Vor 15 Jahren: Der Sturz des Ceausescu-Regimes
Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. (Jes. 9, 1f)
Erinnern Sie sich noch an den Heiligen Abend 1989? Mir kommt’s vor, als wäre es eben erst gestern gewesen. Ich hatte am frühen Nachmittag einen Gottesdienst in Marienburg zu bestellen und hatte mich mit dem Auto auf den Weg gemacht. Es waren jene bewegten Tage, die auf den Fall des Ceauşescu-Regimes folgten. Die politische Lage war nach der Gefangennahme des Diktatoren-Ehepaares alles andere als geklärt. Überall hatten sich am 23. und 24. Dezember Mitglieder der „patriotischen Garden“ bewaffnet, um gegen Ausfälle durch „Terroristen“ gewappnet zu sein. An besagtem Heiligen Abend wurde ich auf der relativ kurzen Strecke bis nach Marienburg zweimal angehalten. Zum ersten Mal hielt mich eine bewaffnete Gruppe bei der Zuckerfabrik auf. Ich musste aussteigen, mich ausweisen, mein Auto wurde gründlichst nach Waffen durchsucht. Einer der Mitglieder der Garde erkannte mich und sagte: „das ist der sächsische Pfarrer“. Er bekam von einem anderen entgegnet: „Das kann jetzt jeder sagen – wenn er ‚sauber’ ist, kann er weiterfahren!“ Ich durfte schließlich weiterfahren. Kurz vor Marienburg ein ähnliches Prozedere: seitwärts der Straße waren zwei Sandhaufen aufgerichtet worden, auf denen je ein Maschinengewehr aufgepflanzt war. Die Straße war durch zwei schwere LKWs blockiert. Wer durch wollte, musste erst anhalten, wurde durchsucht. Ich kann mich erinnern, dass diese zweite Sperre einen schweren Eindruck auf mich machte. Ich hätte ja nur zu schnell auf sie zufahren müssen – und das hätte nur jemand falsch interpretieren brauchen...
Als ich nach dem Gottesdienst in Marienburg wieder nach Hause fuhr, war der Spuk vorbei. Tags darauf sickerte durch, dass Sicherheitsmaßnahmen notwendig und berechtigt gewesen seien – in Kronstadt hatte es, wie auch in anderen Städten, Schießereien mit ehemaligen Sicherheitskräften gegeben.
Ich kann mich erinnern, dass in den Gottesdiensten in jenen Tagen alle sehr gerührt waren, als diese Worte des Alten Testaments von den Kanzeln erklangen: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude...“ Bei allem Schmerz und der Trauer um die Opfer war in den ersten Tagen die Euphorie sehr groß, etwas von Grund auf Neues schaffen zu wollen. Und es hatte eben auch den Eindruck, dass führende Westmächte zumindest die Vermutung bestärkten: Gemessen an der Zahl der Opfer hat das Land die größten Chancen auf einen totalen Neubeginn und einen umfassenden Systemwechsel.
Was ist daraus geworden? Eine Frage, die wohl von vielen Menschen ein wenig wehmütig gestellt wird. Ich maße mir nicht an, die jetzige gesellschaftliche und politische Lage zu beurteilen. Dafür bin ich schon zu lange weg und was ich vom Hören-Sagen mitbekomme, ist für ein derartiges Urteil nicht ausreichend. Aber ich kann mich erinnern, wie wir in den ersten beiden Jahren nach der „Revolution“ die Lage unserer siebenbürgischen Kirchengemeinden empfanden: Sie bluteten buchstäblich aus. Die neue Freiheit brachte ab Sommer 1990 einen Auswanderungs-Boom mit sich, auf den die Kirchengemeinden nicht vorbereitet gewesen waren. Innerhalb zweier Jahre mussten die meisten Kirchengemeinden ihre Leitungsgremien bis zu viermal neu wählen.
Nach fünfzehn Jahren darf man ihnen bescheinigen, dass sie den radikalen Aderlass überlebt haben, auch wenn es anders geschah und auch wenn diese Kirchengemeinden heute anders aussehen als erwartet, erhofft oder befürchtet.
Und noch eines: Fünfzehn Jahre nach dem Zusammenbruch des Ostblocks darf und muss man nach sehr vorsichtiger Einschätzung den westlichen politischen und wirtschaftlichen Systemen bescheinigen, dass nicht nur die kontrollierte Planwirtschaft im Ostblock und die dort entstandenen Diktaturen sich – Gott sei’s gedankt - überholt haben, sondern dass auch die „freie“ Marktwirtschaft und die darin entstandenen „Demokratien“ sich überholen werden. Wir leben heute in einem Land, das dem Staatsbankrott nahe ist und in den nächsten Jahren gefragt sein wird, wie Demokratie und Politik so zusammengebracht werden können, dass sie wieder der Sache jener dienen, die den Führenden das Mandat zum Führen gaben. Auf diesem Hintergrund maße ich mir erst recht kein Urteil über die Situation „draußen“ an. Ich wünsche uns allen die Besonnenheit, die wir brauchen, um uns auf neue Situationen hier und heute einstellen und um unseren Beitrag leisten zu können, damit ein neues System – sollte es irgendwann kommen – in Frieden und Freiheit gelingt. So gesehen, gilt es, die alte Botschaft für die je eigene Zeit wahrzunehmen und neu zu definieren: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht...“
Und schließlich: Es gibt eine psychologische Feinheit, die uns allen zu denken geben sollte: Tief im Unterbewussten haben viele von uns seit den 70-er Jahren nach dem Motto gelebt: Wenn der Druck zu stark wird, wenn es hier (gemeint ist: - in Siebenbürgen) nicht mehr aushaltbar wird, dann gehe ich; dann wandere ich aus. Diese Chance hatten wir. Eine zweite „Flucht“ gibt es nicht – es sei denn, sie erfolgt nach innen hin – dann wäre sie unredlich. Und dann würden wir wahrscheinlich auch „das Licht“ verspielen...
