Petersdorf, eine Reise in die Vergangenheit...

26. Dezember 2016

Sonstiges

Es war schon lange geplant, doch immer kam etwas dazwischen, das unsere Reise nach Petersdorf verhinderte. Diesen Sommer haben wir es tatsächlich geschafft: mein Mann Heiko und ich waren für 10 Tage in Petersdorf! Immer wenn ich im Vorfeld daran dachte, stellte sich ein merkwürdiges Gefühl ein; etwas von allem: Anspannung, Erwartung, und vor allem die Neugierde darüber, wie mein Mann, der noch nie in Siebenbürgen war, auf alles reagieren wird!
Wir flogen von München nach Herrmannstadt und sind dann mit einem Mietauto direkt Richtung Petersdorf gefahren. Dabei bekamen wir schon den ersten Eindruck von dem, was uns im Laufe der Reise noch des Öfteren begegnen sollte: die Straßen und der Verkehr haben sich seit meinem letzten Besuch (im Jahre 2005 anlässlich des Petersdorfer Treffens) sehr verändert.

Wir schafften es dank Navi und der Beschilderung und erreichten Mühlbach! Die Spannung stieg, ich erkannte einiges wieder, vieles aber auch nicht! Ich wollte unbedingt das Ortsschild fotografieren, verpasste es allerdings, weil der Übergang von Mühlbach nach Petersdorf fließend ist. Die beiden Orte sind fast zusammengewachsen, für mich eine echte Überraschung! Viele neue Häuser sind entstanden, einige sehr modern und vor allem fertig, viele stehen jedoch seit Jahren als Rohbau da und warten auf Vollendung!

Wir fuhren weiter in den Ort rein und die Spannung stieg. Ich war in Petersdorf, ich erkannte vertraute Häuser wieder und dann kamen wir an unserem Ziel an: bei meiner besten Freundin Gerti (Tochter von Letto Mai, die leider letztes Jahr verstorben ist!). Sie stand mit Ihrer Schwester Inge vor dem Tor und erwartete uns und mir ging das Herz auf! Es war tatsächlich eine Art „nach Hause kommen“, weil ich in diesem Haus gefühlt die Hälfte meiner Jugend verbracht habe! Wir wurden mit viel Herzlichkeit, einer schönen Torte und Blumen empfangen und waren endlich angekommen. Unser Zimmer war dasselbe, in dem ich als Jugendliche unendliche Stunden mit Canasta-Spielen, viel Kaffee und Zigaretten und noch mehr Lachen und Blödeln verbracht hatte.

Am selben Nachmittag noch zogen wir los. Ich wollte unbedingt auf die Bahnstrecke, die Straße und das Haus wiedersehen, in dem ich viele, meist schöne Jahre meines Lebens verbracht habe! Auf dem Weg dorthin sind wir an der Schule vorbeigekommen, die sehr gepflegt und ordentlich aussieht, dafür ist die Post eine Ruine!

Die Freude war sehr groß, als ich das Straßenschild entdeckt hatte. Nicht Strada Zorilor, wie ich es in Erinnerung hatte, sondern Bahnstrecke (zwar falsch geschrieben, aber die gute Absicht zählt!). Ich stellte mich in die Mitte der Straße, so konnte ich bis zum anderen Ende sehen! Ich konnte meinen Augen nicht trauen, die ganze Straße ist asphaltiert, Gras wächst in den Schienen, die Gehwege und die dazugehörigen Brücken sind einwandfrei hergerichtet, sogar grüne Müllbehälter stehen fein säuberlich am Wegesrand. Ich stand und staunte und fragte mich gleichzeitig: ist das nun besser oder schlechter? Es war auf jeden Fall ANDERS! Dieses Gefühl sollte die ganze Reise prägen und setzte sich über die gesamte Zeit durch! Es hat sich so viel verändert, vieles zum Guten, einiges ist nicht so schön, z. B. die vielen verlassenen und verfallenen Häuser! Gerade muss ich an die Worte von Herrn Pfr. Thomke in den Ausführungen zum Losungswort für das kommende Jahr denken: „Veränderungen sind allgegenwärtig, wir müssen damit leben und versuchen, nicht dem Alten nachzutrauern, sondern dem Neuen eine Chance zu geben“.

