3. November 2002

Vlad Tepes alias Dracula: "Ein rötlich-mageres Gesicht von drohendem Ausdruck"

Wer die „echten“ Bilder von Vlad Tepes alias Dracula sehen will, muss nach Österreich fahren. Einen Themenpark für den bleichen Blutsauger Dracula - zumindest dieses Schreckensszenario bringt die Schäßburger nicht weiter um ihren Schlaf, seit das Projekt neben ihrem Städtchen gestoppt worden ist. Wem die touristische Vermarktung des guten alten Siebenbürgen als Heimat des Vampir-Grafen ohnehin schon längst ein Horror war, kann ja mal in Österreich Station machen. Nur hier jedenfalls gibt’s gemalte Darstellungen des walachischen Fürsten Vlad Tepes zu sehen. Mindestens eine davon ist zeitgenössisch und selbst Historikern unbekannt.
Der Bukarester Historiker Lucian Boia hat recht: seine rumänischen Landsleute bräuchten sich nichts darauf einzubilden, dass das Bild ihres Woiwoden Vlad Tepes in Schloss Ambras bei Innsbruck hänge, befinde es sich doch hier in einer wahren „Horrorgalerie“. Nachzulesen in Boias Bestseller „Istorie si mit în constiinta româneasca“ (Geschichte und Mythos im Bewusstsein der Rumänen), wo auch sonst gründlich aufgeräumt wird mit den Mythen, Legenden und Lebenslügen der rumänischen Geschichtsschreibung.
In der Tat verbreitet der Raum, in dem das Bild des Walachenfürsten gezeigt wird einen Hauch von Gruselkabinett. Inmitten von Riesen, Zwergen, „Haarmenschen“ und Krüppeln, gleich neben dem hussitischen „Ertzmörder“ Jan Ziska von Trocnow und einem ungarischen Adligen, der mit einer im Kopf steckenden Lanze das Turnier überlebt hat, hängt auch der berüchtigte Pfähler und Türkenschlächter Vlad Tepes (um 1430/31-1476/77).

Das Porträt von Vlad Tepes, das in keinem rumänischen Geschichtsbuch fehlt, ist die Arbeit eines deutschen Meisters. Sie entstand rund 100 Jahre nach dem Tod des Dargestellten und dürfte nach einem zeitgenössischen Bild gemalt worden sein. Zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts, Öl auf Leinwand, 60 x 50 cm. Schloss Ambras bei Innsbruck
Abb. 1 Das Porträt von Vlad Tepes, das in keinem rumänischen Geschichtsbuch fehlt, ist die Arbeit eines deutschen Meisters. Sie entstand rund 100 Jahre nach dem Tod des Dargestellten und dürfte nach einem zeitgenössischen Bild gemalt worden sein. Zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts, Öl auf Leinwand, 60 x 50 cm. Schloss Ambras bei Innsbruck
Abb. 1 Das Vlad-Tepes-Bildnis auf Schloss Ambras (Abb. 1) gehört zu den frühesten Sammelstücken der Kunst- und Wunderkammer Erzherzog Ferdinands II. (1529-1595), eines kunstsinnigen Sammlers und Bauherrn, manchen vielleicht besser durch seine „nichtebenbürtige“ Ehe mit der Augsburger Kaufmannstochter Philippine Welser bekannt. Die Anfänge seiner kulturhistorisch einmaligen Sammlung lassen sich bis in die 1560er Jahre zurückverfolgen.
Dass das Ambraser Porträt wahrscheinlich einen hohen Grad an Authentizität besitzt, macht eine Beschreibung von Nikolaus Modrussa, dem Legaten des Papstes am ungarischen Hof, deutlich: „Er war nicht sehr groß, aber untersetzt und muskulös. Sein Auftreten wirkte kalt und hatte etwas Erschreckendes an sich. Er hatte eine Adlernase, geblähte Nasenflügel, ein rötlich-mageres Gesicht, in dem die sehr langen Wimpern große, weit offene, grüne Augen umschatteten; schwarze, buschige Brauen gaben ihnen einen drohenden Ausdruck. Er trug einen Schnurrbart. Breit ausladende Schläfen ließen seinen Kopf noch wuchtiger erscheinen. Ein Stiernacken verband seinen Kopf, von dem schwarze, gekräuselte Locken hingen, mit einem breitschultrigen Körper.“

