Herta Müller . Ehrung

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bankban
schrieb am 17.12.2009, 14:39 Uhr
@ Pavel-Chinezul:
Ich fand das Zitat sehr interessant, v.a. weil wiederholt der Begriff "Rasse" benutzt wurde. Wenn ich das richtig gesehen habe, war das ein Dokument des EG (Europäischen Gerichtshofes). Ich wundere mich deshalb über die Verwendung des Begriffes "Rasse" in einem so hochamtlichen Dokument, weil ich dachte, man (= die Biologen, Anthropologen etc.) sei übereingekommen, nur noch von einer menschlichen Rasse zu sprechen. D.h. es gibt keine weisse, schwarze etc. Rasse, nur noch eine Menschenrasse. Wenn das aber so ist, verstehe ich nicht, wie man wegen seiner Rasse diskriminiert werden kann. Durch wen -? Durch Tiere?
(Ich verstehe schon, dass es darum geht, Schwarze etc. vor Diskriminierung wegen ihrer Hautfarbe zu schützen ... wie gesagt, nur dachte ich, der Begriff "Rasse" käme heute nicht mehr vor, nur noch im Wortschatz der Rassisten...)
pavel_chinezul
schrieb am 17.12.2009, 14:52 Uhr (am 17.12.2009, 15:07 Uhr geändert).
@Bankban

sie haben Recht, dass es keine Rassen gibt, sondern nur die menschliche Rasse, aber das sind halt die Bürokraten.

Anbei die Erklärung:

"Zur Verwendung des Begriffes „Rasse“ in den internationalen Erklärungen und Rechtsdokumenten: Im internationalen, insbesondere englischsprachigen Sprachgebrauch, wird „Rasse“ als politische Kategorie verwendet. Sie bezeichnet letztlich all diejenigen, die Zielgruppe von Rassismus sind. Im deutschsprachigen Raum wird „Rasse“ ausschließlich als biologisches Konzept verwendet. Da es keine menschlichen Rassen gibt, ist die Verwendung des Begriffes im Deutschen gerade in den o.a. Erklärungen und Richtlinien doppelt falsch und irreführend. „Rasse“ und zum Teil auch „Ethnie“ sind gesellschaftlich geprägte Konstrukte, die Teil des Problems sind. Rassismus, rassistische Diskriminierung, Ethnozentrismus hingegen sind Begriffe, die die Ursache des Problems in diesen Ideologien lokalisieren. Also „rassistische Diskriminierung“ anstelle von „Diskriminierung aufgrund der Rasse“, oder „Gleichbehandlung ohne rassistische/ ethnozentrische Unterscheidung“ anstelle von „Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse/ der Ethnie“ (Vgl. Leskien, Dan: Der Schutz vor rassistischer Diskriminierung im bundesdeutschen Recht. In: Friedrich-Ebert-Stiftung, Büro Berlin, Fachtagung 14./24.6.1997)

PS: Mit EG ist hier Europäische Gemeinschaft gemeint, nicht Gerichtshof
luise
schrieb am 17.12.2009, 20:12 Uhr
Heute 20:15 - 20:30 auf ZDFinfokanal Nobelpreis für Herta Müller
bankban
schrieb am 18.12.2009, 07:34 Uhr
"In den Fängen der rumänischen Securitate. Interview mit Helmuth Frauendorfer" (Stern, 17.12.2009)

http://www.stern.de/kultur/buecher/interview-mit-helmuth-frauendorfer-in-den-faengen-der-rumaenischen-securitate-1530054.html
seberg
schrieb am 18.12.2009, 10:27 Uhr (am 18.12.2009, 11:50 Uhr geändert).
Das ganze Dilemma der Aufklärung der Securitate-Mitarbeit wird in diesem Artikel deutlich, vor allem in der abschließenden Feststellungen von Helmuth Frauendorfer:

„wenn heute Menschen wie Frau Demski, um Werner Söllner zu schützen, ihn zu einem tragischen Helden machen, der sich nicht anders verhalten konnte, diskreditiert dies alle rumäniendeutschen Schriftsteller, die nicht mitgemacht haben und drangsaliert wurden. Dann geht die Verharmlosung der Securitate-Mitarbeit weiter - und eine Aufklärung wird unterbunden“

