Reichesdorf - Informationen

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Zur Geschichte des Ortes

erschienen, 1999



Bloß fünf Kilometer vom alten Bischofssitz Birthälm entfernt liegt Reichesdorf. Geschichtliche Quellen lassen die Gründung des Ortes zwischen 1224 und 1283 vermuten. In einer Urkunde von 1283 wird Reichesdorf als eine von acht Gemeinden (Hetzeldorf, Birthälm, Reichesdorf, Meschen, Pretai, Mediasch, Scharosch, Großkopisch) aufgezählt und heißt dort "villa Richvini". Es wird angenommen, dass der Ort nach einem Comes (Gräfen), der Richuin (Richard) hieß, benannt wurde. Wie es schließlich zu dem Namen "Reichesdorf" gekommen ist, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Naheliegend scheint auch die Annahme, dass er eine Ableitung von "Reihersdorf" sei, weil der Reiher der Wappenvogel Reichesdorf ist. Die Siedler kamen hierher, wie die Forschung vermutet, sowohl aus der Gegend von Hermannstadt als auch direkt aus Deutschland. Im ältesten Mediascher Stadtbuch findet sich in einer Eintragung von 1510 erstmals den deutschen Namen "Richesdorf".

Eine Urkunde von 1359 erwähnt Reichesdorf als freie Gemeinde des Mediascher Stuhls. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts gehörte es zu den sechs größten Gemeinden im Bereich der Zwei Stühle. Die Verwaltung lag von Anfang an in den Händen der Einwohner selbst. Den besten Beweis für den damaligen Wohlstand von Reichesdorf liefert die in den Jahren 1350-1451 erbaute Kirche. Sie ist die erste neue Kirche im Mediascher Kapitel, bleibt zunächst unbefestigt und ist, nach Aussage von Fachleuten, die am reichsten mit architektonischer Plastik ausgestattete sächsische Dorfkirche. Genannt sei hier lediglich das Hauptportal mit dem Relief einer Kreuzigungsgruppe.
Um das Jahr 1500 wurde die Kirche von einer Verteidigungsmauer umgeben, von der heute nur ein Teil im Süden der Anlage sowie der Turm erhalten geblieben sind. Weil auf dem Gelände um Reichesdorf Stein- und Schottervorkommen fehlten, war das Abbruchmaterial der Befestigung unentbehrlich für den Bau der stattlichen Schule (1890) und des großen Gemeindehauses (1910).
Nach einer Urkunde, die König Ferdinand 1555 ausstellte, besaß Reichesdorf zu jener Zeit eigene Gerichtsbarkeit. Aus anderen Aufzeichnungen ist zu erfahren, dass die Einwohner damals Ackerbau, Weinbau und Viehzucht betrieben. In der Gemeinde gab es aber von früh her auch Handwerker, die in Zünften organisiert waren.
Reichesdorf gehörte zu den 37 Ortschaften Siebenbürgens, die das Recht hatten, jährlich Jahrmarkt (am 20. Oktober) abzuhalten. Der kulturelle Stand der Gemeinde muss schon im 16. Jahrhundert ein beachtlicher gewesen sein, denn von 1549 bis 1599 besuchten 24 gebürtige Reichesdorfer die Oberstufe des Kronstädter Honterus-Gymnasiums. Es konnte auch nachgewiesen werden, dass Reichesdorf schon 1516 eine Schule hatte.
Das 16. und 17. Jahrhundert brachte für Reichesdorf harte Zeiten. Was die Türken übrig ließen, rafften Heuschrecken, Hungersnot und die immer wiederkehrende Pest dahin (1613, 1639, 1646, 1647, 1661, 1662, 1709, 1710). Um 1600 wurde das Dorf samt Kirchenburg und Pfarrhaus ausgeraubt und niedergebrannt, 1702 brannte der Ort abermals ab, wobei das Pfarr- und das Predigerhaus, der Glockenturm und vier Glocken zerstört wurden. 1704 überfielen die Kurutzen die Gemeinde und raubten den Bewohnern ihre letzten Habseligkeiten. 1690, zum Ende der Schreckenszeit, zählte Reichesdorf nur noch 43 Hausnummern, ungefähr 180 bis 200 Seelen, ein Drittel der einstigen Bewohnerzahl.
Siebenbürgen war 1699 an Österreich gefallen, und nach Beendigung der Kurutzenkriege folgten ruhigere Zeiten. 1855 kauften die Reichesdorfer das Gut des Grafen Bethlen in Schlatt für 50 000 Kronen auf. Durch die gewonnene Weidenfläche konnte der Viehstand vergrößert werden. Neben dem Weinbau brachten Viehzucht und Schweinemast gute Gewinne. Als dann die Zahl der Kinder stieg, wurde 1888 mit dem Bau des heutigen Schulhauses begonnen, zu jener Zeit das größte und schönste weit und breit.
Ein neuer wirtschaftlicher Rückschlag folgte auf die Vernichtung der Weinberge durch die Reblaus. Die Bauern verarmten und mussten ihr Brot in der Fremde verdienen. Das kirchliche Gedenkbuch vermerkt, dass sich im Jahr 1900 zehn Frauen und 119 Männer in den Vereinigten Staaten befanden. Um die Jahrhundertwende war der Tiefstand im Weinbau durch das Pfropfen der Reben auf Wildreiser jedoch überwunden. Die Weinkäufer kamen bald nicht nur aus dem aus dem Harbachtal und vom Altfluss, sondern auch aus dem Burzenland und dem Szeklerland.
