Denk ich an Reußmarkt ...

19. August 2010

Allgemeiner Bericht

Denk ich an Reußmarkt...
Denk ich an die Kirchenburg...ein beeindruckendes Gebäude...Die Ringmauer gibt Schutz und Geborgenheit. In der Luftaufnahme kommt ihre schöne, ovale Form sehr gut zur Geltung. Eingefasst wie ein Schmuckstein liegt in ihrem Inneren die Kirche mit dem Wehrturm. Beim Betreten der Burg, durch eine kleine, unscheinbare Holztür, macht sofort der Ton eines Glöckchens, den Burghüter auf den "Eindringling" aufmerksam. Man muss erst sein Anliegen vorbringen, bevor man das Innere besichtigen kann.

Erinnerung aus glücklichen Kindertagen...
"Gaden Doch! Mischenihm, Mer walen af den Turm!" Es war für uns Kinder jedes Mal ein kleines Abenteuer, die steilen Treppen und Leitern bis zu den Glocken hochzuklettern. Zudem war es dunkel und unheimlich in dem alten Gemäuer. Mit viel Herzklopfen aber mutig schafften wir es doch. Oben war man zurecht ganz stolz, auch ohne Erwachsene auf den Turm gestiegen zu sein. Man hat uns so viel Verantwortung zugetraut. Nach allen Himmelsrichtungen hatte man jetzt einen wunderbaren, weiten Blick. Wir suchten und fanden unsere Straße und das Haus. Von hier oben sah alles schön geordnet aus und es wehte immer ein frisches Lüftchen hier oben. Lange konnte man, ans Holzgeländer gelehnt, verweilen, dem Treiben in den Gassen zuschauen. Immer waren geschäftige Menschen unterwegs. Aber dann war es an der Zeit, wieder den Boden unter die Füße zu bekommen. Wir waren erleichtert, wenn uns der Abstieg über die senkrechte Leiter und die engen, dunklen Gänge, ohne Schaden gelang. Meist wartete der Burghüter schon auf uns. Ob er sich um uns vielleicht Sorgen gemacht hat? Ganz beschwingt machten wir uns davon.

Denk ich an Reußmarkt...
Denke ich an das Mittagsläuten. Die Mittagszeit läutete ein helle, kleine Glocke ein, die sehr weit zu hören war. Im Sommer halfen wir den Großeltern auf dem kleinen Stückchen Land, das ihnen nach dem Krieg als Eigentum verblieb, beim „Schuewen“ oder im Herbst beim Ernten. Nach der anstrengenden Arbeit waren wir froh, wenn die Mittagsglocke rief. Endlich konnte man zum Jausen in den Schatten flüchten. In der Gemeinschaft hat das einfache Essen (Brot, Speck, Zwiebeln, Tomaten, Gurken-Eigenprodukte!) wunderbar geschmeckt.

Denk ich an Reußmarkt...
Denk ich an die sehr warmen Sommerabende. Vom Kirchturm läutete die „Bietglok“. Vernahm man den ersten Ton, wurde sogleich ein ernstes „Härr helf!“ gesprochen. Großmutter faltete für einen Augenblick die Hände, immer dankbar, obwohl Ihr der Tag meist mühselige Arbeit in Hof, Garten oder Feld bescherte. Dieses „Härr helf“ sind bleibende Worte, die mir aus fernen Kindertagen auch heute noch im Ohr klingen, wenn ich Kirchengeläut vernehme. Nach dem Abendläuten ging es im Hof und auf der Gasse geruhsamer zu. Die Arbeit ruhte und die Menschen auch. Wir Kinder nutzten noch ausgiebig die Zeit zum Spielen mit den Kinder aus der Nachbarschaft. Man war nie allein.

Denk ich an Reußmarkt...
Aus unserem Garten war der Turm zu sehen. Tagtäglich hat der warme Klang der Glocken, ganz selbstverständlich gemahnt und gerufen. Feierlich ertönten Sonntags alle Glocken. Sie riefen die Gemeinde zum Gottesdienst. Aus allen Himmelsrichtungen traten Männer und Frauen, die Burschen, die Mädchen den Weg zur Kirche an. Wir waren sehr stolz, die schöne Tracht zu tragen.

Denk ich an Reußmarkt...
Die Konfirmation war ein wichtiger und prägender Tag. Uns wurde ein Spruch auf den Weg mitgegeben. Wir sind mit dem Segen Gottes auf den weiteren Weg geschickt worden. Im Nachhinein bin ich für alles Erlebte aus dieser Zeit unendlich dankbar. Wie wahr, ein feste Burg ist unser Gott, habe ich erlebt in Reußmarkt genauso wie in der neuen Heimat Die Glocken vom Kirchturm in Reußmarkt klingen in der Erinnerung immer wieder nach, so wie es im folgenden Zweizeiler treffend bemerkt wird:
„wo du als Kind gespielt hast und gesungen, die Glocken der Heimat sind nicht verklungen“

Fast 750 Jahre der Kirche sind inzwischen Geschichte. So Gott will, werden noch viele Jahre folgen, in denen diese Kirchenburg, auch anderen Menschen zum Segen werden soll.


Härr helf!

Katharina Schneider geb.Thiess, bis 25.11.1969 in Reußmarkt wohnhaft

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