Einerseits also soll die Grenze zwischen Schuldigen und Nichtschuldigen nicht verwischen werden, (hier also zwischen dem Verhalten von Söllner und jenem von Frauendorfer), andereseits ist Aufklärung angewiesen auf ein Schuldeingeständnis der Schuldigen, hier jenes von Söllner. Das Dilemma besteht darin, dass zu einer vollständigen und ehrlichen Aufklärung (also mit der Offenbarung von Details aus der Zusammenarbeit mit der Securitate) das Schuldeingeständnis freiwillig erfolgen müsste, also aus innerem Gewissens-Druck. Andererseits ist genau dies offenbar nicht oder kaum möglich, wie das Beispiel Söllner zeigt, zu dem (zumindest auch) äußerer Druck notwendig war.
bankban
schrieb am 18.12.2009, 10:31 Uhr
... und wenn dann noch Außenstehende wie Demski alle unter Pauschalverdacht stellen, ist das eben verkehrt. Damit werden nämlich in der Tat die Verhältnisse/Unterschiede nivelliert und die Neinsager eben auf eine Stufe mit den Jasagern gestellt.
MCRANTA
schrieb am 18.12.2009, 10:34 Uhr
für seberg
right!!!
getkiss
schrieb am 18.12.2009, 11:01 Uhr
Frauendorfer sagt im Interwiev:
"Zu den Anwerbungsversuchen habe ich in den Unterlagen nichts gefunden. Als ich 1984 zu Verhören zitiert wurde, wegen staatsfeindlicher Tätigkeit, während derer ich auch verprügelt wurde, waren bei dem Securitate-Oberst Padurariu schon Rachegelüste zu spüren. "Du hast uns ja damals verraten, bist zu Berwanger gerannt und hast ihm gesagt, was wir von Dir wollten. Jetzt zeigen wir es Dir." Auch davon steht nichts in den Akten."

Auf der Tagung wurde m.W. betont, das nur die Akten der bespitzelten zugänglich waren.
Offensichtlich wurden die Akten der anzuwerbenden/angeworbenen Spitzeln in separaten Ordnern geführt. Das erklärt auch warum die Enttarnung so unvollständig ist und andererseits bei manchen der Spitzeln man kaum was weiss. Ob diese Spitzel-Akten zugänglich sind oder werden, ist noch immer fraglich...dies ist erklärlich weil es noch immer interessierte Kreise gibt, die die Aufarbeitung verhindern wollen.
Ehemalige securisten erklären ja noch immer unwidersprochen, "sie hätten nur den Interessen des Landes gedient"...

Misch 39
schrieb am 18.12.2009, 14:51 Uhr (am 18.12.2009, 14:53 Uhr geändert).
Zum Interviev mit Helmuth Frauendorfer "In den Fängen der rumänischen Securitatea", verlinkt oben von bankban, kann man weiter unten (nach den 3 Werbungen) ein Kommentar von Carl Gibson lesen: "Halbe Wahrheiten- wo bleibt die Opposition-".
bankban
schrieb am 18.12.2009, 15:03 Uhr
(Die Frage ist bloß, ob man das will und die Zeit dafür hat... )
Misch 39
schrieb am 18.12.2009, 15:08 Uhr
Vielleicht wollen es einige.
Knobler
schrieb am 18.12.2009, 19:04 Uhr
@Misch 39,

danke für den Hinweis. Hatte den Kommentar doch glatt über sehen.

Gruß Knobler
bankban
schrieb am 22.12.2009, 12:00 Uhr
"... könnte die diesjährige Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller zumindest für den Teil des deutschen Literaturbetriebs, der auf dem linken Auge blind ist, eine Art Störfall werden. Während die deutschsprachigen Nobelpreisträger Elfriede Jelinek und Günter Grass mit jedem öffentlichen Wort den linken Mainstream bedienen, tut Herta Müller genau das nicht. Mit „Atemschaukel“ hat sie unübersehbar die Mordmaschine namens Gulag auf die deutsche Debattenagenda gesetzt. Das haben manche gar nicht gern. Möglicherweise ist dieses Buch vor dem Nobelpreis auch mancherorts schlechtgelaunt bekrittelt worden, was „nach Tisch“ naturgemäß keiner mehr wahrhaben will.

Herta Müller hat sowohl im rumänischen Sozialismus als auch im deutschen Exil immer Widerstand gegen die roten Barbaren geleistet. Im Banat, wo sie in einem Dorf unter Dörflern aufwuchs, war das lebensgefährlich – denn Ceausescus Staatsschutz „Securitate“ schreckte auch vor Mord nicht zurück – und in ihrer Wahlheimat Berlin ist diese Art Widerstand auch nicht in allen Literaturhäusern gern gesehen. "

Ingo Langner: Ein Fest für Herta
http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/ein_fest_fuer_herta/
bankban
schrieb am 24.12.2009, 09:41 Uhr
seberg
schrieb am 24.12.2009, 10:57 Uhr
Bei Herta Müller scheint es immer wieder um die destruktive Auswirkung von autoritären Beziehungen zwischen Menschen zu gehen, um Machtausübung von Menschen über Menschen, aus denen Diktaturen geboren werden, es geht immer um Macht zwischen Menschen, die schließlich in Verachtung und Vernichtung von Menschen und Menschenwürde umschlägt. Das kann scheinbar harmlos bei intimsten familiären Beziehungen im engsten Rahmen anfangen, um bei mörderischer politischen Repression im großen diktatorischen Staatsgefüge zu enden.

Ulrich Clauß sagt in welt-online über die persönliche Begegnung mit Herta Müller: „Es ist diese Ausstrahlung einer würdevollen Einsamkeit, die keiner Zumutung bei der Selbsterinnerung ausweicht, die an Herta Müller so schmerzlich betört“.

Vielleicht trifft das mehr oder weniger auf uns alle zu, die wir mit unseren Erinnerungen aus der Ceausescu-Diktatur kommend diese Ausstrahlung auf unsere Umgebung mitgebracht haben.

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