15. September 2004

Eginald Schlattner

Man wusste ihn bislang als Seelsorger in Rothberg neben Hermannstadt. Auch heute lebt er dort und versieht von da aus den Dienst eines Gefängnispfarrers der Evangelischen Landeskirche mit Schwerpunkt in der Haftanstalt Großenyed/Aiud: Eginald Schlattner wurde, wie bekannt, im letzten Jahr 70 und dabei groß gefeiert. Aber nicht nur der altehrwürdigen Person gab man dabei die Ehre, vielmehr dem Erfolgsautor, denn: Seit 1998, also ab dem 65. Lebensjahr, befindet sich der 1933 in Arad geborene und in Fogarasch aufgewachsene Romancier auf einem mitunter auch für ihn ungeahnten Erfolgskurs. Hierzu befragte unser Hermannstädter Mitarbeiters Martin O h n w e i l e r den Verfasser der beiden Romane "Der geköpfte Hahn" und "Rote Handschuhe", mittlerweile in mehreren Auflagen erschienen.
Herr Schlattner, hat der doch recht späte Erfolg als Schriftsteller Ihr Leben verändert?

Ich habe mich eigentlich immer gegen das Wort Erfolg abgegrenzt. Ich spreche eher von einer gewissen Resonanz der beiden Bücher, die ja nun wirklich recht spät geschrieben und gedruckt worden sind. So weiß ich auch nicht, ob das Wort "Erfolg" kombiniert mit "Autor", namentlich also "Erfolgsautor" nun der Begriff ist, der das umschreibt, was sich im Gefolge dieser beiden Bücher abgespielt hat.
Ich bin zwar in einem Verlag gedruckt worden, der mich sehr stark schon als Kind und Jugendlicher beeindruckt hat: "Paul Zsolnay" - das waren die Bücher in der Bibliothek meiner Eltern, wo es um Weltliteratur ging. Und als ich von diesem Verlag angeschrieben worden bin, habe ich gewusst, dass dies schon im Ansatz eine Auszeichnung ist. Das Wiener Verlagshaus hat schließlich acht Werke von Nobelpreisträgern ediert. Bitte schön, das sind nun meine Kollegen, auch wenn andere Hunderte diesen Preis nicht bekommen haben. Selbst meine Tanten, die fast alle noch leben - ich bin übrigens 70 geworden, sie sind demnach so um die 100 - haben gewusst, dass Zsolnay Klasse ist. Und haben sofort moniert: Dort sind ja fast nur Juden verlegt worden, wie bist du denn hingeraten? Meine Antwort: Liebe Tanten, die Juden waren in den 30er Jahren die einzigen Deutschen, die man im Ausland gelesen hat. Das also ist Paul Zsolnay - ein Produkt der k.u.k. Monarchie in allen seinen Facetten, ein nobilitierter ungarischer Jude, dessen Muttersprache Deutsch war, und der große Verdienste um die deutschsprachige Literatur hatte.

Eginald Schlattner (1998). Foto: Konrad Klein ...
Eginald Schlattner (1998). Foto: Konrad Klein
Stehen Sie somit aber unter einem gewissen Erfolgszwang?

Keineswegs. Schon beim zweiten Buch, das ich geschrieben habe, und sogar beim dritten, das jetzt in den letzten Zügen liegt und das, laut Vertrag, 2005 erscheint, dachte ich weder an den Erfolg noch an den Leser oder an die Kritik. Wenn ich schreibe, ist eine der Befindlichkeiten die, wo ich auf mich vergesse. Ich lebe dabei völlig "ex tempore". Das Gleiche gilt übrigens auch für den Vollzug meines geistlichen Amtes. Auch da vergesse ich auf die Zeit, sehe nie auf die Uhr - das würde ja den lieben Gott kränken! Und nicht zuletzt: Wenn ich einem anderen Menschen zuhöre, der sein Herz ausschüttet oder erzählt, dann rückt meine Person in den Hintergrund. Demnach: Im Zustand der Selbstvergessenheit fällt jede Art von Zwang weg. Es spielt für mich keine Rolle, wie andere auf die fertigen Texte reagieren könnten.

Dennoch: Hat Sie der Erfolg Ihrer durchaus autobiographisch gefärbten Werke nicht irgendwie veranlasst, nun Ihre Biographie für andere wie auch für Sie selbst anders zu beleuchten?

