18. Juni 2007

Die Raumfahrt zu Gast bei ihren Wurzeln

In mehreren Veranstaltungen, die im Mai in der Europäischen Kulturhauptstadt 2007 stattfanden, erinnerte Hermannstadt an Conrad Haas und Hermann Oberth, an zwei Pioniere der Raketentechnik und Weltraumfahrt, die diese Stadt zur Wiege einer neuen Wissenschaft und Technologie machten, die unsere Welt Jahr für Jahr verändern und sie in Zukunft noch weit entscheidender verändern werden. Der eine wirkte vor nun mehr über 450 Jahren in dieser Stadt, der andere wurde vor 112 Jahren hier geboren.
Und mit jedem neuen Raumfahrterfolg werden wir aufs Neue sowohl an den Raketenpionier Conrad Haas als auch an den „Vater der Weltraumfahrt“ Hermann Oberth erinnert. Es mutet, fürwahr, wie ein Treppenwitz der Geschichte an, dass in derselben Stadt, wo ein Conrad Haas als Erster die herkömmliche Mehrstufenrakete beschrieben und gebaut hat, dann auch jenes Genie das Licht der Welt erblickte, das 400 Jahre später die wissenschaftlichen Grundlagen der heutigen Raketen- und Weltraumtechnik schuf. Die Raumfahrt war somit zu Gast bei ihren Wurzeln!

Eröffnungsfeier und Hermann Oberth-Austellung

Allein schon die Liste der Veranstalter war beeindruckend: Allgemeiner Verein Rumänischer Ingenieure (AGIR), Verein Deutscher Ingenieure (VDI) – Freundeskreis Rumänien, Siebenbürgisch-Sächsische Stiftung München, Siebenbürgisches Museum Gundelsheim, Rumänische Akademie der Technischen Wissenschaften, Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt, vertreten durch ihre Fakultät für Ingenieurswesen „Hermann Oberth“, die „Astra“-Bibliothek Hermannstadt, das Hermann-Oberth-Raumfahrt-Museum e. V. in Feucht sowie das Hermann Oberth-Gedenkhaus in Mediasch. Für die einwandfreie Organisation und Leitung der Tagung sorgte Prof. Dr.-Ing. Octavian Bologa, Vorsitzender des VDI-Freundeskreises Rumänien, bei dem wir uns dafür auch auf diesem Wege freundlichst bedanken möchten.

Gruppenbild am alten Markttplatz von Mediasch, ...
Gruppenbild am alten Markttplatz von Mediasch, von links nach rechts: Klaus Schramm, Astrid Adams, Dr. Erna Roth-Oberth, Karlheinz Rohrwild, Dr. Hans Barth und dessen alter Freund Hugo Schneider, Kirchenkurator von Mediasch und eifriger Förderer des dortigen Oberth-Museums. Foto: Robert Adams
Die feierliche Eröffnung der internationalen Tagung vom 17./18. Mai, zu der auch acht Teilnehmer aus Deutschland angereist waren, fand im Festsaal der Astra-Bibliothek statt. In den Grußbotschaften wurde an die Verdienste der siebenbürgischen Pioniere erinnert, die Hermannstadt zur Wiege der Raketen- und Weltraumtechnik gemacht haben. Es sprachen: Dr.-Ing. Mihai Mihăiță, Vorsitzender des AGIR; Prof. Martin Bottesch, Vorsitzender des Kreisrates Hermannstadt, Prof. Dr.-Ing. Dr. h.c. Constantin Oprean, Rektor der Lucian Blaga-Universität; Dr. Christoph-Friedrich von Braun, Vorsitzender des VDI-Bezirksvereins Bayern; Dr. Erna Roth-Oberth, die Tochter des Raumfahrtpioniers; Dr.-Ing. Hans Barth, Oberth- und Haas-Biograf; Dr. Alexandru Dan Todericiu überbrachte die Grußworte seines in Paris lebenden Vaters Doru D. Todericiu, Autor des 1969 erschienenen Buches „Vorgeschichte der Modernen Rakete. Das Manuskript von Sibiu (1400-1569)“; Prof. Ion Onuc Nemeș, Direktor der Astra-Bibliothek, sowie Dr. Volker Wollmann von der Siebenbürgisch-Sächsischen Stiftung München.

