29. Januar 2011

Susanne Schunn: Der Wille zur Farbe

Die am 3. Dezember 1929 in Kronstadt, Siebenbürgen, geborene, seit 1965 in Deutschland lebende Malerin und Oberstudienrätin i.R. Susanne Schunn überließ im Sommer 2010 einen großen Teil ihres Lebenswerks durch Schenkung dem Siebenbürgischen Museum auf Schloss Horneck in Gundelsheim am Neckar. Der Kernbestand des nach mehreren tausend Arbeiten zählende Oeuvres – Ölgemälde, Aquarelle, Gouachen, Zeichnungen u.a. – fand auf diese Weise eine Absicherung, die Kunsthistorikern und -wissenschaftlern künftig die systematische Auseinandersetzung mit dem Schaffen einer der wichtigsten siebenbürgischen Künstlerpersönlichkeiten des ausgehenden 20., des beginnenden 21. Jahrhunderts ermöglichen wird. An der Auswahl der Stücke für das Siebenbürgische Museum auf dem Schloss im Neckartal war der Kunsthistoriker Marius Tataru wesentlich beteiligt.
Ein Studium der Arbeiten der an den Akademien in Bukarest, Klausenburg und München ausgebildeten Malerin und Graphikerin mit zusätzlichem Lehramtsexamen in München eröffnet den Blick auf eine Entwicklung, deren Wandlungen und Zielvorstellungen exemplarische Stationen der Stil- und Aussageintention der bildenden Kunst mehrerer Generationen in einem Leben zusammenfassen. Vom strengen Realismus der Jahre 1950 ausgehend, wie ihn die unter ideologiebestimmter Staatskontrolle stehenden Akademien im südosteuropäischen Land und die dortigen Ausstellungshäuser forderten, fand Susanne Schunn über Landschaftsmalerei und Stillleben zur schrittweisen Loslösung von der Vorstellung gegenständlich gebundener Form zur großformatigen afigurativen Komposition. Sie bestimmte die letzte Schaffensperiode der im kleinen Oberpframmern am Rande des Höhenkirchner Forstes nahe München zurückgezogen lebenden Künstlerin: Farbenvisionen von souveräner ästhetischer Gestik, die in dieser Art in der deutschen Gegenwartsmalerei selten anzutreffen sind. Großflächig ausgebreitete Trapezoide, Drei- oder Vielecke, zerfließende Ovale, Wellen und Kreise werden einander gegenübergestellt, sei es in dramatischer Spannung, sei es in meditativer Zurücknahme harmonisiert und füllen die Leinwände bzw. Kartons. Jedes Mal visuelle Ereignisse von beeindruckender Komplexität, die bei allem Wagnis der koloristischen Konfrontationen das Gebot der Balance im Sinne der inneren Stimmigkeit und Geschlossenheit niemals verletzen. Krankheit und nachlassende Arbeitskraft unterbrachen diesen Weg zu Ausdrucksdimensionen, deren weitere Möglichkeiten nicht abschätzbar sind, die sich aber erahnen lassen.

Susanne Schunn, 2006 ...
Susanne Schunn, 2006
Susanne Schunn entstammt einer Malerfamilie. Die Tochter des „wichtigsten siebenbür­gischen Landschaftsaquarellisten“ Heinrich Schunn (1897-1984) und jüngere Schwester des vor allem durch Landschaftssiebdrucke in Bayern bekannt gewordenen Heinz Schunn (*1923) war in zwanzigjähriger Ehe mit dem Schriftsteller Hans Bergel (*1925) verheiratet (1952-1972) und ist die Mutter dreier Kinder. Sie zeichnete und malte als Zwölfjährige unter Anleitung des Vaters – der nach dem Krieg 1914-1918 in Berlin studiert hatte – und ließ von Kind an keinen Zweifel an ihrer Absicht, Malerin zu werden. Bereits die Blätter der Schülerin des Honterus-Gymnasiums weisen ein Charakteristikum auf, von dem die späteren Arbeiten in zunehmendem Maße bestimmt wurden: ein untrügliches Gespür für die Farbe als ausschlaggebendem Element der Bildkonzeption, aus dem sie in den Arbeiten des letzten Jahrzehnts Struktur und Architektur des großen Formats entwickelte. Niemals bestimmt die lineare, immer bestimmt die koloristische Komponente Gliederung, Aufbau und Gestalt ihrer Gemälde. Das mit der Farbe angestrebte Gleichgewicht des Bildganzen gilt ihr als unantastbares Prinzip ihrer Auffassung von dem, was Malerei zu sein habe. Das Provokative, gelegentlich Gewaltsame expressionistischer, postmoderner Relevanz ist ihr fremd; dessen ungeachtet fühlte sie sich Franz Marcs expressiv-abstrahierender Farbenwelt verwandt.

