"Gelebte Poesie": Sidona Bauer promovierte an der Sorbonne in Paris
Sidona Bauer promovierte am 13. November 2013 im Fach Romanische Philologie / Französische Literatur mit der Note „magna cum laude“ an der renommierten Universität Sorbonne in Paris. In ihrer Doktorarbeit thematisiert sie „Die gelebte Poesie André Velters“. Dr. Sidona Bauer schildert im Folgenden ihren akademischen Werdegang und ihre Prägung, die sie schon in Brenndorf und in Rumänien erfuhr.
Im Winter 1981 wurde ich als Tochter meiner Eltern Ellen Bauer und Edgar Kloos in Kronstadt / Braşov geboren. Zweieinhalb Jahre meiner frühesten Kindheit verbrachte ich in Brenndorf / Bod. Danach mussten wir nach Deutschland auswandern bzw. zurückkehren. Dank der Erzählungen meiner Familienmitglieder besteht die Zeit in Siebenbürgen lebendig in mir fort: Menschen, Wege, Flüsse, Sitten, Berge, Pflanzen, das außergewöhnliche Licht, besondere kulturelle Gepflogenheiten, die Herzlichkeit, die Toleranz, die Speisen – und die Lyrik. Mein Großvater Gerhard Bauer, Ellen, Edgar und ihre Freunde liebten Gedichte und rezitierten sie. Edgar Bauer war Maler und schrieb selbst Gedichte. Rumänien hat bedeutendste europäische Dichter hervorgebracht, die im Exil berühmt wurden: Paul Celan, Rose Ausländer, Luca Gherasim, Lorand Gaspar und Elisabeth Axmann.
Eine ähnliche kulturelle Praxis wie diejenige des Friedrich Schiller Kulturhauses in Bukarest und die der Intelligentsia Brenndorfs lernte ich während meiner Studienjahre in Frankreich kennen. Dank der Semaine de la poésie (Woche der Poesie) und des Printemps des poètes (Dichterfrühling), mit deren Leitern (André Velter, Jean-Pierre Siméon) ich mich anfreundete, durfte ich an der lebendigen Dichterkultur Frankreichs teilhaben. Nach meinem, durch die Studienstiftung des deutschen Volkes geförderten, an der Universität zu Köln 2007 abgeschlossenen Magisterstudium in den Fächern Romanistik: Französisch und Italienisch, Kunstgeschichte und Psychologie begann ich ein Promotionsstudium im Fach französische Literaturwissenschaft als Cotutelle de thèse (eine formelle Doppelbetreuung, die es mir erlaubt, den französischen und den deutschen Doktortitel zu tragen) an den Universitäten Sorbonne Nouvelle – Paris 3 und Köln. Große Unterstützung erhielt ich von meinem langjährigen Rumänischlehrer Dr. Daniel Eiwen und von Prof. Matei Chihaia. Der dreijährige Forschungs- und Studienaufenthalt in Paris wurde mit einem Promotionsstipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes gefördert.
Die Lyrik des zeitgenössischen französischen Dichters André Velter hat in mir einen „poetischen Schock“ ausgelöst, der es mir vergönnte, mich fünf Jahre lang leidenschaftlich der knochentrockenen wissenschaftlichen Analyse und Einordnung des Werkes, seines Stils, seiner biographischen, historischen, politischen, kulturellen und geographischen Kontexte zu widmen. Daraus entstand die über 1000 Seiten schwere Promotionsarbeit La poésie vécue d’André Velter („Die gelebte Poesie André Velters“), die ich am 13. November 2013 an der Sorbonne mit der Note „très honorable“ / „magna cum laude“ verteidigte. Affinitäten weist die Poesie André Velters ohne Zweifel zum rumänischen Volkslied, den Doinen, der Mioriţa, mündlichen Gesängen der Nomaden (Zigeuner), der Poesie Mihai Eminescus und moderner rumänischer Dichtung und Kunst auf: Seine Nähe zu Constantin Brâncuşi ist offenbar. Ich erarbeitete eine nomadische Geopoetik der Poesie André Velters. Dies bedeutet, dass ich in seinem Werk eine Poetologie vorfand und aufzeigte, die in einer ständigen ethischen, ästhetischen und zugleich physischen Bewegung begründet ist. So ist die Lyrik des Reisenden und Dichters eine Poesie der Grenzüberschreitungen und des Lobs des Fremden und Unbekannten. Das Gedicht „L’autre“ („Der Andere“ aus Du Gange à Zanzibar, 1993) eröffnet das Werk mit der Erkenntnis des Gleichen im Anderen und des willkommenen Fremden in uns selbst: „Tu es celui / Et tu es moi“ („Du bist jener / Und du bist ich“).
