Weißkirch bei Schäßburg - Informationen
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Monografien
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Michael Kroner und Rosemarie Ludwig
Weißkirch.
Eine Siebenbürgische Gemeinde an der Großen Kokel. Hg. von der HOG Weißkirch. Verlag Sieb.-Sächs. Stiftung München. Nürnberg 1997
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HOG-Informationen / Geschichte
erschienen in der Siebenbürgischen Zeitung, 05. Mai 1999Eine sächsische Gemeinde, die zweimal gegründet wurde.
Weißkirch bei Schäßburg an der Großen Kokel ist als sächsische Siedlung zweimal gegründet worden. Das erste Mal im 13. Jahrhundert und das zweite Mal vor 100 Jahren. Wieso erfolgte die Zweitbesiedlung im Jahre 1899?
Die ursprüngliche Siedlung wurde im Zuge der deutschen Kolonisation Siebenbürgens am Anfang des 13. Jahrhunderts gegründet. Die Ortschaft wird erstmals im Jahre 1231 als "Alba ecclesia" erwähnt und befand sich im Besitz der Adligen Conrad und Daniel, Söhne des Johann Latinus, der außer grundherrschaftlichen Besitzungen einen ausgedehnten Fernhandel betrieb. Weißkirch dürfte somit wie viele Gemeinden des Zwischenkokelgebietes von Anfang an eine grundherrschaftliche, auf Komitatsboden gelegene Ortschaft gewesen sein. Sie gehörte dem Albenser, später dem Oberalbenser Komitat an, das aus lauter Enklaven bestand, die verstreut zwischen freien Gemeinden des Königsbodens lagen. Die Weißkircher erfreuten sich somit nicht der Privilegien der freien Bewohner des Sachsenbodens. Sie waren ihren Grundherren unterstellt und zur Leistung von Abgaben, vielleicht auch zu Frontagen, verpflichtet. Nach dem Geschlecht des Johann Latinus war Weißkirch nacheinander im Besitz mehrerer sächsischer Erbgrafen. Auch die Mönche des Schäßburger Dominikanerklosters besaßen zeitweilig die Hälfte von Weißkirch und die dortige, an der Kokel gelegene Mühle. Unter den genannten Gräfengeschlechtern hat es bis im Jahre 1552, als Peter Haller, der bekannte Sachsengraf und Unternehmer, Weißkirch erwarb, öfters Streit um den Besitz der Gemeinde gegeben. Die Haller stammten aus Nürnberg und haben mit ihren dortigen Anverwandten jahrhundertelang die Verbindung aufrecht gehalten. In Siebenbürgen sind sie bereits in der zweiten Generation in den ungarischen Adel aufgestiegen. Weißkirch verblieb in ihrem Besitz bis Ende des vorigen Jahrhunderts. Sie verfügten in ganz Siebenbürgen ük;ber ausgedehnte Besitzungen und gehörten zu den bedeutendsten ungarischen Adligen des Landes. In Weißkirch errichteten sie im 17. Jahrhundert ein prunkvolles Schloß, zu dem später ein Park mit exotischen Pflanzen, eine Orangerie und ein Treibhaus hinzukamen. Die Ruine des Schlosses wurde in den 50er Jahren unseres Jahrhunderts niedergerissen. Die Sachsen von Weißkirch gehörten nach ihrer Ansiedlung kirchlich dem Kisder (Keisder) Kapitel an. Die jetzige, in der Ortsmitte stehende reformierte Kirche bauten sie wahrscheinlich anstelle eines älteren "weißen" Kirchleins im Jahre 1440, wie eine Inschrift über dem Portal bezeugt. Wie der heute noch stehende Turm erkennen läßt, war es eine Wehrkirche, die auf einer kleinen Anhöhe stand. Auf einer Zeichnung aus dem Jahre 1818 ist unter dem Turmdach der für sächsische Kirchenburgen charakteristische, offene Wehrgang sichtbar. Wie auch in anderen Gemeinden der Umgebung erlischt in Weißkirch Ende des 16. oder spätestens Anfang des 17. Jahrhunderts die sächsische Einwohnerschaft. In der Gemeinde lassen sich rumänische Bauern nieder. Später entsteht auch eine Zigeunerkolonie. Am Hofe der Haller waren ungarische Verwalter und Dienstpersonal beschäftigt. Gelegentlich dürften sich auch Deutsche darunter befunden haben. Vor der Reformation bestand außerhalb der Gemeinde, auf einer südwestlich gelegenen Erhöhung ein Franziskanerkloster. Rumänisch heißt der Ort heute noch "La minister bzw. manastire" (Beim Kloster). Die Kapelle des Klosters diente später als Grablege für die Angehörigen der Haller-Familie. Von den Klosterbauten ist heute nichts mehr zu sehen. Man stößt bloß auf die Grabstätten der Haller. Als letzte wurde hier 1909 Louise von Haller bestattet.
