Abends daheim - Winternachmittag

Abends daheim. Winternachmittag. Es wird früh dunkel. Ich komme aus der Schule. Daheim brennt schon anheimelnd die Lampe. Es duftet in der Küche nach gebähtem (getoastet) Brot u. frischgekochter Milch. "Richt de Schälcher " (Richtet die Tassen), sagt Mutter, als ich Mantel u. Haube abgelegt habe. Ich stelle nun die lange Reihe der Kaffeeschalen auf den Tisch: Tati, Mami, Hans, Emmi, Frieda, Erna, Rick, Mick, Willi. Niemand ist ausgeblieben! Jeder hat eine saubere seine Schale. Auch die Zuckerbüchse u. die Kaffeeflasche kommen auf den Tisch. 4 Uhr oder 1/2 5 trinken wir alle zusammen Kaffee. Nach der Jause wird abgeräumt, der große Küchentisch wird abgewischt und es geht ans Spielen. Die Kleinsten von uns sitzen oder stehen auf der Bettruhe vor der, der Tisch steht, die Größeren auf der ändern Seite des Tisches. Mutter sitzt mit einer Handarbeit dabei, Vater ist nach der Jause wieder in die Fabrik gegangen. Ich erinnere mich, wie gut ich als kleineres Kind mit einem Bauernhof, zu dem Bauer, Bäuerin, Bauernhaus, allerlei Haustiere u. auch Bäume gehörten, gespielt habe. In einer ovalen Holzschachtel wurden nach dem Spielen diese bunten Sachen, die mit Lack überzogen waren, versorgt. Sehr gut spielten wir auch mit dem Ankersteinbaukasten. Wir bauten nach Vorlagen Brücken, Kirchen u. die schönsten Burgen. Die Bausteine ließen sich aber auch als Möbel verwenden. Die Bausteinschachtel war die Puppenstube. In die Stube führte eine breite Treppe. Ringsum bauten wir eine Mauer u. grenzten damit den Hof ab. Wie gerne habe ich auch mit Bausteinen, Domino oder Bohnen Kindergarten u. Schule gespielt. Kündigte sich da schon die zukünftige Lehrerin an ? Auch mit Puppen u. Puppengeschirr spielten wir gern. Wir schneiderten u. kochten für die Puppen. Einmal hatten wir zu Christtag ein Puppenkaffeeservice aus Porzellan bekommen. Ich sehe noch die Schachtel mit dem schönen Geschirr unter dem Christbaum. Die größeren Kinder machten, soweit sie das nicht schon tagsüber erledigt hatten, im Zimmer ihre schriftlichen Aufgaben für die Schule. Für die mündlichen wurde nicht viel Zeit verwendet, außer man hatte ein Gedicht auswendig zu lernen. Zum Abendessen gab es im Winter Presswurst oder Leberwurst oft mit Zwiebel in Essig (Vater hatte das gern) manchmal gebratene Kartoffeln mit Bratenfett u. Krautsuppe dazu oder ein wenig frischen Speck. Und dann Äpfel, wie viel wir wollten ! Nach dem Abendessen kamen die Kleinen ins Bett, die "Großen " durften noch eine Stunde aufbleiben und lesen. Das waren schöne Stunden! Der Genuss des Lesens wurde noch erhöht, wenn wir dabei Äpfel aßen. Was lasen wir? Wir holten uns Bücher aus der Schulbibliothek: "Aus unserer Väter Tagen " hieß eine Bücherreihe geschichtlichen Inhalts, Erzählungen von Christoph Schmidt, Marie Natasius, Niertz, dann Indianerbücher, Mädchenbücher, die wir uns von Freundinnen borgten u. deren wir auch mehrere besaßen, später Roseggergeschichten u.s.w. Mutter las auch gerne, sie las auch unsere Kinderbücher. Den kleineren Kindern erzählte sie nicht aus Märchen, sondern oft auch etwas von dem, was sie gelesen hatte. z.B. Robinson in der Lindenhütte" von Sohnreg, dann hörten wir größeren auch gerne zu. Für unsere Kleinsten durften die Märchen nicht traurig sein. Wenn eine traurige Stelle kam, musste Mutter mit dem Erzählen aufhören.

Emma Gündisch (1901-1992) Langasse 277

Ausschnitt aus:
Ausschnitt aus:
Aus unserem Elternhause
Kindheitserinnerungen
Meinen lieben Geschwister zu Christtag 1969

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