Ein Land wie Rumänien war und ist in der Lage, verschiedene Bevölkerungsgruppen gleichberechtigt zu integrieren. Die Menschenrechte, die 1948 nach den Gräueln des Zweiten Weltkrieges proklamiert wurden, sprechen in Artikel 1: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie […] sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.“ Die Poesie ist vielleicht der Ort, an dem diese Forderung nach der Würde des Menschen am schärfsten zur Sprache kommt. Gelebte Poesie erinnert uns an Geschehenes, weckt uns, regt uns an zu luzidem Denken, zu kritischem Hinterfragen und Aufmüpfigkeit, ohne jemals rigide oder dogmatisch zu werden. Sie gründet sich auf Wahrhaftigkeit.
In Transsylvanien, woher ich stamme, leben die vier großen Bevölkerungsgruppen der Rumänen, der Deutschen, der Gruppe der Zigeuner und der Ungarn. Das Ruhrgebiet, in dem ich derzeit lebe, ist ein fruchtbares Völkergemisch. Die Poetik André Velters zeigt die prinzipielle Möglichkeit eines Miteinander des Verschiedenen auf, das ein Reservoir von Energie ist, indem es Unterschiede nicht einebnet, sondern nebeneinander bestehende Eigenheiten aufwertet.
Zurzeit biete ich im Rahmen des Projekts „Südosteuropa“ der VHS Duisburg Deutschkurse für rumänische und bulgarische Zigeuner an. Sie sind ein Schritt hin zur Integration. Aber auch durch Literaturvermittlung an der Universität können menschliche Werte vermittelt werden.
Der internationale Geist, der in Verbindung mit Kultur und dem Wert der Toleranz europäische und – darüber hinaus gehend – allgemeinmenschliche Solidarität schafft, ist mir vertraut und vor allem ein Erbe derjenigen Menschen, die ich aus Rumänien – Bukarest, Kronstadt und Brenndorf – kenne. Viele von ihnen sind bereits gestorben. Einige sind in Rumänien geblieben, andere nach Kanada ausgewandert oder nach Deutschland gezogen. Ich denke, dass mein Fremdes in mir, das ich bin, eben dort seinen Anfang nahm: Weshalb eine rumänische Landschaft und ein rumänisches Wesen für mein Denken und Fühlen von zentraler Bedeutung sind.
André Velters Werk ist eine engagierte Lyrik, die ihre Hoffnung und Energie in die Zukunft richtet, wie eine Sonnenblume ihr Gesicht der Sonne zuwendet.
Eine ähnliche kulturelle Praxis wie diejenige des Friedrich Schiller Kulturhauses in Bukarest und die der Intelligentsia Brenndorfs lernte ich während meiner Studienjahre in Frankreich kennen. Dank der Semaine de la poésie (Woche der Poesie) und des Printemps des poètes (Dichterfrühling), mit deren Leitern (André Velter, Jean-Pierre Siméon) ich mich anfreundete, durfte ich an der lebendigen Dichterkultur Frankreichs teilhaben. Nach meinem, durch die Studienstiftung des deutschen Volkes geförderten, an der Universität zu Köln 2007 abgeschlossenen Magisterstudium in den Fächern Romanistik: Französisch und Italienisch, Kunstgeschichte und Psychologie begann ich ein Promotionsstudium im Fach französische Literaturwissenschaft als Cotutelle de thèse (eine formelle Doppelbetreuung, die es mir erlaubt, den französischen und den deutschen Doktortitel zu tragen) an den Universitäten Sorbonne Nouvelle – Paris 3 und Köln. Große Unterstützung erhielt ich von meinem langjährigen Rumänischlehrer Dr. Daniel Eiwen und von Prof. Matei Chihaia. Der dreijährige Forschungs- und Studienaufenthalt in Paris wurde mit einem Promotionsstipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes gefördert.
