Erinnerung an die Zeit der Russlanddeportation im Januar 1945

14. Februar 2005

Mitteilungen der HOG

Ich erlebte die Zeit der Verschleppung im 10 km entfernten Mediasch bei meiner Tante, wo ich als 15-jähriges Mädchen im Herbst 1944 hinkam, um auf meine 11 Monate alte Cousine aufzupassen und als Halbwaise gleichzeitig noch so manches im Haushalt zu lernen.
Auch in Mediasch mussten sich, wie in allen deutschsprachigen Ortschaften, ohne große Erklärung am 12., 13. und 14. Januar 1945 alle deutschen Männer im Alter von 16 bis 45 Jahren, sowie alle Frauen im Alter von 17 bis 32 Jahren, unverzüglich in der Stefan-Ludwig-Roth-Schule einfinden. Ausgenommen waren Kranke, Schwangere und Mütter von bis zu einjährigen Kindern, also zum Glück auch meine Tante.
Ihr Ehemann musste sich vorerst in der Schule melden, kam jedoch frei dank des Einsatzes der Lederfabrik, wo er als einziger eine Gerbermaschine bedienen konnte.

In den darauf folgenden Tagen gingen sogenannte Kommissionen, bestehend aus russischen und rumänischen Offiziellen, von Haus zu Haus, um nach eventuellen Nicht-Registrierten oder Versteckten zu suchen.
Auch ich stand natürlich auf keiner Registrierungsliste, da ich ja nicht in Kleinprobstdorf war.
Es wurde mir vorerst jedoch geglaubt, dass ich erst 15 Jahre alt sei und somit für die Deportation sowieso nicht in Frage käme.
Wir versuchten, trotz der verständlichen Aufregung, die uns in dieser Zeit alle umschloss, den Alltag einigermaßen zu begehen und so ging ich in den nächsten Tagen wie so oft durch die Hinterhoftür zur nahegelegenen Kokel, um Waschwasser zu holen.
Als ich die Tür öffnete, ging im selben Moment auf der gegenüberliegenden Seite die Gassentüre auf, durch die drei Männer eintraten, die als letzte Schergen die Häuser durchkämmten, um den Schlusstransport nach Russland zu füllen.
Dazu war ihnen wahrscheinlich jeder und jede herzlich willkommen. Sie sahen mich und dachten, ich wolle weglaufen, hielten mich trotz meiner leeren Wassereimer auf und glaubten mir diesmal nicht, dass ich erst 15 Jahre alt war.
Ich stand, wie schon erwähnt, auch nicht auf ihrer Liste und hatte zu meinem großen Unglück auch keinerlei Ausweispapiere oder dergleichen dabei.
Meiner Tante blieb nichts anderes übrig, als mir ein paar Notdürftigkeiten und Lebensmittel zusammenzupacken, um den Männern alsdann zu folgen.
Sie brachten mich auch in besagte Schule, wo ich mit vielen anderen, für diesen letzten Transport Zusammengetriebenen, zwei Tage und zwei Nächte ausharren musste.
Ich kann es meinem Onkel nie vergessen, dass er sich trotz absoluter Ausgangssperre für alle Deutschen klammheimlich und zu Fuß über die Bahngleise nach Kleinprobstdorf aufmachte, um zu versuchen, irgendeinen Ausweis für mich zu organisieren.
Es wurde lediglich mein Konfirmandenschein gefunden, welcher sich jedoch für mich im wahrsten Sinne als "Freiheitsschein" entpuppte und von den Behörden akzeptiert wurde, so dass ich doch nicht nach Russland musste.

