdekret“ die „Schmiergeldaffäre“ weiteren Diskussionsstoff lieferte. Beide Male ging es um den Versuch der Bukarester Regierung, unter dem Druck des wirtschaftlichen Niedergangs des Landes aus der Lage der ausreisewilligen Deutschen – Siebenbürger Sachsen, Banater Schwaben und andere –, Kapital zu schlagen. In einer während der Nachkriegsgeschichte der aus Rumänien stammenden Deutschen einmaligen Aktion antworteten diese auf die Bukarester Herausforderung mit der „Kundgebung vor dem Kölner Dom“ am 4. Dezember 1982.
Worum ging es in dem Bukarester Dekret? Sein Inhalt war schon in der Präambel enthalten: „Die Pflichten der Personen, die um die Genehmigung ansuchen und denen die Genehmigung gewährt wird, sich für immer im Ausland niederzulassen, ihre Schulden gegenüber dem Staat, sozialistischen Organisationen und physischen Personen vollständig zu begleichen, wie auch einige Ausgaben für ihre Schulbildung zurückzuerstatten, für die der Staat aufgekommen ist.“ In den acht Punkten des Dekretes waren diese „Pflichten“ – im Klartext: die angeblichen Schulden der siebenbürgischen und Banater Deutschen an den rumänischen Staat – aufgegliedert. Das kam – wie es in der Siebenbürgischen Zeitung damals hieß – einem „Griff in die Taschen der schon zum wiederholten Male gewaltsam enteigneten Deutschen in Rumänien“ gleich: Seit 1945 vom Staat kontinuierlich zu Besitzlosen gemacht, sollten diese zu allem anderen nun auch noch mit Hilfe dieses Dekrets ausgenommen werden. (Den vollen Inhalt des Dekrets siehe Siebenbürgische Zeitung vom 15. November 1982, S. 2.)
So wurde die im Fall der Ausreiseabsicht mit dem besagten Dekret vorgetäuschte „Rückzahlungspflicht“ (Ausbildung, Förderung u. Ä.) und „Gesamtbesitzabtretung an den Staat“ (Grund, Haus, Kulturgut u. Ä.) zum Akt eines raffiniert gedachten, freilich tölpelhaft getarnten Raubzugs: Denn da die vom Staat rechtswidrig und gewaltsam beraubten Deutschen in Rumänien längst keinerlei Besitz mehr hatten – was der Bukarester Administration natürlich bekannt war –, spekulierte diese nicht zuletzt auf das Geld der im westlichen Ausland lebenden Angehörigen der Ausreisewilligen, ein Plan, der „Ceaușescus kriminelle Energie“ (Pacepa) in vollem Licht zeigte. Mittelbar gab Bukarests Regierung dies sogar zu: Sie verlangte die für das Erteilen der Ausreisegenehmigung von ihr geforderte Rückzahlung der „Schulden“ in ausländischer Währung, die aber in Rumänien zu besitzen unter hoher Strafandrohung stand.
Auf diese Weise löste das am 22. Oktober 1982 formulierte Dekret nicht allein wegen seines den KSZE-Abmachungen von Helsinki zuwiderlaufenden Inhalts Empörung und Protest aus – hatte doch auch Rumänien die so genannte „Helsinki-Schlussakte“ am 1. August 1975 unterzeichnet –, sondern ebenso dank der nur fadenscheinig verbrämten Gerissenheit des beabsichtigen Griffs in die Taschen über die Grenze.
Am 15. November veröffentlichte diese Zeitung die Antwort auf die Frage, die ich in meiner Eigenschaft als Chefredakteur an den Pressesprecher des Bonner Auswärtigen Amtes – des „Amtes Genscher“ – gerichtet hatte. Darin war unter anderem der Hinweis auf die am 7. Januar 1978 vom Bundeskanzler Helmut Schmidt zusammen mit Staatschef Nicolae Ceaușescu in Bukarest veröffentlichte „Gemeinsame Erklärung“ enthalten, derzufolge beide Regierungen darin übereinstimmten, dass die Fragen hinsichtlich Familienzusammenführung „auf der Grundlage der in bilateralen und internationalen Dokumenten bekräftigten Absichten weiterhin wohlwollend behandelt werden“ sollten. Da die Missachtung dieser Vereinbarung durch Bukarest viereinhalb Jahre später offensichtlich geworden war, habe nun die Regierung Helmut Kohl „die rumänische Seite um Aufklärung gebeten“ und in ihrer Anfrage „keinen Zweifel daran gelassen, dass für sie die Angelegenheit von größter Wichtigkeit“ sei: Eine „unbefriedigende Erklärung (wird) die deutsch-rumänischen Beziehungen erheblich belasten“.
Das „verzweifelte Kalkül eines Staates, der wirtschaftlich vor dem Abgrund steht“ („Politische Schlagzeile“ in der Siebenbürgischen Zeitung vom 15. November 1982), mit Hilfe des „Dekrets zur Kontrolle der Überschreitung der rumänischen Staatsgrenzen“ – so die ausweichlerische Formulierung in Neuer Weg, 24. Oktober 1982 – an Devisen heranzukommen, führte auch außerhalb Europas bis in die USA und andere Länder zur Frage nach der Seriosität der Bukarester Politik.
