Persönliche Beobachtungen und Eindrücke aus Kleinprobstdorf im Juli 2011

Liebe Kleinprobstdorfer
Landsleute und Freunde,


anlässlich der letztjährigen HOG-Reise in die Heimat verfasste ich einen ausführlichen Reisebericht, in welchen ich meine persönlichen Eindrücke und Empfindungen nur in begrenztem Maße einfließen ließ, zumal ich einen allgemeinen Bericht zu verfassen beabsichtigte, mit dem sich möglichst alle Reiseteilnehmer/-innen identifizieren können.
Kurz nachdem ich den Reisebericht fertiggestellt hatte, schrieb ich diesen Text, in dem ich meine persönlichen Eindrücke und Wahrnehmungen aus Kleinprobstdorf schildere. Unsicher, ob ich ihn veröffentlichen sollte, hatte ich ihn bislang einfach "in der Schublade liegen gelassen".
Nun, nachdem seit unserer unvergesslichen Heimatreise mittlerweile etwas mehr als ein Jahr ins Land gegangen ist, habe ich den Text wieder hervorgeholt und mich dazu entschlossen, Euch an meinen Eindrücken und Gedanken teilhaben zu lassen.
Ich lade Euch ein, Euch mit mir etwas mehr als ein Jahr nach unserer Reise nochmals – wenn auch nur in Gedanken - nach Kleinprobstdorf zu begeben:


Die Kokelbrücke ist für uns Kleinprobstdorfer etwas ganz Besonderes: Sie stellt sozusagen die Grenze zu unserem Heimatdorf dar. Jedes Mal, wenn wir sie überschritten, wussten wir: Wir sind zuhause; Wir sind in unserem sicheren Hort, bei unseren Familien, Verwandten und Freunden. Wir sind dort, wo wir Geborgenheit, Vertrautheit und Zuneigung erfahren. Wir sind an dem Ort, der unsere Heimat ist.
An jenem unvergesslichen 9. Juli 2011 haben wir nach vielen Jahren die Kokelbrücke wieder gemeinsam überquert. Der Bus blieb nicht nur aus Sicherheitsgründen vor der Brücke stehen, sondern auch, damit wir die Brücke zu Fuß passieren konnten, um die Heimaterde unter uns zu spüren, um unser Heimatdorf mit allen Sinnen wahrnehmen zu können und um es auf würdige Art zu begrüßen.
Doch was erwartete uns? Unsere Freunde, Familien und Verwandten leben ja schon längst nicht mehr dort! Was hat sich geändert? Gibt es überhaupt noch etwas, was uns vertraut ist und uns mit unserem Heimatdorf verbindet?
In den Gassentüren erwarteten uns nur noch wenige bekannte Gesichter. Wir sind dennoch sehr freundschaftlich und herzlich empfangen und aufgenommen worden, insbesondere von unseren Gastgebern.
Nicht zuletzt als wir den Friedhof betraten, war klar, dass wir in unserem Heimatdorf noch Freunde haben, denn der Ort der Ruhe befindet sich in einem erfreulich guten Zustand. Unsere Brüder und Schwestern haben bis auf den heutigen Tag, mehr als 20 Jahre nachdem wir sie in die Heimaterde gebettet zurückließen, noch immer eine würdevolle Ruhestätte.
Zu verdanken haben wir das vornehmlich einem Mann, der den Friedhof aufopferungsvoll pflegt sowie dessen Gattin, die in ihrem Hof ein ganzes Blütenmeer von Blumen mit viel Hingabe züchtet, von welchen sie einen Teil auf die Gräber legt. Es gebührt unserer Hannitant sowie unserem Freund Liţă Stan, dass wir ihnen von ganzem Herzen danken.
Doch nicht nur der gepflegte Friedhof mit seiner Blütenpracht kam uns vertraut vor: Der Klang der Glocken hörte sich an wie ein unvergessenes Lied der Heimat, welches nun wieder zum Leben erwachte und ein wohliges Gefühl von Geborgenheit sowie Gänsehaut aufkommen ließ.
Auch die uns allen vertraute und wohlbekannte "Hiu Rätsch", zu der ich als Kind so oft ehrfurchtsvoll hochgeschaut habe, ragt wie eh und je stolz über Kleinprobstdorf.
Die Kokel hat auch wieder ungefähr die Breite, wie ich sie noch aus meiner Kindheit in Erinnerung habe. Als ich vor sechs Jahren in Kleinprobstdorf war, kam sie mir extrem schmal vor.
Es ist allerdings erschreckend ruhig geworden um die Kokel. Ich vermisse das einstige Bild von kreischenden und tobenden Kindern, die sich am Ufer tummeln, Sandburgen bauen, sich im Wasser einen Ball zuwerfen, sich gegenseitig "bespritzen" oder untertauchen.
Ebenso vermisse ich auch die Jugendlichen und Erwachsenen, die sich gemächlich ein Sonnenbad am Kokelstrand gönnten, im heißen Sand Volley-, Völker- oder Fußball spielten, wonach anschließend die Mutigen zur Abkühlung von der "Baraj-Brücke" ins kühle Nass sprangen. Auch die Frauen, die an den Scheuerbänken in der Kokel standen und die Teppiche schrubbten, gehören längst vergangenen Tagen an.
Das Getümmel und Gewimmel, das wir so geliebt haben und zu dem wir alle auch beigetragen haben, ist endgültig vorüber und existiert nur noch in unseren Erinnerungen. Von dem einstigen Sandstrand, an dem wir so viele schöne Sommertage verbrachten, ist kaum noch etwas zu sehen. Die Vegetation hat ihn sich einverleibt, Sträucher haben ihn überwuchert, fast bis ans Wasser heran. Das Wasser selbst sieht mit seiner schlammigen gelblich-bräunlichen Färbung auch nicht sonderlich einladend aus.
Es gibt aber noch ein Bild, das wir alle von früher kennen: Die Fischer, die am "dig" (Deich, Damm) sitzen, ihre Angelruten ins Wasser hängend und mit verträumtem Blick aufs Wasser wartend, dass ein Fisch anbeißt.

