13. Juli 2023

Brauchen wir eine neue Kulturpolitik? Informelles Treffen im Goethe-Institut Bukarest wurde zum Werkstattgespräch

„Brücke nach Europa“ – mit diesem Slogan betrieb das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR) Wahlwerbung bei den ersten freien Wahlen 1990 nach der kommunistischen Wende. Seither hat sich vieles geändert. Brückenbauer sein – damit können sich viele identifizieren, und der interkulturelle Dialog bereichert. Welches ist dessen heutiger Stand? Welches sind die kulturellen Interferenzen bilateraler deutsch-rumänischer und rumäniendeutscher Kulturpolitik? Muss sie lediglich aufgefrischt, erneuert werden, oder brauchen wir gar eine neue Kulturpolitik?
Kulturpolitische Gesprächsrunde in Bukarest: Dr. ...
Kulturpolitische Gesprächsrunde in Bukarest: Dr. Bernd Fabritius, Germanistikprofessorin Iliana-Maria Ratcu und Peter Maffay. Foto: Goethe-Institut Bukarest
Am Rande der mehrtägigen Treffen des deutschen und rumänischen Staatspräsidenten vor Pfingsten kam es auch zu einer informellen Gesprächsrunde im Goethe-Institut Bukarest zum bilateralen Kulturaustausch. Unter Moderation des Gastgebers Dr. Joachim Umlauf diskutierten die Teilnehmer über den Stand der deutsch-rumänischen Kulturbeziehungen und die Perspektiven der zukünftigen Zusammenarbeit. Mit dabei waren Dr. Bernd Fabritius, die Schriftstellerin Iris Wolff, der Rockmusiker und Betreiber eines Feriencamps für Waisenkinder Peter Maffay sowie der Literaturwissenschaftler, Übersetzer und Autor Ernest Wichner – allesamt rumäniendeutscher Herkunft. An der Diskussion beteiligten sich auch Dr. Klaus Fabritius vom Demokratischen Forum der Deutschen im Altreich, die Musikwissenschaftlerin Valentina Sandu-Dediu, Theaterexpertin Roxana Lapadat, die Germanistikprofessorin Iliana-Maria Ratcu und der Romancier Norris von Schirach.

Wichtig ist zu bedenken, dass sich unter den Rumäniendeutschen ein Generationswechsel andeutet. Der Erlebnisgeneration folgen jüngere Leute mit breitgefächerten Möglichkeiten in einer modernen Welt, die für Rumänien als Kulturraum, aber auch für dessen Sprache verstärkt begeistert werden müssen. Rumänisch zählt, anders als z.B. Französisch und Englisch, zu den sogenannten kleinen Sprachen, für die im Bereich literarischer Übersetzungen Handlungsbedarf besteht. Umgekehrt gibt es viele Rumänen, die sich für die deutschsprachige Literatur interessieren. Mit anderen Worten: „Das ist ein Patchwork“, erklärt Joachim Umlauf auf Anfrage, da zusammenwirkende Interessen nicht mehr trennbar sind. Insofern gibt es klare Überlappungen deutsch-rumänischer Kulturbeziehungen zusammen mit Rumäniendeutschen, aber eben nicht exklusiv. Das sei durchaus vergleichbar mit dem sozialen Engagement von Peter Maffay: Er wirkt in seiner angestammten Heimat, aber eben nicht nur für eigene Landsleute, sondern für alle, die Interesse und Bedarf haben.

Bernd Fabritius hingegen sieht sein Engagement über Maßnahmen zur Fortbildung von Deutsch als Fremdsprache hinausgehend auch für schulische Ausbildung von Deutsch als Muttersprache. Beides sei förderwürdig, und zwar nicht im Wettbewerb miteinander. Darauf angesprochen, fasst Bernd Fabritius zusammen: „Auch die deutschen Minderheiten sind Akteure der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Auch sie transportieren ein Deutschlandbild und deutsche Kultur in fremde Gesellschaftsstrukturen hinein.“

Das Goethe-Institut stemmt viele eigene Maßnahmen und partnerschaftliche Projekte. Der Praxistest zeigt es: In Klausenburg fand unlängst ein Workshop für literarische Übersetzungen statt. Für Daniela Boltres wäre eine solche Veranstaltung sogar jährlich sinnvoll. Ernest Wichner, dessen Übersetzung von Norman Maneas „Der Schatten im Exil“ eben erschienen ist, widmet sich neben eigener Lyrik auch weiterhin der etablierten rumänischen Literatur. Bereits im Herbst wird sich zeigen, ob seine gemeinsam mit dem Goethe-Institut Bukarest angedachten Maßnahmen realisierbar sind.