Die Lyrik des zeitgenössischen französischen Dichters André Velter hat in mir einen „poetischen Schock“ ausgelöst, der es mir vergönnte, mich fünf Jahre lang leidenschaftlich der knochentrockenen wissenschaftlichen Analyse und Einordnung des Werkes, seines Stils, seiner biographischen, historischen, politischen, kulturellen und geographischen Kontexte zu widmen. Daraus entstand die über 1000 Seiten schwere Promotionsarbeit La poésie vécue d’André Velter („Die gelebte Poesie André Velters“), die ich am 13. November 2013 an der Sorbonne mit der Note „très honorable“ / „magna cum laude“ verteidigte. Affinitäten weist die Poesie André Velters ohne Zweifel zum rumänischen Volkslied, den Doinen, der Mioriţa, mündlichen Gesängen der Nomaden (Zigeuner), der Poesie Mihai Eminescus und moderner rumänischer Dichtung und Kunst auf: Seine Nähe zu Constantin Brâncuşi ist offenbar. Ich erarbeitete eine nomadische Geopoetik der Poesie André Velters. Dies bedeutet, dass ich in seinem Werk eine Poetologie vorfand und aufzeigte, die in einer ständigen ethischen, ästhetischen und zugleich physischen Bewegung begründet ist. So ist die Lyrik des Reisenden und Dichters eine Poesie der Grenzüberschreitungen und des Lobs des Fremden und Unbekannten. Das Gedicht „L’autre“ („Der Andere“ aus Du Gange à Zanzibar, 1993) eröffnet das Werk mit der Erkenntnis des Gleichen im Anderen und des willkommenen Fremden in uns selbst: „Tu es celui / Et tu es moi“ („Du bist jener / Und du bist ich“).
Ein Land wie Rumänien war und ist in der Lage, verschiedene Bevölkerungsgruppen gleichberechtigt zu integrieren. Die Menschenrechte, die 1948 nach den Gräueln des Zweiten Weltkrieges proklamiert wurden, sprechen in Artikel 1: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie […] sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.“ Die Poesie ist vielleicht der Ort, an dem diese Forderung nach der Würde des Menschen am schärfsten zur Sprache kommt. Gelebte Poesie erinnert uns an Geschehenes, weckt uns, regt uns an zu luzidem Denken, zu kritischem Hinterfragen und Aufmüpfigkeit, ohne jemals rigide oder dogmatisch zu werden. Sie gründet sich auf Wahrhaftigkeit.
In Transsylvanien, woher ich stamme, leben die vier großen Bevölkerungsgruppen der Rumänen, der Deutschen, der Gruppe der Zigeuner und der Ungarn. Das Ruhrgebiet, in dem ich derzeit lebe, ist ein fruchtbares Völkergemisch. Die Poetik André Velters zeigt die prinzipielle Möglichkeit eines Miteinander des Verschiedenen auf, das ein Reservoir von Energie ist, indem es Unterschiede nicht einebnet, sondern nebeneinander bestehende Eigenheiten aufwertet.
Zurzeit biete ich im Rahmen des Projekts „Südosteuropa“ der VHS Duisburg Deutschkurse für rumänische und bulgarische Zigeuner an. Sie sind ein Schritt hin zur Integration. Aber auch durch Literaturvermittlung an der Universität können menschliche Werte vermittelt werden.
Der internationale Geist, der in Verbindung mit Kultur und dem Wert der Toleranz europäische und – darüber hinaus gehend – allgemeinmenschliche Solidarität schafft, ist mir vertraut und vor allem ein Erbe derjenigen Menschen, die ich aus Rumänien – Bukarest, Kronstadt und Brenndorf – kenne. Viele von ihnen sind bereits gestorben. Einige sind in Rumänien geblieben, andere nach Kanada ausgewandert oder nach Deutschland gezogen. Ich denke, dass mein Fremdes in mir, das ich bin, eben dort seinen Anfang nahm: Weshalb eine rumänische Landschaft und ein rumänisches Wesen für mein Denken und Fühlen von zentraler Bedeutung sind.
André Velters Werk ist eine engagierte Lyrik, die ihre Hoffnung und Energie in die Zukunft richtet, wie eine Sonnenblume ihr Gesicht der Sonne zuwendet.
Sidona Bauer