9. Oktober 2009

Spitzenhandballer Ortwin-Wolfgang Schmidt wird 65

Rentner ist er schon seit einem Jahr, doch ins Rentneralter kommt er erst in diesem Herbst: Ortwin-Wolfgang Schmidt, einer der besten Hal­len­handballer Siebenbürgens, wird am 9. Okto­ber 65 Jahre. Den Geburtstag feiert er im Fami­lienrahmen, mit seinen drei Kindern und deren Familien. Noch nicht bewusst erleben werden den Geburtstag seine beiden noch kleinen En­kel.
„So einen begnadeten Handballer habe ich nie wieder trainiert.“ Dieser Satz stammt von dem Hermannstädter Sportlehrer Hans Purschi Schuster. Gemeint hat der 2005 verstorbene Handballfachmann Ortwin-Wolfgang Schmidt. Und Purschi Schuster hat gleich noch einen draufgesetzt: „Wolfi sollte man noch einen Hand­ball in den Sarg legen.“ Purschi Schuster ist der Entdecker dieses talentierten Handball­spielers. Nicht einmal hat der junge Sportlehrer dem jungen Schmidt in Hermannstadt zugesehen, wie er Steine wirft. Weil er erkennt, dass er einen ungeschliffenen Rohdiamanten vor sich und in seiner Nachbarschaft hat, lädt er Wolfi zum Handballtraining ein. Der am 9. Oktober 1944 in Hermannstadt geborene Schmidt vertauscht das Turnen mit dem Handball. Das hat er bis heute nicht bereut.

Die Begeisterung für den Sport weckt Turn­lehrer Ali (Alexander) Kindermann am Ursuli­nenkloster in dem jungen Schmidt. Unter Pur­schi Schuster wird er drei Jahre lang am Gym- na­sium und an der Sportschule in Hermann­stadt das Einmaleins des Handballs erlernen. Mit Purschi Schuster wird er 1962 die Lan­des­meisterschaft der Sportschulen gewinnen (11:7 gegen Bukarest im Endspiel in Temeswar). Im selben Jahr bekommt er die Einberufung zum Militärdienst und wird für den Armeesportklub ASA Craiova spielen. Bei der Meisterschaft der Armeemannschaften in Großwardein wird Steaua- und Nationaltrainer Johnny Kunst auf den jungen Hermannstädter aufmerksam, der Schmidt im Frühjahr 1963 nach Bukarest zum Zentralen Armeesportklub holt.

Der Wechsel zu Steaua ist für den 19-Jäh­ri­gen ein großes Erlebnis. Er steht zwar noch im Schatten des Veteranen Aurel Bulgaru, doch er darf schon in dem Hallenturnier um den Win­terpokal mitspielen. Auch gegen die damals noch übermächtige Mannschaft von Dinamo Bu­ka­rest mit Handballgrößen wie Hans Moser, Michael Redl, Virgil Hnat und Petre Ivanescu. Bei Steaua hat Wolfi in Puiu Nodea seinen Lehr­meister gefunden. Von ihm lernt er, wie ein Spiel zu machen, zu führen ist. Kurze Zeit wird der Bukarester Armeeklub über zwei Spieler namens Schmidt verfügen: neben dem Her­mannstädter wird auch der Banater Hansi Schmidt bis zu seiner Flucht im November 1963 für Steaua spielen. Mit Steaua erringt Wolfi Schmidt 1963 und 1964 zwei Vizemeistertitel in der Halle. Als er den Bukarester Klub verlässt, ist er zu einem Handballspieler gereift: Er ist ballsicher, technisch sehr gut und auf allen Po­sitionen im Angriff einsetzbar. Seine Wurfkraft ist fast einmalig. Bis zum Auftauchen von Vasile Stinga bei Steaua Bukarest in den 70er Jahren wirft Wolfi bei Tests des Rumänischen Hand­ball-Verbandes von allen Spielern den Ball am weitesten. Am liebsten spielt er in der Mitte und als Linksaußen. Seine Schwäche ist die Abwehr.

Nach dem Abschied aus der Armee kehrt Wolfi zu Voința Hermannstadt zurück. Doch dort erlebt er nur ein kurzes Zwischenspiel. Denn Steni Badeanu holt ihn nach Heltau, wo er auf eine ziemlich gute Mannschaft trifft, in de­ren Reihen Hans Göttfert, Ali Lingner, Walter Kapp, Heinrich Simonis, W. Hiltsch, Piko Schus­ter, Rudi Fleischer und Ossi Melzer stehen. Mit Heltau steigt Wolfi Schmidt aus der Regionalliga in die erste Liga auf. Das Ziel ist 1967 erreicht.

Ortwin-Wolfgang Schmidt. ...
Ortwin-Wolfgang Schmidt.
1968 nimmt er das Sportstudium an der Uni­versität in Klausenburg auf und wird für die Uni-Mannschaft spielen. Mit Uni Klausenburg belegt er zweimal den dritten Platz in der Meis­terschaft. In dieser Truppe machen Klasseleute wie Simon Schobel, Dieter Roth, Constantin Tu­dosie, Jozsi Palko und Constantin Pantîru mit. 1970 beruft der Rumänische Handball-Verband Wolfi in die B-Nationalmannschaft, die am Tur­nier um den Karpaten-Pokal in Klausenburg ne­ben der A-Nationalmannschaft teilnimmt. Wol­fi wird mit 27 Treffern Torschützenkönig des Turniers vor dem Schützen vom Dienst der Na­tionalmannschaft, Gheorghe Gruia, der 22 Tref­fer erzielt. Dieser Erfolg und sein Auftritt in diesem Turnier bringen ihm die Berufung in die A-Nationalmannschaft ein. Doch die Freude währt nicht lange. Nach 13 A-Länderspielen ist schon Schluss für Wolfi. Er macht die Vorbereitungen auf ein Skandinavien-Turnier mit, darf aber nicht mitfahren. Die Ausreisegenehmigung wird ihm verweigert. Wolfi zieht die Konsequenz: Er verabschiedet sich aus der Nationalmannschaft. Schon vor der Skandinavien-Reise sagt ihm Na­tionaltrainer Eugen Trofin: „Schade, dass du nicht Feraru heißt.“ Das ist die rumänische Variante von Schmidt.

