22. November 2010

Schlesaks Enthüllungen über Oskar Pastior lösen Kontroverse aus

Hat der 2006 verstorbene Dichter und Büchner-Preisträger Oskar Pastior durch seine Securitate-Mitarbeit „historische Schuld“ auf sich geladen? Das behauptet der siebenbürgische Schriftsteller Dieter Schlesak, nachdem er Einsicht genommen hat in seine Securitate-Akte und darin Spitzelberichte von IM „Stein Otto“ fand. Mit den neuen Vorwürfen gegen ihren langjährigen Freund konfrontiert, äußerte sich die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller „entsetzt“. Zur aktuellen Medienberichterstattung über Pastiors Geheimdienst-Tätigkeit liefern rumäniendeutsche Literaten kontroverse Beiträge.
Der Literaturwissenschaftler Stefan Sienerth, Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas in München, hatte im September dieses Jahres publik gemacht, dass Oskar Pastior (1927-2006) unter dem Decknamen „Stein Otto“ von 1961 bis 1968, bis zu seiner Flucht in die Bundesrepublik, Informant des rumänischen Geheimdienstes Securitate war (die Siebenbürgische Zeitung berichtete).
Oskar Pastiors Verpflichtungserklärung vom 8. ...
Oskar Pastiors Verpflichtungserklärung vom 8. Juni 1961 konnte in Hermannstadt in der Ausstellung „Rumäniendeutsche Literatur im Spiegel und Zerrspiegel der Securitate-Akten“ des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas in Augenschein genommen werden. Foto: Konrad Klein
Bislang hatte man im Archiv der rumänischen Behörde zur Aufarbeitung der Securitate-Akten (CNSAS) in Bukarest keine belastenden Spitzelberichte von Pastior entdeckt. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 16. November 2010 enthüllte Dieter Schlesak, nur wenige Tage nachdem der Autor seine Securitate-Akte in Bukarest eingesehen hat, dass sein damaliger Freund Oskar Pastior ihn, den seinerzeitigen Redakteur der Zeitschrift Neue Literatur, bespitzelt habe.

Schlesak zitiert in seinem F.A.Z.-Beitrag „Die Schule der Schizophrenie“ aus Berichten des IM „Stein Otto“ alias Oskar Pastior. In diesen „Jahren der Beschattung und Dauerbedrohung“ sei Pastior „der wichtigste meiner Schatten“ gewesen. Als Beleg für seine Behauptungen gibt Schlesak eine Stelle aus einem Spitzelbericht vom 21. März 1966 wieder. Darin stellt der Informant fest, dass sich Schlesak „mit den formalen Tendenzen dieser (westdeutschen) ‚modernen Poesie‘“ identifiziere; dessen Gedichte seien „hermetisch, kalt und unfähig“. Die gefahrvolle Brisanz dieser Aussage erwächst aus dem Umstand, dass die Securitate zu jener Zeit „moderne Poesie“ als staatsfeindliche Ideologie einstufte. Auf diese Weise habe Pastior nicht nur Freundesverrat begangen, „der modernste Sprachartist und Hermetiker der rumäniendeutschen Poesie“ habe auch die Moderne verraten.

Noch gravierender ist Schlesaks Vorwurf, Pastior trage Mitschuld am Selbstmord von Georg Hoprich. Der siebenbürgische Lyriker war 1961 wegen „staatsfeindlicher“ Texte ins Gefängnis gekommen. Nach seiner Haftentlassung habe ihn der Geheimdienst weiterhin bespitzeln lassen. Wie Schlesak unter Berufung auf ein Gespräch mit Hans Bergel schreibt, sei auch Oskar Pastior auf den ihm befreundeten Dichterkollegen angesetzt gewesen. Traumatisiert und entkräftet vom kommunistischen Repressionsapparat, nahm sich Hoprich 1969 das Leben.

