Weihnachten in Heltau

„Bei der Urgroßmutter Herbert“ (geschrieben von Omama, der Mutter meiner Großmutter Maria Grundbrecher, meine Urgroßmutter, die ich auch noch gekannt habe. Ich (Michael Herbert) war 8 Jahre alt als sie starb).
Wir wohnten in der Gräfengasse 100. Gerade gegenüber von uns wohntet die Urgroßmutter Herbert, die Großmutter meines Vaters. Sie bewohnte allein das große Haus 169 mit vielen Zimmern, großer Scheunen und Ställen. Hinter der Scheune war ein Gemüse- und ein Grasgarten. Ich weiß die Urgroßmutter immer nur allein, der Urgroßvater war gestorben, ihre Kinder waren verheiratet. Nur auf den Onkel Johann, der bei seiner Mutter lebte, kann ich mich dunkel erinnern. Er starb, als ich ein kleines Kind war und ich erinnere mich an sein Begräbnis. Mein Großvater Herbert war der älteste Sohn, der zweite Sohn Thomas war früh gestorben und hinterließ zwei Söhne: Peter und Thomas. Die einzige Tochter, Anna, heiratete Onkel Johann Wolf. Die Urgroßmutter war eine behäbige Frau, eine tüchtige und fleißige Hauswirtin, die sich bei den Dienstboten Respekt verschaffen konnte, dabei war sie eine herzensgute Frau. Sie leitete ihre große Wirtschaft: Wollweberei, Tuchverkauf und alles was dazu gehörte, vorbildlich und daneben noch die Landwirtschaft und das viele Gesinde. Dabei hatte sie immer Zeit und Verständnis für uns Kinder. Ich ging sehr gerne hin, spielen. Am schönsten war es an den großen Feiertagen bei ihr. Da wurde die ganze Familie eingeladen mit Kindern, Enkeln und Urenkeln schon zum Mittagessen. Für die Erwachsenen wurde im großen Wohnzimmer gegen die Gasse der Tisch gedeckt, es war eine lange Tafel für etwa dreißig Personen. Für die Kinder wurde im großen Arbeitszimmer gedeckt, wo im Winter noch gekocht wurde. In einer Ecke waren zwei lange Truhenbänke, in denen die Mägde ihre Kleider hielten, davor stand ein langer Tisch. Auf den Truhen saßen wir Kleineren Kinder. Bis das Essen auf den Tisch kam, trommelten wir gern mit den Füßen an den Truhen, das gab einen großen Lärm, bis einer von den Vätern herauskam und uns energisch zur Ruhe verwies. Es gab immer eine gute Suppe mit Rindfleisch und Hühnern, nachher zum gekochten Fleisch Krensoß (Meerrettich) und eine Fruchtsoß, dann Braten. Zu Weihnachten gab es Schweinebraten und Wurst, zu Neujahr Spannferkel oder Fisch (Waller), manchmal auch beides, zu Ostern und Pfingsten gab es Kalbfleisch, Geflügel oder Lammfleisch. Nach dem Braten kam Hanklich (Eierkuchen)auf den Tisch und eine süße Mehlspeise, dazu immer Wein. Nachmittag war Jause: Kaffee mit Stritzel und wieder Mehlspeise. Abendessen war nicht für die Gäste, denn es hatte jeder zu Hause Wirtschaft, Pferde, Kühe und viele Dienstboten, da mußte man sieben oder acht Uhr zu Hause sein. Die Urgroßmutter hatte auch viel Vieh. Immer waren zwei gute Pferde da, zwei bis drei Büffel ebenso viele Kühe, einige Kälber und vier bis sechs Schweine. Ein großes Fest war für uns Kinder das Schweineschlachten. Es wurden bei der Urgroßmutter jährlich vier bis fünf Schweine geschlachtet, denn es brauchte viel für die vielen Dienstboten. Da war der Weber, das war immer ein Heltauer Bursche aus einer ärmeren Familie, der bei der Urgroßmutter die Wollweberei erlernte. Er vertrat bei den Dienstboten den Hausherren und beaufsichtigte sie bei der Wollweberei und der Landwirtschaft; er hatte das Weben des groben Heltauer Tuches zu besorgen. Er aß mit der Großmutter am Tisch. Dann waren noch 4-5 Dienstboten: drei Mägde, welche die Spinnmaschine bedienten und eine Magd für die Küche, manchmal auch zwei, dann noch zwei bis drei Knechte, die an der Knotmaschine und an der Hutsche arbeiteten und das Vieh besorgten. In einem solchen Haushalt brauchte man viele Lebensmittel. Ein Schwein wurde schon im November geschlachtet, das machte