Der Hermannstädter Kreisratsvositzende Prof. ...
Der Hermannstädter Kreisratsvositzende Prof. Martin Bottesch erinnerte, nicht ohne Stolz, daran, dass er das Stephan Ludwig Roth-Gymnasiun in Mediasch besucht und von dort aus an einem Schülerwettbewerb über Leben und Werk von Hermann Oberth teilgenommen habe. Foto: Robert Adams
In Anschluss daran wurde im gleichen Raum die „Hermann Oberth-Ausstellung“ eröffnet und besichtigt. Mit Exponaten, Fotos und Schriften, die aus den musealen Einrichtungen von Gundelsheim, Feucht und Mediasch zur Verfügung gestellt wurden, hatten Dr. Volker Wollmann und Mircea Țiplea, Leiter des Mediascher Oberth-Gedenkhauses, eine sehr gelungene Schau über Leben und Werk des siebenbürgisch-sächsischen „Vaters der Raumfahrt“ realisiert. Ein guter Anlass auch für Dipl.-Ing. Hans-Christian Habermann, den Vorsitzenden der Siebenbürgisch-Sächsischen Stiftung, nach Hermannstadt zu kommen.

Eine ganz besondere Note erhielten diese Veranstaltungen nicht zuletzt auch durch die einmalige Beteiligung und Mitwirkung daran. Denn sowohl Hermann Oberth, der wohl bedeutendste Theoretiker der Raumfahrt, als auch sein Meisterschüler Wernher von Braun, der wohl bedeutendste Raketenkonstrukteur, waren in Her- mannstadt vertreten: der „Vater der Raumfahrt“ durch seine Tochter, Dr. Erna Roth-Oberth, der „Vater der Mondrakete Saturn V“ durch seinen Neffen Dr. Christoph-Friedrich von Braun.

Der Nutzen für die Menschheit

Nicht allein die unzähligen neuen Forschungsergebnisse, die in der Raumfahrt Jahr für Jahr erzielt werden, sind von unschätzbarem Wert – auch der Nutzen für die Menschen, den die Weltraumtechnik erbringt, ist mittlerweile unumstritten. Nimmt denn doch schon jeder Europäer und jeder zweite Erdenbürger tagtäglich Leistungen in Anspruch, die ohne die Hilfe aus dem All unmöglich wären. Beispiele: ohne Raumfahrt keine weltweiten TV-Sendungen, Telefonate und Internetdienste, ohne Raumfahrt keine Navigationssysteme in Autos, Flugzeugen und Schiffen, die einen zielgenauen Verkehr ermöglichen, ohne Raumfahrt keine verbesserten Wetterprognosen und globale Umweltüberwachung usw. usf. All diese weltumspannenden Dienste für die Menschen sind mittlerweile so alltäglich und selbstverständlich geworden, dass wir es kaum noch wahrnehmen, wem wir das zu verdanken haben.

In seinem Eröffnungsvortrag „Weltraumtechnik zum Nutzten der Menschheit“ hob der Verfasser dieser Zeilen gerade auch diesen Umstand hervor, nachdem er die grundlegenden Beiträge des siebenbürgisch-sächsischen Raumfahrtpioniers Hermann Oberth umrissen hatte. In Klartext sind dies wohl:
  • Oberth ist der erste und einzige Frühpionier der Raumfahrt, der nicht nur ein Einzelproblem dieser technisch-wissenschaftlichen Disziplin untersuchte, sondern auch ein Gesamtkonzept vorlegte, das – angefangen von den technisch-physikalischen Grundlagen über die konstruktionstechnischen Details bis hin zu den biologischen und medizinischen Fragen – sämtliche Raumfahrtaspekte umfasst.

  • Oberth war wiederum der erste unter den großen Frühpionieren der Raumfahrt, der nicht nur die technisch-wissenschaftliche Seite des Problems ergründete, sondern darüber hinaus auch die wirtschaftliche, kulturelle und philosophische Dimension der Raumfahrt erkannte, das also, was Weltraumtechnik für kommende Generationen bedeutet: eine neue Dimension menschlicher Existenz und Kreativität, eine Möglichkeit, die Grenzen zu überwinden, die durch den endlichen Charakter des terrestrischen Raumes, seiner Ressourcen und Energiereserven vorgegeben sind. Oberth beantwortete damit nicht allein die Fragen nach dem Wie und dem Womit, sondern gleicherweise auch die viel wichtigere Frage nach dem Wozu.

