Die Fotografie und der Zufall

Um Beiträge zu verfassen, müssen Sie sich kostenlos registrieren bzw. einloggen.

OREX
schrieb am 08.05.2014, 22:30 Uhr
Es soll Zeitgenossen geben, die überlassen beim Fotografieren überhaupt nichts dem Zufall. Es wird alles bis ins letzte Detail geplant: Kamera(s), Objektive, lichtempfindliches Material (Negativfilme, Diafilme) mit verschiedenen Empfindlichkeiten für Porträts, für Landschaftsbilder, Sportaufnahmen, Abend- oder Nachtaufnamen. Dann will man noch eine ganz bestimmte Stimmung einfangen, z. B. Sonnenuntergang nach einem Gewitter. Na dann „Prost Mahlzeit“! Wie oft trifft man so eine exotische Stimmung? Tag für Tag sehe ich in Gedanken den selbst geplagten Hobbyfotografen, wie er mit zig-kilo-schwerer Ausrüstung beharrlich zu einem bestimmten Ort in der Natur wandert und auf „seine Stimmung“ wartet.

Das war jetzt ein bisschen übertrieben gezeichnet. Tatsache bleibt aber, dass ein Berufsfotograf, der zum Beispiel eine Reportage über „Die Bodenseefischer“ macht, auch solche exotischen Aufnahmen machen muss. Für den Amateur ist es sein Pläsir, wenn er sich so plagen will. In jungen Jahren bin ich auch einmal in einer Berghütte sehr früh aufgestanden, einsam durch den noch ganz dunklen Wald bis zu einem Bergsattel hinauf gewandert. Da wartete ich noch eine Weile und habe dann mit der Kamera die Sonne eingefangen, wie sie gerade hinter einem Felszacken hervorguckt, unten im Tal lag noch die Nacht. Zum Frühstück war ich wieder zurück in der Hütte. Meine Wanderkameraden waren eben erst aufgestanden, ich aber hatte schon was Schönes erlebt.

Jahre sind vergangen. Mitunter bin ich auch mit schwerer Ausrüstung durch die Gegend gelaufen, war aber nicht so akribisch, wie eingangs erwähnt. Zweitkamera und Wechselobjektive waren aber auch dabei. Heute habe ich einen ständigen Begleiter, „Mister Parkinson“, den ich (er)tragen muss. Es ist so, als ob ich ständig einen 30-kilo-schweren Rucksack trüge. Dennoch habe ich in dieser Zeit eines meiner interessantesten und aussagekräftigen Fotos gemacht, das Foto „Brunnen und Kreuz“. Es war im Juni 2003. Zusammen mit meiner Frau machte ich Urlaub an der Ostküste von Mallorca. Am 8. Juni nahmen wir an einer Busfahrt teil. So kamen wir nach einer abenteuerlichen Serpentinenfahrt in einer Höhe von etwa 500 m ü.M. zum Kloster „San Salvador“. Meine Frau ging mit der Gruppe hinein, die Innenräume zu besichtigen. Mir aber taten die Beine weh und ich setze mich auf das kleine Mäuerchen, das auf dem Bild in der zweiten Ebene zu sehen ist. Meine Augen ließ ich in der Gegend wandern. Dabei fiel mir der Brunnen auf. Er befindet sich draußen vor dem Klostertor und über ihm wölbt sich ein brauner steinerner Bogen, an dem die Rolle und das Seil angebracht sind. Das elektrisierte mich. Ich stand auf, nahm den Deckel vom Kameraobjektiv und wählte meinen Bildausschnitt so, dass man meint man würde durch ein Fenster schauen. Und was sah ich? Unten das Tal bis in die Ferne wo sich meiner Ansicht in Höhe der Kreuzspitze die Tramuntana-Berge von der Westküste andeuten. In der mittleren Ebene steht ein Felsen, auf dem ein riesiges steinernes Kreuz errichtet wurde. Etwas näher, in der zweiten Ebene sieht man das schon erwähnte Mäuerchen. Und ganz nah an der Kamera den Ausschnitt aus dem steinernen Bogen mit Rolle, Seil, Kette und Kübel. Damit die Touristen ihre Münzen nicht in den Brunnen werfen können ist er abgedeckt und abgeschlossen. An der Kette ganz rechts im Bild hängt ganz unten außerhalb des Bildes eine Schöpfkelle. Obwohl einigermaßen asymmetrisch, gibt es dennoch eine gewisse Symmetrie und das Kreuz lenkt den Blick in die Mitte. Als die ersten Abzüge aus dem Labor kamen, war ich sehr fasziniert von dem was ich sah. Nach langem Betrachten des Bildes und nach zahlreichen Gesprächen kristallisierte sich eine dreifache symbolische Bedeutung des Bildes heraus: das Wasser (Brunnen) steht für das Leben, das Kreuz symbolisiert das Leiden und der Blick in die helle Ferne verheißt Erlösung. Es war nicht nur purer Zufall, es war das Glück selbst, das beim Entstehen dieses Bildes Pate gestanden hat. Ich hatte nämlich auf die mittlere Ebene mit dem Kreuz meine gute alte „Praktica MTL3“ scharf eingestellt. Bei meinem Versuch, die Blende gemäß der Anzeige des Innenlichtmessers einzustellen, haben meine plumpen Finger sicher auch den Entfernungsring mitgedreht. So kam es, dass die Schärfe im Vordergrund liegt, was im Nachhinein festgestellt, dem Bild erst seinen Zauber gibt.

Schlussfolgerung:
- In der Fotografie, wie im richtigen Leben genügt es manchmal nicht fleißig zu sein und gute Kenntnisse zu haben. Öfters mischt auch der Zufall mit.

Glück muss man haben!


7. Januar 2006

Anmerkung: Mein Avatar ist das Bild "Brunnen und Keuz".

Um Beiträge zu verfassen, müssen Sie sich kostenlos registrieren bzw. einloggen.