12. Januar 2010

„Untote“ Securitate

Am 7. und 8. Dezember 2009 fand im Haus der Sudetendeutschen Stiftung in München die Tagung „Deutsche Literatur in Rumänien im Spiegel und Zerrspiegel der Securitate-Akten“ statt. Veranstalter waren das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas e. V. (IKGS) an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der rumänische Nationale Rat für das Studium der Securitate-Archive (CNSAS – „Consiliul Național pentru Studierea Arhivelor Securității“). Möglich wurde die Tagung erst zwanzig Jahre nach dem Sturz der kommunistischen Diktatur in Rumänien, nachdem dem 1999 gegründeten CNSAS Teile der erhalten gebliebenen „gesammelten Securitate-Werke“ vom Rumänischen Informationsdienst übergeben worden waren.
Rund 250 Tagungsteilnehmer wollten in München nicht nur die betroffenen Schriftsteller, Literaturkritiker und Verleger hören, sondern auch die eingeladenen CNSAS-Mitarbeiter, die sich hauptberuflich mit 24 km Aktenmaterial auseinandersetzen, das der Kontrollwahn des Staates produziert hat.

Nach den Grußworten des Direktors des IKGS, Prof. h. c. Dr. Stefan Sienerth, der Generalkonsulin von Rumänien in München, Brândușa Ioana Predescu, von Prof. h. c. Dr. Konrad Gündisch (in Vertretung des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien) und des Präsidenten des CNSAS, Univ.-Doz. Dr. Laudislau Antoniu Csendes, folgten Vorträge der CNSAS-Mitarbeiter über die Struktur und Arbeitsweise der Securitate. Mit der Erläuterung des Zusammenhangs zwischen dem Totalitarismus und der Ablehnung des Multikulturalismus durch das nationalkommunistische Regime Rumäniens steckte Csendes ein weites Feld ab. Nach 1948 wurde die Securitate als wirksames Instrument des staatlichen Terrors geschaffen und als repressives Allzweckmittel gegen jede Form der Abweichung von der vorgegebenen Norm eingesetzt, so dass der „Dauerkrieg“ als gesellschaftlicher Zustand etabliert wurde. Das Zurechtstutzen der Vielfalt zu überschaubaren Ausprägungen der Uniformität setzte sich bis in die architektonische Ausdruckslosigkeit der Plattenbausiedlungen fort. Demgegenüber sei der Sturz des Regimes auf das konzertierte Zusammenwirken „des Unterschiedlichen“ zurückzuführen, betonte Csendes.
Helmuth Frauendorfer, Hellmut Seiler und Gerhard ...
Helmuth Frauendorfer, Hellmut Seiler und Gerhard Csejka (v.l.n.r.) beim Betrachten von Observationsfotos, die von dem damals in Neumarkt lebenden Lehrer Seiler sogar bei Nacht mit Infrarotfilm von Mitarbeitern der Securitate aufgenommen wurden. Foto: Konrad Klein
An der Tagung beteiligten sich Dr. Bernd Fabritius, Bundesvorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, und Bernhard Krastl, Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Banater Schwaben. In einem Gespräch mit Csendes thematisierte Fabritius die Beobachtung der Landsmannschaften durch die Securitate und kündigte umfassende Aufklärung über Art und Inhalt dieser Einwirkung an. Ein entsprechendes Forschungsprojekt bei der CNSAS wird angepeilt, Anträge wurden bereits in Bukarest gestellt.

Univ.-Doz. Dr. Virgiliu Leon Țârău, Vizepräsident des CNSAS, befasste sich mit dem von der Securitate als „deutsches Problemfeld“ etikettierten Untersuchungs- und Überwachungsbereich, wobei er den Schwerpunkt auf der Zeitspanne 1970–1980 setzte. Er legte dar, wie und aus welchen Gründen man als Deutscher ins Visier der Securitate geraten konnte und welche Kreise diese als besonders gefährlich einstufte. Nach 1968, im Zuge der Bürokratisierung und Professionalisierung der Behörde, stellte Țârău eine Phase der intensiven Beobachtung der „Werktätigen deutscher Nationalität und Sprache“ fest – angesichts ihrer immer akuter werdenden „nationalistischen Umtriebe“.

