Kennen wir uns selbst am besten?

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Asterix
schrieb am 08.08.2011, 22:59 Uhr
„Gnothe seauton – erkenne dich selbst“, forderte schon im antiken Griechenland eine Säuleninschrift die Besucher des Apollontempels in Delphi auf. Doch kann man sich überhaupt selbst kennen? Unwillkürlich gehen wir alle davon aus, dass wir selbst unser einzig wahrer Kenner sind. Schließlich wissen nur wir allein und niemand sonst, was in uns vorgeht, was wir fühlen, denken und empfinden. Aber wie zutreffend ist dieser Blick von innen? Ist das, was ich von mir wahrnehme, tatsächlich identisch mit der Person, die ich bin? Bin ich nicht oft blind für meine Schwächen, vielleicht sogar blind für meine Stärken? Gewährt am Ende der Blick von außen – der des Partners, der Freunde, ja sogar wildfremder Personen – eine klarere Sicht aufs Selbst?

Selbst die Persönlichkeitsforscher sind sich da nicht ganz sicher. Doch der Einfachheit halber tun sie meist so, als seien wir selbst unsere besten Kenner: Sie verwenden Fragebögen, in denen sie ihre Probanden bitten, sich selbst anhand vorgegebener Aussagen zu beschreiben – und sortieren die Befragten nach diesen Selbstbeschreibungen in Kategorien ein. Solche „Persönlichkeitstests“ beruhen also letztlich auf dem tautologischen Prinzip: Sage mir, wer du bist – und ich sage dir, wer du bist. Simine Vazire, Psychologin an der Washington University in St. Louis, ist nicht davon überzeugt, dass diese Selbstbeschreibungen ein rundum zutreffendes Bild von der Persönlichkeit vermitteln. „Ich denke, wir sollten diese reflexhafte Reaktion, uns selbst für unsere besten Experten zu halten, ernsthaft infrage stellen“, findet sie. In einer Studie hat sie jetzt nachgewiesen, dass wir uns keineswegs auf allen Gebieten von innen heraus besser kennen, als dies unseren Mitmenschen mit ihrem unvoreingenommenen Blick von außen möglich ist: In mancherlei Hinsicht kennen andere uns tatsächlich besser als wir selbst.

Vazire bat 165 Freiwillige ins Labor. Um sich zunächst einen möglichst objektiven Eindruck von deren Persönlichkeit zu verschaffen, legte sie den Frauen und Männern verschiedene Aufgaben vor. Zum Beispiel absolvierten sie einen Intelligenztest. In einer angeblich „hierarchiefreien“ Gruppendiskussion beobachtete die Forscherin, wie stark es die einzelnen Teilnehmer danach drängte, das Zepter in die Hand zu nehmen. Ferner absolvierten die Probanden einen Stresstest, indem sie vor aller Öffentlichkeit einen kleinen Vortrag zu einem heiklen Thema halten mussten: „Was ich an meinem Körper mag und was ich nicht mag“. Am Schluss bewerteten die Versuchspersonen sich selbst und ihre Mitstreiter anhand einer Liste von 40 Persönlichkeitseigenschaften.

Wie sich zeigte, trafen bei bestimmten Persönlichkeitseigenschaften eher die Selbsteinschätzungen ins Schwarze. Andere Eigenschaften hingegen erschlossen sich den Fremden besser als den Betreffenden selbst.

Die Teilnehmer waren immer dann die besseren Kenner ihrer selbst, wenn es um Merkmale ging, die direkt mit ihrem Erleben und ihren Empfindungen zu tun hatten, etwa Traurigkeit oder Angst. Hier war die innere Anschauung, die Introspektion, der äußeren Beobachtung des Verhaltens und der Körpersprache überlegen. „Jeder kennt wahrscheinlich ziemlich genau das eigene Angstniveau“, erläutert die Forscherin. „Andere hingegen können dies von ihrer Warte aus oft nicht gut beurteilen, weil man seine inneren Gefühle maskieren kann.“

Ging es hingegen um Eigenschaften, die sich offen im Verhalten spiegeln, war der Fremdeindruck der anderen der eigenen Innenansicht überlegen. Die experimentellen Mitstreiter konnten zum Beispiel zutreffender beurteilen, wie extravertiert oder introvertiert eine Person war, als diese Person selbst. Vor allem bei Merkmalen, die stark bewertungsabhängig sind, kam die Fremdeinschätzung der Realität näher: Unsere Mitmenschen können demnach besser als wir selbst beurteilen, wie intelligent, kreativ oder attraktiv wir sind – oder eben nicht sind.

Simine Vazire führt diese blinden Flecken in der Selbstbeurteilung darauf zurück, dass Menschen ein starkes Bedürfnis haben, sich selbst in einem guten Licht zu sehen: „Zuzugeben, dass unsere Freunde nicht sonderlich brillant sind, ist weit weniger bedrohlich für uns, als zuzugeben, dass wir selbst nicht brillant sind.“

Bei der Beurteilung mancher Persönlichkeitseigenschaften, so Vazire, werde schlicht das Ziel verfehlt, wenn man – wie in gängigen Fragebögen – allein auf die Gedanken und Gefühle einer Person schaut, ihr Verhalten hingegen ignoriert. Die Psychologin erläutert dies am fiktiven Beispiel eines Mannes, der durch ein grobes, verletzendes Verhalten seinen Mitmenschen gegenüber auffällt. Doch was sich von außen so brutal ausnimmt, fühlt sich vielleicht von innen ganz anders an – unsicher, liebesbedürftig, ständig zurückgewiesen.
http://www.psychologie-heute.de/aktuelles-online/emotion-kognition/detailansicht/news/kennen_wir_uns_selbst_am_besten-1/

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