Böhmische Siedler in Broos (Orăştie)

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k-peter-s
schrieb am 09.08.2011, 15:17 Uhr
Liebe Forumteilnehmer,

derzeit beschäftige ich mich mit Ahnenforschung und dabei bin ich speziell dabei meine Vorfahren väterlicherseits, die aus Böhmen nach Broos eingewandert sind zu suchen (was aufgrund der Tatsache, dass viel Kirchenbücher der heutigen Tschechischen Republik im Netz verfügbar sind ganz gut funktioniert). Ich hätte nun eine Frage: Hat jemand Informationen dazu, wie es in der ersten Hälfte des 19 Jh. zu einer Einwanderung aus Böhmen nach Broos kam? Andere Ansiedlungen gehen oft auf kaiserliche Angebote (Land, freie Bauernschaft usw) zurück. Für diese Auswanderung sind mir keine Unterlagen bekannt und ich bin auch im Internet nicht fündig geworden. Wer weiss etwas darüber? Kamen um diese Zeit auch in andere sächsische Dörfer oder Städte Einwanderer aus Böhmen oder war der "Böhmische Berg" in Broos etwas einmaliges?

Vielen Dank für Anregungen
Peter (Stefan)

bankban
schrieb am 09.08.2011, 16:44 Uhr (am 09.08.2011, 16:45 Uhr geändert).
Hallo Peter,

im Zuge des beginnenden nationalen Erwachens wurde am Anfang des 19. Jahrhunderts auch die sächsische Elite der numerischen Inferiorität ihres Ethnikums wahr/bewusst. Ihr war auch klar geworden, dass der politische Wind/die politische Großwetterlage die nationalen und nationalistischen Bestrebungen der beiden großen Nationen Siebenbürgens (Ungarn und Rumänen) unterstützt. Um das Gewicht des Sachsentums in diesem politischen Spiel zu stärken, entwickelte diese Elite Pläne massenhafter Einwanderung von Deutschen nach Siebenbürgen. Insbesondere in der zweiten Hälfte der 1830er und der ersten Hälfte der 1840er Jahre wanderten daher durchaus einige (hundert?) Deutsche nach Siebenbürgen aus. Nach meinem bisherigen Kenntnisstand v.a. aus dem württembergischen Raum, doch offensichtlich nicht nur. Es gab wohl mehrere Wellen (1842, 1844/45). Sie waren jedoch sehr schlecht organisiert, weshalb sehr viele Auswanderungswillige bereits unterwegs starben, zurückkehrten etc. Die Zahl der Angekommenen war sehr klein. Das Scheitern dieser Bemühungen verdeutlichte aber der sächsischen Elite erneut, dass sie weiterhin ihr Auskommen mit Wien bzw. der politischen Macht suchen musste, wollte sie für die Sachsen weiterhin Positives bewirken. Deshalb setzten die sächsischen Politiker 1848/49, nach 1867 (Ausgleich) sowie nach 1918 immer auf die jewielige politische Zentrale (Wien, Bp., Bukarest) und biederte sich ihr an.
lucky_271065
schrieb am 09.08.2011, 16:55 Uhr (am 09.08.2011, 17:01 Uhr geändert).
Hier eine Ergänzung zu den Angaben von Bankban:

Die Siedler kamen vor allem aus den vorderösterreichischen Gebieten am Oberrhein und aus Oberschwaben – ihnen war eine Auswanderung nach Russland oder Preußen strikt verboten – aber auch aus Württemberg, besonders aus den Ämtern Balingen, Biberach, Brackenheim, Herrenberg, Geislingen, Neckarsulm, Rottweil, Spaichingen, Sulz, Tübingen, Tuttlingen, Vaihingen und Weinsberg (Fata, 1999, S. 398). Abgeschlossen wurde die organisierte Einwanderung in diesen Raum mit dem Ansiedlungsprojekt des siebenbürgischen Pfarrers Stephan Ludwig Roth, der auf kirchlichem Besitz in Siebenbürgen 1848 ca. 2000 Württemberger ansiedelte, vorwiegend aus dem württembergischen Unterland, dem Schwäbischen Wald und von der Schwäbischen Alb. Die Massenauswanderungen nach Ost- und Südosteuropa zwischen der Mitte des 18. und der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden »Schwabenzüge« genannt.


www.arwela.info/8gesch01.htm

Allerdings wird nichts von Siedlern speziell aus Böhmen gesagt.

Oder geht es eher um die tschechische Minderheit in Rumänien?