Schon zu Beginn des Monats November drohte die US-Regierung Ronald Reagans Bukarest mit der Sperrung der Meistbegünstigungsklausel, da diese auch „davon abhängt, ob das Land sein Versprechen einhält, die Auswanderung zu erleichtern“ (dpa, 6. November 1982). Die Welt stellte am 8. November 1982 lapidar fest: „Es wird also Menschenhandel betrieben, um die leere Devisenkasse zu füllen.“ Die Süddeutsche Zeitung schrieb am selben Tag: „Das neue Dekret bezieht sich eindeutig nur auf die deutsche Minderheit in Rumänien.“ Ebenfalls am 8. November 1982 berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Beobachter in Bukarest vermuten aufgrund des (...) Dekrets, dass Rumänien versuchen könnte, in Zukunft leistungsstarke Staaten durch entsprechende Handhabung der Bestimmungen zur Gewährung neuer Kredite oder zum Entgegenkommen bei der Umschuldung zu veranlassen. Dies dürfte insbesondere die Bundesrepublik Deutschland treffen.“ All dem fügte die Frankfurter Rundschau am 8. November 1982 hinzu: Auch „Rumäniens Staatsbürger, die das Land illegal verlassen haben oder von einem Auslandsaufenthalt nicht mehr zurückgekehrt sind, sollen (...) im Ausland auf dem Rechtsweg belangt werden, damit sie dem rumänischen Staat die Ausgaben für Ausbildung zurückzahlen.“ Die Schlagzeilen, mit denen die vier großen Zeitungen ihre Texte überschrieben, lesen sich wie die knappe Definition der Lage: „Ceaușescu verschärft drastisch Bedingungen für Aussiedler“, „Rückzahlung aller Ausbildungskosten in Devisen verlangt“, „Freikauf“, „Bescherung aus Bukarest“. Der Schlusssatz der oben genannten Folge der „Politischen Schlagzeile“ in dieser Zeitung zog gewissermaßen ein Fazit der Pressestimmen und visierte einen der empfindlichsten Punkte der politischen Selbsteinschätzung Bukarests an: „Was hier unwiderruflich auf der Strecke bleibt, ist vor allem das internationale Ansehen Rumäniens.“ Über die Medien hinaus äußerten sich Politik, öffentliche Einrichtungen, Kirche unmissverständlich zum Dekret vom 22. Oktober 1982. Auf schriftliche Vorstellungen des Bundesvorsitzenden des landsmannschaftlichen Verbands der Siebenbürger Sachsen, Dr. Wilhelm Bruckner, bekundeten der deutsche Außenminister Dr. Hans Dietrich Genscher, der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes Botho Prinz von Sayn-Wittgenstein, im Auftrag Willy Brandts die SPD, eine Reihe von CDU-Ministerpräsidenten, Universitäten, überregionale Vereine, vor allem der Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl – der sich vom Stellvertretenden Bundesvorsitzenden Dr. Kurt Schebesch hatte berichten lassen – und Bundesinnenminister Dr. Friedrich Zimmermann ihre Hilfsbereitschaft. (Zimmermann: „Die Beziehungen zwischen unseren Ländern können nur so gut sein wie die Behandlung der Deutschen dort im Lande.“) Der Abgeordnete des Europa-Parlaments Dr. Otto von Habsburg nannte das Dekret im Namen der EU „unmoralisch“.
Schon am 9. und am 10. November 1982 hatte es in Bonn zwei Pressekonferenzen mit Vertretern der Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen gegeben, bei denen den Journalisten unter anderem mitgeteilt worden war, dass die Bundesleitungen beider Verbände die Verbindung mit der – damals in Köln residierenden – Botschaft Rumäniens aufgenommen und sowohl Bundeskanzler Kohl als auch Außenminister Genscher telegraphisch informiert hatten. Zugleich war die Presse über eine „Resolution“ unterrichtet worden, deren Veröffentlichung zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen würde; bei dem Dekret handle es sich „um den folgenschwersten Eingriff in die Existenz der deutschen Volksgruppe in Rumänien seit den Zwangsverschleppungen 1945 in die UdSSR und den entschädigunglosen Enteignungen in den Nachkriegsjahren“ (SbZ, 30. November 1982). Schließlich hatten die Journalisten darüber informiert werden können, dass Bundeskanzler Helmut Kohl den Staatssekretär Bernd von Staden nach Bukarest entsandt und angeordnet habe, täglich über den Entwicklungsstand unterrichtet zu werden. Das Begleitschreiben an die Botschaft Rumäniens enthielt zusätzlich zur Ankündigung einer „öffentlichen Protestkundgebung am Fuße des Kölner Doms“ auch die Einladung an den Botschafter zur Teilnahme. Râmbu lehnte nicht nur die Einladung unfreundlich ab, sondern versuchte, die Kundgebung als „feindlichen Akt, der den Kalten Krieg wieder eröffnet“, zu verhindern (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. Dezember 1982). Seine Bedrängnis war umso größer, als auch die IGFM (Internationale Gesellschaft für Menschenrechte) für den 11. Dezember eine Protestdemonstration vor dem Botschaftsgebäude in Köln anberaumt hatte.
