Normale Entwicklung trotz früher Traumata

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Asterix
schrieb am 08.08.2011, 22:20 Uhr
Trotz traumatischster Erfahrungen in ihrer Herkunftsfamilie können Kinder, die von den Behörden in Pflegefamilien untergebracht wurden, bei den „Ersatzeltern“ eine weitgehend normale Entwicklung nehmen. Dies ist das Ergebnis eines Forschungsprojekts an der Universität Jena.

Über vier Jahre hinweg haben die Forscher junge Erwachsene im Alter zwischen 25 und 32 Jahren untersucht, die in Pflegefamilien aufgewachsen sind. Alle stammten aus erheblich belasteten Familienmilieus. Als Kind hatten sie Vorfälle wie sexuellen Missbrauch, Hospitalismus, Suizid oder gar Mord bei Familienangehörigen miterlebt. Umso erstaunlicher sei es, dass sie heute ein weitgehend selbständiges Leben führen könnten, sagt Projektleiter Bruno Hildenbrand. „Angesichts dieser positiven Entwicklung, die wir nicht erwartet hatten, stellte sich für uns die Frage, welche Ressourcen in den Herkunftsfamilien, den Pflegefamilien und dem umgebenden sozialen Milieu dazu beigetragen haben.“

Die Forscher haben untersucht, unter welchen Bedingungen Pflegekinder „Resilienzpotenziale“ entwickelten. Unter Resilienz verstehen Psychologen die Fähigkeit, seelisch gestärkt aus misslichen Situationen hervorzugehen. Dies war insbesondere dann der Fall, wenn die Pflegefamilien in Verwandtschaftsnetze eingebunden waren und sie im Vergleich zur Herkunftsfamilie andere Lebensformen praktizierten.

Gleichwohl, so die Jenaer Soziologen, sei die Herkunftsfamilie für die Kinder eine wichtige Instanz. „Denn ungeachtet dessen, wie ‚kaputt‘ die eigenen Eltern sind, sie bleiben doch wichtige Bezugspersonen, mit denen sich das Kind zwangsläufig auseinandersetzt“, sagt Hildenbrand. Er kritisiert die in Deutschland vorherrschende Praxis, die Kinder von den leiblichen Eltern abzuschotten, damit sie „ungestört“ in der Pflegefamilie aufwachsen können. „Das führt spätestens dann zu Konflikten, wenn die Kinder den Kontakt zu den leiblichen Eltern wünschen“, sagt Hildenbrand – und das sei oft der Fall.

„Die Pflegefamilie kann die Herkunftsfamilie nicht ersetzen, und das muss sie auch gar nicht“, erläutert Hildenbrand. Begreife sich die Pflegefamilie als Ersatzfamilie, setze sie sich unter erheblichen Konkurrenzdruck. In jeder Entwicklungsphase des anvertrauten Kindes versuchten die Pflegeeltern dann zu beweisen, dass sie besser als die echten Eltern seien. Durch ein solches Verhalten gerieten die Pflegekinder ihrerseits unter Loyalitätsdruck, müssten womöglich Partei ergreifen. Konflikte zwischen Pflegeeltern und Kind seien dann programmiert.

Um den Druck von den Pflegenden aber auch ihrem Schützling zu nehmen, schlagen Hildenbrand und seine Kollegen vor, die Pflegefamilie als eine „Familie eigener Art“ zu verstehen. „Ihre zentrale Leistung besteht darin, dem Pflegekind andere Erfahrungen zu ermöglichen, als die, die es in seiner Herkunftsfamilie gemacht hat.“ Dennoch, so Hildenbrand, sollten die Pflegeeltern „die Herkunftsfamilie und das Herkunftsmilieu nicht ausblenden“. So können die Kinder aufwachsen, ohne die doppelte Elternschaft leugnen zu müssen. Quelle: idw
http://www.psychologie-heute.de/aktuelles-online/gesundheit-psyche/detailansicht/news/pflegekinder_normale_entwicklung_trotzfrueher_traumata/

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