ro.wikipedia.org/wiki/Cehii_din_Rom%C3%A2nia
k-peter-s
schrieb am 10.08.2011, 14:46 Uhr
Hallo Bankban und Lucky,

danke für diese Hinweise. Über diverse andere Einwanderungen in dieser Zeit (oder auch davor, wie z.B. Durlacher, Landler usw) habe ich einiges finden können. Zu den böhmischen Familien, die sich (weitgehend oder sogar alle ???) in Broos in einem damals neuen "Baugebiet", später "Böhmischer Berg" genannt, niederließen, ist mir aber bisher nichts untergekommen.
Nochmals vielen Dank
Gruß
Peter
Henny
schrieb am 10.08.2011, 14:55 Uhr
@k-peter-s, kleiner Tip am Rande, vielleicht findest du was in den Kirchenbücher von Broos. Zu der Zeit wurde viel in diesen festgehalten und dokumentiert.
Haiduc
schrieb am 12.08.2011, 08:29 Uhr
Hallo Peter,
vielleicht hast Du es noch nicht gesehen:
im Gästebuch der Gemeinde Broos findet sich ein interessanter Eintrag dazu. Eine e-Mail Adresse ist auch hinterlegt.
getkiss
schrieb am 12.08.2011, 09:06 Uhr (am 12.08.2011, 09:17 Uhr geändert).
verdeutlichte aber der sächsischen Elite erneut, dass sie weiterhin ihr Auskommen mit Wien bzw. der politischen Macht suchen musste, wollte sie für die Sachsen weiterhin Positives bewirken. Deshalb setzten die sächsischen Politiker 1848/49, nach 1867 (Ausgleich) sowie nach 1918 immer auf die jewielige politische Zentrale (Wien, Bp., Bukarest) und biederte sich ihr an.

Das erklärt auch die Haltung von St. L. Roth.
Und erklärt auch Teilweise den mehr oder weniger organisierten Widerstand gegen die Magyarisierungspolitik.
Nur in Bukarest hat´s letztendlich nichts geholfen. Das Resultat war die Massenhafte Auswanderung aus Rumänien....

Zum Thema siehe auch Daten über die Deutschböhmischen Siedlungen im Banat:

www.deutschboehmisch.de/rum%C3%A4nien/

Über die Geschichte der Ortschaften Lindenfeld, bzw. Wolfsberg siehe:
www.banater-aktualitaet.de/akt4lin.htm
www.banater-aktualitaet.de/akt6wol.htm

und über die Ansiedlungsgeschichte siehe:
www.dfbb.ro/content/pdftext/BB_Ansiedlung.pdf
k-peter-s
schrieb am 14.08.2011, 19:30 Uhr
Hallo zusammen,
vielen Dank für die hilfreichen Tipps.

Vielleicht muss ich doch noch mal nach Broos fahren, auch wenn ich keine Verwandten mehr dort habe und in den Kirchenbüchern stöbern.

Die Verbindung zwischen der Einwanderung in Broos und den deutschböhmischen Dörfern im Banater Bergland um Reschitz hatte ich bisher nicht gemacht, finde diese Idee aber sehr interessant, vor allem da die Einwanderung etwa in der gleichen Zeit erfolgte.

Den Eintrag im Gästebuch von Broos hatte ich vor einiger Zeit schon zufällig gegooglet und es war eine der Anregungen an dieser Stelle weiterzusuchen. Werde mich per e-Mail in den nächsten Tagen melden.

Nochmals herzlichen Dank an alle die sich an der Diskussion beteiligt haben.
Peter
bankban
schrieb am 28.09.2011, 15:18 Uhr
Vielleicht interessierts den einen oder anderen in diesem Zusammenhang:

"Von Württemberg nach Siebenbürgen

In einem Brief vom 28.6.1913 erinnerte sich Josefa Bahmüller an die Auswanderung mit ihren Eltern und acht Geschwistern 1846 aus Plüderhausen (Rems-Murr-Kreis) nach Siebenbürgen:

»Liebe gute Kinder, ich setze euch zur Erinnerung an unsere Reise, was ich weiß von 12 Jahren an, wie es bei uns war im Jahr 1844, dass eine sehr große Teuerung war, indem der Hagel in sieben Feldern alles zerschlagen hatte. […] Oh, wenn ich nur denk, wie schwer es den armen Eltern und Großeltern war, die Heimat zu verlassen! Wie wir haben abreisen sollen, so war der arme Vater nicht da. Er war auf einmal in unser Haus zurück und wollte gar nicht mitkommen. […] Und wie wir in Bayern in Donauwörth ankamen und wir das neue Bretterschiff sahen, so wollte der Vater nicht einsitzen. Da kamen Herren und haben ihn beredet, er sollte sich doch nicht fürchten und so kamen wir bis nach Wien. […] Dann kamen wir nach Pest [Budapest], da suchte der Vater Fuhrleute. Vierzehn Tage sind wir auf der Donau kommen und vier Wochen zu Land, da war es auch sehr schlecht, kein Holz zum Feuer machen. Die Mutter musste mit Stroh uns ein wenig Suppe kochen für uns viele Kinder. Mit dem ungarischen Fuhrmann konnten wir kein Wort sprechen. Da kamen wir in so ein Räuberschank-Haus, da wollte man uns bei der Nacht unser bissel Geld nehmen. […] Wenn man uns das Geld gestohlen hätte, was hätten wir auf der Puszta gemacht? Keinen Schritt hätten wir weiter können, dort hätten wir vor Hunger sterben müssen. Mit dem Fuhrmann kamen wir bis Hermannstadt. Da bekamen wir einen Fuhrmann, der war von Alzen. Der gab uns das Nachtmahl und Frühstück und dann fuhr er mit uns […] in unsere Heimat.«

Zit. n.: Balduin Herter, Württembergische Einwanderer in Siebenbürgen um die Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Beer/Dahlmann, Migration, S. 409. "

Quelle: http://www.deutschlandundeuropa.de/45_02/schwabmat.htm

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