30. Juni 2023

Dem Wort verhaftet: Der 90-jährige Humorist Kurt H. Binder in Selbstaussagen

Siebenbürgischer Humorist, ein Widerspruch in sich? Nicht doch, der gebürtige Hermannstädter Kurt H. Binder ist der lebende Beweis – der Autor hat am 28. Juni seinen 90. Geburtstag gefeiert. Besuchen wir ihn virtuell in seinem Haus in Herrenberg, im baden-württembergischen Landkreis Böblingen.
Kurt H. Binder. Foto: privat ...
Kurt H. Binder. Foto: privat
Treten wir unbekümmert ein, nur zu, und folgen dem gastfreundlichen Hausherrn in die gute Stube. Unseren herzlichen Glückwunsch zum 90. Geburtstag! Seit wann er hier wohnt, will ich wissen: „1978 haben wir in Herrenberg ein Haus mit großem Garten gekauft. Heute wohne ich allein in meinem Haus. Zwei meiner Töchter, die in der Nähe wohnen, kümmern sich rührend um ihren alten Herrn, mit Gartenpflege und dem wöchentlichen Einkauf – und spirituell-kreativer Unterhaltung. Mit den anderen beiden Töchtern und mit meinem Sohn telefoniere ich, oder wir mailen miteinander. Ich fühle mich spirituell dem Wort verhaftet!“

Geht das Schreiben nicht durch den Magen? – „Na wie nicht. Ich bewirtschafte das ganze Haus, und koche gerne. Doch kann ich nicht verhehlen, dass mich der innere Schweinehund nicht selten zum Griff in die Tiefkühltruhe verleitet, in der Mici und Sarmale von einem siebenbürgischen Metzger kulinarische Genüsse garantieren. Auch Donna Prokrastina – wie ich die Prokrastination (die Neigung zum Aufschieben lästiger Arbeiten; der Verfasser) nenne, überredet mich manchmal dazu, erst übermorgen Staub zu saugen!“ Staub, unser Ursprung, unser Ende.

Wo wir gerade so gemütlich beisammensitzen, springen wir biographisch zurück. „Geboren bin ich 1933 in Hermannstadt. Ich habe noch zwei jüngere Geschwister. Mein Vater Kurt Erich hatte eine kleine Fabrik für Papierartikel. Meine Mutter Marie Margarete hat die Buchhaltung geführt. Der Vater wurde 1942 zur SS eingezogen und ist im Krieg verschollen. 1943 wurde ich, zehn Jahre alt, in die DJ, die Deutsche Jugend aufgenommen, als Pimpf, und bin in der zehnköpfigen Jungenschaft im Rausch der aufkommenden ‚Für-Führer-Volk-und-Vaterland‘-Euphorie mitmarschiert, ohne mir Gedanken darüber zu machen. Nach dem Frontwechsel 1944 erfolgte die Enteignung unserer Firma. Es kam zu Schikanen bei der Schulsuche, als SS-Waise war ich dem Hass der Rumänen ausgesetzt.“ Nach der Volksschule und Knabengymnasium besuchte er die Professionalschule für Elektriker in Hermannstadt und arbeitete danach auf Baustellen bei Hatzeg-Petroschan, bis zum Militärdienst in Bukarest bei der MFA-Construcție. „Hier war ich so eine Art ‚braver Soldat Schwejk’, ich habe mich immer gut durchgewurschtelt als Bauzeichner, Zeichenlehrer, mit eigenem Büro, und bin täglich durch den schönen Cişmigiu-Park spaziert, um meine Bauzeichnungen zur Baustelle zu tragen. Habe mit den Soldaten auch einige Alphabetisierungskurse gehalten, und Matheunterricht.“

Binder schildert seinen weiteren beruflichen Werdegang in Rumänien: „Ich war zehn Jahre lang Fabrikarbeiter: Elektriker, Schlosser, Dreher, Fräser. Währenddessen habe ich ab 1963 mit der Fortbildung begonnen, und auch einen Zeichenkurs für technisches Zeichnen gemacht, bei der ASIT. 1964 hat mein Leben eine radikale Wendung ‚nach oben’ erfahren.“ „Nach oben“? Er schiebt nach: „Durch meine Ehe mit Erika Schneider, Gymnasiallehrerin. Sie hat mich dazu animiert, das Abitur nachzuholen und zu studieren. Sie war auch eine begeisterte Wanderin und Skifahrerin. Wir haben viele Jahre lang im Bachchor von Prof, Dressler gesungen.