Nach dem Studium – in Bukarest u.a. als Schülerin des über Rumäniens Grenzen hinaus vor allem als Porträtist geschätzten Corneliu Baba (1906-1997) und des nicht minder hoch angesehenen Jean Al. Steriadi (1880-1956) – wuchs Susanne Schunn rasch in die Kronstädter Malerkolonie hinein, die sich besonders in der Zeitspanne 1960-1970 eines ausgezeichneten Rufs erfreute. Maler und Graphiker wie z.B. Helfried Weiß (1913-2008), Harald Meschendörfer (1909-1985), Friedrich von Bömches (1916-2010) gehörten unter Deutschen, Rumänen, Ungarn und Juden zu ihr. Vor allem von den „sowohl traditionell wie auch genuin der Farbe verbundenen, oft noch von Fontainebleau beeinflussten rumänischen Kollegen konnte man einiges lernen“, äußerte Susanne Schunn gelegentlich, „ganz abgesehen vom Vater, dem die Farbe im Sinne des französischen Spätimpressionismus alles bedeutete“.

Die Tendenz zur Verselbstständigung ihres Willens zur Farbe als entscheidender Komponente der formalen Gestaltung wurde bereits in den in Rumänien entstandenen Landschafts-Aquarellen sichtbar. So wurden zum Beispiel Schwarz-Meer-Bilder über die gegenständliche Erfassung des Motivs hinaus zu auffallend weiträumig empfundenen Farbausbreitungen, ja Farbausschweifungen. Und das so eindeutig, dass sich dem Betrachter blaue Meer- und Himmelflächen, wüstengelbe Lössteilküsten und braune Landzungen nicht mehr als Motiv, sondern vielmehr als Anlass zum Spiel mit der Farbe zu erkennen geben. Gleiches gilt für die in den Karpaten gemalten Berg- und Waldlandschaften, die bei aller Gegenständlichkeit als Anregung erscheinen, dem Phänomen „Farbe“ im Bildgeschehen nachzuspüren; noch auffälliger dann in den nach 1965 in Bayern entstandenen Arbeiten dieser Gattung: Schneehänge werden zu Erscheinungen pulsierenden Lichtes, Bergzüge zu verschwebenden Rhythmen aus blauen Valeurs, Waldränder nicht selten zu Reflexionen über die Kontrapunktik etwa von Grün und Braun etc. Auch auf den vor allem in München als Auftragsarbeiten entstandenen Kinderbildnisse in der zweiten Hälfte der Jahre 1960, bei denen es naturgemäß um Porträtgenauigkeit ging, räumte die Malerin der Farbe die Dominanz ein.
Susanne Schunn: Komposition, Gouache; 
80 x 100 ...
Susanne Schunn: Komposition, Gouache; 80 x 100 cm, ohne Datum. Privatbesitz.
Weit augenfälliger ist es in den Blumenstillleben der Fall: Die Sträuße aus roten Rosen, violettem Flieder oder Sonnenblumen, die Orchideen und Gladiolen werden zu überschäumenden Variationen gegeneinander „austarierter“ Farbenbewegungen und -begegnungen als selbständige Vorgänge im Raum. Die Kunsthistorikerin Carola Schenk sieht in ihnen sogar die Ausgänge der späteren abstrakten Malweise: „Die abstrakten Arbeiten sind aus der Beschäftigung mit Stillleben entwachsen, also aus der künstlerischen Auseinandersetzung damit, wie Gegenstände räumlich zueinander stehen“. Die Verzauberung durch die Farbe war und blieb die Prägekraft des Künstlertums dieser Frau. In diesem Sinne nahm sie Paul Klee, noch mehr Paul Cézanne intensiv als emotional erlebte Leitfiguren wahr.