Wir gingen die Straße lang, vorbei an all den Erinnerungen: Kaffee trinken in der Nachbarschaft bei Pitter Del, Diete (Kwanka) und Sigrid (Pfaff), die ersten Zigaretten bei meiner Nachbarin Gerda (leider hat mein Vater mich dabei erwischt und mich bei jeder Gelegenheit, auf seine ihm eigene Art daran erinnert), bis zu den Villen. Auch an unserem Haus kam ich vorbei und auch hier war fast alles ANDERS!

Ich hatte die Spende unserer HOG für die Küche auf Rädern und den Friedhof dabei und wollte sie bei Herrn Boer abgeben. Wir kamen ohne vorherige Ankündigung dort an, Herr Boer arbeitete gerade im Garten, konnte seinen Augen nicht trauen, doch kurz darauf saßen wir alle gemütlich in der Laube bei einem Glas Wein, Sodawasser und Gebäck! Und da war es wieder, dieses vertraute Gefühl, zu Hause zu sein: da brauchte es keiner telefonischen Anmeldung, keiner Terminabsprache, SMS oder WhatsApp, wir klopften an und Herr Boer und seine Frau Maria ließen alles stehen und haben uns aufs herzlichste empfangen! Und dieses Mal war es nicht ANDERS, sondern genau wie immer.

Wir sind danach weiter gezogen, durch fast alle Straßen des Ortes, mein Mann sollte möglichst alle wichtigen Stätten meiner Kindheit und Jugend sehen. Ich war entsetzt, dass der Bach verschwunden ist und von dem Zustand der Gebäude, in denen früher die Fabrikarbeiter wohnten (Kaserne), aber auch angenehm überrascht von sehr vielen schön gepflegten Häusern.

Auch Kuriositäten haben wir erlebt, z.B.: die Bahnlinie ist schon lange stillgelegt, dafür steht ein nagelneues Verkehrsschild mit Hinweis auf eine noch aktive Bahn an der Ecke!

Selbstverständlich waren wir auf dem Friedhof und ich konnte erkennen, wie der Zahn der Zeit an allem genagt hat. Die Grünflächen und die Wege sind sauber, dafür ein herzliches DANKESCHÖN, an alle, die hart dafür arbeiten. Da sieht man, dass die Spenden für den Friedhof gut angelegt sind und nicht aufhören dürfen. Dass die unmittelbare Nachbarschaft keinen positiven Einfluss auf den Eingangsbereich hat, ist ja hinlänglich bekannt.

An unserem letzten Sonntag haben wir den Gottesdienst besucht und waren von den zahlreichen Besuchern überrascht. Sogar der Kirchenchor hat gesungen, wir waren sehr gerührt und beeindruckt.

Selbstverständlich waren wir auch in Mühlbach (wir durften sogar ins Lyzeum reingehen) und in Karlsburg. Dort waren wir auf der Burg. Alles ist sehr sauber und wunderbar hergerichtet.

Von Petersdorf aus haben wir zusammen mit Gerti und Inge eine Rundreise gestartet, haben Herrmannstadt, Rosenau, Bran, Kronstadt, Sf. Gheorge, Tusnad usw. besucht. Von Herrmannstadt waren wir sehr begeistert, die Innenstadt ist ein Juwel und alleine schon eine Reise wert. In Rosenau haben wir die Burg besucht und am nächsten Tag, selbstverständlich das „Dracula-Schoss“ in Bran.

Alles war sehr beeindruckend, mein Mann kann sich nun etwas unter Siebenbürgen im Allgemeinen und Petersdorf im Besonderen vorstellen.

Als wir unser Auto am Flughafen wieder abgegeben haben, war er allerdings mehr als erleichtert, dass bei den Straßenverhältnissen und vor allem bei der Art zu fahren, unser Auto und wir heil geblieben sind und alles gut gegangen ist!

Die Reise in die Vergangenheit war sehr schön und heilsam, ein ganz herzliches Dankeschön an Gerti und Inge dafür, dass sie es geschafft haben mir das Gefühl zu geben, die Zeit sei im positiven Sinne stehen geblieben. Ich habe mich rundum wohl und aufs herzlichste Willkommen gefühlt! Danke an Jörg und Maria Boer für diese unvergessenen Stunden in der Laube, vor allem aber danke ich Dir lieber Heiko, dass Du mich auf dieser Reise in meine Vergangenheit begleitet hast.

Gudrun Gransberger (geb. Binder)


Aus: Petersdorfer Nachrichten 2016, erhältlich bei Karin Frühn

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