Erinnerungen an die Kriegsjahre, Russlandverschleppung der Deutschen Bevölkerung Rumäniens, und Enteignung aus der Sicht eines achtjährigen Kindes:

27. März 2005

Sonstiges

Unser Vater war von Beruf Schmied, er leitete die Dorfschmiede, so wurde er in den ersten Kriegsjahren immer wieder von der Wehrpflicht freigesprochen, da er als Handwerker in der Landwirtschaft gebraucht wurde. Vater wurde zwar alle drei Monate mal zu seiner Einheit einberufen und kam immer wieder frei.
Ich ging so gerne mit in die Schmiede, mochte es, wenn mein Vater das heiße Eisen formte, wenn die Funken sprühten. Ich war ein sehr interessiertes neugieriges Kind und das Älteste von drei Geschwistern. Um meine Mutter etwas zu entlasten, nahm Vater mich auch immer wieder mit zu seiner Arbeit. Ich war in meinem Alter schon sehr zuverlässig und ihm auch ab und zu nützlich. Wenn er einen Auftrag erledigt hatte, schickte er mich zu den betreffenden Bauern, damit der dann sein Gerät abholen könnte. 1941 wurde mein jüngster Bruder geboren, Ende September sollte er getauft werden. An diesem Tage erhielt mein Vater die Einberufung zu seiner Einheit. Mutter packte ihm seinen Koffer unter Tränen, Vater sagte: "Ich komme bestimmt wieder."
Vater kam niemals wieder; er wurde an die Front geschickt. Ab und zu kam eine Feldpostkarte mit Grüßen von der Front. Vater diente bei den Pionieren im 6. Bataillon (39. Kontingent). Als Autofahrer war er für die Versorgung an der Front zuständig. In seinem letzten Schreiben im Dezember 1942 aus dem Kessel Stalingrads schrieb er: "...wenn daheim die Weihnachtsglocken läuten, liegen wir irgendwo im Schützengraben umgeben von ohrenbetäubendem Kanonengedonner und Bombenhagel."
Und auf diesem Schlachtfeld in diesem Inferno hat auch unser Vater sein junges Leben von 32 Jahren, für Volk und Vaterland geben müssen. So blieb unsere Mutter Witwe mit drei kleinen Kriegswaisen auf sich alleingestellt.
Die Rumänische Armee, die Seite an Seite mit der Wehrmacht gekämpft hatte, schlug sich 1943/1944 auf die Seite der Russen und wurde zum Feind der Deutschen, die verraten und geschlagen auf ihrem Rückzug Rumänien bombardierten. Unser Dorf lag nahe am Bahnhof, rumänische Soldaten waren in den Gärten und den umliegenden Bergen stationiert, so mussten wir bei Angriffsalarm auch nachts oft in die Schützengräben flüchten, um in Sicherheit zu sein. Bei einem Bombenangriff auf den Bahnhof flog ein deutscher Bomber ganz tief über unseren Garten. Ich lief aus dem Versteck und ein paar Meter an mir flog das Flugzeug vorbei, ich konnte zwei Soldaten im Flugzeug sehen. Großvater kauerte am Zaun, in der Aufregung warf er sich über mich und drückte mich auf den Rasen. Als der Angriff vorbei war, wurde ich mit Recht gescholten, weil meine Neugierde mich und meinen Opa fast das Leben gekostet hätten.
Dann kamen die Russen und mit ihnen Kummer, Sorgen und Not für die deutsche Bevölkerung Rumäniens.
Die Russen, angeheuert von den Rumänen, stellten den jungen Mädchen und Frauen nach. Keiner traute sich öffentlich zu zeigen. Sie nahmen das Vieh, erschossen die Schweine im Stall, plünderten die Hühner für ihre Feldküchen.
Immer wieder wurde russisches Militär bei uns einquartiert. Manche hatten kein Benehmen, meist die Jüngeren, andere wieder waren anständig, nahmen uns Kinder auf den Schoß und streichelten uns, weil sie ja selber auch Kinder daheim hatten. Einer weinte sogar, sprach ein bisschen deutsch und verfluchte den Krieg! Aber alle wollten sie nach Berlin.
Die erste Schreckenszeit ging vorbei, man hörte von hie und da durchsickern, dass von russischer Seite Arbeitskräfte aus Rumänien zur Beseitigung der Kriegsschäden angefordert wurden. Ob die Russen ausdrücklich nur deutsche Arbeitskräfte angefordert hatten, ist bis heute nicht erwiesen und wird auch in Zukunft so bleiben.


