13. Dezember 2023

Ein Siebenbürgen-Forscher aus der Pfalz: Dr. Ulrich Andreas Wien, ein impulsgebender Sechzigjähriger

„Ich bin in einem traditionellen ‚Grenzland‘, der Pfalz, im Pfarrhaus aufgewachsen, esse natürlich Dampfnudeln oder Grumbeersupp mit Quetschekuche oder Saumagen, aber genauso gerne Palukes, Hanklich oder Baumstriezel. Ich bin immer daran interessiert, welche Kultur und Lebensgewohnheiten man in anderen Ländern und Völkern pflegt. Als 1991 der damals 83-jährige Heidelberger Konfessionskundler Prof. Dr. Friedrich Heyer eine Exkursion bis hin nach Jassy (Iași) und zu den Moldauklöstern zu unternehmen beabsichtigte, hat mich das gleich interessiert. So kamen wir auch durch Klausenburg, Hermannstadt und Kronstadt. Diese Kultur und die Menschen haben mich sehr fasziniert.“ So beantwortete der international anerkannte Kirchenhistoriker Dr. Ulrich Andreas Wien im Jahr 2005 die Frage, wer oder was sein Interesse an Siebenbürgen geweckt habe. Er wurde, wie man zu scherzen pflegt, ein „Beute-Siebenbürger“, blieb aber stets seiner pfälzischen Heimat verbunden, in der er lebt und wirkt.
Dr. Ulrich Andreas Wien. Fotostudio Lorsch, ...
Dr. Ulrich Andreas Wien. Fotostudio Lorsch, Landau, 2021.
Der Wissenschaftler und Wissenschaftsorganisator hat nicht allein geographisch Grenzen überwunden und Brücken geschlagen. Er tat und tut es auch als Forscher, indem er alte Wege wieder begehbar gemacht, zugleich neue Wege beschritten und markiert hat, auf denen ihm andere Wissenschaftler folgen konnten und weiter folgen.

Ulrich Andreas Wien wurde am 13. Dezember 1963 in Speyer als Sohn des Pfarrerehepaars Isolde und Karl-Gerhard Wien geboren, legte dort 1983 das Abitur am humanistischen Gymnasium am Kaiserdom ab und studierte anschließend in Mannheim (1983-1984) und Freiburg/Br. (1984-1985) Alte, Mittlere und Neue Geschichte, Politikwissenschaften und Anglistik. Zwischen 1986 und 1992 studierte er Evangelische Theologie in Heidelberg und Tübingen. Es folgte ein Promotionsstudium am Lehrstuhl für Kirchengeschichte der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (bei Prof. Dr. A. M. Ritter). Das Thema seiner Dissertation war „Kirchenleitung über dem Abgrund. Bischof Friedrich Müller vor den Herausforderungen durch Minderheitenexistenz, Nationalsozialismus und Kommunismus“; sie wurde 1998 in der Buchreihe „Studia Transylvanica“ im Böhlau Verlag veröffentlicht und erreichte 2002 eine zweite Auflage in Hermannstadt. Im Rahmen seines Promotionsstudiums unternahm Wien 1992-1994 und 1997 mehrmonatige, danach weitere mehrwöchige Forschungsaufenthalte in Rumänien. Er schloss sich dem „Studium Transylvanicum“, einem Kreis siebenbürgischer Jungakademiker, an, lernte bei einer Veranstaltung in Erfurt seine spätere Frau Christa, geb. Rieger, eine gebürtige Großpolder Landlerin kennen, wurde stolzer Vater von zwei Töchtern.

Nach dem Vikariat in der Pfälzischen Landeskirche (1994-1997) mit einem Spezialvikariat bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin (1996) wurde er 1997 zum Pfarrer der Evangelischen Kirche der Pfalz ordiniert. Seit 1998 arbeitet Wien als Akademischer Rat, seit 2015 als Akademischer Direktor am Institut für Evangelische Theologie der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau, seit Anfang dieses Jahres am gleichen Institut der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau.

Auf deren Homepage findet man auch ein Schriftenverzeichnis von Ulrich Andreas Wien (https://ksw.rptu.de/institut-fuer-evangelische-theologie/wir-ueber-uns/wissenschaftliches-personal/wissenschaftliche-mitarbeiterinnen/akad-dir-dr-ulrich-wien/publikationen). Es umfasst nicht weniger als 159 Titel in deutscher, englischer und rumänischer Sprache, unter ihnen sechs Monographien. Die zahlreichen populärwissenschaftlichen Beiträge, unter anderen in der Siebenbürgischen Zeitung, werden in der Publi-­ kationsliste nicht aufgeführt, wenngleich sie für die Kenntnis der Vergangenheit und für das Verständnis der Gegenwart der Siebenbürger Sachsen sehr wichtig sind.

Ulrich Wiens Werke sind in national und international hoch bewerteten Verlagen, Sammelbänden und Zeitschriften erschienen. Das ist nicht selbstverständlich und zeugt von deren hoher Qualität. Es zeugt aber auch von seinem Anspruch, Kultur und Geschichte, insbesondere die Kirchengeschichte Siebenbürgens nicht nur im engeren Kreis der Betroffenen bekannt, sondern auch für die internationale Forschung attraktiv zu machen, denn „Siebenbürgen ist eine hochinteressante Vielvölker-Region, in der seit Jahrhunderten Ungarn, Deutsche, Rumänen, Armenier, Menschen jüdischen Glaubens und andere Minoritäten friedlich zusammenleben und die geschichtlich als Pionierregion der Religionsfreiheit zu bezeichnen ist. Deshalb ist diese Region für das zusammenwachsende Europa durchaus ein beachtenswertes Muster, wenn man den modernen Begriff benutzen will, pluralistischer Gesellschaftsformen“, sagte Ulrich Wien in einem 2005 der Siebenbürgischen Zeitung gewährten Interview.