Wie Dieter Schlesak bemerkt, habe die Securitate ihn selbst als Spitzel (IM „Ehrlich“) geführt. Diese Akte habe er einsehen können. Sie sei einschließlich seiner Unterschrift von Securitate-Offizieren gefälscht worden.

Umstrittener Wahrheitsgehalt

Die Schriftstellerin Herta Müller, deren Roman „Atemschaukel“ u. a. auf Erinnerungen Oskar Pastiors basiert, reagierte bestürzt auf die neuen Enthüllungen. Der Nachrichtenagentur dpa sagte die Nobelpreisträgerin, sie sei „entsetzt“ und „verbittert“. In einem Interview mit der Berliner Literaturkritik erklärte Müller: „Die neuen Berichte haben mein Bild über Oskar Pastior verändert. Mit der Unschuld ist es nun vorbei. Ich werde ihn nicht mehr in Schutz nehmen können und diese Fakten entsprechend einordnen müssen.“ Zu der dreijährigen Zusammenarbeit mit Pastior (für das Buch „Atemschaukel“) wäre es wohl nicht gekommen, hätte sie von seiner Verstrickung mit der Securitate Kenntnis gehabt. Allerdings kritisiert die Autorin vehement, dass Schlesak seinen schweren Vorwurf, Pastior sei für Georg Hoprichs Selbstmord mitverantwortlich zu machen, „auf Hörensagen“ statt auf Dokumente stütze. Hoprichs Securitate-Akte sei noch nicht gefunden worden. Müller äußerte die Erwartung, dass „wir von der Pastior-Stiftung (…) eine Forschergruppe beauftragen werden, das ganze Umfeld Pastiors zu untersuchen. Wir müssen es uns jetzt zur Aufgabe machen, die Verstrickung von Schriftstellern und Geheimdienst in der Diktatur – auch an Pastiors Beispiel – zu untersuchen.“
Häftlingsbogen von Georg Hoprich vom 5. Juni ...
Häftlingsbogen von Georg Hoprich vom 5. Juni 1961. Als Haftgrund wird uneltiri contra oranduirii sociale (Machenschaften gegen die Gesellschftsordung) angeführt. Exponat aus der Ausstellung "Rumäniendeutsche Literatur im Spiegel und Zerrspiegel der Securitate-Akten" des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas", gezeigt im November in Hermannstadt. Foto: Konrad Klein
Angesichts der neuen Enthüllungen geht der rumäniendeutsche Schriftsteller Richard Wagner hart ins Gericht mit Oskar Pastior, den er in einem Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung als „Meister der Duplizität“ charakterisiert. Dieser habe seine Homosexualität, im kommunistischen Rumänien ein Straftatbestand, bereits als Jugendlicher verbergen müssen. In seine Rolle als Mitarbeiter der Securitate sei er aus Angst vor Gefängnis geraten. Als Russlanddeportierter hatte der gebürtige Hermannstädter fünf Jahre in einem Arbeitslager in der Ukraine überlebt. Pastior habe „ohne Wenn und Aber eine unentschuldbare, ohne Rücksicht auf andere durchgeführte Informantentätigkeit zu verantworten“, befindet Wagner. Pastiors Gedichte hätten kein „moralisches Echo“, jedoch formal weiter Bestand. Nach derzeitiger Kenntnislage werde es schwierig sein, den Oskar-Pastior-Preis und die Oskar-Pastior-Stiftung aufrecht zu erhalten, meint Wagner.

Zurückhaltender äußerte sich Stefan Sienerth. Im Gespräch mit der F.A.Z. legte der Germanist Wert auf die Unterscheidung von Person und Werk: Nach heutigem Kenntnisstand müsse der Mensch Oskar Pastior neu bewertet werden, nicht aber der Dichter. Schlesaks Anschuldigung im Falle Hoprichs hält Sienerth für „nicht eindeutig bewiesen“. Es müsse noch weiter recherchiert werden. Grundsätzlich rät der Literaturhistoriker, „bis tatsächlich weiter unzweifelhaft inkriminierende Schriftstücke auftauchen“, „zu Besonnenheit und zu Behutsamkeit im Umgang mit dieser seltsamen Überlieferung“. Gegenüber dem Deutschlandradio äußerte Sienerth Zweifel an Schlesaks Darstellung, dass dessen eigene Täter-Akte komplett gefälscht sei. Dies sei ihm bisher noch nicht vorgekommen, sagte der Literaturexperte.