die Urgroßmutter nur mit dem Gesinde. Wenn aber großes Schweineschlachten war, kurz vor Weihnachten, dann wurden gleich zwei Schweine geschlachtet und dazu wurde die ganze Familie eingeladen. Schon am frühen morgen kamen die Männer angerückt. Im großen Waschkessel wurde Wasser heiß gemacht; wir Kinder mußten auf das Feuer unter dem Kessel sorgen. Es wurde dann zuerst ein Schwein und dann das andere überbrüht, geputzt, gesengt und aufgemacht. Später kamen die Frauen und verarbeiteten das Fleisch. Für die Männer wurde zum Frühstuck Leber gebraten auf den Kohlen unter den Waschkesseln. Wir Kinder sorgten darauf und bekamen auch davon. Zur Leber tranken die Männer Glühwein. Zum Mittagessen gab es Sauerlawend (saure Suppe) und gebratenes Fleisch und Leber. Wenn die Männer mit ihrer Arbeit fertig waren, spielten sie Karten. Für die Frauen gab es noch viel Arbeit. Bis zum Abend war alles fertig: große Mengen von Brat-, Koch- und Leberwurst (für das Gesinde), später machte man noch Preßwurst. Wenn alles fertig war gingen die Frauen nach Hause, um nach ihrer Wirtschaft zu sehen und kamen dann zum Abendessen wieder. Unterdessen spielten wir Kinder. Die Jungen versteckten sich bei der Treppe und wenn wir Mädchen hinausgingen oder hereinkamen, erschreckten sie uns. Das war dann ein Lärmen und Toben die lange Treppe hinauf und hinab. Wenn wir dann müde waren und der Mächel oder Honnes, oder wie Großmutters Weber gerade hieß, Zeit hatte, baten wir ihn, er solle uns Märchen erzählen. Er setzte sich dann in die Mitte der großen Arbeitsstube und wir Kinder auf Stühle, Schemel und Fußbänkchen um ihn herum. Jedes Kind nahm sich vorher in die Tasche und die Mädchen in die Schürze Kürbiskerne, die es bei der Urgroßmutter um diese Zeit immer auf der Bratröhre gab, und während wir zuhörten, knabberten wir Kürbiskerne und waren still. Wenn zum Abendessen gerufen wurde und wir aufstanden, sah der Fußboden schrecklich aus und es mußte eine der Mägde den Besen nehmen und die Schalen zusammenkehren. Zum Abendessen gab es Brat- und Kochwurst mit Sauerkraut, nachher eine Mehlspeise und Äpfel. Nach dem Abendessen spielten wir Kinder gern „Maskieren“. Auf den beiden Betten, die links und rechts von der Tür im großen Wohnzimmer waren, wurden die Kleider abgelegt. Da war eine große Menge Mäntel, Jacken, Schals, Hüte, Kappen. Wir wühlten alles durcheinander und suchten uns was wir brauchten und maskierten uns. Dann marschierten wir zwei zu zwei um den Tisch der Erwachsenen. Die Knaben machten oft auch Musik dazu mit Deckeln, Trichtern und Pfannen als Trommeln. Vom Schweineschlachten gingen wir nur 10 oder 11 Uhr nach Hause. Wenn bei meinem Großvater Herbert, der in der Marktgasse 432 wohnte, Schweineschlachten war oder an Feiertagen, fuhr die Urgroßmutter, der das Gehen beschwerlich war, mit der Kutsche oder mit dem Schlitten hin, und wenn es dann ums Nachhausegehen ging, wurden die Jungen in die Gräfengasse geschickt, um den Knecht mit dem Wagen oder Schlitten zu bestellen, dass er die Urgroßmutter abholte. Die Jungen gingen gern, denn sie kamen dann bis in die Marktgasse gefahren; manchmal ließen sie sich noch ein wenig in der Gemeinde herumführen. Wir fuhren auch oft mit der Urgroßmutter im Wagen mit nach Hause, da wir ja auch in der Gräfengasse wohnten. Bei der Urgroßmutter wurden noch nach Weihnachten ein bis zwei Schweine geschlachtet, dabei half aber höchstens eine von den Schwiegertöchtern oder die Tochter. Zu Weihnachten wurden von der Urgroßmutter alle Kinder beschenkt, nicht nur die Enkelkinder, sondern auch wir Urenkel. Ich erinnere mich, dass ich einmal Kochgeschirr zum Spielen bekam. Einmal bekam ich eine Schultasche. Es war nicht eine gewöhnliche Schultasche, es war eine platte in der Größe einer Schultafel, an den vier Seiten waren