24. September 2011

Provenzalische Leichtigkeit beim Maler und Bildhauer Gerhard Wermescher

Betritt man im württembergischen Städtchen Schorndorf das Grundstück der Familie Wermescher, so fühlt man sich in eine südländische Gegend versetzt: Treppen führen zu dem Haus empor, das inmitten eines Gartens steht, in dem zwischen üppig wachsenden und blühenden Pflanzen märchenhafte Skulpturen stehen. Licht und Schatten, Wärme und Düfte umfangen den Besucher und erfüllen ihn mit Heiterkeit. Trifft man den Hausherrn, so kann man kaum glauben, dass dieser strahlende und gesprächsfreudige Mann 80 Jahre alt wird.
Gern zeigt der siebenbürgische Künstler Gerhard Wermescher dem Gast seine Werke im Garten sowie seine vielen Bilder, die sein Lebensmotto „carpe diem“ wiedergeben. Doch diese Heiterkeit und Leichtigkeit herrschten in seinem Leben nicht immer vor.

Betrachtet man seinen Lebenslauf und den Werdegang als Künstler, so lässt sich daraus die Geschichte einer Generation ablesen, die die Schrecken des 20. Jahrhunderts miterlebt hat. Geboren am 24. September 1931 als Sohn des Kaufmanns Felix Wermescher und dessen Frau Katharina (geborene Kremer) im nordsiebenbür­gischen Lechnitz, wuchs Gerhard Wermescher wohl behütet auf und träumte davon, nach dem Schulabschluss an der Universität Hohenheim in Deutschland Landwirtschaft zu studieren. Sein Ziel war es, einmal den Hof der Großeltern zu übernehmen. Doch es sollte anders kommen.

Auf die sächsischen Gemeinden fiel ein erster Schatten beim Zweiten Wiener Schiedsspruch vom 30. August 1940: Nordsiebenbürgen fiel an Ungarn, während der Süden Siebenbürgens bei Rumänien verblieb. Das Sachsenvolk wurde auf unabsehbare Zeit geteilt.
Gerhard Wermescher mit seiner Skulptur „Der ...
Gerhard Wermescher mit seiner Skulptur „Der Gucker“, Elbsandstein, 2009, 71 x 29 cm. Foto: Stephanie Hoffmann
Vier Jahre später zwangen die politischen Führer die Bewohner der Städte und Dörfer, die Heimat zu verlassen, um sich vor der näher rückenden sowjetischen Armee zu schützen. Ohne Hab und Gut musste sich Katharina Wermescher im September 1944 allein mit ihren Kindern auf den Weg nach Deutschland machen, da ihr Mann an der Westfront kämpfte. In eine ungewisse Zukunft blickend, überwinterten die Lechnitzer in Niederösterreich, bevor die Flucht sie nach mehr als 2 000 Kilometern Wegstrecke nach Niederbayern führte. Während ein Teil der Flüchtlinge von den Russen wieder nach Rumänien zurückgeführt wurde, fand die Familie Wermescher in Baden-Württemberg eine neue Heimat. Nach dem Schulbesuch in Bistritz, Laa an der Thaya (Österreich) und Simbach absolvierte Gerhard Wermescher eine Konditorlehre in Passau, bevor er die Meisterschule mit Auszeichnung abschloss.

In Schorndorf, wo seine Eltern und Geschwister inzwischen lebten, heiratete er 1956 Elisabeth Schreyer, die ihm in den folgenden Jahren drei Töchter schenkte. Diesen Kindern und deren Familien gilt seine ganze Liebe und sein Stolz. Seine Frau Elisabeth unterstützt sein künstlerisches Schaffen und ist die erste Kritikerin seiner Werke.

Beruflich fand Gerhard Wermescher mit 24 Jahren zunächst den Weg in die Selbstständigkeit, bevor er diese wegen der Krankheit seiner Frau wieder aufgeben musste. Er arbeitete danach als Angestellter im Außendienst unter anderem bei Nestlé. Ein Sportunfall zwang ihn jedoch 1986 dazu, seine Berufstätigkeit zu beenden. In dieser schweren Zeit fand er bei seiner Familie Trost und Unterstützung.

Schöne Landschaften brachten ihn während eines Kuraufenthalts im Alter von 47 Jahren zur Malerei, obwohl er schon als Schüler Freude am Zeichnen hatte. Die Provence inspirierte Gerhard Wermescher im Urlaub zu zahlreichen Bildern, die nicht nur seine Angehörigen und Freunden erfreuen, sondern auch die Besucher seiner etwa 14 Ausstellungen.