Das Vlad-Tepes-Porträt von Schloss Ambras wird als deutsche Arbeit aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts angesehen. Dabei kann es sich freilich nur um die Kopie eines zeitgenössischen, heute verlorenen Originals handeln. Für seinen „Urtyp“-Charakter spricht die Ähnlichkeit mit den (seitenverkehrten) Holzschnitten, die die 1485, 1488 und 1491 in Lübeck, Nürnberg und Bamberg erschienenen Dracole-Wayda-Broschüren schmückten. Wie unsere Nachforschungen mittlerweile ergaben, taucht der gleiche Vlad-Tepes/Dracula-Kopf mit der typischen Perlenschnur-Mütze jedoch bereits auf Altarmalereien aus den 1460er Jahren auf.

Abb. 2 Vlad Tepes. Unbekannter Maler, um 1575/95. Oben rechts der Vermerk „A. VEIDA DVX WALA(CHIAE)“ („Woiwode und Fürst der Walachei“). Öl auf Papier, auf Holztäfelchen aufkaschiert, 13,5 x 10,5 cm, um 1575/95. Kunsthistorisches Museum Wien, Münzkabinett.
Abb. 2 Vlad Tepes. Unbekannter Maler, um 1575/95. Oben rechts der Vermerk „A. VEIDA DVX WALA(CHIAE)“ („Woiwode und Fürst der Walachei“). Öl auf Papier, auf Holztäfelchen aufkaschiert, 13,5 x 10,5 cm, um 1575/95. Kunsthistorisches Museum Wien, Münzkabinett.
Künstler, die Bilder abmalten, behielten in der Regel die Seitenrichtigkeit bei. Das wird auch am Kleinporträt von Vlad Tepes deutlich, das Erzherzog Ferdinand II. für seine Porträtsammlung – wohl nach dem bereits erwähnten Ölbild - anfertigen ließ (Abb. 2). Da der Erzherzog großen Wert auf Bildähnlichkeit legte, geben die einheitlich in Öl auf Papier gemalten Bildnisse das tatsächliche Aussehen der Porträtierten – soweit es sich nicht um Phantasiebilder frühmittelalterlicher Potentaten handelt - zuverlässig wieder. Die Sammlung – sie umfasst rund 1 000 postkartengroße Bildnisse berühmter Persönlichkeiten – entstand in den letzten 20 Lebensjahren des Erzherzogs und ist wohl die umfangreichste ihrer Zeit. Das Vlad-Tepes-Bild wird heute im Münzkabinett des Kunsthistorischen Museums in Wien auf Tafel E („Balkan und Orient“) gezeigt.

Oben genannte Ölbilder von Vlad Tepes sind auch in der von Nicolae Iorga herausgegebenen Mappe Domnii români dupa portrete si fresce contemporane (Die rumänischen Herrscher nach zeitgenössischen Bildern und Fresken) von 1930 enthalten. Die dort angeführte Datierung der Vlad-Tepes-Bildnisse ins 15. Jahrhundert ist freilich, wie gezeigt, korrekturbedürftig.

Der „geblendete“ Walachenfürst von Burg Forchtenstein

Bei Iorga nicht enthalten ist ein ganzfiguriges Porträt von Vlad Tepes auf Burg Forchtenstein (Abb. 3). Es stammt aus der Zeit nach 1622, als sich der habsburgtreue Palatin Nikolaus Esterházy (1583-1645), der neue Burgherr von Forchtenstein, eine Ahnengalerie einrichten ließ. Zu den prominenten, wenn auch entfernteren Verwandten gehört auch der rumänische Woiwode.