Eine interessante Frage, über die ich eigentlich nachdenken müsste. Trotzdem: Meine Bücher leben sehr stark von meiner Biographie, sogar der dritte Roman "Das Klavier im Nebel", geschrieben in der dritten Person, ist Biographie im intimen Sinne. Es liegt ja auch an der Technik meines Schreibens, dass ich nichts an Sachen in meine Bücher einbringe, die sich nicht irgendwie verifizieren lassen als Tatsachen; und zwar entweder als eigene Erlebnisse oder als Vorkommnisse im Umkreis der persönlichen Betroffenheit. Als Beispiel hierfür nenne ich stets meinen Großvater: Nicht er ist 24 Stunden in der Adria geschwommen, aber dann doch ein Onkel von mir.

Das war im Roman "Der geköpfte Hahn".

Der zweite Roman - "Rote Handschuhe" - thematisiert, wie bekannt, meine zwei Jahre Zellenhaft bei der ehemaligen "Securitate", damals in Stalinstadt. Dazu nur ergänzend: Hier habe ich mich am stärksten an meine biographische Vorlage gehalten, zumindest in den Passagen, die im Gefängnis spielen. Wiewohl romanesk, sind diese Passagen von der Aussage her eher Dokumentation. Aber seltsamerweise hat sich Folgendes bei mir abgezeichnet: Zwischen dem, was tatsächlich im authentischen Erlebnisfeld geschehen ist, und dem, was ich niedergeschrieben habe, kann ich jetzt nur noch schwer unterscheiden. Das stimmt! Aber gerade darum ist wichtig: Während ich schrieb, niederschrieb, habe ich durchaus, oft zähneknirschend, danach getrachtet, mich an die Realität meiner erlebten Biographie zu halten. Wenn ich also auf die eigentlichen Erinnerungen jenseits dessen, was im Buch festgehalten wurde, zurückgreifen sollte, was nur schwer gelingt, kann ich beruhigt feststellen: Was du dort geschrieben hast, ist nahezu kongruent mit dem, was du erlebt hast. Oder anders: Die spontane Erinnerung ist im Literarischen festgeschrieben worden.

Welches waren darüber hinaus die prägnantesten Erfolgserlebnisse mit diesen Büchern?

Als Erfolgserlebnisse habe ich die Dinge nicht eingeordnet. Aber bewegt und auch in meinem täglichen Ablauf geprägt hat mich durchaus die Tatsache, dass man heute unter den Journalisten beispielsweise von einem "literarischen Tourismus" nach Rothberg spricht. Da tauchen ja zu jeder Zeit Einzelpersonen und auch ganze Reisegruppen auf, angesagt oder nicht, mit den Büchern unter dem Arm und wollen den Autor kennen lernen, mit ihm sprechen. Hinzu kommt, dass sich Vertreter von Medien auf den Rothberger Pfarrhof geradezu "fokussieren", so ein Wort meiner Tochter Sabine. Nur in den letzten Jahren sind etwa 25 TV-Porträts von mir gemacht worden, dazu Reportagen in der überregionalen Presse u.v.a.m. Überdies: Ohne mich darum bewerben zu müssen, nehme ich Einladungen wahr, die mich zum Beispiel nur im letzten Jahr gleich an drei extreme Ecken Europas geführt haben. So war ich in Istanbul, Lissabon und Danzig, abgesehen von weiteren Lesungen im deutschen Sprachraum. Und wenn man mich noch an den Ural, nach Ekaterinenburg eingeladen hätte, wären das alle vier Ecken Europas gewesen. Auch gibt es dann noch, meines Wissens, sieben Magisterarbeiten über die Bücher, darunter eine an der Sorbonne, in Paris!

Haben sie jemals an diesen Erfolg, alias Resonanz geglaubt, davon irgendwann einmal geträumt?

Nein, niemals! Ich habe zwar mit elf Jahren Tagebuch geführt und schon damals gespürt, dass ich von der Struktur her ein Dichter bin. Doch zugetraut habe ich mir nie, etwas Literarisches von Ausmaß fertig zu stellen, das auch noch gelesen werden könnte. Schon die Vernetzung im Detail bei Romanen zwischen 400 und 600 Seiten erfordert eine enorme Konzentration. Wenn jedoch von Zwang die Rede ist, dann gab es dennoch etwas Zwingendes: Das erste Buch entstand aus Verzweiflung, als ich zu Weihnachten 1990 in einer leeren Kirche stand, die Sachsen waren bis auf einige Alte ausgewandert. So konzipierte ich, um die Reste meiner Seele zu retten, den Roman "Der geköpfte Hahn" denn auch mehr für die Familie, oder wie es in der Widmung heißt: Für die fernen Brüder und die tote Schwester. Doch dann kam es eben anders ...