Nach der Emigration aus Rumänien mit ihren drei minderjährigen Kindern – ohne den von den kommunistischen Behörden als ehemaliger politischer Häftling bis 1968 zurückbehaltenen Ehemann – erzwangen die vielfältige Sorge um das tägliche Fortkommen und die Notwendigkeit eines mehrsemestrigen Nachstudiums in München und Erlangen eine vorübergehende Stagnation der künstlerischen Entwicklung. Dennoch trieben eine ungewöhnliche Arbeitsbesessenheit und Vitalität sie in den folgenden Jahren voran, so entstand unter anderem erstmalig eine ganze Reihe afigurativer Kompositionen von sprühender Frische und subtiler Farbigkeit. In der zweiten Hälfte der Jahre 1970 erhielt ihr Schaffen zusätzlichen Auftrieb durch die enge Freundschaft mit dem ebenso eigenwilligen wie genialen bayerischen Freskenmaler Franz Luibl (1922-1983), dessen Einfluss besonders in monumental gedachten Tierbildern – Pferden, Rindern – spürbar wurde. Die Aufeinanderfolge des Todes ihrer besten Freundin, des künstlerischen Partners Franz Luibl und ihres Vaters zu Beginn der Jahre 1980 trieben Susanne Schunn in eine Phase der Depression und Arbeitsunfähigkeit. Als sie dann 1989 die Lehrtätigkeit als Kunsterzieherin am Michaeli-Gymnasium in München beendete und sich ausschließlich der Malerei widmen konnte, nahm sie an Kursen verschiedener Sommerakademien und Gruppenausstellungen teil. Wie ihr Vater beschäftigte sie sich nachhaltig mit japanischer Malerei, deren Technik großer Feinheit und Weichheit des Pinselstrichs sich auf zahlreiche ihrer Aktstudien auswirkte. Über sie befand Carola Schenk: „Von der völligen Abstraktion ausgeschlossen sind die Akt-Aquarelle. Die sind in einem spontanen Pinselduktus ohne Vorzeichnung rasch auf das Papier geworfen und drücken Sinnlichkeit und Emotionalität aus.“ Parallel dazu vollzog sich Susanne Schunns endgültige Zuwendung zur abstrakten Malerei. Die dem gegenwärtigen Kunstbetrieb skeptisch, wenn nicht sogar ablehnend gegenüberstehende Malerin begann vermehrt mit Einzelausstellungen hervorzutreten und zeigte dabei bald ihre gegenständliche Aquarellkunst, bald afigurative Gemälde – Gouache, Acryl –, dann wieder beides in Gegenüberstellung. Sie erfuhr einhelliges Lob und Bewunderung des Publikums und der Kritik, die sie als „Meisterin der nonfigurativen Malerei“ bezeichnete.

Die Krönung ihres Schaffens stellen die abstrakten Großformate der Jahre 1990-2005 dar. Sowohl die Sicherheit in der Handhabung weitflächiger Farbentfaltungen als auch die Kühnheit ihrer Zusammenfügung, ihrer Neben- und Übereinandertürmung überzeugt. Bald durchfluten sich ineinander greifende Gelb-, Grün- und Rotflächen, bald stehen sich Dunkelblau, Silber und irisierendes Grün blockartig gegenüber. Dann wieder verdichten sich braun-schwarze Abstufungen zu einem Nocturne, dessen Abgründigkeit durch einen einzigen feuergoldenen Bezugspunkt zur Offenbarung wird. Oder es verspiegeln über die Malfläche verteilte Blaunuancierungen zu einem Bildganzen von überwältigender innerer Klarheit. Die Kunstkritikerin Ingrid Zimmermann schrieb dazu, dass die „Gefühlswerte dieser Bilder vom strahlend schönen Frühlingstag über Glut und Wut bis hin zur Metapher für Trauer einerseits und spirituellem Trost andererseits“ reichen. Alle diese Farbendemonstrationen erscheinen letzten Endes als immer von neuem unternommene Versuche einer Beantwortung der Frage, worin das Geheimnis künstlerischer Vollkommenheit liegt. Als Versuche der Ergründung einer Möglichkeit der Versöhnung selbst widersprüchlichster Kräfte. Sie sind in Farbe aufgezeichnete Spannungsfelder auf der Suche nach dem Zustand jener finalen Ruhe, von der die Philosophen sprechen.

Zuallererst freilich sind sie Gemälde von eindrucksvoller Farbenschönheit, mit meisterlicher Regie in die ästhetische Ordnung gebracht, die wir spontan als ausgereifte Kunst empfinden und bei einer Analyse als solche auch begreifen.

Das Siebenbürgische Museum auf dem ehemaligen Deutschordensschloss Horneck besitzt in den Arbeiten Susanne Schunns ein künstlerisches Werk von heute noch nicht absehbarem Wert. Dass wichtige Stücke bei den Kindern der Künstlerin blieben, ist verständlich und tut der Schenkung keinen Abbruch.

HB

Schlagwörter: Porträt, Malerin, Siebenbürgisches Museum, Gundelsheim

Bewerten:

14 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.