6. Oktober 2023

Erster Dorfschreiber überreicht letzten Dorfschreiberpreis in Katzendorf: Gedenken an Heinrich von Wlislocki in Bildern, Musik und Worten

Ein Stipendium für einen Stadt- oder auch einen Dorfschreiber auszuloben, ist eigentlich ein PR-Gag, um Anlässe zu schaffen für die Auseinandersetzung mit Belletristik, für zwanglose Begegnungen und Inspiration, kurz, um Kunst und Kultur zu fördern. Auch der Dorfschreiberpreis von Katzendorf, den Frieder Schuller seit 1992 in unregelmäßigen Abständen im ehemaligen Pfarrhaus in Katzendorf vergibt, hat das Ziel, bestimmte Themen oder einzelne Künstler ins Scheinwerferlicht der Medien zu stellen, einen unmittelbaren Zugang zu Kunst und Künstlern zu schaffen, Vertreter verschiedener Nationalitäten zusammen zu bringen und den Rahmen für unbeschwerte und originelle Feste zu schaffen.
Auf der Hutweide mit den tausendjährigen Eichen ...
Auf der Hutweide mit den tausendjährigen Eichen bei Streitfort (Mercheaşa) lasen die Gäste des Dorfschreiberfestes 2023 Roma-Gedichte vor, die der Tsiganologe Heinrich Adalbert von Wlislocki gesammelt und übersetzt hatte. Foto: Margrit Csiky
Der Reiz der Katzendorfer Veranstaltungen besteht nicht zuletzt darin, dass rund um die Kirchenburg Frieder Schullers Fantasie-Welt und die Realität ineinanderfließen. Jedes Fest ist irgendwie zuerst vor seinem inneren Auge entstanden, wie ein Drehbuch für einen Film. Er legt die Szenerie fest, sei es die Hutweide mit den fast tausendjährigen Eichen bei Streitfort (Mercheaşa), wo alle Gäste – gleichsam die Statisten in dem Film – Gedichte aus dem Bändchen „Haideblüten“ von Wlislocki vorlesen. Auch der wunderschön gedeckte Mittagstisch unter Bäumen im Garten oder die Papierbögen mit Gedichten, die für die Dauer von einem Tag an Ästen hängen, so dass man zwischen ihnen spazieren gehen kann, würden in einem Film gut wirken, denn sie schaffen eine einmalige Atmosphäre. Nichts muss perfekt sein und doch sind viele Dekos liebevoll bis ins kleinste Detail geplant: Die gelben Blumensträuße in den siebenbürgischen Krügen, Bücher und Gedichte, die wie zufällig rumliegen, sind so drapiert, dass sie das Thema ergänzen, dass sie anregen. Angegebene Uhrzeiten dienen nur zur Orientierung. Wichtig ist es dem Hausherrn, dass sich die Gäste wohlfühlen und aus Freude am Schaffen und am Sich-Mitteilen ihre Ideen und Werke präsentieren. Ein weiteres Geheimnis seines Erfolgs sind natürlich auch die Speisen, die auf den Tisch kommen: einfach, bodenständig, schmackhaft und in anregender Gesellschaft.

Konrad Klein mit einer seiner Schautafeln bei ...
Konrad Klein mit einer seiner Schautafeln bei seinem Vortrag, mit dem er die Persönlichkeit des Tsiganologen Heinrich von Wlislocki lebendig werden ließ. Foto: Margrit Csiky
Zu den Preisträgern, die in den früheren Jahren gefeiert wurden, gehören beispielsweise der emeritierte Leipziger Hochschulprofessor Elmar Schenkel, Jürgen Israel, ein deutscher Schriftsteller und Verlagslektor, die siebenbürgische Autorin Dagmar Dusil, der Dramatiker Thomas Perle und der Verleger Traian Pop, denen die Preise immerhin einige Publicity gebracht haben.

Für das Jahr 2023 hatte Frieder Schuller nun eine ganz neue Idee: Da es anfangs schien, als müsse das Fest ganz ohne institutionelle Förderung auskommen, entschied er, den Preis posthum zu vergeben, und zwar an den siebenbürgischen Tsiganologen Heinrich Adalbert von Wlislocki (1856-1907).

In der Einladung versprach er: „Beiläufig, fast vergessen, trotz seiner Einmaligkeit, soll Wlislocki neben dem unbekannten Grab in Mühlbach/Sebeș auch in Katzendorf eine lebendige Bleibe für eine kleine Ewigkeit haben.“

