Eintrag Nr. 7537

14.11.2004, 19:51 Uhr

ulrike messer-krol [u.messer-krol[ät]kpr.at]

Zu Ostern 1990 war ich zum ersten mal in Leschkirch. Im Sommer davor hat das niederösterreichische Jugendrotkreuz Kinder aus Siebenbürgen für einen Sommermonat in unser Bundesland gebracht und somit wurden wir - und sind es bis heute - die "zweiten" Eltern eines Geschwisterpaares aus Nocrich. Der Ort war damals im Umbruch begriffen, es gab aber noch einige Sachsen, darunter ein altes Ehepaar, ein junges mit einer entzückende kleinen Tochter, der Pfarrer, und die Lehrerin, die war aber auch nur mehr zu Besuch aus Deutschland gekommen. Es gab noch ein Universal-Geschäft, nur der Bäcker war schon fort, und die Kirche im Zentrum wirkte solide und für die Ewigkeit gebaut. Schon ziemlich baufällig war das visavis gelegen Brukenthal-Geburtshaus, dessen frühere Pracht nur mehr am einladenden Grundriss zu merken war.
Heuer war ich, wie schon viele Ostern zuvor, wieder in Leschkirch.Es gibt kein Geschäft mehr, dafür mindesten 6 Bars, in denen auch das nötigste zu kaufen ist. Die Kirche verliert die Dachziegel, der Turm hat besonders gelitten. Das Brukenthalhaus gehört jetzt angeblich dem früheren securitate-Chef und hat im Erdgeschoss die größte und lauteste Bar des Ortes. Einige Häuser an der Hauptstrasse sind bereits eingestürzt, andere modernisiert... Die beiden landwirtschaftlichen Betriebe sind stillgelegt, die letzten Maschinenteile verrosten; fast alle Leute sind arbeitslos, die Roma haben überhaupt keine Chance, und viele leben von Mais und Eiern, das bisschen Kindergeld geht für Brot, Strom und Gas auf, und für Alkohol, meist reicht es aber nur für das billigste Bier, und Zigaretten werden einzeln gekauft, was aber verboten ist.
Für die Zukunft gibt es wenig Perspektiven: Die Landwirtschaft ist nicht wettbewerbsfähig, für den Tourismus ist der Ort nicht attraktiv genug. Die einzige Chance wird das Auspendeln nach Hermannstadt sein. Gut ist nur die Luft - wir schlafen dort immer ausgezeichnet, aber wir sind auch nur Besucher und kommen einmal im Jahr. Was aber, wenn es meine Heimat und die meiner Eltern und Großeltern gewesen wäre ?

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