Wachstuchlappen, die man über die Bücher schlug und mit zwei Riemen festschnallte. Die Tasche hatte einen langen Riemen, damit man sie über die Schulter hängen konnte. Mir gefiel die Tasche nicht, weil es etwas Extras war, ich hätte lieber eine andere gewollt, wie sie die anderen Mädchen trugen. Den langen Riemen mußte mein Vater in einen einfachen Henkel umändern, damit ich sie in der Hand tragen konnte. Meine Mitschülerinnen gefiel aber die Tasche und sie beneideten mich darum, das söhnte mich mit ihr aus und ich habe sie froh die ganze Schulzeit getragen. Interessant war für uns Kinder bei der Urgroßmutter auch das Backen. Da wir nur gegenüber wohnten, fand ich mich oft dazu ein. Alle 10-14 Tage wurde damals in jedem Haus im Backofen Brot gebacken. Es waren immer zwei große Tröge voll Teig: in dem kleineren davon wurde weißes Brot geknetet und im größeren Schwarzbrot für das Gesinde. Auch Hanklich (Eierkuchen) aus Brotteig wurde gebacken, davon bekam auch jeder der Dienstboten ein Stück und die Kinder, die dabei waren, natürlich auch. Das Korn, das man in dem großen Haushalt brauchte, wurde auf eigenem Grund angebaut, ebenso Mais, Gerste, Hafer und Kartoffeln. Es galt fast als Schande, wenn man Getreide kaufen mußte und nicht genügend anbauen konnte. Vor den großen Feiertagen wurde auch in einem Trog feiner Teig für Stritzel und für Eier- oder Rahmhanklich geknetet. Zum Marientag, Urgroßmutters Namenstag, wurde meist Krapfen gebacken. Es gab dann einen großen Backtrog voll schöner Krapfen und wir durften essen, soviel wir wollten und konnten. An Eiern, Butter u.s.w. mußte nicht gespart werden. Auch eine Art Schneeballen oder „Lämmerbälchen“ wie die Urgroßmutter sie nannte, konnte sie gut backen. Es wurden von einem mürben Teig schmale Streifen geschnitten, durcheinander gewickelt und in heißem Fett gebacken. Sie waren resch und knusprig und schmeckten mit Zucker bestreut gut. Manchmal wurden zu einem Namenstag oder Geburtstag Baumstritzel gebacken. In einem rückwärtigen Zimmer, gegenüber von der Arbeitsstube, das meist als Vorratskammer diente, war ein großer Lutherofen, wie man sie früher hatte, es war eine Art Kamin mit offenem Feuer. In diesem Ofen wurde Feuer gemacht, und die Baumstrietzel wurden am offenen Feuer, über den glühenden Kohlen gebacken. Manchmal durfte ich das Holz, an dem der Baumstrietzel buk, drehen und von dem Erstgebackenen auch kosten. Die Urgroßmutter hatte im Hohn weit oben, fast unter dem Götzenberg einen Kirschgarten (später gehörte er Pitzonkel). Dahin wurde die Familie oft eingeladen. Schon in der Kirschblüte zogen wir jedes Jahr an einem Sonntag alle hinaus. Jede Familie hatte Pferde und Wagen. Die Urgroßmutter nahm Lammfleisch mit zu einer „Tokane“(Gulasch), die Frauen brachten Kaffee und Mehlspeise mit, die Männer Wein. Die Wägen wurden im Wald im Schatten gelassen und die Pferde daran angebunden. Der Garten grenzte an zwei Seiten an den Wald. Die Männer setzten sich an den langen Tisch zur Unterhaltung oder zum Kartenspiel, die Frauen waren mit der Tokane und mit den kleineren Kindern beschäftigt, die größeren Kinder spielten im Wald und im Garten. Oft beteiligten sich auch die jüngeren Frauen und Männer an den Spielen der Kinder. Später, wenn die Kirschen reif wurden, zogen wir hinaus zu den Kirschen. Auch mein Großvater Herbert und Onkel Wolf, hatten im Hohn Kirschgärten (der von Großvater Herbert hat später uns gehört). Während der Kirschenzeit versammelte sich die Familie jeden Sonntag in einem der Gärten. Früh am Morgen wurde ein Knecht mit einem der Kinder hinausgeschickt, um einige Körbe Kirschen zu klauben, die dann am Nachmittag verzehrt wurden. Es war damals eine schöne, gemütliche, behäbige Zeit. An den Wochentagen wurde fest gearbeitet, im Sommer von 4 oder 5 Uhr früh bis