Abb. 3 Vlad Tepes. Lebensgroßes Bildnis aus der Esterházy‘schen Ahnengalerie von Burg Forchtenstein/Burgenland, 17. Jahrhundert, Öl auf Leinwand, 218 x 130 cm.
Abb. 3 Vlad Tepes. Lebensgroßes Bildnis aus der Esterházy‘schen Ahnengalerie von Burg Forchtenstein/Burgenland, 17. Jahrhundert, Öl auf Leinwand, 218 x 130 cm.

Das ganzfigurige Bildnis zeigt den Woiwoden in einem roten, mit Zobelfell verbrämten Bojarenmantel, mit gelben Stiefeln und mit der bekannten, von Perlensträngen umwundenen roten Samtmütze. Auffallenderweise fehlt jedoch der rubinbesetzte Goldstern, in dem der Federschmuck („Aigrette“) der Mütze befestigt ist. In der Rechten hält er einen Streitkolben (ähnlich jenem, der seinem Vater von König Sigismund zum Zeichen seiner Herrschaft in Nürnberg überreicht wurde), während die Linke auf einem türkischen Säbel ruht. Die Inschrift links oben lautet: „Dracula Waida Princeps et Waivoda Walachiae Transalpinae hostis Turcarum infensissimus/1466“ (Dracula Fürst und Woiwode der Walachei, erbittertster Feind der Türken/1466).

Rätsel gibt die Jahreszahl 1466 auf. Lag dem Dracula-Bild von Schloss Ambras und dem Forchtensteiner Porträt eine mit „1466“ datierte Vorlage zugrunde? 1466 jedenfalls befand sich Vlad Tepes in einer Art Hausarrest auf der Donauburg Visegrád, wohin er auf Befehl von König Matthias Corvinus nach seiner Festnahme 1462 im Törzburger Pass gebracht worden war. Erst 1474 hielt es Matthias im Zuge seiner antiosmanischen Politik für opportun, den mittlerweile mit seiner Schwester verheirateten und zum Katholizismus konvertierten Walachenfürst wieder auf die Türken loszulassen.

Wer sich das Dracula-Bild auf Burg Forchtenstein genauer ansieht, könnte dabei eine nachgerade unheimliche Entdeckung machen: Iris und Pupille beider Augen sind ausgekratzt, und das bereits seit Jahrzehnten. Leider konnte uns niemand Genaueres über die merkwürdige Beschädigung sagen. Am ehesten ließen sich die Kratzspuren auf abergläubisches Burgpersonal zurückführen, das sich vor dem bösen Blick des Dargestellten schützen wollte. Zeitweilig hing sogar ein Knoblauchzopf neben dem Bild – natürlich nur als Besuchergag.

Allein die Bildergalerie mit ihren vorzüglichen Kostümbildern adliger ungarischer Damen, Herren und Kinder lohnt für Burgenlandbesucher und Haydn-Pilger (langjähriger Kapellmeister der Esterházys im nahe gelegenen Eisenstadt!) einen Umweg. Vom erbeuteten türkischen Staatszelt bis zur reichhaltigen Waffen- und Fahnensammlung ist alles da, was ein lebendiges Bild von der Zeit der Türkenkämpfe vermitteln könnte. Viele der Exponate sind auch mit der siebenbürgischen Geschichte verknüpft. Dazu zählen auch die in der Galerie leider nicht ausgestellten siebenbürgischen Fürsten Stefan, Gabriel und Sigismund Báthory. Nur nach dem derzeit prominentesten Familienspross, dem Schriftsteller Péter Esterházy, Verfasser der launig-lebensprallen Familiensaga „Harmonia Caelestis“, sucht man hier vergebens: Péter Graf Esterházy, Freiherr von Galantha, Erbgraf zu Forchtenstein, Herr auf Csákvár und Gesztes, wie er eigentlich heißt, lebt seit jeher adelsprädikatfrei in Budapest.

