Dododitzi

Der Pfarrer von Nadesch (Pfr. Joh. Georg Fronius - Anm. hgb) war ein leidenschaftlicher Freund und Verehrer der Musik. Er spielte die Geige ganz vorzüglich. Von seinen drei Violinen war ihm besonders die letzterworbene ans Herz gewachsen. Sie trug in ihrem Inneren in verblichenen Schriftzügen von unzweifelhafter Echtheit den Namen des unsterblichen Meisters Amati in Cremona. Die Saiten und das Kolofonium für das kostbare Instrument bezog der alte Herr direkt aus Wien. Und das Haus Misselbacher in Schässburg hatte ein für allemal den Auftrag, jeden neuen Walzer und Tschardasch, der in Wien oder Pest erschienen war, ihm zuzusenden.
Der damalige Woiwode (Bulibasche) der Zigeuner, Dododitzi genannt, war ebenfalls ein Freund der Musik und spielte nach dem Pfarrer die Geige in der Gemeinde am besten. Im übrigen war er ein Zigeuner, wie er im Buch steht. Er hatte nie in seinem Leben Noten gelernt, besaß aber ein feines Gehör und konnte jede Melodie, die er dreimal gehört hatte, nachgeigen, oder – wie er sagte: „Mit dem Ohr stehlen“. Er verstand auch andere einträgliche Kunst, konnte Schuhe und kupferne Kessel flicken, Pferde beschlagen, den „bösen Hals“ bei Schweinen heilen und selbst bei Kindern gegen „die böse Art“ reden. Dabei verstand er es meisterhaft, die Handgriffe der einen Kunst der anderen dienstbar zu machen.
An einem Sommerabend erklang von der Höhe des Pfarrhauses die Violine des Pfarrers. Er spielte den neuesten Tschardasch, den er aus Pest erhalten und den diesseits des Königsteiges damals noch keiner gehört oder gespielt hatte. Dododitzi saß, die kurze Pfeife im Mund, die Geige in der Hand, auf einem Holzklotz vor seiner Hütte, sperrte Mund und Augen auf und war ganz Ohr. Als ihm die Pfeife aus dem Mund gefallen war, setzte er die Geige an und spielte in leisen Tönen den Tschardasch nach, der von der Anhöhe des Pfarrers herüberklang. Als der Pfarrer sein Spiel beendet hatte und sich zur Ruhe begeben wollte, erhob sich Dododitzi von seinem Sitz und spielte sofort den neuen Tschardasch laut und fehlerlos nach. Hätte der Pfarrer nicht die Geschicklichkeit seines musikalischen Nebenbuhlers gekannt, er würde an Hexerei geglaubt haben. Verstimmt ging der alte Herr zu Bett.
Bei Tagesanbruch schon erklangen die schrillen Töne des „Pfarrers-Glöckleins“. Alsbald meldete sich der Herr Kantor und fragte nach dem Befehl des Wohlerwürdigen Herrn Vaters. „Herr Kantor“, sagte der alte Herr, „der Dododitzi hat mir schon wieder meinen neuen Tschardasch gestohlen. Gehen sie sofort zu ihm und bringen sie ihn samt seiner Geige tot oder lebendig auf den Pfarrhof“. Es dauerte nicht lange, so tauchte die Gestalt des Zigeuners in Begleitung des Kantors im Pfarrhoftor auf. Der Zigeuner wusste wohl, dass er von dem alten Herrn nichts zu fürchten hatte, doch hatte er eilig einige Arbeiten für die Pfarrerin fertig gemacht und brachte dieselbe mit, um sie für alle Fälle für sich zu stimmen. Auf dem Kopf trug er als Hut den Kupferkessel, den er geflickt hatte, an der rechten Seite hing ein Backtrog, dessen klaffenden Riss er mit Pech und Eisen geheilt hatte, auf der linken Seite stellte das Gleichgewicht das mächtige Futteral her, in dem die Geige des Zigeuners geborgen war.
Sofort nach der ersten Begrüßung und nach dem Geständnis des Zigeuners, dass er dem alten Herrn den Tschardasch mit dem Ohr gestohlen und nachgespielt habe, nahm derselbe Rache am kunstverständigen Nebenbuhler. Der Zigeuner wurde bewirtet, und sodann wurde der neue Tschardasch zu zweien gespielt. Der Zigeuner gab zwar zu, dass der alte Herr besser spiele als er, aber er ließ durchblicken, dass beim geigen gar viel auf die Violine ankomme und dass er nicht eher ruhen wolle, bis er auch eine Geige mit Schrift habe, in der der Name Amati stehen müsse. „Die sind dünn gesät, Dododitzi“, sagte der alte Herr, “eine Amati wird wohl nie als Eigentum in deine Hände geraten“. „Man soll nichts verreden, wohlehrwürdiger Herr Vater, unter der Sonne ist alles möglich“, sagte der Zigeuner, „wer weiß, was einem von unserm Herrgott noch vorbehalten ist“. „Ja, ja“, dachte der Kantor, „unter der Sonne ist alles möglich und du sollst eine Amati bekommen mit Schrift und Jahreszahl und Datum“.
Dododitzi kam schon nach acht Tagen zum Pfarrer und kündigte demselben voll Freude an, er habe nun doch auch eine Amati; von nun an werde es sich zeigen, wer von ihnen besser spiele. Die Schrift in der Geige sähe noch viel schöner aus als die in der Geige des Herrn Vaters. Vielleicht wäre es die letzte und beste Geige, die der Meister gemacht habe.
Neugierig setzte der alte Herr seine Brille auf, um die Schriftzüge im Inneren der Violine sorgsam auf ihre Echtheit zu prüfen. Der Zigeuner hatte sich die Schrift vom Herrn Kantor lesen lassen und glaubte, sie genau auswendig zu wissen. Während der Pfarrer las und ein Lächeln um seine Lippen spielte, sprach der glückliche Zigeuner silbenweise die vermeintliche Schrift: Ni – co – laus – A – ma – ti – Cre – mo – na. „Dododitzi“, sagte hierauf der Pfarrer, „das steht nicht drinnen, sondern „Schwefelfreie Zündhölzchen“, und für solche lässt sich der alte Kasten auch verwenden, sonst ist er nicht viel wert“.
Der Zigeuner raufte sich vor Ärger die Haare. „Wohlehrwürdiger Herr Vater, hätte ich gewusst, dass man einen mit dieser gottverdammten Schrift so hintergehen kann, ich wäre lieber ein oder zwei Jahre in die Schule gegangen und hätte mich vom Herrn Schulmeister blau und rot schlagen lassen. Aber ein Trost bleibt mir doch im Unglück; ich bin zwar ein Zigeuner, aber doch ein ehrlicherer Mensch als mancher Schriftgelehrte“.

hgb

- Aus „Schnurren und Späße aus Siebenbürgen“ von Misch Orend, Hermannstadt 1943.

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