Liviu Burlacu, wissenschaftlicher Mitarbeiter des CNSAS, sprach über die Maßnahmenpläne der Securitate bezüglich der deutschen Schriftsteller in Rumänien. Dabei kamen interessante Details hinsichtlich der Eröffnung und des Verlaufs eines „operativen Vorgangs“ („Dosar de urmărire informativă“) zur Sprache – von der Anwerbung inoffizieller Mitarbeiter über die Arbeitsteilung innerhalb der Behörde bis zu den einschüchternden Droh-Methoden der Abmahnung und Verwarnung. Auf die Informanten, die auf deutsche Schriftsteller angesetzt wurden, ging Cristina Anisescu näher ein. Sie erklärte den Begriff „informatives Netzwerk“, das aus dem für den jeweiligen Fall zuständigen Offizier und weiteren hauptamtlichen Mitarbeitern zusammengesetzt war, weiterhin aus Informanten, „Residenten“ (IMs, die sich durch „verdienstvolle Mitarbeit“ das Vertrauen der Überwacher erworben hatten), aus Unterstützungspersonal (zuständig für die Wiedergabe von allgemeinen Stimmungsbildern) und „Gastgebern“, die Räumlichkeiten für konspirative Treffen mit den Informanten zur Verfügung stellten.

Dr. Georg Herbstritt (Stasiunterlagenbehörde Berlin) referierte zum Thema: „Doppelt überwacht: Warum sich neben der Securitate auch die DDR-Staatssicherheit mit rumäniendeutschen Schriftstellern befasste.“. Rumäniendeutsche Autoren und Germanisten, vom Bukarester Regime zeitweilig als Aushängeschilder und Beweise vermeintlicher Liberalität und Offenheit gegenüber dem Westen instrumentalisiert, waren dem DDR-Geheimdienst, der an literarische und literaturwissenschaftliche Werke strenge ideologische Maßstäbe anlegte, ein Dorn im Auge. Infolgedessen wurden sie - aus verschiedenen Gründen und auf unterschiedliche Weise - von beiden Geheimdiensten bespitzelt.

Im Bestreben, das Andersartige zu nivellieren, hortete der rumänische Geheimdienst schier endloses Informationsmaterial, das zum gegebenen Zeitpunkt als Mittel der Repression eingesetzt werden konnte. Allein etwa 300 Meter Aktenmaterial wurde über die deutsche Minderheit zusammengetragen – im Grunde auch Dokumente der Unsicherheit der Securitate im Umgang mit den Rumäniendeutschen. Schubladen für potentielle Staatsfeinde und ihre möglichen Betätigungsfelder wurden fabriziert, Strategien für den „Ausverkauf“ der deutschen Bevölkerung in den Westen ausgeklügelt. Über dieses noch längst nicht aufgearbeitete Kapitel berichtete Prof. h. c. Dr. Stefan Sienerth in seinem Beitrag „Operative Vorgänge im Problemfeld ‚Deutsche Faschisten und Nationalisten’. Anmerkungen zu den Aktionen ‚Epilog’ und ‚Scutul’ in den Jahren 1971–1976“.
Hans Bergels Beitrag geriet zu einer ...
Hans Bergels Beitrag geriet zu einer Generalabrechnung mit den auf ihn angesetzten Infor­manten, wobei auch Klarnamen genannt wurden. Nicht mal Persönlichkeiten wie der His­toriker Dr. Ernst Wagner wurden dabei verschont. Links im Bild: Dr. Peter Motzan. Foto: Konrad Klein
Die nachfolgenden Referenten widmeten sich aufgrund ihrer Einsichtnahme in die jeweils eigene Securitate-Akte relevanten Fallbeispielen. Dr. h. c. Hans Bergel repräsentierte auf der Tagung als Einziger eine Schriftstellergeneration, welche die Härte der stalinistischen Ära auch in mehreren Gefängnisjahren zu spüren bekam. Seine Oppositionshaltung gegen das kommunistische Regime brachte Bergel schon 1947 ins Visier der Behörden, damals als Aktiver im antikommunistischen Untergrund. Seine Verfolgung kulminierte im „Prozess der deutschen Schriftstellergruppe“ (1959). Nach seiner Auswanderung in die Bundesrepublik 1968 wurde er als Schriftsteller und Journalist vom rumänischen Auslandsgeheimdienst weiterhin beobachtet. Zwischen dem ersten Konflikt mit der Staatsmacht 1947 und Mai 1990, als Hans Bergels Akte geschlossen wurde, finden sich auf 10 000 beidseitig beschriebenen Blättern in insgesamt 14 Bänden Dokumente der Mitschuld, der Niedertracht und Kollaborationsbereitschaft, selbst im Westen lebender willfähriger Zuträger.

