28. Mai 2010

Christoph Bergner: Deutschlands historische Verantwortung für Aussiedler und deutsche Minderheiten

Der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Dr. Christoph Bergner (CDU), hat in seiner Festansprache am 23. Mai in Dinkelsbühl die besondere geschichtliche Verantwortung Deutschlands sowohl für die aus Rumänien ausgesiedelten Deutschen, die heute in der Bundesrepublik leben, als auch für die deutsche Minderheit in Rumänien bekräftigt. Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern würdigte die kulturellen und zivilgesellschaftlichen Brücken, die die Siebenbürger Sachsen nach Rumänien schlagen, als Bausteine eines gemeinsamen europäischen Identitätsbewusstseins. Die Rede des rumänischen Innenministers bewertete Bergner als ein „historisches Zeichen“. Der Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland sei ein „wichtiger Partner für die Bundesregierung, wenn es um die Interessen der Aussiedler geht“. Bergners Rede wird im Folgenden im Wortlaut veröffentlicht.
Lieber Herr Fabritius, verehrter Herr Minister Blaga, verehrter Botschafter, Herr Oberbürgermeister, liebe Angehörige, Gäste und Freunde des Verbandes der Siebenbürger Sachsen,
auch ich darf Sie sehr herzlich grüßen und mich für die Einladung und das freundliche Willkommen durch Sie, Herr Fabritius, bedanken. Es ist mir immer eine große Freude, hier auf Ihrem traditionellen Heimattag sein zu dürfen und diese farbenprächtige Kundgebung zu erleben.

Die Heimattage demonstrieren in eindrucksvoller Weise die siebenbürgisch-sächsische Kultur und Ihre landsmannschaftliche Verbundenheit. Ich gratuliere Ihrem Verband zu diesem gelungenen Treffen und ich danke allen, die sich für diese Veranstaltung eingesetzt haben und dabei mitwirken. Es ist mir eine besondere Freude, Ihnen die Grüße und guten Wünsche der Bundesregierung, namentlich unseres Bundesinnenministers Dr. Thomas de Maizière, überbringen zu können, und ich darf einen besonderen Gruß der kollegialen Verbundenheit des deutschen Bundesinnenministers Ihnen, Herr Minister Blaga, überbringen. Dass Sie hier sind, ist nicht nur ein Zeichen der Verbundenheit mit Ihren früheren Landsleuten, sondern euch ein erfreuliches Zeichen der Verbundenheit zwischen Ihrem Land und der Bundesrepublik Deutschland. Herzlichen Dank für Ihr Hiersein.

Aussiedlerbeauftragter Christoph Bergner während ...
Aussiedlerbeauftragter Christoph Bergner während seiner Festrede in Dinkelsbühl. Foto: Lukas Geddert
Als Beauftragter für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten in Deutschland möchte ich noch einen besonderen Dank anschließen für das Verständnis, das Sie Ihren früheren Landsleuten bei der Lösung praktischer Probleme entgegengebracht haben und für die einladende Haltung der Kooperation mit Ihrem Lande, die auch in Ihrer Rede deutlich geworden ist. Ich glaube für jeden, der die Geschichte länger verfolgt, ist klar: Sie haben heute mit Ihrer Rede ein historisches Zeichen gesetzt. Dafür herzlichen Dank.