In der Ebene zwischen Schäßburg und Weißkirch fand am 31. Juli 1849 die entscheidende Schlacht zwischen dem ungarischen Revolutionsheer unter General Josef Bem und einem russischen, gegenrevolutionären Interventionsheer unter General Lüders statt, in welcher die Ungarn nicht nur geschlagen wurden, sondern auch ihren Dichter Alexander Petöfi verloren. In der Schlacht fiel auch der deutsche Publizist Anton Kurz, der sich dem ungarischen Heer in Kronstadt angeschlossen hatte.
Nach der 1848 erfolgten Bauernbefreiung konnten sich die Hallers an die neue Wirtschaftsweise mit Pacht und Lohnarbeitern nicht anpassen. Zudem gab es Unstimmigkeiten zwischen den beiden Brüdern Franz und Joseph Haller. Das führte schließlich dazu, daß ihr Gut um 1880 unter den Hammer kam. Nach einem armenischen Zwischenhändler kaufte schließlich die eine Hälfte des Hallergutes der ungarische Staat und den anderen Teil die "Siebenbürger Vereinsbank" aus Hermannstadt. Während der ungarische Staat den erworbenen Boden parzelliert 33 angesiedelten ungarischen Familien zuteilte, diente der von der "Siebenbürger Vereinsbank" gekaufte Besitz der von Karl Wolff betriebenen sächsischen Innerkolonisation. Durch solche Bodenkäufe der "Vereinsbank" sollten verarmten sächsischen Bauernfamilien neue Existenzmöglichkeiten geschaffen und dadurch vor allem die Amerikaauswanderung eingedämmt werden, denn um 1900 waren bereits etwa 20.000 Sachsen in die Staaten gegangen.
In Weißkirch siedelte die "Siebenbürger Vereinsbank" zunächst Banater Schwaben an. Diese verließen jedoch nach einigen Jahren die Gemeinde. Darauf startete Karl Wolff, der damals bedeutendste Volksmann und Wirtschaftler der Siebenbürger Sachsen eine sächsische Werbeaktion. Er begab sich an einem Sommersonntag des Jahres 1899 in mehrere Gemeinden des Zwischenkokelgebietes. Die Werbekampagne hatte Erfolg. Seinem Ruf folgten noch im selben Jahr nach Weißkirch die ersten Siedler aus Maniersch, Zendersch, Zuckmantel, Felldorf, Marienburg und sogar aus Schäßburg. Ende 1990 waren es 100 Personen. Weitere sächsische Kolonisten folgten. Traditionsgemäß spricht man von 17 Stammesgemeinden. In Wirklichkeit waren mehr Gemeinden an dem Siedlungswerk beteiligt, vor allem noch Denndorf. Am Anfang gab es unter den Kolonisten große Fluktuationen. Die Schäßburger Familien zogen sich zurück. Einige Neusiedler wanderten sogar nach Amerika aus. Erst um 1910 stabilisierte sich die Siedlung.
Den Siedlern wurde der Boden von der "Vereinsbank" unter sehr günstigen Bedingungen verkauft. Für die meisten Käufer reichte es trotzdem bloß für einen Kleinbauernbetrieb. Durch intensive Bearbeitung des Bodens konnten sie dem Boden jedoch gute Erträge abringen. Dazu dienten als Beispiel die mustergültig geführten landwirtschaftlichen Großbetriebe der beiden Familien Orendi, die auf dem höchsten Agrarstand arbeiteten.
