20. Juni 2010

Renate Mildner-Müller: "Handschrift - ein gefährdetes Kulturgut"

Die renommierte Kronstädter Künstlerin Renate Mildner-Müller referierte kürzlich im Stuttgarter Haus der Heimat zum Thema Schriftkunst (siehe Ankündigung in dieser Zeitung). Da sie nach eigener Aussage lieber lehrt als referiert, bot sie den interessierten Zuhörern anschließend einen Workshop in Form einer Schreibwerkstatt an.
Als Kulturreferent Siegfried Habicher in seiner kurzen Einführung darauf hinwies, dass er zur selben Zeit wie Renate Mildner-Müller in Klausenburg studiert habe, zitierte der Landesvorsitzende in Baden-Württemberg, Alfred Mrass, spontan aus der „Bürgschaft“ unseres großen Württembergers Friedrich Schiller: „Ich sei, gewährt mir die Bitte, in Eurem Bunde der Dritte“. Die Gemächer, in denen Frau Mildner-Müller in Klausenburg studierte, befanden sich übrigens im Geburtshaus des ungarischen Königs Matthias Corvinus (1443-1490).

Renate Mildner-Müller erblickte 1940 in Kronstadt das Licht der Welt. Schon ihr Vater übte den Beruf des Schriftmalers aus, seiner Tochter aber war diese Kunstsparte „viel zu genau“, weshalb sie lieber von 1960 bis 1966 an der staatlichen Akademie der Bildenden Künste Malerei studierte.

Als Einstieg informierte Mildner-Müller ausführlich über die Geschichte der Schrift, die im Gegensatz zu derjenigen der Architektur und Malerei nur wenigen bekannt sei. Die Geschichte der Schrift sei im Großen und Ganzen eine Geschichte der Erfindung und Wandlung der Schreibgeräte. Die erste Schrift wurde mit einem Stab gedruckt, der auf seinem „Druckstempel“ lediglich ein Dreieck aufwies. Aus diesem Dreieck ließen sich ausreichend „Buchstaben“ bilden, um eine Schrift zu generieren. Der Dreieckstempel wurde dabei in Wachs und Ton gedruckt. Danach kam der sogenannte Thalamus-Stab (aus Bambus), mit dem gedruckt und geschrieben werden konnte und den Mildner-Müller als „das schönste Schreibgerät“ bezeichnete. Es folgte der Gänsekiel und schließlich die Metallfeder, mit der dann auch der sogenannte „Schwellzug“ möglich war: Durch erhöhten Druck auf die Feder „schwillt“ die Schrift. Auf die Beschreibobjekte Wachs und Ton folgte Papyrus und schließlich Pergament, laut Mildner-Müller der beste Beschreibstoff, der durch Papier nicht verbessert, sondern lediglich ersetzt wurde. Denn Pergament kann als einziger Stoff verbessert werden, in dem das Geschriebene einfach abgekratzt wird. Lediglich unsere heute üblichen Personal Computer bieten Vorzüge dieser Art.

Die Ägypter sahen ihre Hyroglyphen und Schrift im Allgemeinen als etwas Göttliches an. Auch in den Klöstern unseres Kulturkreises waren die Schreibstuben die einzigen Räume, die beheizt wurden. Da Wein in früheren Zeiten sehr billig war, wurde er mit dem Saft von Schlehen gemischt, was „die schönste braune Tinte“ ergab.

Hervorzuheben unter den Schriftarten ist die sogenannte Unzialis, die Schrift der ersten Christen, deren Buchstaben fast nur Rundungen aufwiesen und bei der jeder Buchstabe in ein imaginäres Quadrat passte. „Fast alle meiner Schüler mögen die Unzialis am meisten, sie ist sehr einfach zu lernen“, bemerkte die Referentin. Ab dem 14. Jahrhundert gab es nach der Ägide der romanischen Schrift nun zwei Schriftarten: die gotische und die lateinische. Was allerdings in unseren modernen Computern z.B. als Unzialis oder gotische Schriften ausgewiesen wird, hat mit den ursprünglichen Schriften oft äußerst wenig zu tun. Das Papier wurde in Europa erst tausend Jahre nach seiner Erfindung eingeführt. Federführend waren hier Johannes Gutenberg und hundert Jahre später Johannes Honterus. Die ersten Druckbuchstaben waren aus Holz geschnitzt, später wurden sie aus Blei gegossen. Gutenberg ermöglichte die Vervielfältigung der Schriften. Anfangs waren dies ausschließlich christliche Schriften, später folgten solche aus der Mathematik, Astronomie und Medizin.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es an deutschen Hochschulen leider keinen Kunstschrift-Unterricht mehr. Mildner-Müller „hatte das Glück, in Klausenburg auch in Kunstschrift unterrichtet zu werden“. In anderen europäischen Ländern genießt die Kunstschrift eine viel größere Wertschätzung. Die britischen, schwedischen und niederländischen Königshäuser leisten sich gar eigene Kunstschreiber.

In Bezug auf Siebenbürgen erklärte Mildner-Müller einige wenige Beispiele wie den so genannten Andreas-Brief, bekannt auch als die goldene Bulle, die Zunfttafeln in der Schwarzen Kirche, Schrift an einem Taufbecken im Burzenland sowie einige Schriftbeispiele aus dem volkskundlichen bis schriftstellerischen Bereich. Auch wies sie darauf hin, dass die in Deutschland gemeinhin „schöne Bauernmalerei“ genannte, künstlerisch hochwertige siebenbürgische Möbelmalerei diese despektierliche Bezeichnung nicht verdient.

In der abschließenden Schreibwerkstatt, die von den Teilnehmern mit Interesse angenommen wurde, leitete Mildner-Müller „ihre Schüler“ fachkundig an und erklärte anhand eigener praktischer Vorführungen vieles, was vorher in der Theorie angesprochen wurde. Alles in allem war es ein gelungener Abend, von dem die Teilnehmer viel mitnehmen konnten.

Hans-Jürgen Albrich

Schlagwörter: Stuttgart, Vortrag

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