Bei der Lagebesprechung am 20. und 21. November in München wurde zunächst die Entsendung Dr. Kurt Schebeschs nach Madrid zur KSZE-Nachfolgekonferenz (11. November 1980-6. September 1983) – der zweiten nach Belgrad (1977-1978) – erörtert. Die auf Drängen Willy Brandts 1973 in Helsinki begonnenen Konferenzen für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa hatten den Bemühungen der im Westen lebenden Deutschen aus Rumänien um die Verbesserung der Lage ihrer Landsleute im Südosten die einzigartige Möglichkeit geboten, ihre Anliegen vor dem Hintergrund eines großen internationalen Programms vorzutragen. Der so genannte Korb III – der dritte Themenbereich der KSZE – beschäftigte sich mit humanitären Fragen (freie Wahl des Wohnlandes, Familienzusammenführung u.Ä.). Korb III war denn auch dank der Mitunterzeichnung Bukarests zum legitimen Podest einer – nota bene: gegen erheblichen Widerstand siebenbürgisch-sächsischer Kreise in Deutschland – offensiv orientierten Bukarest-Politik der Siebenbürger und Banater geworden: denn Bukarest konnte jetzt beim Wort genommen werden. (Siehe dazu: „Von kollektiver Sprachlosigkeit zu politischer Aktion“ von Hans Bergel, in: Südostdeutsche Vierteljahresblätter 2/2000, München). In Absprache mit dem Auswärtigen Amt, dem Politischen und KSZE-Referat Bonn und dem deutschen Botschafter in Spanien, Jörg Kastl, sollte Dr. Schebesch mit Vertretern der USA, Kanadas, Norwegens, Österreichs, Luxemburgs und Rumäniens Kontakt aufnehmen.
Das geschah – natürlich mit Ausnahme Rumäniens – zwischen dem 9. und 14. Dezember 1982. (Siehe dazu: „Dr. Kurt Schebeschs Mission bei der KSZE-Konferenz in Madrid. Zum ersten Mal auf dieser Ebene“, SbZ, 15. Januar 1982, S. 1.) Zugleich hatten sich die Bundesvorsitzenden Dr. Bruckner, Siebenbürgen, und Josef Schmidt, Banat, unter dem Titel „Sind Deutsche in Siebenbürgen und Banat vergessen?“ an Bundeskanzler Kohl und mehrere Bundesminister gewandt (SbZ, 30. November 1982, S. 2). Am 2. Dezember 1982 erklärten die verantwortlichen Siebenbürger und Banater auf einer Pressekonferenz in Bonn deutschen Zeitungs- und Rundfunkreportern erneut die Lage (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. November 1982).
Unterdessen hatten auch „Vertreter der als Minderheit in Rumänien lebenden Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben in Wien an Bundespräsident Rudolf Kirschläger und die österreichische Bundesregierung appelliert, die Wirksamkeit des Dekrets zu verhindern“ (dpa, 12. November 1982); Dr. Fritz Frank, Bundesobmann, kündigte für den 12. Dezember in Österreich eine Protestkundgebung an. Zugleich hatte sich der Präsident des Zentralverbands der Siebenbürger Sachsen in den USA, Edward R. Schneider, in einem Brief an den US-amerikanischen Kongress gewandt, ebenso war der Deutsch-Amerikanische National-Kongress an die Öffentlichkeit gegangen. Am 16. Dezember sollte dann Dr. Jörg Kastl mit seiner Rede vor dem Plenum der Madrider Nachfolgekonferenz, unterstützt von den Sprechern Großbritanniens, Kanadas und Luxemburgs, die Aufmerksamkeit aller Konferenzteilnehmer mit massiver Kritik auf das Verhalten Bukarests lenken. U.a.m. Zusätzlich zu diesen und der Vorantreibung weiterer diplomatischer, politischer und publizistischer Demarchen entschlossen sich die Teilnehmer an der Münchner Arbeitsbesprechung aber vor allem zur Durchführung einer Großkundgebung. Denn der unausweichliche Umstand, dass zuallererst die Betroffenen selber nachdrücklich an die Öffentlichkeit gehen mussten, wollten sie nicht ihre Glaubwürdigkeit verlieren, hatte auch den letzten widerstrebenden Zauderern das Argument genommen. Auf Vorschlag des als Ministerialrat im Bundesministerium des Innern tätigen Siebenbürgers Dr. Oskar Schuster fiel für die geplante Kundgebung die Wahl auf Köln – nicht zuletzt, so Dr. Schuster, aus historischen Gründen, denn Köln war um die Mitte des 12. Jahrhunderts Sammelort der ersten in den Karpatenbogen treckenden linksrheinischen Deutschen gewesen. Zudem bot sich Köln „wegen der unmittelbaren Nähe zum Standort der Botschaft Rumäniens“ an. Mit der Wahrnehmung der Gesamtorganisation – Polizeigenehmigung und -schutz, Aufteilung des Roncalli-Platzes, Lautsprecheranlage, Rednertribüne etc. – wurde der Leiter des Bundesjugendreferates, Hans-Reiner Polder, beauftragt, der schon zwei Tage später nach Köln abreiste und, einschließlich seiner Helfer, mit einer Bravourleistung dafür sorgte, dass die Kundgebung reibungslos verlief.
Mit groß entworfenem „Aufruf zu einer Kundgebung für Menschenrechte, für Recht und Freiheit. An alle Siebenbürger Sachsen und ihre Freunde!“ forderte die Siebenbürgische Zeitung (30. November 1982) zur Teilnahme auf; ein entsprechendes Plakat wurde von München aus an die Landesgruppen verschickt. Parallel dazu trafen die Banater Schwaben vergleichbare bundesweite Vorbereitungen. Spruchleisten in der Zeitung stimmten ein übriges Mal auf die für den 4. Dezember vorgesehene Manifestation ein: „Kein Weg darf uns zu weit sein!“, „Die Weltöffentlichkeit ist auf unserer Seite!“, „Kommt alle am 4. Dezember nach Köln!“, „Wir lassen unsere Angehörigen in Siebenbürgen nicht im Stich!“ u. a. war in der SbZ in großen Lettern zu lesen. „Nicht auf dem Rücken unserer Landsleute!“ hieß es dort in einem am 30. November veröffentlichten Text.