Die Sachsen bildeten zahlenmäßig in ihrer neuen Heimatgemeinde eine Minderheit, die im Jahre 1910 bloß 188 Seelen zählte bei einer Gesamtbevölkerung von 2049 Personen, u. zw. 1194 Rumänen, 444 Ungarn und 223 Zigeuner (die Zahl der letzteren war in Wirklichkeit größer, da viele von ihnen als Rumänen gezählt wurden). Den Grundstock der sächsischen Gemeinschaft bildeten etwa 40 Großfamilien auf ebensovielen Höfen, die auf zwei Siedlungsblocks verteilt waren, ein Teil südlich des gewesenen Haller-Gartens (das "niederste Ende") und der andere Teil an der Ostausfahrt der Gemeinde (das "oberste Ende").
Den größten Anteil der Neusiedler stellte Maniersch, so daß Weißkirch als dessen Tochtersiedlung anzusehen ist. Nach anfänglicher starker Mundartmischung setzte sich allmählich der Manierscher Dialekt in etwas weicherer Ausdrucksweise als Weißkircher Sächsisch durch.
Die Neusiedler konstituierten sich am 23. November 1899 in Anwesenheit des Reisepredigers der evangelischen Kirche Ernst Bardi als evangelische Diasporagemeinde. Das war vor 100 Jahren die Geburtsstunde des sächsischen Neuweißkirch. Es wurde ferner beschlossen, eine eigne Kirchengemeinde zu gründen und eine Schule zu eröffnen. Für beide sollte ein Prediger-Lehrer angestellt werden. Weißkirch ist bis nach dem Zweiten Weltkrieg Diasporagemeinde geblieben, hat als solche für Erhalt von Kirche und Schule seitens der Landeskirche und des Gustav-Adolf-Vereins finanzielle Hilfen erhalten und ist von einem Reiseprediger betreut worden.
Da die einstige sächsische Kirche im Zentrum der Gemeinde von der Haller-Familie den reformierten Ungarn geschenkt worden war, bauten die Sachsen einen am Anfang des 19. Jahrhunderts errichteten Speicher des gewesenen Hallerguts zu einem Gottes- und Schulhaus sowie einer Wohnung für den Prediger-Lehrer um. Die Glocke wurde in einem Dachreiter untergebracht. Die in anderen Gemeinden bestehenden Einrichtungen wie Nachbar-, Bruder- und Schwesternschaften oder Vereine sowie die üblichen Feste und Gebräuche wurden auch in Weißkirch eingeführt. Es dauerte jedoch etwa 20 Jahre bis die aus verschiedenen Ortschaften Stammenden zu einer gefestigten Gemeinschaft zusammenwuchsen; das schaffte vor allem die in Weißkirch geborene Generation.
Im Jahre 1927 entschloß sich die Kirchengemeinde zum Bau eines Saales und einer neuen Schule. Mittlerweile war die Schülerzahl so stark angewachsen, daß sie in dem bisherigen Raum schwer untergebracht werden konnte. Mit Hilfe der evangelischen Landeskirche und des Gustav-Adolfs-Vereins konnte der Bau 1930 fertiggestellt und in Anwesenheit von Bischof Friedrich Teutsch eingeweiht werden.
Der Lehrer unterrichtete im Vor- und Nachmittags-Simultanunterricht zugleich jeweils zwei oder drei Klassen. Im Jahre 1936 wurde auch ein Sommerkindergarten eingerichtet. Vor 1944 haben vier Weißkircher das Lehrer- bzw. Lehrerinnenseminar und neun Jungen Ackerbauschulen besucht. Einige Söhne haben ein Handwerk erlernt. Mehrere konfirmierte Mädchen dienten in Schäßburg oder anderen Städten als Mägde, einige Jungvermählte fanden Arbeit in einer Seidenfabrik in Bukarest.
Von der nationalsozialistischen Bewegung ist natürlich auch Weißkirch, insonderheit die Jugend, erfaßt worden. Bis 1943 wurden 25 sächsische Wehrpflichtige zur Waffen-SS und Wehrmacht eingezogen. Davon sind zehn gefallen oder blieben vermißt. Von den anderen kehrten bloß fünf aus der Kriegsgefangenschaft in ihre Heimatgemeinde zurück. Für die sächsischen Mädchen dieser Generation gab es infolgedessen keine sächsischen Heiratspartner.
Vor Kriegsbeginn zählte die sächsische Gemeinde bei einer Gesamtbevölkerung von 2495 Einwohnern 245 Personen.