Bei der Beschäftigung mit diesem Thema stellte sich heraus, dass Vlad der Pfähler überraschenderweise auch in der zeitgenössischen Altarmalerei dargestellt wurde. War es bloß das orientalische Outfit, das die Maler am martialischen Balkanfürsten reizte, oder war sein Aussehen bereits so bekannt, dass er zum Synonym für Grausamkeit und Verfolgung Unschuldiger geworden war (Vlad Tepes hatte sich ja immerhin große Verdienste im Kampf gegen die „Ungläubigen“ erworben)? Fakt ist jedenfalls, dass auf mittelalterlichen Altarbildern gerade die Verfolger Christi – also die Schergen und ihre heidnischen Befehlshaber meist à la mode und oft auch orientalisch (Turban!) gekleidet sind; was natürlich der Vergegenwärtigung der Verfolgungssituation (Stichwort: Türkengefahr) dienen sollte.

Martyrium des Hl. Andreas
Abb. 4 Martyrium des Hl. Andreas. Spätgotisches Altarflügelbild (Sonntagsseite) eines unbekannten steirischen Malers, um 1470/80. Öl auf Fichtenholz, 81,5 x 71,5 cm. Bei dem „Orientalen“ mit Zepter (links vom Henkersknecht) handelt es sich offensichtlich um eine Darstellung des Walachenfürsten Vlad Tepes. Österreichische Galerie Belvedere, Museum mittelalterlicher Kunst in der Orangerie, Wien. Foto: Österreichische Galerie Belvedere, Wien

Ein entsprechendes Vlad-Tepes/Dracula-Porträt ist auf einem Flügelbild eines heute nicht mehr erhaltenen Altars eines steirischen Meisters (Abb. 4) zu sehen. Das Bild zeigt, wie vier Henkersknechte unter der Aufsicht eines Würdenträgers mit den Zügen des Walachenfürsten den hl. Andreas ans Kreuz binden. Der an der Hinrichtung Assistierende wirkt trotz einer Handbewegung in Richtung Märtyrer merkwürdig steif, was wohl darauf zurückgeht, dass sich der Maler eines bereits vorhandenen Dracula-Bildnisses bedient hat. Bei der Datierung des Altarbildes schwanken die Fachleute zwischen 1470 bis 1480. Somit könnte das Bild noch zu Lebzeiten von Vlad dem Pfähler entstanden sein (Vlad wurde Ende 1476 oder Anfang 1477 ermordet). Das Tafelbild stammt aus dem Stift Lilienfeld in Niederösterreich und wurde 1953 der Österreichischen Galerie in Wien übergeben. Leider gehört es nicht zu den ständig gezeigten Werken der Österreichischen Galerie Belvedere.

Bei den Recherchen zu diesem Bild wies mich Dr. Arthur Saliger, Leiter des Museums mittelalterlicher Kunst im Unteren Belvedere, freundlicherweise auf ein weiteres Altarbild hin, das ebenfalls einen Mann vom Typ Vlad Tepes/Dracula in der schon bekannten Gewandung zeigt (Abb. 5). Während auf die Vlad-Tepes-Darstellung vom Martyrium des hl. Andreas bereits aufmerksam gemacht wurde (unseres Wissens erstmals in der „Karpatenrundschau“ vom 9. März 1973), stellte sich bei Letzterer heraus, dass sie in Historikerkreisen noch unbekannt ist und – diesmal zweifelsfrei – noch zu Lebzeiten des Walachenfürsten entstanden sein muss.