Massive Kritik an Schlesaks Anschuldigung, Oskar Pastior habe durch seine Spitzelberichte zum Freitod Georg Hoprichs beigetragen, übt der Schriftsteller Ernest Wichner, Leiter des Literaturhauses Berlin und stellvertretender Vorsitzender der Oskar-Pastior-Stiftung, in einem Beitrag in der F.A.Z. Pastiors Verpflichtungserklärung datiere vom 8. Juni 1961. Zu diesem Zeitpunkt sei Hoprich bereits verhaftet und abgeurteilt worden. Schlesak gebe als Quelle für seine Behauptung, Pastior habe Hoprich nach dessen Haftentlassung bespitzelt, ein Gespräch mit dem siebenbürgischen Schriftsteller und Journalisten Hans Bergel an, „eine vom Hörensagen je nach Bedarf so oder anders zu interpretierende Biertischsaga“, empört sich Wichner. Bergel habe Schlesak einen „Roman“ erzählt, den dieser nun „als Kapitalverbrechen von Oskar Pastior“ präsentiere. Es fehlten die Beweise: „Das ist Dichtung und nicht die Wahrheit“, urteilt Wichner, der zudem Schlesaks Mitteilung, dass seine Täter-Akte gefälscht sei, als „maghrebinische Geschichte“ abtut.

Indessen hat Dieter Schlesak zur vorgetragenen Kritik Stellung genommen und dabei seine Position modifiziert. Im Deutschlandradio antwortete er auf die Frage, ob man so weit gehen könne, nahezulegen, dass Oskar Pastior für den Selbstmord von Georg Hoprich mitverantwortlich sei: „Nein, ich möchte das nicht so direkt und auf diese Weise in den Raum stellen. Ich habe die Nachricht von Hans Bergel bekommen, ich habe aber keine Möglichkeit einer Überprüfung und eines Beweises für diese Tatsache. Dass er nach Hermannstadt gefahren ist, dass er einen Auftrag hatte, Georg Hoprich zu bespitzeln, das ist unzweifelhaft.“

Die Auseinandersetzung um Oskar Pastiors IM-Tätigkeit wird weitergehen. Eine Versachlichung der Debatte scheint dringend geboten. „Wer Aufklärung will und daran interessiert ist, dass nicht verzerrt und unvollständig über diese Dinge gesprochen wird, muss sich dieser Vergangenheit stellen“, hat Stefan Sienerth vor einem Jahr im Gespräch mit der Siebenbürgischen Zeitung unterstrichen. Die Securitate-Forschung liefert sukzessive neue Erkenntnisse. Substantielle Beiträge verspricht auch eine Fachtagung in Hermannstadt (18. – 20. November 2010), über die in der nächsten Ausgabe dieser Zeitung berichtet wird.

Christian Schoger

Schlagwörter: Oskar Pastior, Herta Müller, Dieter Schlesak, Securitate, Literatur

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Neueste Kommentare

  • 23.11.2010, 14:55 Uhr von bankban: Naja, ich will ja nicht hyperkritisch sein, aber macht das Lesen von einigen Akten aus einem ... [weiter]
  • 23.11.2010, 00:47 Uhr von Schreiber: ausgewiesen als Securitateforscher ist von den genannten eigentlich nur Sienerth, der die ... [weiter]
  • 22.11.2010, 11:08 Uhr von bankban: Eine nüchterne und gute, da vorsichtige, Darstellung der momentanen Situation. [weiter]

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