Im Januar 1945 wurden insgesamt 39 sächsische arbeitsfähige Frauen und Männer zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert. Es folgte im März 1945 die Enteignung des gesamten landwirtschaftlichen Besitzes. Erst nachdem die letzten Rußlandverschleppten 1949 heimgekehrt waren und die speziellem Repressivmaßnahmen gegen die Deutschen Rumäniens um 1950 eingestellt wurden, erholten sich die Weißkircher allmählich von diesen schweren Schlägen. Als vorteilhaft erwies sich dabei die bloß fünf Kilometer entfernte Stadt Schäßburg, in deren Fabriken und sonstigen Unternehmen Frauen und Männer Arbeit fanden und sich für verschiedene Berufe qualifizierten. Es änderte sich dadurch das Berufsprofil der Weißkircher Sachsen - aus Bauern wurden Fabrikarbeiterinnen und -arbeiter -, während nicht wenige auch eine höhere Ausbildung über Lyzeen und sogar Hochschulen erwarben. In der 1957 gegründeten landwirtschaftlichen Kollektivwirtschaft arbeiteten bloß ältere Frauen und Männer.
Nach der Schulreform von 1948 hatte Weißkirch eine vierklassige Volksschule mit einer oder zwei Lehrkräften. Nach der 4. Klasse besuchten die sächsischen Kinder den II. Zyklus der rumänischen Abteilungen, seit den 60er Jahren vermehrt die entsprechenden deutschen Klassen in Schäßburg. In den 70er Jahren gab es auch einen deutschen Kindergarten. Das Kulturleben konnte desgleichen wieder angekurbelt werden, wobei natürlich die vom kommunistischen Regime gemachten Vorgaben beachtet werden mußten. Es gab eine Blaskapelle, man spielte Theater, organisierte Bälle, zu Peter und Paul das Kronenfest, hielt Richttage ab, freute sich am Fasching, zu Ostern am Hasenschlagen und Bespritzen und an vielem anderem.
Nach der Auflösung der Diasporagemeinde hatte Weißkirch von 1950 bis 1960 keinen eigenen Pfarrer und wurde von Schäßburg oder anderen Nachbargemeinden betreut. Man war daher froh, als man 1960 den Status einer Kirchengemeinde mit eigenem Seelsorger erhielt. Dadurch wurde das Kirchenbrauchtum belebt und es bestand wieder eine die Gemeinschaft zusammenhaltende Institution.
Weißkirch wurde in diesen Jahren wegen seiner Stadtnähe ein attraktiver Niederlassungsort. Die Gemeinde erlebte eine zweite Welle von sächsischen Neusiedlern - die meisten durch Einheiraten. Es wurde ab den 60er Jahren fast zur Regel, daß die Weißkircher auswärtige Ehepartner heirateten. So waren 1966 von den 345 in Weißkirch lebenden Sachsen bloß 252 in dem Ort geboren. Die sächsische Bevölkerung wuchs dadurch an, von 234 im Jahre 1949 auf 318 im Jahre 1962, um 1970 den Höchststand mit 407 zu erreichen, obwohl gleichzeitig auch eine innerländische Abwanderung zu verzeichnen war. Dank eines bescheidenen Wohlstands und durch Eigenleistungen konnten etwa 50 neue sächsische Häuser gebaut und die alten modernisiert werden.
In den 70er Jahren als der kommunistische Druck und die Mißwirtschaft zunahmen, wobei die nationalistisch-kommunistische Politik Rumäniens die völkische Existenz der Sachsen gefährdete, begann die Aussiedlung in die Bundesrepublik. Heute leben in der Gemeinde nur noch sechs Sachsen. Damit hört das sächsische Weißkirch ein zweites Mal, und zwar endgültig auf, zu bestehen.
In der Bundesrepublik gründeten die Weißkircher 1983 eine Heimatortsgemeinschaft, die jedes zweite Jahr in Nürnberg, wo die meisten von ihnen sich niedergelassen haben, ein Treffen organisiert und alljährlich einen "Weihnachtsboten" herausgibt. 1997 konnte die HOG ein von Michael Kroner und Rosemarie Ludwig verfaßtes Heimatbuch unter dem Titel "Weißkirch. Eine siebenbürgische Gemeinde an der Großen Kokel" herausgeben. Die HOG zählt rund 500 Mitglieder, die heute in etwa 70 Gemeinden und Städten Deutschlands, Österreichs und der USA ein neues Zuhause gefunden haben.
von Michael Kroner