1971 ist Wolfi zurück in Hermannstadt und wird für Independența spielen. Purschi Schus­ter holt ihn zurück. Zusammen mit anderen Heimkehrern wie „Pisu“ Gerd Stenzel, Dieter Roth, Horst Petri, Günther Speck, Gilu Oana und Olimpiu Savu wird er in der ersten Liga mit In­de­pendența spielen. Es ist eine sehr gute Mann­schaft, sagt Wolfi Schmidt noch heute. Doch Purschi Schuster wirft wegen Querelen das Hand­­tuch. Schließlich wird Independența zweit­­klassig. Die Mannschaft wird 1980 von Mirsa übernommen, wo auch die ehemaligen Natio­nal­spieler von Steaua Bukarest Werner Stöckl, Stefan Birtalan und Gabriel Kicsid spielen. „Keine andere Mannschaft in der ersten rumänischen Liga hat so oft gegen die allmächtigen Bukarester Klubs Steaua und Dinamo mit einem Tor Unterschied verloren wie Indepen­dența Hermannstadt, ganz gleich, ob auf eigenem Platz oder in Auswärtsspielen. Die drei großen „C“ der rumänischen Schiedsrichter­gilde, Cirligeanu, Capatina und Cojocaru, haben stets dafür gesorgt. Darum sage ich, wir waren eine gute Mannschaft“, so Wolfi Schmidt.

Ohne einen Hermann Sitzler hätte es die Mann­schaft gar nicht gegeben. Sitzler hat in den 70er Jahren viel für die Mannschaft getan, sagt Wolfi: „Ich danke den Hermannstädter Zuschauern, die zu Tausenden gekommen sind, um uns bei Flutlicht (fast einmalig in Rumänien) gegen die ‚Großen’ spielen zu sehen. Sie wollten uns sehen. Wenn ich manchmal zurückdenke, läuft mir ein Schauer über den Rücken. Danke für die schönen Erinnerungen.“

1983 verabschiedet sich Wolfi von Mîrșa und Siebenbürgen und siedelt in die Bundesrepublik Deutschland um. Zum Gelingen dieses Umzugs trägt ein ehemaliger Mannschaftskollege von Klau­senburg bei: Es ist der inzwischen zum Bun­destrainer avancierte Simon Schobel. Wolfi trifft ihn bei einem Spiel der deutschen Mann­schaft in Bukarest und klagt ihm sein Leid. Wolfi soll die Pässe für sich und seine Familie auslösen. Dafür muss er 1 000 Mark bezahlen, und die kann er nicht auftreiben. Schobel stellt ihm das Geld zur Verfügung. Bei einem Spiel der deutschen Nationalmannschaft in Teningen will Wolfi seinem Freund Schobel das Geld zurückgeben. Doch der lehnt ab und schenkt ihm die 1 000 Mark.

In Deutschland eingetroffen, kreuzen sich die Wege von Wolfi und Purschi Schuster erneut. Wolfi ist 39 Jahre alt, trotzdem holt ihn Purschi in seine Regionalligamannschaft nach Kön­dringen-Teningen. Als ihn die neuen Mann­schaftskollegen sehen, brechen sie in Lachen aus. Doch das ist ihnen schon nach dem ersten gemeinsamen Training vergangen. „Dann ha­ben sie vor mir den Hut gezogen“, sagt Wolfi Schmidt. Nach zwei Jahren gemeinsamer Arbeit wirft Purschi Schuster das Handtuch. Wolfi über­nimmt die Regionalligamannschaft als Spie­lertrainer. Mit ihr wird er 1985 südbadischer Pokalsieger, mit ihr besiegt er Wallau-Massenheim im DHB-Pokal.

Wolfi Schmidt wohnt mit der Familie in Freiburg, muss anfangs aber werktags nach Niedereschach bei Villingen-Schwenningen fahren, wo er als Lehrer tätig ist. Diese Belastung erlaubt es ihm nicht mehr, weiter die Handbal­ler von Köndringen-Teningen zu trainieren. Doch bald ist er Sportlehrer an der Grund- und Hauptschule in Denzlingen. Jetzt übernimmt er den TuS Teningen als Spielertrainer und führt ihn aus der Kreisklasse B in die Bezirksklasse. Es ist ein Durchmarsch ohne Niederlage, der von 1985 bis 1988 dauert. Danach trainiert Wol­fi noch ein Jahr lang die Handball­mann­schaft in Denzlingen, wohin er mit der Familie umzieht. In Denzlingen wird er mit dem Russen Wladimir Maksimow einen alten Bekannten treffen, den er 1970 bei der Studenten-Welt­meisterschaft in Prag schon einmal zum Gegner hatte. Maksimow bestreitet mit der russischen Nationalmannschaft ein Spiel gegen Denz­lingen.

Johann Steiner

Schlagwörter: Sport, Handball, Porträt

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Neueste Kommentare

  • 10.09.2021, 13:36 Uhr von sibisax: Ich schätze mich glücklich diesen wunderbaren Hermannstädter Landsmann und grandiosen Hanballer und ... [weiter]

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