Das Tafelbild hängt an einer Seitenwand der Kirche Maria am Gestade in Wien. Zusammen mit einem weiteren, ebenfalls hier gezeigten Tafelbild, gehörte es zu einem monumentalen Flügelaltar. Auf der uns interessierenden Seite ist die Kreuzigung Christi zu sehen. Links vom Kreuz steht die Gruppe der Gerechten (die drei Marien mit Johannes), rechts, hinter der am Kreuzfuß knienden Maria Magdalena, die Gruppe der Gegner Christi: Kriegsknechte, Juden, Vertreter der Obrigkeit. Inmitten dieser Gruppe bildet eine Vlad dem Pfähler nachempfundene Gestalt den Mittelpunkt. Sie ist im Disput mit einem Juden dargestellt und trägt einen kostbaren roten Mantel mit Pelzverbrämung und die schon bekannte perlenbesetzte Mütze. Leider lässt sich der geheimnisvolle Mann mit der in den Mantel gesteckten Rechten keiner der an der Kreuzigung beteiligten Personen (etwa Pilatus) zuordnen. Fest steht lediglich, dass er zur Figurengruppe der Feinde Christi gehört, was auch durch seine vom Kreuz abgewandte Kopfhaltung unterstrichen wird. (Besonders grotesk wird die „Christus-Abgewandtheit“ an einem Schielenden mit weißer Kopfbedeckung demonstriert, der aus dem Bild herausblickt!) Abermals also das charakteristische Vlad-Tepes-Outfit für einen Bösewicht vom Dienst, gleichsam als Wink mit dem (Zaun-)Pfahl in Richtung Orient?

Abb. 5 Meister von Maria am Gestade: Kreuzigung Christi. Ausschnitt von einem Altarflügelbild aus der Kirche Maria am Gestade in Wien, um 1460, Ölmalerei auf Holz, 202 x 161 cm. Die Gestalt von Vlad Tepes (der Mann mit der perlenbesetzten Mütze) misst ca. 110 cm.
Abb. 5 Meister von Maria am Gestade: Kreuzigung Christi. Ausschnitt von einem Altarflügelbild aus der Kirche Maria am Gestade in Wien, um 1460, Ölmalerei auf Holz, 202 x 161 cm. Die Gestalt von Vlad Tepes (der Mann mit der perlenbesetzten Mütze) misst ca. 110 cm.

Das künstlerisch herausragende Tafelbild lässt deutliche Einflüsse niederländischer Meister, insbesondere von Hubert und Jan van Eycks, aber auch von Rogier van der Weyden und Dirk Bouts erkennen. Allein schon die Altarbilder des Meisters von Maria am Gestade, vermutlich eines Österreichers, lohnen den Besuch der auch sonst höchst sehenswerten gotischen Kirche in der Wiener Innenstadt. Das für unsere Betrachtung eigentlich Sensationelle bleibt freilich der Zeitpunkt der Entstehung des Altarbildes. Es stammt aus den Jahren um 1460/62, also einer Zeit, in der gerade die ersten Wiegendrucke vom „wilden wütrich Dracole-weyde“ die Runde machten!

Wer sich mehr für die Nachtseiten des Dracula-Mythos interessiert, sei hier auf das vor einigen Monaten erschienene Buch „Der Vampirglaube in Südosteuropa. Studien zur Genese, Bedeutung und Funktion. Rumänien und der Balkanraum“, Berlin 2001, des Bonner Historikers und Balkanologen Peter Mario Kreuder verwiesen. Die materialreiche, wenn auch etwas oberflächlich recherchierte Studie bietet manch Neues aus religionsgeschichtlicher, medizinischer und volkskundlicher Sicht in Sachen Vampirismus. Wer etwa immer schon wissen wollte, was es mit Werwölfen, ’schmatzenden Toten’ (Geräusche beim Verwesungsprozess) und Porphyrie (eine Stoffwechselstörung, die mit Lichtempfindlichkeit, Blässe und Zahnfleischschwund einhergeht) auf sich hat, ist damit gut bedient. Das Fazit des Kapitels über Vlad Tepes/Dracula fällt freilich wenig überraschend aus: „Vlad III. war kein Blutsauger und auch kein Bluttrinker, aber er eignete sich hervorragend, um zum Vampir gemacht zu werden.“