Von der Kokelbrücke abwärts stehen in einigen hundert Metern Entfernung am südlichen Kokelufer die Überreste der Kleinkopischer Fabriken "Negrufabrik" und "IMMN", welche uns stets drangsaliert hatten mit dem pechschwarzen Ruß und dem oft beißenden Schwefelgestank, der einem manchmal fast die Atemluft abschnitt.
Der Himmel war oftmals verhüllt von einem grauen Schleier und nahezu alles – das Gras, die Bäume, die Dächer, die Fassaden – waren mit schwarzen Rußpartikeln bedeckt.
Seitdem diese Fabriken stillgelegt wurden, erholen sich Flora und Fauna allmählich und das "Kleine Paradies" entfaltet sich in seiner ganzen Pracht; Kleinprobstdorf und die gesamte Umgebung haben ihr schwarzes, traurig anmutendes Gewand gegen bunte Vielfalt und reges Leben eingetauscht:
Der graue Schleier ist einem blauen Himmel gewichen, unter dem alles prächtig gedeiht; saftige Wiesen sowie zahllose Bäume und Sträucher verleihen den einst kahlen Hügeln wieder ein erfrischend grünes Kleid. Farbenfrohe Blüten, derer man an vielen Stellen begegnet, vervollständigen das anmutige Gesicht unseres Heimatdorfes.
Die Fassaden präsentieren sich teilweise recht schrill: Von Grüntönen, die man beinahe als "giftgrün" bezeichnen kann, bis zu grellem Orange ist nahezu alles anzutreffen.
Bereits zu unserer Zeit war an den Fassaden bekanntlich buntes Allerlei üblich (von gelb über hellgrün bis zu hellblau war alles vertreten); Ich kann mich jedoch nicht erinnern, dass damals derart grelle und knallige Farben verwendet worden wären, die eher verunstaltend wirken und fast im wahrsten Sinne ins Auge stechen.
Als unübersehbarer Schandfleck passen vor allem die hässlichen Fabrikruinen nicht in das pittoreske Gesamtbild. Als Relikte der Vergangenheit ragen die rußgeschwärzten Stahl- und Betongerippe wie ein Mahnmal in die Höhe.
Der Kühlturm der Rußfabrik ist geradezu symbolträchtig: Betrachtet man ihn nämlich etwas genauer, so stellt man fest, dass dieser Koloss auf seiner Außenhülle sowohl die Gegenwart als auch die Vergangenheit abbildet; Während sich die beiden unteren Drittel in hellem Gewand zeigen, ist das obere Drittel auch heute noch mit einer rabenschwarzen Rußschicht aus längst vergangenen Tagen bedeckt.
Dieses Phänomen lässt sich damit erklären, dass die geometrische Form des Kühlturms, der sogenannte Hyperboloid, dem Regenwasser kaum ermöglicht, die Rußschicht im oberen Bereich wegzuspülen.