Besondere Verantwortung für Aussiedler und deutsche Minderheiten

Ich möchte diesen Heimattag auch nutzen, um die Versicherung der Bundesregierung zu verdeutlichen, dass wir uns auch in Zukunft mit den Deutschen aus Rumänien, mit den Siebenbürger Sachsen, die ihre über 850 Jahre alte eigenständige Kultur und Geschichte haben, verbunden fühlen. Und dies gilt auch für die Banater Schwaben, deren Landsmannschaftstreffen ich heute Nachmittag in Ulm besuchen werde. Dies gilt für alle Aussiedler und deutsche Minderheiten, es gilt für die Nachfahren der Deutschen, die im Zuge der europäischen Siedlungsgeschichte in die Landschaften Mittelost- und Osteuropas von der Wolga bis in den Banat gerufen wurden, als Siedler, Bauern, Handwerker, Bergleute, um dort zu leben und ihren Beitrag zum Aufbau des Gemeinwesens zu leisten, und die nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges für die Verbrechen des Nationalsozialismus und die Aggression Hitlers in kollektive Haftung genommen wurden, nicht weil sie für diese Gräuel unmittelbar verantwortlich, sondern weil sie Deutsche waren. Und deshalb hat der deutsche Staat neben der Verpflichtung der Wiedergutmachung und Versöhnung gegenüber den Opfern nationalsozialistischer Gewaltherrschaft auch immer die Verpflichtung zur Solidarität mit denen, die den Konsequenzen kollektiver Schuldzuweisungen ausgesetzt waren, weil sie als deutsche Minderheit im Ausland lebten. Und deshalb steht in unserer Koalitionsvereinbarung vom Oktober 2009: „Wir bekennen uns zu der besonderen Verantwortung für die Deutschen aus den Staaten in Mittelost- und Südosteuropa sowie den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die als Aussiedler zu uns gekommen sind oder als deutsche Minderheiten in diesen Ländern leben. Wir sind der Überzeugung, dass die deutschen Minderheiten wie auch die Vertriebenen und Aussiedler einen eigenständigen Beitrag leisten können, kulturelle und zivilgesellschaftliche Brücken zu den Ländern Mittelost- und Südosteuropas sowie in einige Nachfolgestaaten der Sowjetunion zu bauen. Wir werden daher die Förderung der deutschen Minderheiten fortsetzen.“

Kulturelle, zivilgesellschaftliche und natürliche Brücken nach Rumänien bauen

Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, dass ich diese programmatischen Sätze an einem solchen Festtag zitiere, an dem Tanz, Musik und Trachten im Vordergrund stehen. Aber wir befinden uns in einer Zeit der Jubiläen. Im letzten Jahr haben Sie das sechzigjährige Verbandsjubiläums gefeiert. Diesmal schmückt die Einladung der Hinweis auf 60 Jahre Siebenbürgische Zeitung und 25 Jahre Partnerschaft zu Dinkelsbühl. In solchen Jubiläumszeiten stellt sich die Frage: Wie geht es weiter? Wir möchten die Frage mit einer doppelten Antwort der Bundesregierung beantworten. Wir möchten sie beantworten, indem wir bei der Zusagen bleiben: Es bleibt bei einer besonderen Verbundenheit zu Ihnen, den Rumäniendeutschen in Deutschland, hier den Siebenbürger Sachsen, und den Deutschen in Rumänien.



Es gibt eine besondere geschichtliche Zusammengehörigkeit und Verpflichtung zur Solidarität. Die zweite Aussage lautet: Wir setzten darauf, dass Sie als Vertriebene und Aussiedler gemeinsam mit den deutschen Minderheiten einen besonderen, eigenständigen Beitrag leisten können, kulturelle, zivilgesellschaftliche und natürliche Brücken in die Herkunftsstaaten, in Ihrem Fall nach Rumänien, zu schlagen. Ich glaube, dass diese zivilgesellschaftlichen und kulturellen Brücken, die menschlichen Kontakte in ihrer Vielfalt aktuell eine besondere Bedeutung in der Europäischen Union haben. Wir spüren in diesen Tagen bei den Debatten um Geldwertstabilität und Hilfsaktionen für die Haushalte der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, dass das zusammenwachsende Europa auch ein gemeinsames europäisches Identitätsbewusstsein braucht. Denn das Gemeinschaftsgefühl erwächst nicht aus Kommissionsrichtlinien, Strukturfonds oder Stabilitätsauflagen, so wichtig diese alle sein mögen. Ein gemeinschaftliches, die Staatsgrenzen übergreifendes europäisches Identitätsgefühl hat viele Bausteine. Einer der Bausteine ist die Vielfalt europäischer Siedlungsgeschichte, als Landesherren im zwölften und später im 17. und 18. Jahrhundert deutsche Siedler in das heutige Rumänien riefen, wo sie eine eigenständige Kultur entwickelten, gute Nachbarschaft pflegten, mit allen Besonderheiten, die wir als gemeinsames, europäisches Kulturerbe betrachten dürfen.

