6. Februar 2014

Neuer Gedichtband von Franz Hodjak

Franz Hodjak: „Der Gedanke, mich selbst zu entführen, bot sich an“. Gedichte. Lithographien von Hubertus Giebe. Verlag SchumacherGebler, Dresden 2013, 100 Seiten, 22,50 Euro, ISBN 978-3941209-28-2
Die deutsche Literatur aus Rumänien ist ausgewandert nach Deutschland, und eine ganze Weile sind ihre Dichter hier angelegentlich willkommen geheißen worden. Da waren neue Stimmen, sie kündeten von einer merkwürdigen, bisweilen bösen alten Welt, und man genoss, dass diese untergegangen und doch in Texten so aufgehoben war und man einen wohligen Schauer zu beziehen vermochte, weil man sie so vermittelt erhielt und nicht unvermittelt hatte erleben müssen. Dieser auch als „Exotenbonus“ (Peter Motzan) apostrophierte Aufmerksamkeitsvorschuss ist verbraucht, die Securitate-Wirrnisse haben die Szenerie vernebelt, der Widerhall schwillt ab zum Nachhall. Der „Betrieb“ wirft früher oder später einen jeden auf sich selbst zurück, viel Selbstbewusstsein, ja Eigensinn ist nötig, im literarischen Tun noch einen Sinn zu sehen – und viel Gelassenheit gegenüber dem Markttreiben.

Der Eigen-Sinnigsten und Gelassensten einer ist Franz Hodjak. Er war und ist so sehr Dichter, dass er es auch im Überdruss noch vermag, mit seinem sanften kargen Wort die sirrende und dröhnende Wirklichkeit hüben und drüben, die alte und die neue, zu übertönen und dem Leser, den er freundschaftlich zum Komplizen macht, ein paar Verse lang das Empfinden zu schenken, er wäre ihrer enthoben, ja stände über ihr. Hier ist ein Therapeut am Werk, der Hoffnung gibt, die er selbst nicht mehr hat. Dabei hatte er sie einst, das klingt immer wieder durch, nun aber kommt seine Kraft ausgerechnet aus dem Verlust, sein Trost aus der Untröstlichkeit – es ist ein Segen, wenn man nicht mehr „bei Trost“ ist.

Asketisch streng und urtümlich vertraut zugleich ist Hodjaks Auffassung von Sprache: Er nimmt sie beim Wort, von dem er weiß, dass es lügt. Und erhellt: „Die Landschaft, weit hinter / vorgehaltener Hand, wo im Kirchturm / der Falke hineinlebte, / hinaus, stellte man wie / Bücher dahin, / dorthin. Alles war irgendwie / hinein, hinaus, der Schritt langsam // und bedächtig. Und von / den Wegen, die du gingst, nahmst / du dunkle Bilder / mit, in die, später, / die Sprache ein eigenes / Licht trug.“

In diesem Licht der Sprache erscheint ihm nicht nur „Siebenbürgen“ – so heißt das zitierte Gedicht –, sondern alle Erfahrung, das ganze Erleben. Dieses stellt sich als dermaßen dürftig heraus, dass es im Nachhinein nur logisch ist, wenn der Zweifel und die entsprechende Frageform überwiegt: „Das Haar war noch nicht grau, was konnte man drin lesen? / War Schnee, war Frieden, hatte es geregnet? / In welcher Sprache sind wir uns begegnet? / Wann war es bloß? Was war es nur gewesen?“ („Was war?“). Selbst das ent-grenzte Berlin hat als Pointe ein Fragezeichen: „Zumindest kann / einer zum andern gehen, um staunend / festzustellen, was sie trennt. Was // sie verbindet?“

