erstellt am 03.07.2001 um 22:47 Uhr
"Ungarn gegen europäischen Geist"
Der rumänische Präsident Ion Iliescu kritisiert im STANDARD-Interview eine
Maßnahme Ungarns, die Magyaren in Nachbarländern Sonderrechte gibt
Mit Iliescu sprach Hans Rauscher.
Standard: Herr Präsident, Sie haben kürzlich gesagt, der rumänische
Präsident verdient weniger als ein deutscher Arbeitsloser. Wie können Sie mit 500
Dollar im Monat leben ?
Iliescu: Es ist eine Realität. Ein Spiegel der wirtschaftlichen Situation
des Landes. Das durchschnittliche Einkommen ist 100 Dollar, also verdient der
Präsident fünfmal mehr.Standard: In Bulgarien hat kürzlich der Exkönig Simeon bei Wahlen gesiegt.
Auch in Rumänien gibt es einen Exkönig, Michail I. Sie haben sich mit ihm
getroffen, ihm ein Schloss zurückgegeben und gesagt, sie hätten nichts gegen
seine politische Betätigung.
Iliescu: Unser Land ist in die Normalität zurückgekehrt. Das bedeutet auch,
dass ein früherer König sich politisch betätigen darf. Aber außerdem ist
Michail I. 80 Jahre alt und hat keine Ambitionen. Seit ich mich mit dem Exkönig
getroffen habe, sind unsere Monarchisten viel weniger aktiv.
Standard: Es gibt ein neues Problem zwischen den "Erbfeinden" Ungarn und
Rumänien. Das ungarische Parlament hat ein Gesetz beschlossen, das den Bürgern
anderer Staaten, die ungarischer Abstammung sind, in Ungarn besondere Rechte
gibt. Diese drei Millionen "Status-Ungarn" sollen sogar einen eigenen Ausweis
bekommen. Von den ungarischen Gebieten in Rumänien ging sogar die Revolution
1990 aus.
Iliescu: Zunächst eine Präzisierung. In Transsylvanien und im Banat leben
ungefähr acht Millionen rumänische Staatsbürger. 1,7 Millionen Rumänen
ungarischer Abstammung gibt es in ganz Rumänien, davon leben rund 300.000 in
Bukarest. Also sind sie sogar in ihrem historischen Siedlungsgebiet in Transsylvanien
eine Minderheit. Und sogar als das Gebiet zu Österreich-Ungarn gehörte (zum
ungarischen Teil - Anm.), waren die Rumänen dort die Mehrheit. Ich sage das,
weil manche Leute behaupten, dass Transsylvanien ein ungarisches Territorium
ist, das von Rumänien besetzt wird. Aber es ist rumänisches Territorium mit
einer ungarischen Minderheit.
Standard: Was halten Sie also von diesem Status-Ungarn- Gesetz?
Iliescu: Es ist ein Jammer. Denn wir haben mit unseren Bürgern ungarischer
Abkunft ein gutes Verhältnis und auch mit dem Staat Ungarn. Wir haben mit
Ungarn 1996 einen Nachbarschaftsvertrag abgeschlossen. Deshalb ist dieses Gesetz
eine seltsame Entscheidung des ungarischen Parlaments. Es ist gegen den
europäischen Geist und gegen die Politik der guten Nachbarschaft. Von diesem
Gesetz sind ja auch die Ungarn in der Slowakei, in der Ukraine und in Serbien
betroffen.
Standard: Das widerspricht auch den Prinzipien der EU.
Iliescu: Die EU ist auch in einer delikaten Situation. Aber was
charakteristisch ist und zeigt, dass mit diesem Gesetz etwas nicht in Ordnung ist, ist
die Tatsache, dass Österreich aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes
ausdrücklich ausgenommen ist, denn Österreich hat zwar auch Staatsbürger ungarischer
Abkunft, ist aber schon in der Union. Die Ungarn wollten heikle Diskussionen
mit einem Mitglied der Europäischen Union vermeiden.
Standard: Rumänien will 2007 in der EU sein.
Iiescu: Das ist ein ehrgeiziges Ziel, aber es könnte realistisch sein, wenn
der Trend dieses Jahres anhält. Wir haben jetzt eine effizientere Regierung
(des Postkommunisten Nastase, Anm.), wir kommen in den Verhandlungen mit der
EU besser weiter, wir gehen die Privatisierung schneller an.
Standard: Aber natürlich gibt es eine ungeheure Menge von Problemen, wie
etwa die Korruption . . .
Iliescu: Das ist eine Folge der Armut und der Ineffizienz der Institutionen.
Aber Korruption ist nicht nur ein rumänisches Problem.
Standard: Ein Bericht des Europäischen Parlaments kritisierte kürzlich die
katastrophalen Zustände der Waisenkinder in den Heimen und der Straßenkinder.
Iliescu: Wir haben die Besserung dieser Zustände zum Ziel eines nationalen
Aktionsprogramms gemacht. Alle Institutionen auf allen Ebenen haben das als
Priorität zu betrachten.
Standard: Rumänien will in die Nato. Im nächsten Jahr sollen neue Mitglieder
aufgenommen werden.
Iliescu: Wir hoffen, dabei zu sein. Rumänien ist an der südlichen Flanke der
Nato, strategisch sehr wichtig. Präsident Georg W. Bush hat in Warschau
gesagt, ein Europa vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer. Rumänien liegt am
Schwarzen Meer. (DER STANDARD, Print, 3.7.2001)