Jedenfalls absolvierte ich parallel zur Arbeit das Gymnasium im Fernkurs mit Abitur und studierte danach am Pädagogischen Institut in Klausenburg. Mit meinem Motorrad konnte ich an den Wochenenden nach Hause fahren zu meiner Familie. 1970 bis zur Ausreise nach Deutschland 1973 war ich Lehrer für Physik und Chemie an der Brukenthalschule in Hermannstadt.“ Alle Achtung!

Literarische Anfänge, Aussiedlung, Abschied mit Tränen

Achtung, es wird etwas intimer. „Erste verliebte Herz-Schmerz-Verse an die Angebetete, so ging’s los.“ Zudem verfertigte er oft längere Beschreibungen von lustigen Begebenheiten in seinen Cliquen, immer in Versen, ehe die ersten Veröffentlichungen folgten, Beiträge im „Neuen Weg“ und der Hermannstädter Zeitung „Die Woche“, dann: „1972, als Lehrer in der Brukenthalschule, habe ich an einem landesweiten Wettbewerb für deutschsprachige Theaterstücke teilgenommen und mit Walther Seidner alias Voltaire je einen zweiten Preis gewonnen. Der Einakter ‚Die Parade der verlorenen Zeit‘ hat uns beiden je 2000 Lei eingebracht, den Preis hat uns Ewalt Zweyer („Die Woche“) persönlich überreicht!“ Das nachfolgende zweite Theaterstück, „das ich für Erikas und meine Schüler geschrieben hatte, ‚Fritz und Franz, die Detektive‘, ein Kriminalstück für Jugendliche, war ein Bombenerfolg. Beide Stücke wurden in der Kulturzeitschrift ‚Volk und Kultur’ 1972 bzw. 1973 veröffentlicht.“

Die Ironie des Schicksals: „Das Datum unserer Einreise nach Deutschland 1973 fiel auf den 23. August – ‚Tag der Befreiung‘, auch unserer! Nach dem Übergangslager in Fürth-Stadeln übersiedelten wir nach Baden-Württemberg, nach Herrenberg, wo wir 1978 ein Haus mit großem Garten gekauft haben. Meine Frau bekam sofort eine Stelle als Mathelehrerin am Schickhardt-Gymnasium, ich unterrichtete kurze Zeit mein Fach an verschiedenen Realschulen. Wegen der Lehrerschwemme machte ich eine Umschulung in Stuttgart zum Maschinenbau-Konstrukteur und arbeitete zehn Jahre lang in einer kleinen Firma. 1992 bin ich in Rente gegangen.“

Das Leben als Reise und Ausreise komplettiert die Urlaubsreise, sehr erinnerungswichtig für den Jubilar: „Unsere Urlaube waren immer als ‚aktive Erholung’ gestaltet. Wir unternahmen mit unserem Wohnmobil durchgehend Gebirgswanderungen, vom Nordkap in Norwegen bis Südgriechenland. In Italien waren die Dolomiten in jedem Jahr im Herbst Pflicht. Meinen 70. Geburtstag habe ich mit Erika auf dem Mytikas (2918 m) in Griechenland gefeiert. Höhepunkt in Deutschland war die Zugspitze. Als Geburtstagsgeschenk für Erika zum 50. machten wir eine Deutschlandwanderung von knapp 2 000 km, nur mit dem Rucksack, mit Speckbrot und so. Sie hat gejubelt! Wir haben die Wanderung von 1987 bis 1993 durchgezogen. Zum letzten Mal bin ich mit 75 Jahren in Frankreich in Valmorel Ski gefahren, ein Abschied mit Tränen. Im August 2017 verstarb meine liebe Frau Erika. Sie war in unserem Eheleben mein zweites Standbein, das mir durch ihren Abschied ohne Narkose amputiert wurde.“ Schweigen.