Kritik gibt es von außen aber auch. Gerade aus der gleichen Region stammend und im gleichen Alter wie Ernst Wichner bemängelte im Juni der Schriftsteller Horst Samson mehrfach in den sozialen Netzwerken die Kooperationsbereitschaft des Goethe-Institutes Bukarest. Er meint, es fällt „dadurch auf, dass es seit Jahrzehnten rumäniendeutsche Literatur rassistisch und in penetranter Ignoranz als nichtdeutsche, vielleicht sogar als ,undeutsche‘ Literatur ausgrenzt und für deren Verbreitung nichts Nennenswerte tut, es sei denn, sie zu unterdrücken!“ Joachim Umlauf stellt fest, dass man auf solche Art von Kritik kaum reagieren kann. Ansonsten gilt für ihn: „Gute Literatur wird gefördert, woher auch immer sie stammt.“ Unter seiner Ägide erschien 2022 eine Anthologie zeitgenössischer deutscher Lyrik in rumänischer Übersetzung, die auch zwei aus Rumänien stammende Autoren berücksichtigt.

Und genau darum geht’s bei rumänisch-deutschen Kulturbeziehungen in Zusammenarbeit mit Rumäniendeutschen auch: Literatur- und Sprachvermittlung, bidirektionale literarische Übersetzungen, Erinnerungen aus dem Elternhaus auf-, aber auch fiktional fortschreiben, in Verse fassen, die Geschichten von Menschen aufleben und neu entstehen lassen, Perspektiven neu entwickeln, (Kultur-)Beziehungen ausbauen und festigen – gemeinsam mit jenen, die heute in der alten Heimat leben. Denkbar ist, im Rahmen des großen Sachsentreffens im August 2024 in Hermannstadt auch einen Workshop für literarisches Schreiben und Übersetzungen zu organisieren. Angeleitet beispielsweise von den bereits bekannten Iris Wolff (Prosa) und Alexandru Bulucz (Lyrik), aber auch dem Wissenschaftler und Schriftsteller Radu Vancu und anderen etablierten Schriftstellern Hermannstadts unter Moderation einer Pädagogin und Germanistin wie Andrea Dumitru neue Texte in zwei Sprachen entstehen zu lassen, inspiriert von der historischen Altstadt Hermannstadts oder typisch sächsischer und rumänischer Bauerngehöfte im Freilichtmuseum „Astra“. Das ist ein prädestiniertes Beispiel für Maßnahmen im Sinne rumänisch-deutscher Kulturbeziehungen unter rumäniendeutscher Mitwirkung – für alle.

Brauchen wir dafür eine neue Kulturpolitik? Oder reicht zusätzlich zu Brauchtumspflege und Volkskunst eine angepasste Kulturpolitik? Angepasst an das Zeitgeschehen, angepasst an Interessen. Themen gibt es. Interessenten sind da. Akteure sind da. Institutionelle Unterstützung kann folgen. Jenseits von engen Förderregularien und Budgetkürzungen muss dafür ein Weg gefunden werden. Gemeinsam mit Kulturakteuren und dem regionalen DFDR-Vertreter haben Bernd Fabritius und Joachim Umlauf ergebnisoffen und in bester Werkstattmanier Gespräche geführt. Das macht Hoffnung.

Ortwin-Rainer Bonfert

Schlagwörter: deutsch-rumänische Beziehungen, Kulturpolitik, Goethe-Institut

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Neueste Kommentare

  • 19.07.2023, 00:18 Uhr von ingenius mobile: Grundsätzlich begrüße ich eine solche Diskussion, die sich als Werkstattgespräch bezeichnet und ... [weiter]

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