zum Abend, wenn es dunkel wurde. Aber die Sonn- und Feiertage wurden gefeiert, man nahm sich Zeit dazu. Jetzt in der Erinnerung erscheint mir diese Zeit noch schöner, da es inzwischen so ganz anders und viel schwerer geworden ist. Ich habe die alte Urgroßmutter immer sehr gerne gehabt und ich war viel dort in meiner Kindheit. Als sie starb, war ich 16 Jahre alt. Etwa ein Jahr vor ihrem Tode schrieb mir die Urgroßmutter folgende Zeilen in mein Stammbuch: „Das beste Glück begleite dich bis du so alt wirst einst wie ich“. Deine Urgroßmutter Maria Herbert Oh du liebe Großmutter, wenn du wüßtest, wie sich dein Glückwunsch und Segen an mir erfüllt hat! Ich bin ja zwar noch nur 73 Jahre alt und noch nicht so alt wie sie als sie das schrieb. Aber auch das genügt und das beste Glück hat mich bis in mein Alter begleitet (Meine Urgroßmutter Emma Gündisch, geborene Herbert, starb mit 83 Jahren). Wenn das Leben auch manchmal schwer war, Gott hat doch immer alles zum Guten gewendet. Vor allem muß ich Gott dafür danken, daß er mir die Gesundheit bis ins Alter erhalten hat, so daß ich für die Kinder arbeiten konnte und daß mein lieber Mann mir bis in ein hohes Alter erhalten blieb und wir unsere sieben Kinder großziehen und alle gut ins Leben stellen konnten, und daß ich mich jetzt um 19 Enkeln und einem Urenkel erfreuen kann. Grund genug um Gott immer wieder zu danken. In den Jüngeren Jahren der Urgroßmutter blühte das Heltauer Wollwebergewerbe, es war wie es im Sprichwort heißt: „Handwerk hat goldenen Boden“. Damals fing man an größere Wollwebereimaschinen einzuführen, dafür brauchte man größere Räume, und damals wurden die vielen großen Häuser in Heltau gebaut. In der Zeit wurden auch die Kirschgärten im Hohn angelegt. Man setzte Wildlinge, meist Kirschbäumchen, aber auch einige Apfel- und Birnbäume und veredelte sie selbst. Um jeden Garten wurde eine lebende Hecke gepflanzt. In vielen Gärten war ein Gartenhäuschen (Kolib) aus Brettern und eine „Allee“ d. h. eine Buchenlaube mit einem langen Tisch und Bänken. Im Hohn waren vorher Flachsfelder gewesen. Es ging nicht nur im Hause der Urgroßmutter so großzügig zu, in jedem besseren Hause war es so. Bei meinem Urgroßvater Fleischer war die Wirtschaft noch größer. Er hatte außer seiner großen Wollweberei und Landwirtschaft noch ein großes, früher adliges Gut gekauft in Szent Miklos. Er pachtete immer auch viele Wirtshäuser auf sächsischen Gemeinde, die er mit Getränken versorgte. Seine Keller waren immer voll Wein, 20-30 Fässer standen da in Reihen. Jeder bessere Heltauer Hauswirt kaufte damals im Herbst 2-3 Fässer Wein. Bei Urgroßvater Fleischer waren 11 verheiratete Kinder (4 Söhne und 7 Töchter), da waren schon zu viele Enkel und Urenkel, so daß nicht mehr die ganze Familie regelmäßig zusammenkommen konnten. Als der Urgroßvater starb, lebte die Urgroßmutter bei ihrem jüngsten Sohn, Misch, der das Stammhaus übernommen hatte (den übrigen Söhnen hatte der Vater jedem ein schönes großes Haus gebaut). Die Heltauer galten als tüchtige Geschäftsleute, sie kamen auch weit in der Welt herum. Zum Wolleinkauf zogen sie meist in die Walachei, das Heltauer Tuch verkauften sie nach Ungarn und Galizien. Damals gab es noch keine Eisenbahn, überallhin mußten sie mit den Wagen fahren. Es ging den Heltauern gut, auch die ärmeren, die, die Wollweberei nicht selbständig betreiben konnten, diese arbeiteten für die wohlhabenden und verdienten auch, was sie brauchten und wenn sie tüchtig waren, brachten sie es selbst zu Wohlstand.
Soweit die Erinnerungen unserer Mutter. Ausschnitt aus Ahnenforschung, geschrieben von Emma Gündisch.
Eingesendet von Michael Herbert, Amberg, am 20.12.08

Michael Herbert

Aus den Aufzeichnungen von Emma Gündisch (1901-1992)

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