Für die von allen Bundestagsfraktionen – Dr. Alfred Dregger, CDU, Herbert Wehner, SPD, Wolfgang Mischnik, FDP – und insgesamt von dem am 26. November in seiner 131. Sitzung der 9. Wahlperiode die Lage erörternden deutschen Bundestag abgedeckte Kölner Veranstaltung konnte als Redner des politischen Bereichs Prof. Dr. Friedhelm Farthmann, der nordrhein-westfälische Patenminister der Siebenbürger Sachsen, gewonnen werden; für die Banater Schwaben wurde Peter Krier benannt. „Einstimmig beschloss der Bundesvorstand (...), im Namen der Siebenbürger Sachsen (...) Hans Bergel zum Redner (...) zu bestimmen.“ (SbZ, 30. November 1982.) Zweck der Veranstaltung war es nicht, „Rumänien am Pranger der Welt zu sehen“, sondern „wir streben danach, unsere Landsleute in und außerhalb Rumäniens vor willkürlicher Ausbeutung zu schützen“. (Dr. Schebesch, SbZ, 15. Januar 1983.)
Die Zahl der aus der Bundesrepublik Deutschland, Österreich u. a. O. nach Köln angereisten Kundgebungsteilnehmer wurde von der Polizei auf bis zu achttausend geschätzt; hinzu kam eine erhebliche Anzahl von Kölner Bürgern. Bei eisiger Dezemberkälte gerieten die anderthalb Stunden vor der Südfront des mächtigen gotischen Doms zu einer dreifachen Beleuchtung der menschenrechtlichen Lage in Rumänien und zu einer Generalabrechnung mit der Bukarester Minderheitenpolitik.
Beginnend mit Februar 1983 wendete Bukarest das Dekret rigoros an und verlangte bis zu 80 000 D-Mark von ausreisewilligen Familien, zeigte sich aber zugleich hektisch infolge der Androhung US-amerikanischer Wirtschaftsmaßnahmen und der Ankündigung völkerrechtlicher Prüfung des Dekrets durch das „Centrum für Menschenrechte“ der UNO. Am 22. April 1983 kam es auf dem Münchner Odeonsplatz zu einer zweiten Großkundgebung gegen das Dekret mit Ansprachen Dr. Otto von Habsburgs und des CSU-Politikers Dr. Fritz Wittmannn. Bis Mai 1983 wies die Siebenbürgische Zeitung in jeder ihrer Folgen mit z. T. schonungslosen Beiträgen auf die unerträgliche Situation hin, was zusätzlich sowohl in der Botschaft in Köln als auch in Bukarest für Nervosität sorgte. „Nicht nachgeben!“ lautete die Vereinbarung der deutschen Siebenbürger und Banater im Westen. Am 1. Juni 1983 war es dann soweit: Als Ergebnis eines Besuchs des Außenministers Dr. Hans Dietrich Genscher in Bukarest (31. Mai/1. Juni 1983) erklärte sich die dortige Regierung bereit, das „Dekret auf die Angehörigen der deutschen Minderheit nicht mehr anzuwenden“.
Dieser „Akt deutscher und internationaler Solidarität“ (SbZ, 30. Juni 1983) bleibt als ein Erfolg in siebenbürgisch-sächsischen und banatschwäbischen Fragen der Selbstbehauptung erinnerlich, der in der Nachkriegsgeschichte einmalig ist. Dass sich an die Dekret- die so genann- te Schmiergeld- oder Bestechungsaffäre anschloss, über die ebenfalls auf Regierungsebene gesprochen wurde – Genschers Treffen mit Ceaușescu am 8. August in Konstanza –, gehört zu einem anderen Kapitel jener an Spannungen, politischen und publizistischen Auseinandersetzungen um das Schicksal der Deutschen in Rumänien reichen Epoche.
Siebenbürger Sachsen als Geldquelle
Die Unverfrorenheit des Dekrets war für jeden politisch Informierten offensichtlich, zugleich auch deren tatsächlicher Hintergrund: Das im Genuss der „Meistbegünstigungsklausel“ – eine von den USA ökonomisch schwachen Ländern im Handel zugestandene finanzielle Erleichterung – befindliche sozialistische Rumänien war mit rund elf Milliarden US-Dollar auslandverschuldet, seine diffus geplante Wirtschaft von gigantischer Ineffizienz, seine Bevölkerung verarmt. An Utopie grenzende erfolglose Projekte hatten das Land dem Ruin immer näher gebracht – daher galt seiner Führung die „Erschließung“ jeder Art von Geldquelle als oberstes Gebot, wie der 1978 in den Westen geflohene Spionagechef und stellvertretende Innenminister Ceaușescus, Ion Mihai Pacepa, im Buch „Red Horizons“ („Rote Horizonte“, London 1988) über die mit spektakulärem Diebstahl verbundene Bukarester Technik- und Industrieauslandsspionage berichtete.So wurde die im Fall der Ausreiseabsicht mit dem besagten Dekret vorgetäuschte „Rückzahlungspflicht“ (Ausbildung, Förderung u. Ä.) und „Gesamtbesitzabtretung an den Staat“ (Grund, Haus, Kulturgut u. Ä.) zum Akt eines raffiniert gedachten, freilich tölpelhaft getarnten Raubzugs: Denn da die vom Staat rechtswidrig und gewaltsam beraubten Deutschen in Rumänien längst keinerlei Besitz mehr hatten – was der Bukarester Administration natürlich bekannt war –, spekulierte diese nicht zuletzt auf das Geld der im westlichen Ausland lebenden Angehörigen der Ausreisewilligen, ein Plan, der „Ceaușescus kriminelle Energie“ (Pacepa) in vollem Licht zeigte. Mittelbar gab Bukarests Regierung dies sogar zu: Sie verlangte die für das Erteilen der Ausreisegenehmigung von ihr geforderte Rückzahlung der „Schulden“ in ausländischer Währung, die aber in Rumänien zu besitzen unter hoher Strafandrohung stand.
