24. Januar 2024

Das Trauma der Deportation ist bis heute präsent: Stolzenburger Deportiertenlisten vervollständigt

Nachdem der Zweite Weltkrieg von den Stolzenburger Sachsen 107 Opfer gefordert hatte, wurden im Januar 1945 mindestens 200 Personen (ca. 130 Frauen und Mädchen, 70 Männer und Jungen) aus Stolzenburg zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert. Davon starben 34 Personen laut Monographie von Michael Hihn „Die Gemeinde Stolzenburg in Siebenbürgen“ von 2020 (im Folgenden kurz „Heimatbuch“ genannt) in den Arbeitslagern an Hunger, Kälte, Krankheiten und Erschöpfung. Nach eigenen Nachforschungen starben jedoch mindestens 39 Personen (24 Männer und 15 Frauen). Dieses Trauma ist bis heute in den Stolzenburger Familien präsent.
Stolzenburger Frauen und Mädchen in einem ...
Stolzenburger Frauen und Mädchen in einem Arbeitslager in der Ukraine, ca. 1949 Foto: Nachlass Agnetha Schwarz
2023 konnte nun auch eine Namensliste der Stolzenburger deportierten Männer erstellt und die bereits vorhandene Liste der deportierten Frauen und Mädchen ergänzt und vervollständigt werden. Dabei wurden vier Quellen verwendet, die detailliert miteinander verglichen wurden:

1. Eine Liste über 34 in der Deportation verstorbene Personen, im Heimatbuch auf S. 160, sowie die Liste der deportierten Frauen und Mädchen, ebenda, S. 158-159.

2. Die Listen aus dem Archiv der CNSAS (= Centru Naţional pentru Studierea Arhivelor Securităţii, http://www.cnsas.ro). Hier fehlen jedoch m. E. gerade die in der Deportation Verstorbenen und auch die nach Entlassung in die sowjetische Besatzungszone Ostdeutschland Verschickten! Vermutlich umfassen die rumänischen CNSAS-Listen nur die offiziell registrierten Rückkehrer. Somit sind sie unvollständig. Andererseits finden sich Mehrfacherwähnungen, aber auch Falschschreibungen einiger Familiennamen bis hin zur Unkenntlichkeit. So stellte sich durch Vergleichen der Geburtsdaten in den verschiedenen Listen heraus, dass es sich z.B. bei Agnetha und Anna „Feldner“ (Name in Stolzenburg nicht existent) tatsächlich um die Schwestern Agnetha und Anna Geltner handelte. Ebenfalls schwierig gestaltete sich die Zuordnung von „Banko“ (Baier? Barth?) oder „Seleum“, „Serm“ (Seiler? Schenn?).

3. Eine Liste der evangelischen Kirche Hermannstadt von 27 in der Deportation Verstorbenen, vermutlich seinerzeit vom Stolzenburger Ortspfarrer Friedrich Brandsch erstellt. Sie ist leider auch unvollständig und die Geburtsdaten sind ungenau.

4. Mündliche Informationen von ehemaligen Nachbarn, Nachkommen oder jüngeren Geschwistern über deportierte Personen, die in den ersten drei Quellen nicht aufgeführt waren.

Vielen Dank an alle, die uns geholfen haben, die Deportationslisten zu vervollständigen! Man findet sie unter https://stolzenburger.de/deportation. Außerdem enthält diese Internet-Seite Schilderungen (aus zweiter Hand) von Vorfällen, Ereignissen und Einzelschicksalen aus dieser Zeit, wie sie mir von Familienangehörigen übermittelt wurden. Ihnen danke ich dafür, dass sie mir diesen traurigen Abschnitt ihrer Familiengeschichte anvertraut haben und mit uns teilen wollen. Weitere Berichte zu diesem Thema, aber auch Berichtigungen der Listen sind willkommen und werden entsprechend dokumentiert.

Es gilt nämlich, an die Menschen zu erinnern, die sich widerspruchslos haben wegführen lassen und – wenn sie das Glück hatten zu überleben – über ihre traumatischen Erlebnisse nicht sprechen konnten oder durften. Wir gedenken auch der zurückgelassenen Familienmitglieder, die sich – entrechtet, enteignet und verwaist – in einer veränderten Welt zurechtfinden mussten. Wir wollen daher all die Stummen und Verstummten, die Recht- und Namenlosen dem Schweigen und dem Vergessen entreißen und ihnen ihre Stimme zurückgeben, um ihr Opfer und ihren Platz in der Geschichte der Gemeinde Stolzenburg gebührend zu würdigen.

Umso dankbarer können wir Marc Schroeder sein, dass er in seinem 2021 erschienenen, kürzlich prämierten Buch „Order 7161“ auf dieses international wenig bekannte Nachkriegsgeschehen aufmerksam macht und auf fotografisch-künstlerisch hohem Niveau all das zum Ausdruck bringt, was selbst nach 79 Jahren den Zeitzeugen und auch manch Nachgeborenen heute noch auf der Seele brennt.

Astrid K. Thal

Postkarte einer Stolzenburger Deportierten, die ...
Postkarte einer Stolzenburger Deportierten, die 1947 aus der deutschen Ostzone an ihre Eltern schrieb.

Postkarte einer Deportierten an ihre Eltern in Stolzenburg

Löbau, 17.IV.1947
Meine lieben guten Eltern.
In Freud und Leid schreib ich euch meine Lieben. Ich bin näher der Heimat gekommen, aber doch noch sehr weit, obwohl wir gehofft haben, dieses Frühjahr bei euch zu sein. – Ich bin mit meiner lieben Schwägerin noch immer zusammen: 2 Jahre und 3 Monate haben wir das Schicksal zusammen getragen und jetzt hat uns der liebe Gott geholfen, dass wir wieder beisammen sind. Am 1. April kamen wir fort [aus Russland – Anmerkung Astrid K. Thal] und am 15. kamen wir hier [in Löbau, Ostdeutschland] an. Nun, liebe Eltern, brauch ich die Papiere von daheim, dann darf ich nur nach Hause kommen. 1.) Staatsbürgerurkunde, 2.) Geburtsurkunde, 3.) Heimatschein der Gemeinde, aber in rumänischer Sprache von der jetzigen Regierung. Bitte schnell. Schönen Gruß an alle,

Kathi

(übertragen aus der altdeutschen Schrift von Astrid K. Thal)

Schlagwörter: Deportation, Verschleppung, Ukraine, Stolzenburg

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