2001 trat er die Nachfolge des unvergessenen Dr. Günther H. Tontsch als Vorsitzender des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde an und prägte bis 2020 die Entwicklung dieses Vereins mit Tatkraft, Umsicht und zahllosen Initiativen zu einer weltweit geschätzten wissenschaftlichen Einrichtung. Er bereitete viele Jahrestagungen des Landeskundevereins minutiös vor und inspirierte oft deren Thematik. Weitere internationale Tagungen, die von seinen hervorragenden Kontakten zu renommierten Forschenden und wissenschaftlichen Einrichtungen des In- und Auslandes profitierten, größere und kleinere Veranstaltungen in Deutschland und in Siebenbürgen schlossen sich an. Er setzte sich für die Fortsetzung und Onlinestellung des „Urkundenbuchs zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen“, eines Jahrhundertprojekts des 1842 gegründeten Vereins für siebenbürgische Landeskunde, ebenso ein wie für die Edition der Synodalprotokolle der Evangelischen Superintendentur Birthälm (1618-1753), der Landeskonsistorialsitzungsprotokolle der Evangelischen Landeskirche A. B. in Rumänien (1919-1944) oder der Predigten des siebenbürgischen Melanchthon-Schülers Damasus Dürr.

Wien war als Vorsitzender des Landeskundevereins auch Mitherausgeber der drei Publikationsreihen „Siebenbürgisches Archiv“, „Studia Transylvanica“ und „Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens“ (in den fast zwei Jahrzehnten seiner Vorstandschaft erschien darin insgesamt die heutzutage schier unglaublich klingende Zahl von 46 Bänden!). Der regen Tagungs- und Publikationstätigkeit des Landeskundevereins unter ihrem Vorsitzenden Ulrich Wien ist es mit zu verdanken, dass Siebenbürgen im Vergleich zu anderen Regionen Ost-, Ostmittel- und Südosteuropas recht gut erforscht ist und zu weiteren Forschungen anregt. Wien ist es auch gelungen, die Mitglieder des Landeskundevereins zu motivieren und deren Zahl nicht dramatisch schrumpfen zu lassen, was in Zeiten allgemein nachlassenden Engagements in Vereinen besonders hervorzuheben ist. Im Oktober 2006 wurde in Hermannstadt die „Societatea de Studii Transilvane“ (Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde) gegründet, die aus der 1991 gegründeten Rumäniensektion des Landeskundevereins hervorgegangen ist. Er ist seither deren Vorsitzender, auch in dieser Eigenschaft eine wichtige Brückenfunktion zwischen Deutschland und Rumänien wahrnehmend.

Wien wirkte und wirkt in Institutionen mit, die sich überregional mit der ostmittel- und südosteuropäischen Geschichte und Kultur beschäftigen, etwa der Kommission für Geschichte und Kultur der Deutschen in Südosteuropa oder dem Institut für Kultur und Geschichte der Deutschen in Südosteuropa. Seit der Gründung des Vereins „Siebenbürgisches Kulturzentrum ‚Schloss Horneck‘“ hat sich Ulrich Wien für diese Einrichtung engagiert, von 2015 bis 2020 und wieder seit 2023 als Mitglied des Vorstandes. Engagement bedeutete für ihn aktive Mitarbeit, hilfreiche Ideengebung, kritische Begleitung, freundschaftlicher, nie missgünstiger Umgang. Auch dafür sei ihm herzlich gedankt.

Meine Würdigung seines bisherigen Schaffens hat sich in dieser Zeitung naturgemäß auf Ulrich Wiens Einsatz für Siebenbürgen und die siebenbürgische Landeskunde konzentriert. Nicht unerwähnt aber sollte bleiben, dass er ebenso aktiv in seiner Heimat war und ist, als Mitglied des Vereins für Pfälzische Kirchengeschichte (dessen Vorsitzender seit 2021), des Historischen Vereins der Pfalz (und Vorsitzender seiner Bezirksgruppe Landau), des Beirats des Gustav Adolf-Werkes Pfalz, im wissenschaftlichen Beirat der Ebernburg-Stiftung, im wissenschaftlichen Kuratorium der Gedenkstätte des frühen KZ Neustadt/W., in der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, im Konsultationsrat beim Kultusministerium des Landes Rheinland-Pfalz für die Luther-Dekade oder als korrespondierendes Mitglied der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Er ist aktives Mitglied in REFORC: In diesem Kontext wirkt er als Mitherausgeber der Reihe Kunst und Konfession in der Frühen Neuzeit und stößt darüber hinaus internationale Forschungskonferenzen und Publikationen an.

All das tut er als Ehrenamtlicher, neben seiner intensiven und zeitraubenden Lehrtätigkeit am Landauer Institut für Evangelische Theologie und an der Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt. Seinen Dienst als Brückenbauer nimmt er in Hermannstadt nicht nur als Gastdozent des dortigen Protestantisch-Theologischen Instituts und der Orthodoxen Fakultät wahr, sondern auch als Verantwortlicher seines Landauer Instituts für die Erasmus-Partnerschaft mit diesen siebenbürgischen Institutionen.

Man kann seine Gesamtleistung nur bewundern und ihm zurufen „Weiter so, lieber Uli!“

Konrad Gündisch

Schlagwörter: Porträt, Geburtstag, Wissenschaftler

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