Auf diese Weise löste das am 22. Oktober 1982 formulierte Dekret nicht allein wegen seines den KSZE-Abmachungen von Helsinki zuwiderlaufenden Inhalts Empörung und Protest aus – hatte doch auch Rumänien die so genannte „Helsinki-Schlussakte“ am 1. August 1975 unterzeichnet –, sondern ebenso dank der nur fadenscheinig verbrämten Gerissenheit des beabsichtigen Griffs in die Taschen über die Grenze.
Am 15. November veröffentlichte diese Zeitung die Antwort auf die Frage, die ich in meiner Eigenschaft als Chefredakteur an den Pressesprecher des Bonner Auswärtigen Amtes – des „Amtes Genscher“ – gerichtet hatte. Darin war unter anderem der Hinweis auf die am 7. Januar 1978 vom Bundeskanzler Helmut Schmidt zusammen mit Staatschef Nicolae Ceaușescu in Bukarest veröffentlichte „Gemeinsame Erklärung“ enthalten, derzufolge beide Regierungen darin übereinstimmten, dass die Fragen hinsichtlich Familienzusammenführung „auf der Grundlage der in bilateralen und internationalen Dokumenten bekräftigten Absichten weiterhin wohlwollend behandelt werden“ sollten. Da die Missachtung dieser Vereinbarung durch Bukarest viereinhalb Jahre später offensichtlich geworden war, habe nun die Regierung Helmut Kohl „die rumänische Seite um Aufklärung gebeten“ und in ihrer Anfrage „keinen Zweifel daran gelassen, dass für sie die Angelegenheit von größter Wichtigkeit“ sei: Eine „unbefriedigende Erklärung (wird) die deutsch-rumänischen Beziehungen erheblich belasten“.
Das „verzweifelte Kalkül eines Staates, der wirtschaftlich vor dem Abgrund steht“ („Politische Schlagzeile“ in der Siebenbürgischen Zeitung vom 15. November 1982), mit Hilfe des „Dekrets zur Kontrolle der Überschreitung der rumänischen Staatsgrenzen“ – so die ausweichlerische Formulierung in Neuer Weg, 24. Oktober 1982 – an Devisen heranzukommen, führte auch außerhalb Europas bis in die USA und andere Länder zur Frage nach der Seriosität der Bukarester Politik.
Schon zu Beginn des Monats November drohte die US-Regierung Ronald Reagans Bukarest mit der Sperrung der Meistbegünstigungsklausel, da diese auch „davon abhängt, ob das Land sein Versprechen einhält, die Auswanderung zu erleichtern“ (dpa, 6. November 1982). Die Welt stellte am 8. November 1982 lapidar fest: „Es wird also Menschenhandel betrieben, um die leere Devisenkasse zu füllen.“ Die Süddeutsche Zeitung schrieb am selben Tag: „Das neue Dekret bezieht sich eindeutig nur auf die deutsche Minderheit in Rumänien.“ Ebenfalls am 8. November 1982 berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Beobachter in Bukarest vermuten aufgrund des (...) Dekrets, dass Rumänien versuchen könnte, in Zukunft leistungsstarke Staaten durch entsprechende Handhabung der Bestimmungen zur Gewährung neuer Kredite oder zum Entgegenkommen bei der Umschuldung zu veranlassen. Dies dürfte insbesondere die Bundesrepublik Deutschland treffen.“ All dem fügte die Frankfurter Rundschau am 8. November 1982 hinzu: Auch „Rumäniens Staatsbürger, die das Land illegal verlassen haben oder von einem Auslandsaufenthalt nicht mehr zurückgekehrt sind, sollen (...) im Ausland auf dem Rechtsweg belangt werden, damit sie dem rumänischen Staat die Ausgaben für Ausbildung zurückzahlen.“ Die Schlagzeilen, mit denen die vier großen Zeitungen ihre Texte überschrieben, lesen sich wie die knappe Definition der Lage: „Ceaușescu verschärft drastisch Bedingungen für Aussiedler“, „Rückzahlung aller Ausbildungskosten in Devisen verlangt“, „Freikauf“, „Bescherung aus Bukarest“. Der Schlusssatz der oben genannten Folge der „Politischen Schlagzeile“ in dieser Zeitung zog gewissermaßen ein Fazit der Pressestimmen und visierte einen der empfindlichsten Punkte der politischen Selbsteinschätzung Bukarests an: „Was hier unwiderruflich auf der Strecke bleibt, ist vor allem das internationale Ansehen Rumäniens.“ Über die Medien hinaus äußerten sich Politik, öffentliche Einrichtungen, Kirche unmissverständlich zum Dekret vom 22. Oktober 1982. Auf schriftliche Vorstellungen des Bundesvorsitzenden des landsmannschaftlichen Verbands der Siebenbürger Sachsen, Dr. Wilhelm Bruckner, bekundeten der deutsche Außenminister Dr. Hans Dietrich Genscher, der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes Botho Prinz von Sayn-Wittgenstein, im Auftrag Willy Brandts die SPD, eine Reihe von CDU-Ministerpräsidenten, Universitäten, überregionale Vereine, vor allem der Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl – der sich vom Stellvertretenden Bundesvorsitzenden Dr. Kurt Schebesch hatte berichten lassen – und Bundesinnenminister Dr. Friedrich Zimmermann ihre Hilfsbereitschaft. (Zimmermann: „Die Beziehungen zwischen unseren Ländern können nur so gut sein wie die Behandlung der Deutschen dort im Lande.“) Der Abgeordnete des Europa-Parlaments Dr. Otto von Habsburg nannte das Dekret im Namen der EU „unmoralisch“.