  • Und was wiederum von fundamentaler Bedeutung ist: Auch die praktische Verwirklichung der Raunfahrtidee ist über Oberth und über die vom ihm begründete „Schule der Raketentechnik“ verlaufen.

Damit wird deutlich: Die Entwicklungsgeschichte der Raumfahrt kennt keinen zweiten Frühpionier, dessen wissenschaftliche und erfinderische Leistung der Oberthschen weder quantitativ noch qualitativ ebenbürtig wäre. Und, was ganz besonders zählt, von dem die Effektivität der Leistung so eindeutig dokumentiert wird. Hermann Oberth ist und bleibt somit der wirkliche Begründer der wissenschaftlichen Astronautik und Weltraumtechnik – der eigentliche Vater des Raumzeitalters.

Ergänzende Vorträge zur Entwicklung der Raketentechnik und Raumfahrt boten dann die aus Bukarest angereisten Wissenschaftler und Forscher: Dr.-Ing. Dan R. D. Rugescu und Prof. Dr.-Ing. Corneliu Berbente vom Institut für Luft- und Raumfahrtwissenschaften „Elie Carafoli“ der TU Bukarest sowie Dr.-Ing. Florențiu Moraru, Dr.-Ing. Vasile Nuțu und Dipl.-Ing. Ioan Iancu von der Technischen Militärakademie Bukarest. Mit besonderem Interesse wurde der Beitrag von Dr. Christoph-Friedrich von Braun verfolgt, der in seinem Vortrag („Ruhm und Bürde eines Namens“) eine Vielzahl von persönlichen Begegnungen und Erlebnisse mit seinem Onkel Wernher von Braun schilderte. Über dessen Leistun- gen, von denen vor allem die Entwicklung der Mondrakete Saturn V hervorragt, die von 1969 bis 1972 zwölf Amerikaner auf den Mond brachte, brauchte er wohl nicht zu berichten, da diese allen einschlägig Informierten durchaus bekannt sind.

Zum Abschluss erhielten dann auch zwei museale Einrichtungen „ihre Bühne“: Karlheinz Rohrwild, Direktor des Hermann-Oberth-Raumfahrt-Museums e. V. (HORM), stellte das Feuchter Museum vor, während Mircea Țiplea, Leiter der Mediascher Schwester-Einrichtung, in einem gelungenen DVD-Film das 1994 eingeweihte Oberth-Gedenkhaus präsentierte.

Conrad Haas als Pazifist und Europäer

Über Conrad Haas gab es bei der ersten Tagung zwei einschlägige Referate („Die frühe Geschichte der Raketentechnik in Siebenbürgen“ von Doz. Dr.-Ing. Cristian Deac und „Das Manuskript Varia II 374 dargestellt in der rumänischen und internationalen Presse (1963-1973)“ von Dr.-Ing. Alexandru Dan Todericiu). Eine dem Erfinder der Mehrstufenrakete gewidmete Tagung fand am 22. und 23. Mai unter dem Titel „Conrad Haas im Hermannstädter Raum“ statt. Als Veranstalter der zahlreichen Vorträgen, Ausstellungen, der Vorstellung der Handschriften von Haas im Staatsarchiv, der Begehung eines „Haas-Weges“, den man demnächst einrichten will, u.a.m., zeichnete der „Verein der Hermannstädter Pazifisten“. Der von Architekt Constantin Lăcătuș intiierte und geleitete Verein sieht sich in der Tradition des Conrad Haas aufgrund dessen Vermächtnis: „Aber mein Rath mehr Fried und kein Krieg, die Büchsen do sein gelassen unter dem Dach, so wird die Kugel nit verschossen, das Pulver nit verbrannt oder nass, so behielt der Fürst sein Geld, der Büchsenmeister sein Leben; das ist der Rath so Conrad Haas tut geben“. Damit ist und bleibt Haas nämlich der erste bekannte Waffeningenieur und Raketenpionier seiner Zeit, der die kriegerische Verwendung seiner Entwicklungen verurteilt und sich für die friedliche Benutzung der Rakete einsetzt.

Und noch etwas zeigt die Biografie des Conrad Haas: Er war damals schon ein ausgesprochener Europäer. Aus dem bayerischen Landshut, von wo seine Eltern und Vorfahren stammten, kam er nach Österreich, wo er es zu beachtenswerten Leistungen als Zeugwart und Büchsenmeister brachte; die ihn (1551) wiederum in das siebenbürgische Hermannstadt führten, wo er sein Werk vollendete. Gut zu wissen in einem Land, das soeben der Europäischen Union beigetreten ist.