Ich grüße Sie ganz herzlich zum Weihnachtsfest 2004 und wünsche Ihnen Gedanken des Friedens.
Als ich nach dem Gottesdienst in Marienburg wieder nach Hause fuhr, war der Spuk vorbei. Tags darauf sickerte durch, dass Sicherheitsmaßnahmen notwendig und berechtigt gewesen seien – in Kronstadt hatte es, wie auch in anderen Städten, Schießereien mit ehemaligen Sicherheitskräften gegeben.
Ich kann mich erinnern, dass in den Gottesdiensten in jenen Tagen alle sehr gerührt waren, als diese Worte des Alten Testaments von den Kanzeln erklangen: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude...“ Bei allem Schmerz und der Trauer um die Opfer war in den ersten Tagen die Euphorie sehr groß, etwas von Grund auf Neues schaffen zu wollen. Und es hatte eben auch den Eindruck, dass führende Westmächte zumindest die Vermutung bestärkten: Gemessen an der Zahl der Opfer hat das Land die größten Chancen auf einen totalen Neubeginn und einen umfassenden Systemwechsel.
Was ist daraus geworden? Eine Frage, die wohl von vielen Menschen ein wenig wehmütig gestellt wird. Ich maße mir nicht an, die jetzige gesellschaftliche und politische Lage zu beurteilen. Dafür bin ich schon zu lange weg und was ich vom Hören-Sagen mitbekomme, ist für ein derartiges Urteil nicht ausreichend. Aber ich kann mich erinnern, wie wir in den ersten beiden Jahren nach der „Revolution“ die Lage unserer siebenbürgischen Kirchengemeinden empfanden: Sie bluteten buchstäblich aus. Die neue Freiheit brachte ab Sommer 1990 einen Auswanderungs-Boom mit sich, auf den die Kirchengemeinden nicht vorbereitet gewesen waren. Innerhalb zweier Jahre mussten die meisten Kirchengemeinden ihre Leitungsgremien bis zu viermal neu wählen.
Nach fünfzehn Jahren darf man ihnen bescheinigen, dass sie den radikalen Aderlass überlebt haben, auch wenn es anders geschah und auch wenn diese Kirchengemeinden heute anders aussehen als erwartet, erhofft oder befürchtet.
Und noch eines: Fünfzehn Jahre nach dem Zusammenbruch des Ostblocks darf und muss man nach sehr vorsichtiger Einschätzung den westlichen politischen und wirtschaftlichen Systemen bescheinigen, dass nicht nur die kontrollierte Planwirtschaft im Ostblock und die dort entstandenen Diktaturen sich – Gott sei’s gedankt - überholt haben, sondern dass auch die „freie“ Marktwirtschaft und die darin entstandenen „Demokratien“ sich überholen werden. Wir leben heute in einem Land, das dem Staatsbankrott nahe ist und in den nächsten Jahren gefragt sein wird, wie Demokratie und Politik so zusammengebracht werden können, dass sie wieder der Sache jener dienen, die den Führenden das Mandat zum Führen gaben. Auf diesem Hintergrund maße ich mir erst recht kein Urteil über die Situation „draußen“ an. Ich wünsche uns allen die Besonnenheit, die wir brauchen, um uns auf neue Situationen hier und heute einstellen und um unseren Beitrag leisten zu können, damit ein neues System – sollte es irgendwann kommen – in Frieden und Freiheit gelingt. So gesehen, gilt es, die alte Botschaft für die je eigene Zeit wahrzunehmen und neu zu definieren: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht...“
Und schließlich: Es gibt eine psychologische Feinheit, die uns allen zu denken geben sollte: Tief im Unterbewussten haben viele von uns seit den 70-er Jahren nach dem Motto gelebt: Wenn der Druck zu stark wird, wenn es hier (gemeint ist: - in Siebenbürgen) nicht mehr aushaltbar wird, dann gehe ich; dann wandere ich aus. Diese Chance hatten wir. Eine zweite „Flucht“ gibt es nicht – es sei denn, sie erfolgt nach innen hin – dann wäre sie unredlich. Und dann würden wir wahrscheinlich auch „das Licht“ verspielen...
Ich grüße Sie ganz herzlich zum Weihnachtsfest 2004 und wünsche Ihnen Gedanken des Friedens.
Pfarrer Helmut Kramer