Erinnerungen an die Faschingszeit in Kleinprobstdorf

25. Februar 2006

Allgemeiner Bericht

Das Leben und die Arbeit des sächsischen Bauern waren eng mit der Natur verbunden. Zum Feste feiern eigneten sich die Wintermonate besonders gut. Den Abschluss davon bildete der Fasching, den man mit Frohsinn beging.

Schon im Herbst versammelten sich alle Männer der Nachbarschaften, um den Termin für den Faschingsball festzulegen. Die Altnachbarväter erhielten dabei den Auftrag, eine gute Tanzmusik zu besorgen. Vor dem 2. Weltkrieg spielten die begehrten "Pretaier Zigeuner" zum Tanz auf. Diese mussten schon Monate vorher "bestellt" werden.

Kleinprobstdorf bestand aus drei Nachbarschaften: Der ersten Nachbarschaft ("de Mättelgass"), deren Mitglied auch der Pfarrer war, der zweiten Nachbarschaft ("de Iewergass"), zu der der Rektor gehörte und aus der dritten Nachbarschaft ("de Nedergass"), zu der die Lehrerin zählte.
Die Nachbarschaften mussten die Vorschriften ihrer Statuten befolgen. Das galt gleichermaßen für Pfarrer und Lehrer.

Der Fasching begann mit dem ernsten und besinnlichen Teil, dem sogenannten Richttag. Die Männer versammelten sich an einem Sonntagmorgen beim Altnachbarvater, wohin der junge Nachbarvater "gebeten" hatte. Der Altnachbarvater berichtete über die nachbarschaftlich geleisteten Arbeiten wie etwa über Renovierungsarbeiten an kirchlichen Einrichtungen, Friedhofsumzäunungen, Hilfe bei Beerdigungen, gelegentliche Sammlungen. Der Nachbarvater erstattete auch den Rechenschaftsbericht und sammelte die Mitgliedsbeiträge für das laufende Jahr ein. Erfüllte jemand unentschuldigt seine Pflicht nicht, wurde der Betreffende mit einer Geldstrafe belegt. Dem Altnachbarvater wurde für seine Arbeit gedankt. Danach stellten sich alle in Reih und Glied auf und gingen zum Hof des zukünftigen Nachbarvaters, der in dieses Amt jeweils nach dem Alter aufrückte. Den Zug dorthin führten der Alt- und Jungnachbarvater an, wobei sie die Nachbarschaftslade mitführten, um sie dem Nachfolger zu übergeben. Darin befanden sich Statuten, Rechenschaftsberichte, Protokolle, das Geld und Nachbarschaftszeichen.
Vor dem Haus des neuen Altnachbarvaters sang man folgende Lieder: "Mer wällen bleiwen, wat mer sen", "Deiner Sprache, deiner Sitte" und "Sachs' halte Wacht!".
Dann bat der neue Amtsinhaber ins Haus. Dort gab es Speck und Brot zu essen und Wein dazu. In gesetzter Rede bat der Vater oder Schwiegervater jungvermählter Nachbarn um deren Aufnahme in die Nachbarschaft, wobei er versprach, dass das neue Mitglied seinen Pflichten nachkommen würde. Als "Eingruß" (Einstand) erhielten die Nachbarn Brot und Wein. In fröhlicher Runde saß man beisammen. Oftmals besuchten dann einige Frauen die Männerrunde. In Versform gaben sie die kleinen Sünden des starken Geschlechts preis.

Die Frauen trafen sich in der Woche vor dem Richttag bei der Altnachbarmutter. Auch hier wurden die jungvermählten Frauen "eingerichtet" und zu diesem Anlass spendeten sie Kuchen und Wein. Bei Gesang, Spaß und "Tratsch" kam keine Langeweile auf.
Junge Frauen machten sich auf den Weg, um "einsame Männer" zu besuchen, von denen sie sich Geld für eine Unterhaltung erbettelten.

Am darauffolgenden Sonntag fanden sich beim Altnachbarvater Frauen und Männer zur Tokane mit Sauerkraut und Hausbrot ein. Dazu trank man den Nachbarschaftswein, welcher im Herbst ins Fass der Nachbarschaft gefüllt worden war.
Verkleidete Jugendliche besuchten oft diese Zusammenkünfte und trugen mit humoristischen Einlagen zur guten Stimmung bei.

An dem bereits im Herbst festgesetzten Termin fand dann im Gemeindesaal der Faschingsball mit der Teilnahme aller dreier Nachbarschaften statt. Dieser Abend wurde mit Gesang und Tanz gefeiert.
Die Frauen führten in weißer Tanztracht einen Reigen (Figurenländler) auf. Einleitend dazu sprach die Lehrerin ein paar Worte.

Um 22.00 Uhr gab es zwei Tänze für die Jugend. Diese waren eine Mahnung dafür, dass sie die Alten ab jetzt alleine lassen sollten.

Um Mitternacht aß jeder sein "Mitgebringsel" und trank Nachbarschaftswein.

Bis zur Enteignung des Bodens, infolge derer unsere Bauern Industriearbeiter wurden, setzte man die Tanzunterhaltung montags fort.
Wer dann zur festgesetzten Stunde nicht anwesend war, wurde mit der Schubkarre abgeholt und mit einem Maisstrohbündel im Arm in den Saal geführt. Ich habe erlebt, dass sogar der Dorfpfarrer dieses Prozedere über sich ergehen lassen musste.

Am Abend des zweiten Tages war der Faschingsball beendet.

Der Bauer begann, die Geräte für die Frühjahrsarbeiten vorzubereiten und in der Stube hörte man die Geräusche des emsig klappernden Webstuhls.
Noch lange Zeit blieb der Fasching Gesprächsstoff der Dorfbewohner.

Gertrud Grigori, Lehrerin i.R.

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