Weiter, mit Humor. „In Deutschland habe ich bei den von Rittervater Siegfried Habicher geleiteten Ritterküren in Rottweil zweimal eine Laudatio in Versform verfasst, die 2011 auch in Habichers Festschrift zu den Küren erschienen sind.

In unserem Kränzchen wurden seit Jahren die runden Geburtstage groß gefeiert. Zu fast allen habe ich biographisch geprägte Laudationes in Versen gelesen und sie anschließend gedruckt, illustriert und in Heftchen gebunden dem Jubilar überreicht. Zudem habe ich etwa 15 Lesungen aus meinen Büchern in Süddeutschland in mehreren Städten gehalten, von Drabenderhöhe bis Singen, von Rottweil bis Nürnberg. Es war schön, die Anerkennung und Würdigung meines Schaffens unmittelbar zu ernten.“

Folgende Bücher hat Binder geschrieben, im Selbstverlag: „König Murphys Tafelrunde. Humoresken und Satiren“ (2003), „Hinz und Kunz im Narrenkarussell“ (2005), „Unter Roten Wolken. Autobiographischer Roman“, „Die lange Nacht der Erzählungen“ (2014); im Schiller-Verlag: „Pitz und Tummes, zwei Hermannstädter Purligaren“ (2016), „Sir Lim Erick gibt sich die Ehre“ (2018), „Mixed Pickles, Humoresken und Satiren“ (2018). Ein weiteres Buch ist in Erwägung. Das ist aber noch streng geheim!

Über den Band „Mixed Pickles. Humoresken und Satiren aus dem ,ganz normalen‘ Alltag in Siebenbürgen und anderswo‘ schrieb Josef Balazs in dieser Zeitung (s. "Mixed Pickles": Humoresken und Satiren von Kurt H. Binder): „Als Prolog wird dem Buch ein ‚dialogisiertes Vorwort‘ in Form eines ‚Interview mit meinem Alter Ego‘ vorangestellt. So erfahren wir von Binders Absicht, den Menschen mittels seiner Texte den Spiegel vorzuhalten. Seine ‚Themen liegen auf der Straße‘, meint er, und so kann manches Ereignis der Anlass für eine amüsante Geschichte sein. Binders Humoresken und Satiren sind mehr als ‚amüsante‘ Geschichten, sie sind kleine Meisterwerke des Humors“.

Humor, das ist für den Hermannstädter vor allem ein Lebenselixir: „Ich fühlte mich immer vom Humor gesteuert – und er hat mich geprägt. Ich glaube, dass er in uns allen steckt; wir müssen ihn nur entdecken, und ihm einen Platz in unserem verkrampften, tierisch ernsten Dasein zuweisen! Der Humor sei per se „eine ernstzunehmende Dimension im Leben des Menschen“, und der Autor erklärt sich rezitierend:

„Wer ist der Mann dort, der so ernst und finster
nur vor sich hinstiert wie ein Dornenginster,
der grad ’ne unreife Zitrone frisst?“
„Herr Heitermann, der große Humorist!“
Binder ergänzt: „Da wünsche ich mir doch eine Welt voller Heitermänner!“

Gefragt, wie er seinen Alltag so verbringt, kommt die Antwort: „Mit meiner Zuwendung zum Forum ‚Lachen uch Nodinken‘ der Siebenbürgischen Zeitung Online. Ich höre auch gerne Klassik, am liebsten Sinfonien, Klavier- und Violinkonzerte, Chorwerke.“ Der Owend Kit Erun: „Die Abende lasse ich gerne bei einem guten Telemea-Käse und einem Gläschen Seidener Gewürztraminer ausklingen, nicht selten begleitet von einem spannenden Krimi. Alles in allem sehe ich mich heute als einen glücklichen alten Mann, mit fünf wunderbaren Kindern und zwei liebenswerten Enkeln!“ Danke für die gute Unterhaltung! Wir gehen dann wieder.

Christian Schoger

Schlagwörter: Humor, Binder, Hermannstadt, Jubilar, Literatur

Bewerten:

46 Bewertungen: +

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.