Oberths-Gedenkhaus in Mediasch für die Zukunft gesichert

„Auf den Spuren Hermann Oberths – Ausflug nach Mediasch und Schäßburg“ lautete das Konferenzprogramm für den 18. Mai. Alle 30 Referenten und Mitwirkenden bestiegen den gepflegten Reisebus, der uns in die beiden Städte brachte, wo so intensiv und erfolgreich Raumfahrtgeschichte geschrieben wurde. Erste Station war das 1994, zum 100. Geburtstag von Hermann Oberth, eröffnete Gedenkhaus in Mediasch. Ein Erlebnis vor allem für die sechsköpfige Gruppe, die vom Oberth-Museum in Feucht bei Nürnberg nach Siebenbürgen gekommen war, um hier in Mediasch ihre Schwester-Einrichtung zu erleben. Die Eindrücke waren positiv, die Gespräche fruchtbringend: gegenseitige Besuche von Schüler- und Jugendgruppen werden vereinbart, neue Einrichtungs- und Forschungsprojekte besprochen. Das freute Bürgermeister Daniel Thellmann, der diese kulturelle Einrichtung seiner Stadt „mit Leben erfüllen“ will. Wie dies geschehen kann, war Gegenstand eines ausführlichen Gespräches bei einem Empfang im städtischen Rathaus. Dabei gab es nicht zuletzt auch ein juristisches Problem zu lösen, um das Weiterbestehen des Oberth-Museums in Mediasch unter den neuen Eigentumsverhältnissen zu gewährleisten. Nachdem das Haus seinen ursprünglichen Besitzern mit allen Rechten und Pflichten zurückgegeben wurde, stellt sich nämlich die Frag: Wie soll es damit weitergehen? Natürlich nur so, dass alles so bleiben kann, wie es ist: Ein Gedenkhaus, in dem die bahnbrechenden Leistungen seines Erbauers für die Zukunft dokumentiert werden. In diesem Sinne überträgt Frau Dr. Erna Roth-Oberth die Nutzungsrechte kostenfrei an das Mediascher Rathaus – zweckgebunden und für unbefristete Zeit!

Was selbst die junge Oberin in Dunesdorf weiß

Ziel in Schäßburg waren die unter Unesco-Schutz stehende Altstadt mit ihren Sehenswürdigkeiten, die von Hermann Oberth besuchte Bergschule, sein Denkmal am Hermann-Oberth-Platz und das ehemalige Oberth-Haus in der Spitalsgasse, wo seine Tochter Erna geboren wurde. Der Aufstieg zur Bergschule und Bergkirche war recht beschwerlich, überall wurde gebaggert, gegraben, gebaut oder restauriert. Von den optischen Eindrücken vom Großen und Kleinen Ring von Hermannstadt richtig verwöhnt, kam einem hier nun so manches recht trostlos vor. Ja selbst im Stern, dem ehemals berühmten Gasthaus der Stadt, versuchten wir vergebens einen Kaffee zu bekommen. Man verwies uns an die „Cabana Dracula“, die vor Dunesdorf großzügig erbaut wurde. Doch als wir dort anhielten, standen bereits drei Reisebusse auf dem Parkplatz. Professor Bologa versuchte es trotzdem. „Alles besetzt und reserviert“, beschied ihn die junge Oberkellnerin. Alle Überredungskünste fruchteten nicht – bis er, einfallsreich, hinzufügte: „Aber in der Gruppe befindet sich auch die Tochter von Hermann Oberth!“ Das sei freilich was ganz anders, entgegnete die 21-jährige Oberin, „die andern sollen halt warten.“ Und so bekamen wir alle das Gewünschte, die einen ihren Kaffee und Kuchen, andere ihren „papanaș“ mit Sahne, ja sogar „mici“ mit Senf und Bier dazu wurden einem nicht abgeschlagen – und das alles nur, weil im siebenbürgischen Dunesdorf selbst eine Kellnerin weiß, wer Hermann Oberth ist.

Dr. Hans Barth

Schlagwörter: Kulturspiegel, Kulturhauptstadt, Oberth, deutsch-rumänische Beziehungen, Technik

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