Wie buntscheckig-bizarr das Bild eines Schriftstellers und Verlegers diesem aus seiner Akte entgegentritt, ging aus Franz Hodjaks Ausführungen hervor. Aus dessen beiden Verfolgungsakten sah ihn das ihm „fremde Gesicht eines Staatsfeindes“ an. Nicht nur der Sammelwahn des Geheimdienstes, sondern auch der Eifer, mit dem die Informanten bereit waren, die Wirklichkeit zu entstellen, zu übertreiben und lügen, gehörte zum Verblüffenden dieser Tagung. „Ein Spatz und etliche Kanonen“ – mit diesem Bild brachte Hodjak das Verhältnis zwischen dem Einzelnen und dem Überwachungsapparat auf den Punkt.

Ein Phantombild entwirft die Akte von Prof. h. c. Dr. Peter Motzan, die dieser als „literarisches Gebilde“ und als Ergebnis eines komplexen und widersprüchlichen Zusammenspiels mehrerer Textsorten betrachtete: Berichte von 32 Informanten, zusammenfassende Kommentare der Führungsoffiziere, Ergebnisprotokolle geheimer Haus- und Dienstzimmerdurchsuchungen, Aufzeichnungen abgehörter Telefongespräche und abgelichtete Korrespondenz. Eine polyphone Person nahm da Gestalt an, die vom Berichtenden ohne heldenhafte Pose vermittelt wurde.

Gerhardt Csejka fand nicht nur, aber vorrangig als Spiritus rector der „Aktionsgruppe Banat“ über 3 000 Seiten Aktenmaterial zu seiner Person in den Archiven des CNSAS vor, was auf das Misstrauen und das Unbehagen hinweist, das der aufmüpfige Aufbruch junger Autoren aus dem Banat Anfang der 1970er Jahre bei den Aufpassern ausgelöst hatte. Gerhardt Csejka verlas auch eine nach einer Verwarnung der Securitate verfasste Erklärung Rolf Bosserts – ein erschütternder Ausdruck der existentiellen Sackgasse, in der er sich kurz vor seiner Auswanderung in die Bundesrepublik sah.

Aufklärungsprozess hat erst begonnen

Sarkastisch und treffsicher gestaltete der Schriftsteller Richard Wagner seinen Angriff auf die „untote“ Securitate. Er sprach über den Überlebenswillen und die heutige Geschäftstüchtigkeit ehemaliger Geheimdienstler, über das unbehelligte Dasein einiger ihrer ehemaligen Helfer in der Bundesrepublik und über seine Art des Kampfes mit dem Leviathan. Von Diskreditierung als bewährter Vorgehensweise des rumänischen Geheimdienstes berichtete auch William Totok, in dessen Beobachtung und Verfolgung ab 1970 über hundert Geheimdienstoffiziere involviert waren, eine im Verhältnis zur planwirtschaftlichen Leistungsschwäche des Landes mehrfach festgestellte überdimensionierte Ressourcenverschwendung. Prof. Dr. Anton Sterbling schilderte seine Überwachung durch die Reschitzaer Securitate in den frühen 1970er Jahren und stellte Fragen zu den Lücken in seiner Opferakte. In die Form eines arabischen Märchens goss Horst Samson die Behandlung mehrerer Banater Autoren durch Securitate-Schergen. Erschütternd und befreiend zugleich wirkte seine „Erzählung“ über den Protest der jungen Schriftsteller gegen die systematische Zurückdrängung des Kulturlebens der deutschen Minderheit in Rumänien auf jeden, der diese chauvinistischen Maßnahmen damals erdulden musste.