... oder anders gesagt: Es setzte der Erfolgskurs ein. Aber zu Ende ist dieser offenbar nicht. Rechnet der Erfolgsautor Schlattner demnach mit weiteren Erfolgen?

Ich "rechne" nicht. Zeitweise überlegte ich, das dritte Buch nicht fertig zu schreiben, mich eher - auf dem letzten Lebensabschnitt - mit der Verwaltung des bisherigen Erfolges zu befassen, wenn wir schon das Wort Erfolg bemühen. Doch der Verlag steht hinter mir, steht dahinter. "Erfolg verwalten" heißt u.a. eine riesige Korrespondenz zu erledigen - Leserbriefe erreichen mich von Moskau bis Montevideo und von New York bis Istanbul. Trotzdem denke ich, der dritte Roman "Das Klavier im Nebel" könnte die Brücke sein zwischen seinen beiden Vorgängern, denn er behandelt ja eine der aufregendsten zeitgeschichtlichen Perioden Rumäniens: von 1944 bis 1948, wo dies Land praktisch ein kommunistisches Königreich war. Und somit dürfte, das meint auch der Verlag, eine Trilogie entstehen, für die ich den Titel parat hätte: "Versunkene Gesichter".

Zusammenfassend: Was war dennoch ausschlaggebend für diesen Ihren Erfolg?

Meine Heimat auf alle Fälle. Ich hätte diese Bücher nicht schreiben können, wenn ich ausgewandert wäre. Ich benötigte zwar einen zeitlichen Abstand - auch zur eigenen Biographie - von mindestens 40 Jahren, aber ich schrieb und schreibe diese Bücher vor Ort, im Bannfeld einer Kontinuität von damals zu hier und jetzt, zu den Gerüchen in der Luft, zu den Tönen und Geräuschen vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang. Denn noch immer knallt am Morgen die Peitsche des Kuhhirten durchs Dorf, und die Uhr am Stundturm zu Schäßburg schlägt die Stunden wie eh und je. Das Obdach dieser Landschaft und die Heimat - nicht nur als Biographie und Geschichte, sondern auch als Gegenwart - haben erst diese Bücher ermöglicht. Dies ist meine persönliche Sicht, pro domo! Hätte ich als Emigrant ein Land schildern sollen, das mir von der Natur der Sache her fremd hat werden müssen, dann wäre anderes in meine Bücher eingeflossen, zumindest ein Air von Ideologie und Unauthentischem. Durchaus anderes lässt sich für mich das Schreiben hier an, also hier, das zwar das Land meiner Väter nicht ist, aber mein Vaterland ja. Und wo man lebt, selbst wie man lebt: schlecht oder recht, neuerlich mit Frostbeulen und horrenden Gasrechnungen, aber unter Bäumen, die einen erkennen. Es gibt für mich als Theologen einen Heimatbegriff, mit dem man vor Ort bleiben, aber auch weggehen kann. Heimat ist für mich dort, wo ich weiß, dass Gott mich bei meinem Namen gerufen hat und Menschen mich brauchen und lieben.

Könnten Sie von daher ein "Rezept" für literarischen Erfolg empfehlen?

Durchaus: Redlichkeit!

Schließlich: Waren Ihre Erfolgswerke auch ein finanzieller Erfolg?

Für unsere Verhältnisse sehr wohl. Doch wenn man bedenkt, dass ich in meiner ersten Euphorie über das viele Geld dieses gleich verschenkt habe, dann rechnet es sich nicht mehr. Und bei den Lizenzausgaben meiner Bücher, das habe ich am Münchener Bahnhof unlängst mit Schrecken ausgerechnet, muss sich Hahn oder Handschuh gleich drei- bis viermal verkaufen, damit ich mir von diesem meinem Anteil einen schwarzen Kaffee leisten kann, wie gesagt, am Münchener Bahnhof.

Herr Schlattner, wir danken für das Gespräch und wünschen weiter Erfolg.

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Schlagwörter: Interview, Kultur

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