Bald wollten die Reichesdorfer für ihre auch außerhalb des Dorfes bekannten Feste ein großes Gemeindehaus haben. Es wurde 1911 für die tanz- und sangesfreudigen Bürger fertig gestellt.
Dass man die Reichesdorfer "sangesfreudig" nennen darf, belegt die Tatsache, dass ihr Chor unter der Leitung des Ortsnotärs Georg Meyndt schon 1897 eine Sängerfahrt in das für die damalige Zeit sehr entfernt gelegene Kronstadt unternahm. Bei dieser Gelegenheit wurde das gerade aus der Taufe gehobene Lied "Bäm Honterstroch" (von Carl Römer und Hermann Kirchner) aus Reichesdorf weg in die Welt getragen. Und das Lied "Af deser Ierd" von Ernst Thullner besingt in seiner zweiten Strophe Reichesdorf.
Zu den musikalischen Reichesdorfern gehörte der oben genannte Liederdichter Georg Meyndt. Er lebte von 1852 bis 1902, schrieb sächsische Singspiele und Theaterstücke im Reichesdorfer Dialekt, die in vielen Ortschaften Siebenbürgens zur Aufführung gelangten. Seine 30 Lieder wurden von Carl Reich im Heftchen "Kut, mir sängen int vun den Lidern des Georg Meyndt" zusammengefasst und elf Jahre nach dessen Tod veröffentlicht.
Der Erste Weltkrieg brachte erneut eine schwere Zeit, die große Opfer verlangte und unheilbare Wunden schlug. Im großen Kirchenschiff in Reichesdorf hängt die marmornere Tafel mit den Namen der 24 Gefallenen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte das Dorf zusätzlich 40 Gefallene zu beklagen, und die Not beschränkte sich nicht bloß auf die Dauer des Krieges. Im Januar 1945 wurden 121 Reichesdorfer, darunter 85 Frauen und Mädchen sowie 36 Männer und Burschen nach Russland verschleppt. An den Folgen unmenschlicher Behandlung starben drei Frauen und elf Männer. Die Sorgen um die Deportierten, die totale Enteignung und die Diskriminierung durch den Staat und die kommunistische Partei peinigten die Daheimgebliebenen ohne Ende.
Von dem, was die Zeiten für Siebenbürgen an Schwerem brachten, blieben auch die Reichesdorfer nicht verschont, aber ihr Fleiß und die Liebe zu Heimat und Scholle hießen sie durch die Jahrhunderte immer wieder einen neuen Anfang wagen. Als aber nach dem Zweiten Weltkrieg der Kommunismus sich ihrer Heimat bemächtigte, da schützten keine Burgen mehr. Was ist ein Bauer ohne seinen Acker und was ein Reichesdorfer ohne seinen Weinberg? Was Türken, Kurutzen und die Pest nicht erzwungen hatten, gelang dem kommunistischen System: Die Reichesdorfer gaben nach jahrhundertelangem Ausharren und Sichbewähren ihre Heimat auf. Heute schlägt die Reichesdorfer Kirchturmuhr nur noch für zehn Sachsen.
Ein tiefverwurzeltes Gemeinschaftsleben, wie es die Reichesdorfer pflegten, lässt sich nicht von heute auf morgen auslöschen. So organisierte die Heimatortsgemeinschaft (HOG) Reichesdorf im Frühjahr 1999 schon das sechste ihrer Treffen, bei denen Geselliges und Festliches für jeweils 200 bis 300 Teilnehmer einander ergänzen. Es gelang Pfarrer Binder, der die drei letzten Festgottesdienste in Dinkelsbühl gestaltete, nach einem kurzen Einsingen mit dem Chor, die vor zehn Jahren in Reichesdorf einstudierten Gesänge erneut zu hervorragendem Vortrag zu bringen. Andreas Herberth, langjähriger Organist, begleitete die Choräle auf der Orgel, wie er es in Reichesdorf schon immer getan hatte. Beim letzten Treffen wurde für eine gemeinschaftliche Friedhofspflege mit einem jährlichen Unkostenbeitrag von 5 DM pro Familie gestimmt. Das Ehepaar Hanni und Hans Schaas, wohnhaft in Reichesdorf, war bereit, diese Arbeiten zu übernehmen.
Von der HOG Reichesdorf geplant, fand im letzten Winter ein zweites Wochenend-Skitreffen statt, an dem 50 Sportbegeisterte teilnahmen.
Obige Daten sind dem Heimatbuch "Reichesdorf - eine Ortschaft im Weinland Siebenbürgens" entnommen. Es umfasst 430 Seiten, enthält Geschichtliches, Wissenswertes und Unterhaltsames über Reichesdorf, 73 Bilder, geographische Skizzen, Biografien von Reichesdorfern, auf die der Ort stolz sein darf, alle 30 Lieder von Georg Meyndt und vieles mehr. Der Band wird voraussichtlich Ende Oktober 1999 zum Versand bereitstehen.


Johanna Leonhardt


Monografien

  • Reichesdorf. Eine Ortschaft im Weinland Siebenbürgens.

    Beiträge zur Ortsgeschichte. Hgg. von Andreas Nemenz unter Mitarbeit von Heinrich Bruckner u.a. im Auftrag der HOG Reichesdorf. Verlag der Sieb.-Sächs. Stiftung München, 1999.

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