Der Autor Johann Lippet gewährte anhand seiner Securitate-Akte einen erhellenden Blick auf die Gratwanderungen, die ein Schriftsteller im kommunistischen Rumänien unternehmen musste, und auf die destruktive Tätigkeit der Denunzianten im Rahmen des deutschen Literaturbetriebs Rumäniens. Wie erbarmungslos die Securitate von einem jungen Autor Besitz ergreifen wollte, mit welchen unkonventionellen Methoden er sich aus ihren Fängen zu lösen vermochte und wie brutal er anschließend ihre Rache zu spüren bekam, davon berichtete Helmuth Frauendorfer. Nicht weniger fesselnd waren dessen Schilderungen der „Maßnahmen“ des rumänischen Auslandsgeheimdienstes gegen die nach West-Berlin emigrierten Schriftsteller der Banater Autorengruppe. Die Absurditäten der Securitate-Überwachung standen im Zentrum der anschaulichen und geistreichen Ausführungen des Siebenbürger Sachsen Hellmut Seiler, der in den 1980er Jahren befürchtete, dass die Securitate seine Verhaftung vorbereite, um ihn an der Ausreise in die Bundesrepublik zu hindern. Das Studium seiner Akte hingegen ergab, dass die Securitate ihn der Spionage für den Bundesnachrichtendienst verdächtigte und deshalb bezweckte, ihn zu einer raschen Ausreise aus Rumänien zu bewegen.

Die Münchner Tagung hat einen wichtigen Impuls zur Beleuchtung der Securitate-Tätigkeit gegeben, ein begrüßenswerter Anfang, der noch viele Fragen offen lässt: Wird die Enttarnung vieler „Täter“, die unter Decknamen operierten, hauptsächlich unter der Regie des CNSAS vonstatten gehen oder gewinnt die Notwendigkeit einer „Privatisierung“ des Aufklärungsprozesses die Oberhand? In welchem Verhältnis befindet sich die noch anstehende Aufklärungsarbeit zu dem von rumänischer Seite beschworenen Argument der „nationalen Sicherheit“? Die meisten der bisher eingesehenen Dossiers sind unvollständig. Die von den CNSAS-Mitarbeitern hochgehaltene Devise „Weiterkämpfen lohnt sich“ wird ihre Schlagkraft noch beweisen müssen, auch bei den CNSAS-Bemühungen, das rumänische Innenministerium oder den Auslandsgeheimdienst zur Herausgabe noch unter Verschluss stehender Akten zu bewegen. Man hatte es in München mit lebendiger Geschichte zu tun, mit der man sich noch lange auseinanderzusetzen haben wird. Die überraschende Selbstentlarvung des Dichters Werner Söllner, der den schleichenden Anwerbungsprozess durch den rumänischen Geheimdienst, dessen erpresserische Methoden und sein zeitweiliges moralisches Einknicken als verunsicherter Student beschrieb, stellt bloß eines von vielen Kapiteln der noch zu bewältigenden Vergangenheit dar. „Die Securitate ist ein toter Planet, die Satelliten kreisen aber weiter“, konstatierte nicht ohne Verbitterung Richard Wagner.

Olivia Spiridon

Hinweis der Redaktion: Informant der Securitate?

Um Missverständnisse auszuräumen, die wegen der Bildunterschrift (siehe oben) aufgekommen sind, veröffentlichen wir die Passage aus dem Vortrag Hans Bergels am 7. Dezember 2009 im Rahmen der Münchner IKGS-Tagung „Deutsche Literatur in Rumänien im Spiegel und Zerrspiegel der Securitate-Akten“, auf die sich die Bildunterschrift bezog

„Auf den Seiten 225-231 meines vom Consiliul Național pentru Studierea Arhivelor Securității in Bukarest unter der Nummer 15622/NSXS aufbewahrten Dossiers findet sich unter der Überschrift ‚Politica față de România a sașilor transilvăneni“ (Die Rumänien-Politik der Siebenbürger Sachsen) ein Schriftstück mit dem Datum 8. Juni 1976 und der Unterschrift Dr. Ernst Wagner. Wie das Schriftstück in den Besitz der Securitate kam, entzieht sich meiner Kenntnis ebenso wie der Umstand, ob es sich um einen Originaltext oder eine Übersetzung handelt. Der Inhalt des Schriftstückes versucht eine Widerlegung meiner in der 1976 veröffentlichten Menschenrechtsstudie ‚Die Sachsen in Siebenbürgen nach dreißig Jahren Kommunismus’ getroffenen Feststellungen.“

Lesen Sie zum Thema Securitate-Tagung auch:

Presseschau zur Münchner Securitate-Tagung

Interview mit Tagungsleiter Prof. h. c. Dr. Stefan Sienerth: "Aufklären ist ein Beitrag zur Versöhnung"

Schlagwörter: Securitate, Rumänien, Ceausescu, IKGS

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Neueste Kommentare

  • 30.01.2010, 10:22 Uhr von konradguen: Man sollte mit Bildunterschriften (die oft zuerst gelesen werden und haften bleiben) vorsichtig ... [weiter]

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