In den ersten Januartagen wurde die deutsche Bevölkerung aufgerufen, die Männer von 16-45 Jahren und die Frauen von 18-40 Jahren, sich bereit zu halten für diese Wiederaufbauarbeit in Russland. Keiner wollte so direkt dran glauben, doch es sollte kommen.
Am 14. und 15. Januar ging das ganze Dorf geschlossen in den Gottesdienst, wo ihnen auch das Heilige Abendmahl gereicht wurde. Und der Segen begleitete sie, die Auserwählten, in eine ungewisse traurige Zukunft und dieser Glaube hat ihnen Kraft und Mut gegeben, dem Hunger und der eisigen Kälte zu trotzen.
Ich kann mich noch gut erinnern, dass die Gottesdienstbesucher viel geweint haben, was wir Kinder nicht begreifen konnten, denn wir wussten ja noch nicht, was auf uns zukommen sollte. Am selben Tag noch mussten alle Betroffenen, so auch unsere Mutter, sich im großen Gemeindesaal einfinden. Mit warmen Sachen und Lebensmitteln nahm sie von uns Kindern (3, 6 und 8 Jahre jung) schweren Herzens Abschied. Unter Bewachung verbrachten sie die Nacht. Am anderen Tag wurden alle nach Blasendorf abtransportiert.
Als sie abgeholt wurden, ging ein Schreien durch das Dorf, die Kirchturmglocken läuteten ihnen auf ihrem Weg in die Ungewissheit. Wir Kinder hingen uns an unsere Mutter, sie nahm unseren kleinen Bruder in den Arm, wir Großen hielten uns an ihrem Rock fest und begleiteten sie bis ans Ende des Dorfes, wo wir dann auf bestialische Weise von ihr getrennt wurden. Die Wache riss ihr meinen kleinen Bruder vom Arm, mir schlugen sie mit dem Gewehrkolben die Hände von ihrem Rock und stießen uns weg.
Unsere Großmutter sammelte uns ein und nahm sich unserer an, obwohl sie ja auch schon alt war und Ruhe gebraucht hätte. Wenn unsere Großeltern nicht gewesen wären, hätten wir auf der Straße bleiben müssen, keiner hätte sich um uns gekümmert, denn es blieben nur Alte, Kranke und Kinder daheim.
Das Jahr ging zu Ende, unsere Großeltern bestellten, so wie sie konnten, die Landwirtschaft, wo ich auch schon mit anpacken musste. Wir hatten eine gute Ernte, so weit war gesorgt, aber wir sollten die nächste Demütigung einstecken: Wir wurden enteignet.
Das Vieh, Ackerland, Landwirtschafsgeräte und die ganze Ernte des Vorjahres wurde beschlagnahmt und an die rumänische Bevölkerung aufgeteilt, uns sollte man ja vernichten. Als mein Großvater sich wehrte und die Rumänen, die diese Kommission bildeten, fragte, was er mit uns Kindern machen sollte, wenn sie uns alles wegnehmen, da sagte einer von ihnen, Großvater solle uns auf dem Jahrmarkt verkaufen oder uns Gras aus dem Garten zu fressen geben.
Damals habe ich das Vertrauen in die Menschheit verloren. Ich kann auch heute noch kein Vertrauen in jemanden finden, denn ich habe das damals mit meinen neun Jahren anhören müssen.
Man nahm uns Haus und Hof weg, es zog eine rumänische Familie mit einem Kind ein, sie waren nun die Herren, vier Kinder brachte die Frau da noch zur Welt.
Wir mussten uns in ein Zimmer mit Küche zurückziehen, durften uns nicht mucksen, wurden bestohlen, beleidigt und bedroht. Wir wurden hilf- und rechtlos, alles hatte sich gegen uns gewendet. Ich frage mich oft, wie unsere Großeltern es geschafft haben, uns aufzuziehen.
Ohne Milch, ohne Butter, auch Zucker war Mangelware. Rübensaft wurde gekocht und der Tee damit gesüßt, Bonbons oder Schokolade kannten wir nicht.
Von unserer verschleppten Mutter kam einmal eine Postkarte in russischer Schrift, den uns ein alter Onkel, der im 1. Weltkrieg etwas Russisch gelernt hatte, übersetzte.
Im September 1947 kam unsere Mutter heim (die Fingerkuppe des rechten Daumens war weg), wir Kinder liefen ihr entgegen, ich kann das Wiedersehen nicht beschreiben, sie war wieder da, bekleidet mit einer dicken russischen Kufaika, die Füße voll Wasser dick angeschwollen und abgemagert. Sie erholte sich schnell wieder und war für uns da, aber wir hatten uns in diesen Jahren auseinandergelebt; wir Kinder kamen mit unseren Problemen immer wieder zur Großmutter, denn sie war ja immer für uns da gewesen. Es dauerte eine Zeit, bis wir wieder zueinander fanden.
Unsere Mutter arbeitete dann in der Landwirtschaft auf dem eigenen Grund für den neuen Besitzer, für wenig Lohn und etwas Getreide, denn er selbst verstand die Arbeit in der Landwirtschaft nicht.
Die deutschen Schulen wurden reduziert, in kleineren Ortschaften wurde nur bis zur vierten Klasse in deutscher Sprache unterrichtet, so dass die Kinder, die keine Gelegenheit hatten, die Schule in der Stadt zu besuchen, in rumänische Schulen gingen, wo sie von den Rumänen beschimpft und geschlagen wurden.
Bis sich die Situation entspannte und sich allmählich die Lage regelte, schlossen sich zwei bis drei Gemeinden zusammen, bildeten auch ein Internat, wo dann die Kinder von den umliegenden Ortschaften die deutsche Schule bis zur siebten Klasse besuchen konnten. Wir Kriegswaisen erhielten dann auch ein wenig Kriegswaisen-Unterstützung vom Staat.
Die Russlanddeportierten kamen nach und nach wieder heim, teilweise kamen auch manche nach Deutschland und mussten noch länger von ihren Familien getrennt bleiben. Die deutsche Bevölkerung Rumäniens war fleißig und sparsam, die Männer arbeiteten in den Fabriken, wo sie gutes Geld verdienten, die Frauen meistens in den Weinbergen auf den Staatsfarmen. So kam das deutsche Volk Rumäniens wieder zu Achtung und Ansehen, wie man so gut sagt: "Wir Deutsche Rumäniens wurden geachtet und gehasst, das bekamen wir immer wieder zu spüren."
"Aber wir Christen müssen und sollten verzeihen - wenn wir auch nicht vergessen können."

Anna Neubauer, geboren 1937 in Kleinprobstdorf

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