Bukarests unerhörtes Vorgehen
Unter den Stimmen aus dem kirchlichen Bereich fiel besonders die Eindeutigkeit der Stellungnahme des Vorsitzenden der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Josef Höffner auf, der die durch das Dekret geschaffene Situation rundweg als einen „nach meiner Meinung unerträglichen Zustand“ bezeichnete. Der Ministerpräsident Bayerns Dr. Franz Josef Strauß nannte die politischen Folgen des Dekrets in einem Schreiben an den rumänischen Botschafter Ion Râmbu „mehr als katastrophal“, und in der in New York veröffentlichten Informationsschrift „Witness To Cultural Genocide“ war unter anderem der Satz zu lesen: „Wird man nicht darüber sprechen müssen, dass Rumänien den nationalen Problemen in diesem Gebiet in keiner Weise gewachsen war noch ist und damit ein europäisches Krisenproblem schafft und am Leben erhält?“ Die New York Times schließlich forderte in der Ausgabe vom 28. Dezember 1982 „Druck der USA auf Rumänien wegen der Auswanderungsgebühren“ und berichtete von einer „scharfen amtlichen Note an Bukarest, in der Rumänien gewarnt wird, die Beziehungen zu den USA (wegen des Dekrets) zu stören.“ Schon unmittelbar nach Bekanntgabe des Dekrets hatte Präsident Reagan den Gesandten David Funderburk angewiesen, Ceaușescu persönlich die Botschaft zu überbringen, dass er ihm die Annullierung der „Abgabepflicht“ dringend nahe lege. Das weltweit als unerhört empfundene Vorgehen Bukarests forderte die Anstrengungen der Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben heraus, der Situation schnell und wirkungsvoll zu begegnen. Das stieß zunächst auf einige Schwierigkeiten. „Als die Ceaușescu-Administration (...) mit den so genannten ‚Herbst-1982-Dekreten‘ besonders der deutschen Minderheit die Existenz um ein weiteres erschwerte, herrschte bei Vertretern der Siebenbürger Sachsen im Westen Verwirrung: Welches war die angemessene (...) Reaktion auf die Bukarester Verfügungen, um den Verwandten und Freunden in Siebenbürgen zu helfen?“ (Hans Bergel rückblickend im Vorwort zum Buch „Aufzeichnungen aus Transnistrien“ des ehemaligen Bischofsvikars der Evangelischen Landeskirche Siebenbürgens Hermann Binder, München 1989.) In der Tat gab es – heute nur noch schwer nachvollziehbare – Zögerlichkeiten bei einigen, die zum „Abwarten“ rieten und dafür das Argument anführten: Man dürfe „Bukarest nicht reizen“. Bei einer am 20. und 21. November 1982 in München unter dem Vorsitz Dr. Wilhelm Bruckners abgehaltenen Besprechung siebenbürgischer und Banater Vertreter aus Deutschland und Österreich sollten Inhalt und Form der Antwort auf das – noch nicht in Kraft getretene – Dekret beraten und beschlossen werden.Schon am 9. und am 10. November 1982 hatte es in Bonn zwei Pressekonferenzen mit Vertretern der Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen gegeben, bei denen den Journalisten unter anderem mitgeteilt worden war, dass die Bundesleitungen beider Verbände die Verbindung mit der – damals in Köln residierenden – Botschaft Rumäniens aufgenommen und sowohl Bundeskanzler Kohl als auch Außenminister Genscher telegraphisch informiert hatten. Zugleich war die Presse über eine „Resolution“ unterrichtet worden, deren Veröffentlichung zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen würde; bei dem Dekret handle es sich „um den folgenschwersten Eingriff in die Existenz der deutschen Volksgruppe in Rumänien seit den Zwangsverschleppungen 1945 in die UdSSR und den entschädigunglosen Enteignungen in den Nachkriegsjahren“ (SbZ, 30. November 1982). Schließlich hatten die Journalisten darüber informiert werden können, dass Bundeskanzler Helmut Kohl den Staatssekretär Bernd von Staden nach Bukarest entsandt und angeordnet habe, täglich über den Entwicklungsstand unterrichtet zu werden. Das Begleitschreiben an die Botschaft Rumäniens enthielt zusätzlich zur Ankündigung einer „öffentlichen Protestkundgebung am Fuße des Kölner Doms“ auch die Einladung an den Botschafter zur Teilnahme. Râmbu lehnte nicht nur die Einladung unfreundlich ab, sondern versuchte, die Kundgebung als „feindlichen Akt, der den Kalten Krieg wieder eröffnet“, zu verhindern (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. Dezember 1982). Seine Bedrängnis war umso größer, als auch die IGFM (Internationale Gesellschaft für Menschenrechte) für den 11. Dezember eine Protestdemonstration vor dem Botschaftsgebäude in Köln anberaumt hatte.