Wir passieren nun nochmals die Kokelbrücke und gehen ins Dorf zurück: Die Häuser sind in unterschiedlichem Zustand: Von kürzlich renoviert bis stark baufällig (beispielsweise ohne Putz) ist alles anzutreffen.
Nicht zufriedenstellend ist insbesondere auch der Zustand der "Funktionsgebäude"; Lediglich die Schule stellt hier eine Ausnahme dar. Den meisten dürfte bekannt sein, dass sie vor einigen Jahren renoviert wurde. Im Zuge dieser Renovierung wurden auch neue Fenstern eingesetzt mit wesentlich größeren Glasscheiben. Mittlerweile gehören auch Computer zur Ausstattung der Schule.
Das stattliche Pfarrhaus bietet einen traurigen Anblick: Der Putz bröckelt allmählich, zudem sind einige Fensterscheiben eingeschlagen. Vom Zaun ist nicht mehr viel übrig; Es stehen lediglich noch die Zaunpfeiler. Die Latten sind vollständig verschwunden.
Die Ringmauer um die Kirche ist auch ziemlich renovierungsbedürftig: In ihrer unteren Hälfte ist ein großer Teil des Putzes bereits abgefallen.
Die Kirche und der Glockenturm präsentieren sich zumindest meiner Ansicht nach in einem vergleichsweise guten Zustand. Man bedenke, dass die Wehrkirchen oder Kirchenburgen mancherorts bereits stark verfallen oder sogar Ruinen sind.
Der erfreuliche Zustand unserer Kirche ist auch unserem Hans Folea-Stamp zu verdanken, dem offenbar keine Arbeit zu viel und keine Mühe zu groß ist.
Wir dürfen niemals vergessen, dass der Zahn der Zeit auch an unserer Kleinprobstdorfer Kirche nagt. Es liegt in unserer Hand, diesen Verfall möglichst zu verlangsamen und ihm entgegenzuwirken.
Es gilt zu bedenken: Je stärker der Verfall fortgeschritten ist, umso schwieriger und kostenintensiver gestalten sich die Renovierungs- und Restaurierungsarbeiten.
Im Inneren der Kirche fiel mir vor allem Folgendes auf:
Beim Blick auf die Westempore schlägt einem Leere entgegen: Dort, wo einst die Orgel stand, klafft nun eine große Lücke. Laut "Altlas der siebenbürgisch-sächsischen Kirchenburgen und Dorfkirchen" (von Hermann Fabini) ist die Orgel bereits im Jahr 1992 an die Musikakademie Kronstadt verkauft worden.
Überdies möchte ich anführen, dass die beiden entwendeten goldfarbenen Flammen, die links und rechts vom Altarbild standen, durch weiße Flammen aus Leichtschaum ersetzt wurden. Auch hier gebührt der Dank insbesondere unserem "Folea-Hanzi".
Des Weiteren ist die Tür des Westportals nicht mehr vorhanden. Stattdessen wird das Westportal nun mit einem Gitter verschlossen.

Die Ruinen der Fabriken, welche zweifellos einen Schandfleck darstellen, werden im Laufe der Zeit womöglich verschwinden.
Wir dürfen es nicht zulassen, dass die Zeit einen neuen Schandfleck mit sich bringt! Wir müssen handeln, solange noch die Möglichkeit dazu besteht! Wenn wir uns zu spät besinnen, können wir nur noch eines tun: Den Schutt und die Trümmer unserer Kleinprobstdorfer Wehrkirche wegräumen.
Für jeden, der ein Herz für unser Heimatdorf hat, ist allein schon diese Vorstellung grausam; Ganz zu schweigen von dem erschütternden Anblick!


Gruß an Kleinprobstdorf

Über 20 Jahre ist es her,
der Abschied fiel uns allen schwer;
Doch auch nach so vielen Tagen,
können wir auch heut' noch sagen:
Wo auch immer wir jetzt leben,
im Herzen wird es Dich stets geben.
Wir zogen nach Bayern, Franken oder Hessen;
Die Heimat aber bleibt unvergessen!
Kleinprobstdorf, schöne Heimat mein,
wir werden Dir stets verbunden sein!

Uwe Schuller (Text: August 2011; Gedicht: 02.09.2012)

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