5. März 2014

Schäßburg aus kunstgeschichtlicher Sicht

Renate Schuster, aus Schäßburg stammend, hat ihre kunstgeschichtliche Doktorarbeit ihrer Herkunftsstadt gewidmet. Die umfangreichen, von ihr herangezogenen Quellen fand sie in den Archiven von Neumarkt am Mieresch, Hermannstadt und Kronstadt wie in den Institutionen von Schäßburg. Die Stadt wurde 1999 als herausragendes Zeugnis der Kultur der Siebenbürger Sachsen als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt.
Renate Schuster erörtert die komplizierten Prozesse der Bewerbung und der Aufnahme Schäßburgs in die Welterbeliste, wobei die Stadtanlage, historische Altstadt und dominanten Bauten eine entscheidende Rolle spielten. Sie geht auf die Gründung der Stadt mit der Ansiedlung der „Sachsen“ bzw. den deutschen Siedlern unter dem ungarischen König Geza II. um 1150. den „Goldenen Freibrief“ (Andreanum) von 1224 von König Andreas II. von Ungarn, die Ansiedlung der kirchlichen Orden wie auch die Reformation und ihre Auswirkungen in Siebenbürgen ein.

Die Sakralbauten Schäßburgs werden sodann vorgestellt, beginnend mit der einstigen Klosterkirche der Dominikaner, auf die ein Ablassbrief Bonifatius VIII. 1298 verweist. Diese später reformierte Hauptkirche datiert sie teils um 1492-1515, beschreibt die Ausstattung mit dem Taufbecken von 1440 aus der ehemaligen Bergkirche, das sie dem von Kleinschelken gegenüberstellt. Für den Austausch der Künstler nach Siebenbürgen nennt sie Goldschmiede aus Nürnberg und Königsberg, die in Siebenbürgen ausgebildet werden wollten. Für den Martinsaltar nennt sie den Sohn des bekannten Bildhauers Veit Stoß, Johann, der sich 1510 in Schäßburg niedergelassen hatte. Der dargestellte Hl. Martin von Tours stammte aus dem pannonischen Szombathely, womit die Verbindung zu dem einst ungarischen Gebiet deutlich wird. Den Martinsaltar sieht sie dem Füssener Altar im Kloster St. Mang nahe, da Füssen damals zu Vorderösterreich zählte und so mit Ungarn verbunden war. Die Wandmalerei verbindet sie ebenso mit Dürers Holzschnitt des Höllensturzes wie mit dem Birthälmer Altar. Die holzgedeckte Schülertreppe zur Schule auf dem Berg (heute Josef-Haltrich-Lyzeum) stammt von 1654. Hier kann Renate Schuster über das Schulwesen berichten: Bereits 1375 wurde in Schäßburg eine Schulpflicht eingeführt, allein 95 Studenten aus Schäßburg studierten an der Wiener Universität 1445-1521. Hier entstanden Anfang des 17. Jahrhunderts die berühmte Bibliothek von Martin Kelp und das gegenwärtige Lyzeum 1792-99 von Johann Müller aus Fogarasch im neugotischen Stil.
Schäßburg mit Blick auf die Bergkirche und Josef ...
Schäßburg mit Blick auf die Bergkirche und Josef-Haltrich-Lyzeum sowie auf die Oberstadt mit Stundturm und Rathaus als auch Unterstadt. Foto: Renate Schuster
Wichtigstes kunsthistorisches Denkmal ist der Renaissancebau „Haus mit dem Hirschgeweih“, dem eine ausführliche Untersuchung gewidmet ist. Als Beispiel der Stadtresidenz einer Patrizierfamilie werden insbesondere die Fresken des Festsaals gedeutet. Die Fresken im „Haus mit dem Hirschgeweih“ verbindet Renate Schuster mit humanistischen Bildprogrammen, mit Philipp Melanchthon und Maximilians „Theuerdank“, der das mittelalterlich-feudale ­Ritterideal und das neuzeitlich-humanistische Lebens- und Selbstverständnis zusammenzubringen suchte. So ist auch eine Originalausgabe des „Theuerdank“ in Schäßburg vorhanden. Die Inschriften deutet sie mit der Reformation in Siebenbürgen. Sie erwähnt, dass von 1522-1550 allein 111 Studenten aus Siebenbürgen in Wittenberg immatrikuliert waren, der Wirkungsstätte Martin Luthers und Philipp Melanchthons. Honterus fertigte 1542 in Basel die erste Landkarte Siebenbürgens an, ebenso reformatorische Drucke in kirchenslawischer und rumänischer Sprache. 1544 wurde die Reformation in Schäßburg beschlossen, Honterus gab die „Kirchenordnung aller Deutschen in Siebenbürgen“ heraus.

Sorgfältig analysiert werden auch die Darstellungen nach Ovids „Metamorphosen“ bzw. nach Virgil Solis, dem Illustrator der Ovid-Ausgabe von 1563, wie auch die einzelnen Porträts als Hintergrund zur Geschichte der Stadt. Die Anfang des 17. Jahrhunderts oder Ende des 16. Jahrhunderts datierten Wandmalereifragmente fielen somit in die Zeit der Ausmalung des „Hauses mit dem Hirschgeweih“. Weitere Reste von Fassadenbemalungen, die an verschiedenen Häusern erhalten sind, sind datiert, Haus in der Großen Mühlgasse 1568, in der Oberen Tischlergasse 1576, doch sind sie auch ein Hinweis auf die Außenbemalung zahlreicher Häuser, die vor allem durch den großen Brand von 1676 zugrunde gingen. So hat Renate Schuster ein lesenswertes Buch geschrieben, das ausgehend von der Aktualität des Weltkulturerbes zugleich das unter besonderem Denkmalschutz stehende Ensemble einer historischen Stadt mit den Schwerpunkten des Stadtbildes, der beiden Kirchen, den Türmen und Häusern, insbesondere der Wandmalerei, unter kunsthistorischen Gesichtspunkten untersucht, und dabei sowohl die kunsthistorischen als auch die historischen Voraussetzungen einbezogen. Sie hat Schäßburg mit Stadtanlage, Bauweise und Wandmalerei, zugleich das Spannungsfeld zwischen deutscher Tradition in ungarischer und rumänischer Umgebung, von römischer und orthodoxer Kirche, von Protestantismus und Humanismus dargestellt und mit der Wandmalerei auch ein Dokument abendländischer Kultur auf hohem Niveau im damaligen östlichen Mitteleuropa, das Wien, dem damaligen Zentrum Europas näher lag als einem fernen Berlin. Wer sich über die Geschichte, Stadtgestalt und die historischen Baudenkmäler dieser außergewöhnlichen Stadt informieren will, dem sei dieses Buch wärmstens empfohlen.

Prof. Dr. Heijo Klein, Bonn

Renate Schuster: „UNESCO-Weltkulturerbe Schäßburg: Bauten und Baugestalt einer einst deutsch besiedelten Stadt in Rumänien“, Südwestdeutscher Verlag für Hochschulschriften, Saarbrücken, 2013, 300 Seiten, 162 Abbildungen, 61,90 Euro, ISBN 978-3-8381-3654-7. Das Buch beinhaltet die Doktorarbeit, die Renate Schuster an der Rheinischen-Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn unter der Betreuung von Prof. Dr. Heijo Klein geschrieben hat.

Schlagwörter: Rezension, Schäßburg, Kunstgeschichte

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