Bei der Lagebesprechung am 20. und 21. November in München wurde zunächst die Entsendung Dr. Kurt Schebeschs nach Madrid zur KSZE-Nachfolgekonferenz (11. November 1980-6. September 1983) – der zweiten nach Belgrad (1977-1978) – erörtert. Die auf Drängen Willy Brandts 1973 in Helsinki begonnenen Konferenzen für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa hatten den Bemühungen der im Westen lebenden Deutschen aus Rumänien um die Verbesserung der Lage ihrer Landsleute im Südosten die einzigartige Möglichkeit geboten, ihre Anliegen vor dem Hintergrund eines großen internationalen Programms vorzutragen. Der so genannte Korb III – der dritte Themenbereich der KSZE – beschäftigte sich mit humanitären Fragen (freie Wahl des Wohnlandes, Familienzusammenführung u.Ä.). Korb III war denn auch dank der Mitunterzeichnung Bukarests zum legitimen Podest einer – nota bene: gegen erheblichen Widerstand siebenbürgisch-sächsischer Kreise in Deutschland – offensiv orientierten Bukarest-Politik der Siebenbürger und Banater geworden: denn Bukarest konnte jetzt beim Wort genommen werden. (Siehe dazu: „Von kollektiver Sprachlosigkeit zu politischer Aktion“ von Hans Bergel, in: Südostdeutsche Vierteljahresblätter 2/2000, München). In Absprache mit dem Auswärtigen Amt, dem Politischen und KSZE-Referat Bonn und dem deutschen Botschafter in Spanien, Jörg Kastl, sollte Dr. Schebesch mit Vertretern der USA, Kanadas, Norwegens, Österreichs, Luxemburgs und Rumäniens Kontakt aufnehmen.
Das geschah – natürlich mit Ausnahme Rumäniens – zwischen dem 9. und 14. Dezember 1982. (Siehe dazu: „Dr. Kurt Schebeschs Mission bei der KSZE-Konferenz in Madrid. Zum ersten Mal auf dieser Ebene“, SbZ, 15. Januar 1982, S. 1.) Zugleich hatten sich die Bundesvorsitzenden Dr. Bruckner, Siebenbürgen, und Josef Schmidt, Banat, unter dem Titel „Sind Deutsche in Siebenbürgen und Banat vergessen?“ an Bundeskanzler Kohl und mehrere Bundesminister gewandt (SbZ, 30. November 1982, S. 2). Am 2. Dezember 1982 erklärten die verantwortlichen Siebenbürger und Banater auf einer Pressekonferenz in Bonn deutschen Zeitungs- und Rundfunkreportern erneut die Lage (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. November 1982).
Unterdessen hatten auch „Vertreter der als Minderheit in Rumänien lebenden Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben in Wien an Bundespräsident Rudolf Kirschläger und die österreichische Bundesregierung appelliert, die Wirksamkeit des Dekrets zu verhindern“ (dpa, 12. November 1982); Dr. Fritz Frank, Bundesobmann, kündigte für den 12. Dezember in Österreich eine Protestkundgebung an. Zugleich hatte sich der Präsident des Zentralverbands der Siebenbürger Sachsen in den USA, Edward R. Schneider, in einem Brief an den US-amerikanischen Kongress gewandt, ebenso war der Deutsch-Amerikanische National-Kongress an die Öffentlichkeit gegangen. Am 16. Dezember sollte dann Dr. Jörg Kastl mit seiner Rede vor dem Plenum der Madrider Nachfolgekonferenz, unterstützt von den Sprechern Großbritanniens, Kanadas und Luxemburgs, die Aufmerksamkeit aller Konferenzteilnehmer mit massiver Kritik auf das Verhalten Bukarests lenken. U.a.m. Zusätzlich zu diesen und der Vorantreibung weiterer diplomatischer, politischer und publizistischer Demarchen entschlossen sich die Teilnehmer an der Münchner Arbeitsbesprechung aber vor allem zur Durchführung einer Großkundgebung. Denn der unausweichliche Umstand, dass zuallererst die Betroffenen selber nachdrücklich an die Öffentlichkeit gehen mussten, wollten sie nicht ihre Glaubwürdigkeit verlieren, hatte auch den letzten widerstrebenden Zauderern das Argument genommen. Auf Vorschlag des als Ministerialrat im Bundesministerium des Innern tätigen Siebenbürgers Dr. Oskar Schuster fiel für die geplante Kundgebung die Wahl auf Köln – nicht zuletzt, so Dr. Schuster, aus historischen Gründen, denn Köln war um die Mitte des 12. Jahrhunderts Sammelort der ersten in den Karpatenbogen treckenden linksrheinischen Deutschen gewesen. Zudem bot sich Köln „wegen der unmittelbaren Nähe zum Standort der Botschaft Rumäniens“ an. Mit der Wahrnehmung der Gesamtorganisation – Polizeigenehmigung und -schutz, Aufteilung des Roncalli-Platzes, Lautsprecheranlage, Rednertribüne etc. – wurde der Leiter des Bundesjugendreferates, Hans-Reiner Polder, beauftragt, der schon zwei Tage später nach Köln abreiste und, einschließlich seiner Helfer, mit einer Bravourleistung dafür sorgte, dass die Kundgebung reibungslos verlief.