Von mehr Interesse für den siebenbürgischen Leser ist Kreuders Annahme, derzufolge Vlad Tepes nicht in Schäßburg – die Sachsen wussten’s schon immer – sondern in Nürnberg geboren wurde (S. 74). Der Verfasser beruft sich dabei auf den Vampirforscher Hans Meurer, der vermutet, dass unter dem Hofstaat, der Vlad Dracul zum Reichstag nach Nürnberg begleitete, auch dessen schwangere Ehefrau dabeigewesen sein muss. An Plausibilität gewinnt das Ganze, wenn man bedenkt, dass der ursprünglich für März 1430 geplante Reichstag erst am 9. Februar 1431 eröffnet wurde. Sicher verbrachte auch der walachische Thronprätendent Vlad (der spätere Vlad Dracul) Wochen, wenn nicht gar Monate in Nürnberg, hatte doch König Sigismund Großes mit ihm vor: ihn zum neuen Woiwoden der Walachei zu erheben und ihn überdies als treuen Gefolgsmann in den von ihm 1408 zur Bekämpfung der Türken gestifteten Drachenorden aufzunehmen (weshalb Drachenordensritter Vlad alsbald den Beinamen Vlad Dracul „der Drache“ erhielt, was später seinem Sohn das ursprünglich leicht abschätzige Patronymikum „Dracul(e)a“ einbrachte, vgl. hierzu Stefan Andreescus überarbeitete Vlad-Tepes-Biograpie von 1998, S. 185-191).

Wäre Bram Stoker bei seiner ursprünglichen Idee geblieben, seinen Blutsauger-Roman im steirischen Voralpenland spielen zu lassen, hätten die Österreicher heute den Vampir-Rummel am Hals und Vlad der Pfähler wäre nicht viel mehr als eine unerfreuliche Fußnote zur siebenbürgischen Geschichte geblieben. (Zu seinen wüsten Strafexpeditionen gegen die „treulosen“ Sachsen im Burzenland und in der Hermannstädter Gegend siehe beispielsweise Gernot Nussbächer „Aus Urkunden und Chroniken“, 1981, S. 81ff. Eine dieser Vergeltungsaktionen illustriert jener bekannte Holzschnitt, der den Walachenfürst vor den Toren Kronstadts beim Tafeln inmitten von Gepfählten mit einem Kessel gesottenen Menschenfleisches zeigt.) Ein Glück, dass wenigstens das aberwitzige Draculapark-Projekt des rumänischen Tourismusministers Dan Matei Agathon den Schäßburgern und ihrer Stadt erspart geblieben ist.

Vielleicht sollte sich dieser vor Realisierung neuer Themenparks in Sachen Dracula im slowakischen Cachtice, dem ehemals ungarischen Csejte, umsehen. Da erinnert nicht viel mehr als ein kleines Heimatmuseum und eine Burgruine daran, dass hier mal die berüchtigte Blutgräfin Elisabeth Báthory ihre Sado-Orgien zelebrierte. Dabei ist die blutrünstige Schlossherrin – sie wurde wegen ihrer Jungfrauenmorde in einen fensterlosen Bergfried ihres Karpatenschlosses eingemauert - für Horrorfreaks längst die wahre Nummer eins. The Real Countess Dracula eben.

Aber auch das Ende Vlad des Pfählers war nichts für schwache Nerven: Nachdem er mit seiner gesamten Leibgarde bei Srebenica hingemetztelt worden war, schickte man seinen Kopf in Honig konserviert nach Konstantinopel. Sein Leib soll in der Klosterkirche von Snagov seine letzte Ruhe gefunden haben. Oder doch nicht? Als man Vlads Grab 1931 öffnete, war dieses leer. Was Wunder bei zum Untoten Mutierten.

Konrad Klein



Fotos: Kunsthistorisches Museum Wien (2), Erzbischöfliches Dom- und Diozösanmuseum, Wien (1), der Verfasser (1)

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 17 vom 31. Oktober 2002, Seite 7)

Schlagwörter: Dracula, Siebenbürgen, Rumänien, Geschichte

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