Dafür, dass die Persönlichkeit des Tsiganologen vor dem inneren Auge der Zuschauer wirklich lebendig wurde, sorgte der siebenbürgische Autor und ehemalige Lehrer Konrad Klein mit seiner lebhaften Erzählung, mit Fotos und Postern. Er zeichnete den Lebensweg des Volkskundlers, Sprachwissenschaftlers und Übersetzers nach und berichtete von den eigenen Forschungsreisen auf der Suche nach Wlislockis Spuren. Spannend war sein Bericht über die erfolgreiche Suche nach dem Elternhaus des Gefeierten, das er in der Postăvarului-Straße Nr. 15 in Kronstadt ausfindig machen konnte. Auch die Suche nach Wlislockis Grab auf dem Friedhof in Mühlbach (Sebeş) schilderte er eindrucksvoll. Da der Forscher keine Nachkommen hatte und die Ruhezeit abgelaufen war, wurde die Grabstelle in den 1920ern neu belegt.
Symbolische Ehrung für den Tsiganologen und ...
Symbolische Ehrung für den Tsiganologen und Volkskundler Heinrich von Wlislocki: Elmar Schenkel, der Dorfschreiber von 2011, überreicht den Dorfschreiberpreis an eine Katzendorfer Romafrau. Links von ihm Frieder Schuller. Foto: Konrad Klein
Wlislocki verdiente sein Geld als Hauslehrer und als Privatgelehrter. Er verfasste volkskundliche Bücher über Siebenbürger Sachsen, Armenier, Rumänen, Szekler und Ungarn. Sein Hauptinteresse galt aber den siebenbürgischen Roma. Er zog von Mai bis November 1883 und erneut im Jahr 1886 mit einem Roma-Stamm durch Siebenbürgen und war zeitweise sogar mit einer Romni verheiratet. Dabei lernte er deren Sprache, verfasste das erste Roma-Wörterbuch und die erste Grammatik und sammelte als teilnehmender Beobachter Roma-Märchen und Lyrik. Verarmt, verkannt und dem Alkohol verfallen starb er im Alter von 51 Jahren.

„Die Zigeuner in der englischen Literatur“ waren das Thema des Anglistik-Professors Schenkel. Er erklärte die Etymologie des Wortes „gypsy“, das aus dem Mittelenglischen kommt und auf „egyptians“ zurückzuführen sei, also auf das angebliche historische Herkunftsgebiet der Roma, Ägypten. Selbst die Romantiker, die die Freiheit, erotische Ausstrahlung und Wildheit der Roma begeistert besungen hätten, hätten die negativen Klischees bedient und diese Menschen ausgegrenzt.

Schenkel war es auch, der als erster Dorfschreiber von Katzendorf den, wie Schuller versichert, letzten Dorfschreiberpreis an Adela Pancă überreichte, eine Romni aus dem Dorf. Damit soll auf diese Randgruppe aufmerksam gemacht, die in Katzendorf 70 Prozent der Bevölkerung stellt und doch verhältnismäßig wenig in Erscheinung tritt.
Frieder Schuller (Mitte) mit seinem ersten ...
Frieder Schuller (Mitte) mit seinem ersten Dorfschreiber Elmar Schenkel und Ulrike, dessen Lebensgefährtin, aufgenommen in Katzendorf im September d.J. Foto: Konrad Klein
In einer Reihe von Kurzfilmen, die von Berliner Studenten im Juli 2023 in Katzendorf gedreht wurden, spielen sie jedoch die Hauptrolle. Das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München (IKGS) hatte sowohl diese Filmarbeiten gefördert als auch, gemeinsam mit dem Kulturwerk der Siebenbürger Sachsen, das Dorfschreiberfest 2023. Dank dieser Förderung war es möglich, auch hochkarätige Künstler einzuladen, beispielsweise die Ethno-Jazzsängerin Maria Răducanu und die Schauspielerin Ioana Crăciunescu.

Rolf Binder entführte die Zuhörer mit zwei ...
Rolf Binder entführte die Zuhörer mit zwei Klaviersonaten von Mozart in eine Welt, weitab vom zentralen Roma-Thema. Foto: Marie Schuller
Ohne Verbindung zum Hauptthema und trotzdem sehr interessant war der Vortrag des Studenten Felix Latendorf über das Topos der Multikulturalität bei Oskar Pastior. In eine Welt weitab von den Roma entführten Gabriel Bălaşa mit den exotischen Klängen des südamerikanischen Pantams und Rolf Binder mit zwei Klaviersonaten von Mozart. Mit Texten der polnischen Romni-Lyrikerin Papusza und von Luminiţa Cioabă schlugen Ulrike Döpfner und Frieder Schuller wieder den Bogen zum zentralen Thema.

Es wäre schön, wenn der achte Dorfschreiberpreis doch nicht der letzte bliebe.

Margrit Csiky

Weitere Infos unter:

http://www.filmschoolkatzendorf.de

http://www.filmschoolkatzendorf.de/ueber-das-projek/

https://www.tag24.de/dresden/dresden-veranstaltungen/am-hauptbahnhof-beruehrende-schau-ueber-das-schicksal-der-sinti-und-roma-2964380

Schlagwörter: Literatur, Dorfschreiber, Katzendorf, Frieder Schuller

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Neueste Kommentare

  • 08.10.2023, 12:39 Uhr von Georg Coulin: Zum Begriff „Zigeuner“. Wenn auf der Katzendorfer Veranstaltung Elmar Schenkel erfreulicherweise ... [weiter]

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