Mit groß entworfenem „Aufruf zu einer Kundgebung für Menschenrechte, für Recht und Freiheit. An alle Siebenbürger Sachsen und ihre Freunde!“ forderte die Siebenbürgische Zeitung (30. November 1982) zur Teilnahme auf; ein entsprechendes Plakat wurde von München aus an die Landesgruppen verschickt. Parallel dazu trafen die Banater Schwaben vergleichbare bundesweite Vorbereitungen. Spruchleisten in der Zeitung stimmten ein übriges Mal auf die für den 4. Dezember vorgesehene Manifestation ein: „Kein Weg darf uns zu weit sein!“, „Die Weltöffentlichkeit ist auf unserer Seite!“, „Kommt alle am 4. Dezember nach Köln!“, „Wir lassen unsere Angehörigen in Siebenbürgen nicht im Stich!“ u. a. war in der SbZ in großen Lettern zu lesen. „Nicht auf dem Rücken unserer Landsleute!“ hieß es dort in einem am 30. November veröffentlichten Text.
Für die von allen Bundestagsfraktionen – Dr. Alfred Dregger, CDU, Herbert Wehner, SPD, Wolfgang Mischnik, FDP – und insgesamt von dem am 26. November in seiner 131. Sitzung der 9. Wahlperiode die Lage erörternden deutschen Bundestag abgedeckte Kölner Veranstaltung konnte als Redner des politischen Bereichs Prof. Dr. Friedhelm Farthmann, der nordrhein-westfälische Patenminister der Siebenbürger Sachsen, gewonnen werden; für die Banater Schwaben wurde Peter Krier benannt. „Einstimmig beschloss der Bundesvorstand (...), im Namen der Siebenbürger Sachsen (...) Hans Bergel zum Redner (...) zu bestimmen.“ (SbZ, 30. November 1982.) Zweck der Veranstaltung war es nicht, „Rumänien am Pranger der Welt zu sehen“, sondern „wir streben danach, unsere Landsleute in und außerhalb Rumäniens vor willkürlicher Ausbeutung zu schützen“. (Dr. Schebesch, SbZ, 15. Januar 1983.)
Die Zahl der aus der Bundesrepublik Deutschland, Österreich u. a. O. nach Köln angereisten Kundgebungsteilnehmer wurde von der Polizei auf bis zu achttausend geschätzt; hinzu kam eine erhebliche Anzahl von Kölner Bürgern. Bei eisiger Dezemberkälte gerieten die anderthalb Stunden vor der Südfront des mächtigen gotischen Doms zu einer dreifachen Beleuchtung der menschenrechtlichen Lage in Rumänien und zu einer Generalabrechnung mit der Bukarester Minderheitenpolitik.
Am Ort der Vertreibung festgehalten
Minister Farthmann nannte das Dekret „einen Schlag gegen die Entspannungspolitik“ und einen „dem Korb drei der Schlussakte von Helsinki zuwiderhandelnden Akt“. Peter Krier wies auf die Leidenswege der Banater Schwaben hin und „verlangte nichts anderes, als dass Bukarest die Deutschen aus dem Land gehen lässt“. Hans Bergel umriss in großen Zügen die bedrückende Lage der Deutschen in Rumänien und wandte sich am Schluss seiner Ausführungen nicht zuletzt auch an den humanen Geist des rumänischen Volkes. Er schloss: „Von Haus und Hof verjagt, aus Geschichte und Kultur vertrieben (...), werden wir von euch auch noch am Ort der Vertreibung festgehalten (...) Wir schulden euch nichts!“ (SbZ, 15. Dezember 1982.)Beginnend mit Februar 1983 wendete Bukarest das Dekret rigoros an und verlangte bis zu 80 000 D-Mark von ausreisewilligen Familien, zeigte sich aber zugleich hektisch infolge der Androhung US-amerikanischer Wirtschaftsmaßnahmen und der Ankündigung völkerrechtlicher Prüfung des Dekrets durch das „Centrum für Menschenrechte“ der UNO. Am 22. April 1983 kam es auf dem Münchner Odeonsplatz zu einer zweiten Großkundgebung gegen das Dekret mit Ansprachen Dr. Otto von Habsburgs und des CSU-Politikers Dr. Fritz Wittmannn. Bis Mai 1983 wies die Siebenbürgische Zeitung in jeder ihrer Folgen mit z. T. schonungslosen Beiträgen auf die unerträgliche Situation hin, was zusätzlich sowohl in der Botschaft in Köln als auch in Bukarest für Nervosität sorgte. „Nicht nachgeben!“ lautete die Vereinbarung der deutschen Siebenbürger und Banater im Westen. Am 1. Juni 1983 war es dann soweit: Als Ergebnis eines Besuchs des Außenministers Dr. Hans Dietrich Genscher in Bukarest (31. Mai/1. Juni 1983) erklärte sich die dortige Regierung bereit, das „Dekret auf die Angehörigen der deutschen Minderheit nicht mehr anzuwenden“.
Dieser „Akt deutscher und internationaler Solidarität“ (SbZ, 30. Juni 1983) bleibt als ein Erfolg in siebenbürgisch-sächsischen und banatschwäbischen Fragen der Selbstbehauptung erinnerlich, der in der Nachkriegsgeschichte einmalig ist. Dass sich an die Dekret- die so genann- te Schmiergeld- oder Bestechungsaffäre anschloss, über die ebenfalls auf Regierungsebene gesprochen wurde – Genschers Treffen mit Ceaușescu am 8. August in Konstanza –, gehört zu einem anderen Kapitel jener an Spannungen, politischen und publizistischen Auseinandersetzungen um das Schicksal der Deutschen in Rumänien reichen Epoche.
Hans Bergel
Schlagwörter: Landsmannschaft, Zeitgeschichte, Aussiedlung, Kommunismus, Bergel, Freikauf
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