28. September 2023

Franz Hodjak: Schöpfer von Schlaf, Träumen, Gegenwelten

Franz Hodjak, gebürtiger Hermannstädter, ist fast 80 Jahre alt und kein bisschen müde. Kaum ist man mit der Lektüre der vier Gedichtbände, die er im letzten Jahr veröffentlicht hat, fertig geworden, schon gibt es Nachschub von ihm. „Im Ballsaal des Universums“ heißt seine neue, vom Ulmer Verlag danube books publizierte Lyriksammlung.
<br>
<br>
 ...


Der Strom seiner Gedichte reißt nicht ab, glücklicherweise, und wird inzwischen nicht einmal mehr von Kapitelmarken unterbrochen. Man liest Gedicht nach Gedicht, im Ohr noch das Echo der vorigen: „Mit mir hätte ich weniger zu tun gehabt, / hätte es diese anderen nicht gegeben, die gewaltsam / versuchten, die Sprache zu besetzen, die Erinnerung // zu enteignen, mich aus den Träumen zu werfen“, schrieb Hodjak im Gedicht „Nachtrag“, erschienen im Band „Alles wurde privatisiert, selbst die Funklöcher und die Schatten in Platons Höhle“ (2022). Unmetaphorischer lässt sich das Paradox seiner Erleidenslyrik nicht formulieren. Ohne jene anderen wäre das Leben unbeschwerter verlaufen, ohne sie hätte es jedoch keine poetische Selbstbezeugung gegeben. Sprechen, Erinnern, Träumen wären selbstverständliche Kommunikationsformen geblieben und nicht zum schützenswerten Kapital des Menschen geworden, der, indem er es verteidigt, zu einem genuinen Dichter auf dem Weg zu fundamentalen Einsichten wird. Nur müssen Leiderfahrungen nicht zwingend politischer Natur sein – Hodjak spielt auf den von ihm schmerzlich erlebten rumänischen Kommunismus an –, um die Grundlage von Erleidenslyrik zu bilden. Ihr kann alles Leid der Welt Grund genug sein.

Auch „Im Ballsaal des Universums“ ist eine biografisch motivierte Auseinandersetzung mit dem Selbst und auf existenzielle Differenzen angewiesen: „je mehr die Welt / von unseren Vorstellungen abweicht, / desto origineller ist sie“, heißt es einmal, und ein andermal: „Aus allen Richtungen / kamen wir, Andersdenkende, / Andersgläubige, Andersfarbige.“

Erleidenslyrik tritt hier einerseits in Gestalt von Zynismus auf, mit dem neue wie alte Herausforderungen und Missstände überzogen werden, wobei Hodjak seine Lebensanschauung, wie aus dem instruktiven Nachwort von Enikő Dácz hervorgeht, als konstruktiv verstanden wissen will, als Selbstschutz, etwa vor kapitalistischer Ideologie: Die Wandertouren der EZB finden „auf dem Schuldenberg“ statt und sehen „exklusive Übernachtungen“ und ein „lukullisches Picknick“ vor; Hoffnung ist das Produkt von Rätselangeboten. Es ist ein Zynismus, der Träume und Illusionen hinter sich gelassen hat, mit einer Ausnahme, der einzigen vielleicht: Musik. Sie schaffe die schönsten Illusionen.

Andererseits als Gedankenlyrik, in der das Erleben philosophisch durchdrungen ist und nur noch als Schatten auf die Schlussfolgerungen, Pointen, Aphorismen fällt, die aus ihm gezogen wurden und sich zu einem Referenz- und Korrespondenzsystem über Gedichte und Gedichtbände hinweg collagieren. Ein Beispiel: Das Eingangsgedicht „Flucht“ korrespondiert mit dem Gedicht „Man kommt“. „Je leichter / das Gepäck, / umso endgültiger bis du / gegangen“, heißt es in jenem. Erinnerungen sind „das schwerste Gepäck“, weiß wiederum dieses.

Auch die Naturlyrik des Bandes ist voller Ernüchterung. Sie trägt Spuren der Gewalt. Die Kormorane beseitigen Blutflecken; der Fluss zeigt immerhin Haltung und „gibt seine Leichen / nicht der Schaulust preis“; der Naturliebhaber möchte am liebsten mit den Bäumen tanzen, um „ihnen / das Bewusstsein dessen // zurückzugeben, was sie und / ihr Stolz einmal waren“.

Es ist also nicht so, dass hier nur Zynismus herrschte. Die Traurigkeit angesichts des desolaten Zustands der Welt zeigt sich bisweilen ungeschützt. Die Tänze, die getanzt werden, sind traurige Tänze, selbst wenn der Tanzende ein Harlekin ist: „Der Herbst / war immer schon die Zeit / der scharfen Konturen, der Verluste, des / Einmaleins des Überlebens“: „Endlich findet / zusammen, was zusammengehört, nämlich / der Harlekin und der letzte Tanz.“

Trotz allem gibt es auch Momente des Widerstands. Er zeigt sich an der Definition der Künstler als „Vaganten“ oder als „Schöpfer von Schlaf, Träumen, / Gegenwelten“ und daran, dass sie ihre Liebe zur Sprache als gefährdet ansehen, sei es, weil der Nachbar mit der Axt auf die Sprache einschlägt oder weil nicht ausgemacht ist, „dass die Geschichte doch / noch die Kurve / kriegt“. Liebe zur Sprache, das ist eine mögliche Übersetzung des Worts „Philologie“, und die Aufgabe des dichtenden Philologen, so sieht es Hodjak, besteht darin, die Wörter „besser miteinander / bekannt zu machen“.

Man staunt einmal mehr über die poetisch-philosophische Kraft, die Franz Hodjak aus individueller Erinnerung bezieht und die er kollektiven Gedächtnissen abringt. Ausgestattet mit einem selten gewordenen Geschichtsbewusstsein beweist er auch in „Im Ballsaal des Universums“, dass es möglich ist, als skeptischer Gesellschaftsanalytiker Gedichte ohne ästhetische Einbußen zu schreiben. Zwischen den Zeilen empfiehlt er uns die Wiederlektüre seines Bruders im Geiste Johannes Bobrowski. Wir sollten der Empfehlung nachkommen

Alexandru Bulucz

Franz Hodjak: „Im Ballsaal des Universums“. danube books Verlag, Ulm, 2023, 124 Seiten, 20 Euro, ISBN 978-3-946046-35-6.

Lesen Sie dazu auch:
Helle Nächte in den Karpaten
„In den verschachtelten Sätzen wohnen“

Schlagwörter: Hodjak, Lyrik, Buchvorstellung

Bewerten:

33 Bewertungen: +

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.