Gerhard Wermescher ist als Künstler Autodidakt. Er beobachtet die Natur, in der er sich gerne bewegt, sammelt momentane Eindrücke und setzt sie in Formen und Farben um. So entstanden lauter Werke, die durch die Leuchtkraft der Farben auffallen. In der Provence entzückten den Künstler das Licht, die überwältigende Flut von Farben, die südliche Blumen- und Blütenpracht, die knorrigen Olivenbäume, die Architektur der sonnendurchfluteten Ortschaften mit ihren Straßen, die Alleen und die gesamte Landschaft mit ihren berauschenden Düften. Auch die Heiterkeit und Leichtigkeit des Seins ihrer Bewohner inspirieren ihn – wie so viele Maler und berühmte Künstler früherer Zeiten. So ist es kein Wunder, dass er sich für ihre Werke begeistert und seine Bilder stark vom Impressionismus beeinflusst sind.

Gerhard Wermescher malt auch Bilder mit einer Thematik, die ihm bis heute sehr am Herzen liegt: Straßen und Gebäude aus Lechnitz, Trachtenträger beim Kirchgang, Szenen von der Flucht. Wer ihn kennt, weiß, wie sehr er noch an seiner alten Heimat hängt. Diese Verbundenheit zeigt sich auch bei den regelmäßigen Heimattreffen der Lechnitzer in Rothenburg ob der Tauber, wo er seine Bilder ebenfalls ausstellte. An Ausstellungen hat der Künstler seit 1978 in Bad Nauheim, im Hohenlohischen, in Schorndorf und Umgebung teilgenommen, aber auch in der Provence hat er schon drei Mal ausgestellt. Außerdem präsentierte er seine Bilder und Skulpturen in Galerien, in Eingangshallen von Banken, Krankenhäusern, Kirchen und im Gebäude eines Schorndorfer Altenheims. Seit 2002 widmet sich Gerhard Wermescher auch der Bildhauerei, die seine Leidenschaft wurde. Seither ist er im Atelier des Bildhauers Christoph Traub anzutreffen, das sich im Freien befindet. Dort sieht man ihn, mit Spitz-, Flach- und Zahneisen sowie mit Klöppel und Hammer beschäftigt, wie er seiner Phantasie und seinen Ideen Form und Gestalt verleiht.
Gerhard Wermescher: Kirchgang in Lechnitz,  Öl ...
Gerhard Wermescher: Kirchgang in Lechnitz, Öl auf Leinwand, 2005, 50 x 70 cm. Foto: Stephanie Hoffmann
Die bis jetzt letzte Ausstellung der Werke von Gerhard Wermescher fand im „Karlsstift“, einem Altenheim von Schorndorf statt. Sie war von Mitte Februar bis Ende Juni 2011 zu sehen.

Peter Heinrich, ehemaliger Chefrestaurator am Württembergischen Landesmuseum, wies bei der Vernissage auf die drei „Heimatsorte“ des Künstlers hin. Seine erste Heimat sei Siebenbürgen, das Land seiner Kindheit. Dort habe er seine Wurzeln. Schorndorf sei die zweite Heimat; da hat seine Herkunftsfamilie wieder Fuß gefasst, da habe er seine eigene Familie gegründet und Freunde gefunden. In der dritten Heimat, der Provence, finde er Inspiration, Ruhe und Kraft für sein künstlerisches Schaffen.

Wermeschers Skulpturen gewähren einen interessanten Einblick in die Reifestufen des künstlerischen Schaffensprozesses. Der Künstler zeigt nämlich neben den vollendeten Werken in dieser Ausstellung auch die Vorarbeiten zu dem Zyklus. So lässt sich der Weg von der ersten Idee über die Rohskizze und das Tonmodell bis zur fertigen Skulptur verfolgen. Die Dauer der Ausstellung und die Besucherzahlen haben bewiesen, dass Gerhard Wermescher durch seine Werke die Menschen anspricht, den Betrachter zutiefst berührt und in ihm Sehnsüchte weckt.

Wir wünschen Gerhard Wermescher weiterhin Gesundheit und hoffen, dass ihm seine Schaffenskraft und der Blick für die Schönheiten der Natur noch recht lange erhalten bleiben. Möge er sich mit seinen drei „Lebensstützen und Kraftspendern“ Natur, Kunst und Familie noch viele Jahre am Leben erfreuen!

Wiltrud Seiler

Schlagwörter: Maler, Bildhauer, Geburtstag, Porträt

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