Hodjak geht mit seinem Instrumentarium sparsam und sorgfältig um, er weiß, auch das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt ist – nicht nur nach Kafka – eine Frage der Relation: „Kompromißlos und hart führt der Meißel die Hand“ („Skulpturengarten). Er meidet alles Ausdrückliche, die karge Sagweise wird zum Ausdruck einer Sachlichkeit, die dem berauschenden Bilder- und Einfallsstrudel eine Mitte gibt. Die erfahrungsbefeuerte Einbildung, die schwindelerregend dynamische Phantasie des Dichters entwickelt zentrifugale Kräfte, in ihrer prallen Stofflichkeit, ja Fleischlichkeit, in ihrer Realienfülle driften die poetischen Gebilde auseinander: „Ein Himmel, der sich dreht“ („ Rhȏne“). Wäre da nicht die streng stilsichere – gleichsam vom „Meißel“ geführte – Hand des Dichters, der sich jeden Überschwang versagt, sich zurücknimmt und die Bilder diszipliniert, indem er sie weiterdenkt oder -spinnt, immer allerdings auf eine eigentümlich gegenständliche und zugleich transzendierende Art: „Es gibt Tage, da rollen dir bloß / Sellerieköpfe über den Weg wie Gesichter // aus einem Märchen mit bösem Ausgang“ („Grammophon“). Das Furchtbare ist wirklich und umgekehrt – und das ist das Märchenhafte dran! Bei Franz Hodjak kann man lesen, wie Unerträgliches erträglich geschrieben wird.

Man muss sich nur einlassen darauf, er macht es einem leicht. Er schreibt eine Lyrik, die nicht allein Selbstaussage ist, sondern einbezieht, den Leser allemal – und dann die anderen, denen die Texte zugeeignet sind. Der Dichter bekennt sich eingangs zu den „auffallend viele(n)“ Widmungsgedichten, tatsächlich beherrschen sie den Band. All diese Menschen, einmal in sein „Leben getreten, sind … nicht mehr wegzudenken“. Ist da ein Widerspruch? Einerseits praktiziert der Poet die Auflösung der Wirklichkeit im Gedicht, andererseits holt er per Widmung Menschen aus derselben in selbiges herein, „erdet“ und konkretisiert also seine Verse mit den mitdichtenden Gedanken an mitmenschliche Existenzen. Konkret ist bei Franz Hodjak allerdings etwas anderes. „Unaufdringliche Spuren / einer leicht großzügigen Hand, welche / die Welt auch von hinten zeigt. Zug / um Zug kommt uns etwas entgegen, das / wir bloß ahnen, aber brauchen zum Leben.“ So dankt der Dichter seinem Partner, dem Grafiker Hubertus Giebe, der den Band zu einem Gemeinschaftsprojekt gestaltet hat.

Was ist etwas? Wo ist vorn, wo hinten? Die Welt hat nicht nur diese beiden Seiten, das weiß Franz Hodjak, er schreibt von dem, was vor dem Vor und hinter dem Hinten ist. Das braucht er „zum Leben“ und zum Schreiben wie Hubertus Giebe zum Leben und zum Malen. Blut und Fleisch in vielen Farben, Menschen- und andere Wesen in vielerlei Gestalten, und allemal nehmen sie eine – bewegte – Form an, die fremd anmutet, bis der Leser und Betrachter merkt, dass er selbst es ist, der „fremdelt“.

Die beiden Künstler räumen nach Kräften Selbstverständlichkeiten aus – und beginnen immer bei den eigenen. Giebe malt, indem er jegliches Abmalen ausschließt und das Erkennen eher der Empfindung als der Anschauung überantwortet, Hodjak dichtet sich aus allem Fassbaren hinaus ins Unfassbare, stets aber in aller Gelassenheit: „Man gewöhnt sich auch / an das, was ausbleibt, besonders / wenn die Unterschiede sich ähneln.“

So beiläufig, lapidar der vermeintlichen Logik Hohn zu sprechen gelingt nur einem, der sie beherrscht, aber genauso wenig braucht wie vieles andere: „Nimm mir ein Stück ab / von der Hoffnung, die ich allein / nicht mehr tragen kann“ („Barlachkreuz“), ja genauso wenig, wie er sich selbst braucht: „Die tote Maus / schiebe ich mit dem Fuß / unter die klamme Hand / des Ahornblatts. Nebelschwaden / treten mir entgegen, in denen / ich verschwinde“ („Selbstportrait im Herbst“). Ein Verschwundener tritt uns hier entgegen, so gegenwärtig wie selten ein Mensch in einem Buch.

Georg Aescht

Der Gedanke mich selbst zu ent
Franz Hodjak
Der Gedanke mich selbst zu entführen, bot sich an: Gedichte von Franz Hodjak mit Lithographien von Hubertus Giebe

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Taschenbuch
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Schlagwörter: Hodjak, Gedichtband, Rezension

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