„Europa braucht die kulturelle Kraft der Siebenbürger Sachsen“

„Europa braucht die kulturelle Kraft der Siebenbürger Sachsen“, habe ich auf Ihrem Heimattag 2006 an gleicher Stelle gesagt. Diese Aussage hat aus meiner Sicht eher an Bedeutung gewonnen. Wenn das gilt, dann haben Sie mit Blick auf unsere gemeinsame europäische Zukunft auch eine besondere Verpflichtung, Ihr kulturelles Erbe der Siebenbürger Sachsen zu pflegen, zu bewahren und mit Ideen und Leitbildern auszustatten, die in die Zukunft weisen. Dies geschieht auf vielerlei Weise, aber an prominenter Stelle hier in Dinkelsbühl. Man möchte der Stadt, Herr Oberbürgermeister, anlässlich der 25-jährigen Partnerschaft nicht nur gratulieren, sondern ihr zurufen: Sie erfüllen eine Aufgabe von europäischer Dimension. Und ähnliche Glückwünsche gehen an die Siebenbürgische Zeitung als einem Vermittlungsorgan mit dem Internetportal, das auch Brücken zwischen Rumänien und Deutschland, innerhalb Deutschlands, aber auch nach Übersee schlägt.

Verband der Siebenbürger Sachsen ist wichtiger Partner der Bundesregierung

Ganz besonders möchte ich die Arbeit ihres Verbandes würdigen. Lieber Herr Fabritius, Sie sind ein wichtiger Partner für die Bundesregierung, wenn es um die Interessen von Aussiedlern geht und „Gemeinsam unterwegs“ – das Motto dieses Heimattages – gilt aus meiner Sicht auch für unsere Zusammenarbeit. Ich danke Ihnen sehr herzlich für diese Zusammenarbeit, bei der Sie die Interessen ihrer Verbandsmitglieder, der Siebenbürger Sachsen und der Rumäniendeutschen insgesamt vorgebracht haben und die immer partnerschaftlich verlaufen ist. Eine Entwicklung, die nach meiner Beobachtung jüngeren Datums ist, freut mich außerordentlich. Vor zwei Jahren hat an dieser Stelle Klaus Johannes gesprochen, im letzten Jahr Martin Bottesch, Vertreter des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien. Sie, Herr Fabritius, waren im Januar dieses Jahres bei der Jahresplanungskonferenz des Bundesinnenministeriums für die deutsche Minderheit in Rumänien dabei. Ich glaube, aus alldem und auch aus dem Umstand, dass heute der Stadtpfarrer und Bezirksdechant aus Mediasch den Gottesdienst gehalten hat, können wir schließen: Sie haben wesentlich dazu beigetragen, dass der Verband hier und die deutsche Minderheit in Rumänien sich immer mehr als Einheit begreifen, und dies kann ich nur begrüßen. Botschafter Comănescu und ich haben daraus eine wichtige Schlussfolgerung gezogen, indem wir gesagt haben, in der nächsten Regierungskommission, die im September in Hermannstadt stattfinden wird, sollten nicht nur die Vertreter der deutsche Minderheit in Rumänien, sondern auch jene der beiden Verbände, der Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen, anwesend sein, denn wir wollen gemeinsam über Brücken und über gemeinsame Interessen beraten.

Drei Herausforderungen der Zukunft

Ich glaube, dieses Verständnis der Zusammengehörigkeit kann helfen Herausforderungen zu bewältigen. Ich nenne drei Gesichtspunkte.