Als sich die Lage in den nächsten Tagen beruhigte, "brannte" ich darauf, wieder nach Kleinprobstdorf zu kommen, um zu sehen, was dort los war.
Was meine gewonnene Freiheit bedeutete, wurde mir dann schmerzlich klar: Dort fand ich nämlich meine zwei Jahre jüngere Schwester traurig und allein daheim. Unseren Vater hatten sie verschleppt und Mutter hatten wir seit acht Jahren sowieso keine mehr. Von unseren Großeltern lebte auch nur noch eine Großmutter mütterlicherseits, die dann jeden Abend bei uns schlief.
Sie erzählte uns, dass eine unserer drei Tanten, trotz drei unmündiger Kinder und im Krieg vermissten Ehemann, auch mit nach Russland musste.

Eine weitere Tante, die auch drei kleinere Kinder hatte, konnte sich ihrerseits erfolgreich vor den Schergen verstecken und zusammen mit ihr und der Großmutter schafften wir es dann mit vereinten Kräften, uns über die Runden zu bringen.
Dieses "über die Runden kommen" wurde jedoch nach all dem Leid auch noch durch anschließende vollkommene Enteignung, von der wir zwei Schwestern als nunmehr Vollwaisen eigentlich hätten verschont bleiben müssen, erheblich erschwert.
Dazu wurden in unser großes Haus schon zu Kriegszeiten zwei Flüchtlingsfamilien aus der Moldau, die dann allmählich wegzogen, und nun auch noch als größeres "Übel" eine Familie sogenannter "Kolonisten" mit sechs Kindern zwangseinquartiert.
Wir mussten uns auf unserem (ehemals) eigenen Hof in ein Zimmer zurückziehen und möglichst unauffällig und still unseren Alttag begehen. Dafür tobten und wohnten nun Fremde um so lauter in unseren besten Stuben.
So ähnlich erging es fast allen sächsischen Familien in unserem Dorf und anderswo. Ich erfuhr nun auch die Schreckensbilder, die sich in unserem Dorf abgespielt hatten, wo der ganze Treck der Deportierten unter Glockengeläut, Tränen und Kindergeschrei, von bewaffneten Männern bewacht, die übriggebliebene Familie, Kinder, Haus und Hof in eine ungewisse Zukunft verlassen musste.
In Mediasch hatte ich davon nicht so viel mitbekommen. Und das alles…nur weil wir Deutsche waren!

Dieser klare Verstoß gegen das Völkerrecht und die Genfer Konventionen, diese schreiende Ungerechtigkeit Stalins und vor allem der damaligen rumänischen Regierung sowie auch großen (aber nicht allen) Teilen der rumänischen Bevölkerung, war ein bitterer Racheakt an der deutschen, unschuldigen Zivilbevölkerung Rumäniens und reiht sich somit als weiteres dunkles Kapitel in die unsäglichen Gräueltaten des zweiten Weltkrieges ein.

Ich möchte zum Schluss noch ein paar persönliche Gedankengänge aus heutiger Sicht, nach vielen Erfahrungen und Aufklärungen, hiermit feststellen: Trotz allem erfahrenen Leid, menschlich nur allzu verständlichem Groll und Bitterkeit gegenüber denen, die uns damals dies alles angetan haben, dürfen wir nicht weiter verdrängen oder verschweigen, sondern unmissverständlich klarstellen, wer eigentlich der Verursacher des zweiten Weltkrieges mit all seinen schmutzigen, mörderischen, menschenverachtenden, in keiner Weise zu rechtfertigenden Zielen und schließlich mit all seinen Millionen Toten und bitteren Folgen, zu denen ich auch unsere Ausreise zähle, war!
Ich bin überzeugt, dass ohne diesen zweiten Weltkrieg unser Platz noch da wäre, wo wir immerhin 800 Jahre gelebt haben.
Lasst uns also als Mahnung an unsere Kindeskinder, als klares "Nein" an die Fürsprecher des Vergessens, aber auch als mutigen, erhobenen Fingerzeig an die "ewig Gestrigen" unsere Stimme erheben, jedoch die Hand in alle Richtungen zur Versöhnung reichen.

Für unsere Nachkommen,

Regina Roth, Kleinprobstdorf / heute Schwabach

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