Erstens: Die Zusammengehörigkeit ist für das Identitätsgefühl der Rumäniendeutschen hier in Deutschland sehr wichtig. Mir hat ein Aussiedler, ein Russlanddeutscher in dem Fall, ein Jugendlicher, der hier studiert hat und voll integriert ist, einmal gesagt: „Aussiedler in Deutschland, das sind Deutsche ohne Bundesland.“ Sie werden mir vielleicht widersprechen, weil jeder in Bayern oder andernorts schon Wurzeln geschlagen hat, aber die eigentlichen Herkunftswurzeln scheinen dies im Verständnis vieler, auch Jugendlicher, noch nicht zu sein. Deshalb, warum können wir im vereinten Europa nicht sagen: „Aussiedler in Deutschland, das sind Deutsche für die in Ihrem Fall die rumänische Landschaft Siebenbürgen wie ein Bundesland Herkunft und Bindung beschreibt.“ Ich finde, das wäre eine gute identitätsbildende Konstruktion.

Gemeinsam Leitbilder entwickeln

Zweitens: Diese Gemeinsamkeit ist aber auch wichtig für die deutsche Minderheit in Rumänien, die viel über ihre Zukunft nachdenkt, Thesen formuliert und diskutiert. Ich glaube, dass diese Partnerschaft Hilfe sein kann. Dabei geht es nicht darum, Vergangenes museal zu konservieren, sondern nach gemeinsamen Leitbildern für die Zukunft zu fragen. Auch für die deutsche Minderheit in Rumänien freue ich mich über die Bereitschaft zur Zusammenarbeit und Gemeinsamkeit.

Baustein für das gemeinsame Europa

Drittens, und das ist mir wichtig: Diese Gemeinsamkeit ist ein Baustein für das gemeinsame Europa. Als Vertreter der Bundesregierung und Mitglied des Bundestags habe ich die letzten Wochen in großer Aufregung verbracht. Wir beraten über finanzpolitische Rettungsschirme. Gleichzeitig gelten Sparauflagen für öffentliche Haushalte unterschiedlicher Länder, von denen auch Rumänien betroffen ist. Während hier in Deutschland über die Frage diskutiert wird, ob das unter Umständen nicht zu viel an Solidarität ist, erleben wir auf der anderen Seite, dass politisch Verantwortliche schwere Lasten und komplizierte Entscheidungen zu tragen haben. In dieser Situation wird deutlich, dass die Netzwerke, die Europa zusammenhalten, nicht nur in staatlichen Kreditzusagen bestehen können, sondern dass Europa auch Netzwerke der Anteilnahme, des Verständnisses für gesellschaftliche Herausforderungen und für Probleme mit ihren historischen Wurzeln braucht. Da denke ich, gibt es keine Gruppe in Deutschland, die die Situation in Rumänien, die Stärken und Probleme der rumänischen Gesellschaft so gut, so anteilsvoll, mit so viel Empathie wahrnehmen kann, wie die über 400 000 Rumäniendeutschen, die hier leben.

Weil wir in diesen Tagen so sehr spüren, dass zur europäischen Solidarität und Zusammengehörigkeit nicht nur Finanzströme, sondern vor allen Dingen Verständnis für die jeweilige Situation gehören, freue ich mich so, dass der Verband der Siebenbürger Sachsen und das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien den Weg der Zusammenarbeit gehen. Auch in dieser Hinsicht ist das Motto, dass Sie Ihrem Heimattag gegeben haben, gut gewählt: „Gemeinsam unterwegs“. Ich wünsche den Siebenbürger Sachsen, ich wünsche den Deutschen in Rumänien und in Deutschland, dem Verband der Siebenbürger Sachsen und dem Land Rumänien und unserem deutschen Vaterland alles Gute und Gottes Segen. Dankeschön!

Schlagwörter: Heimattag 2010, Aussiedlerfragen, Bundesregierung

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