2003: In memoriam Michael Kraus - "ein Paulus des 20. Jahrhunderts"

19. August 2014

Mitteilungen der HOG

1926 wanderte der 18jährige Siebenbürger Michael Kraus aus Meeburg nach Nordamerika aus, um wie viele andere Landsleute sein Glück in der neuen Welt zu suchen. Ab 1966 war er als Bezirksapostel der USA und von Kanada der geistliche Vater für 22000 Gemeinden in fast 100 Ländern der Erde. 1994 wurde der Siebenbürger nach über 60jähriger missionarischer Amtszeit in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet. Beim Trauergottesdienst für Michael Kraus, der am 23. November 2003 in der Zentralkirche in Kitschener (Kanada) stattfand, waren geistliche Persönlichkeiten der neuapostolischen Kirche von fünf Kontinenten anwesend.
Michael Kraus wurde am 26. März 1908 in Meeburg, Siebenbürgen, im Kreis Kronstadt/Brasov geboren. Seine betriebswirtschaftlichen und menschlichen Kenntnisse, die heute beispielsweise ein Manager benötigt, um einen Betrieb erfolgreich zu leiten, und die Michael Kraus später im Leben gut gebrauchen konnte, eignete er sich nicht auf Eliteschulen an sondern zuerst in seiner Familie und in der Meeburger ev. Volksschule neben der Kirchenburg, entsprechend der siebenbürgischen Redewendung: Die sieben Jahre von zu Hause prägen die Persönlichkeit. Die Eltern besaßen in Meeburg eine Gaststätte, handelten aber auch mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen und waren darüber hinaus Landwirte, wie auch Michael Kraus' Ahnen seit mehreren Jahrhunderten. In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts erfolgte eine erneute Auswanderungswelle nach Nordamerika wie schon um 1900, als viele Meeburger aber auch viele Bürger der Nachbarortschaft Königsdorf/Palos in die USA auswanderten. Deshalb wird Königsdorf/Palos auch heute oft „Klein-Amerika / America-micá“ genannt. In den 20er Jahren waren die Einwanderungsverhälnisse in die USA verschärf worden, so dass die meisten Europäer in Kanada ihr Glück versuchten. Den Impuls für Michael Kraus' Auswanderung ergab ein Gespräch, das der 18jährige mit seinem ehem. Lehrer in Meeburg führte. Der Lehrer bestärkte den nun jungen Mann in seiner Entscheidung für ein paar Jahre nach Kanada zu gehen, um Geld zu verdienen und sich später in Siebenbürgen eine erfolgreiche Zukunft aufzubauen. Ende Mai 1926 wanderte Michael Kraus aus und kam schließlich ohne ein Wort Englisch zu sprechen und mit wenig Geld in der Tasche in Kanada an. Das Wertvollste, was er besaß, war das Geschenk seines Vaters: Auf dem Bahnhof in Meeburg hatte der Vater seinem Sohn vor dessen Abreise nämlich anvertraut, er solle stets Gottes Hilfe suchen und darauf vertrauen, um Glück und Zufriedenheit im Leben zu haben - eine jahrhundertalte Abschiedstradition in Siebenbürgen. In einem Einwandererlager in Kanada, wo sich Michael Kraus nach deutschsprachigen Gleichgesinnten erkundigte, begann 1926 sein Weg in der neuen Welt. Es kam allerdings anders als geplant: Der junge Mann lernte bald ein nettes Mädel kennen und heiratete 1930. Ein Jahr später wurde das junge Paar zu einem Gottesdienst in die neuapostolische Kirche eingeladen. 1931 entschied sich Michael Kraus für die neuapostolische Kirche und für ein Leben mit seiner neugegründeten Familie in Kanada. Europa schien ihm nun weit entfernt, in Kanada hingegen war die neue Welt für ihn offen und da konnte er seinen Tatendrang befriedigen. Einige weitere Stationen der Laufbahn Michael Kraus' sind 1933: Empfang des Diakonenamtes, 1955: Empfang des Apostelamtes, 1958: Beziksapostel von Kanada, 1966: Bezirksapostel von Nordamerika. Heute sind nicht nur Wirtschaftsunternehmen, sondern auch Straßen, Krankenhäuser u.a. soziale Einrichtungen in Kanada mit dem Namen Michael Kraus verbunden. Der Wirtschaftserfolg bildet verständlicherweise sehr oft die Grundlage von Infrastruktur und sozialen Einrichtungen und schließlich somit auch die Grundlage für den Erfolg des sozialen Engagements des Einzelnen. Michael Kraus war seiner alten Heimat Siebenbürgen im entfernten Europa stets verbunden. Die Wirren des 2. Weltkriegs mit seinen schweren Folgen waren auch ihm nicht fremd. Seine Familie teilte das Schicksal vieler Landsleute in Siebenbürgen. Sein Vater starb vor Ausbruch des Krieges, seine Mutter konnte noch vor Kriegsausbruch wie zwei seiner Geschwister nach Kanada auswandern, die zweite Schwester wurde nach Kriegsende in die Sowjetunion deportiert. Erst 1964, nach fast 40 Jahren, konnte Michael Kraus seine Heimatgemeinde Meeburg anlässlich eines offiziellen Besuchs in Bukarest für ein paar Tage besuchen. Von der Gemeinde wurde er wie der verlorene Sohn aus der Bibel empfangen und er freute sich auf den Gottesdienst in der alten Meeburger Kirche mit ehemaligen Schulkameraden und den noch lebenden alten Bekannten von früher, wo er den Altar von 1513 wieder bewundern konnte, wie in seiner Kindheit. Für ihn war es immer eine Selbstverständlichkeit, dass seine Hilfe nicht nur sozusagen in fremden Teilen dieser Welt willkommen war, sondern auch im Karpatenland. Die erste große Hilfsaktion für die Heimatregion Schäßburg/Sighisoara nach dem Umsturz des Ceausescu-Regimes, über die sich Michael Kraus besonders freute, erfolgte im Februar 1990. Es war eine spontane Spende von mehreren Tonnen Lebensmitteln, Kleidern u.a. Hilfsgütern, die am 17. Februar aus Österreich in Schässburg und Meeburg ankam. Michael Kraus fühlte sich auch mit Schäßburg verbunden, weil Meeburg über Jahrhunderte bis kurz nach dem zweiten Weltkrieg verwaltungsmäßig zu Schäßburg gehörte. 1994 freute sich Michael Kraus besonders über die Gelegenheit, als einer der ältesten Meeburger an der Gestaltung der Meeburger Monografie mitwirken und da manche seiner Erfahrungen vor allem der jungen Generation mitteilen zu können. Gewürdigt wurde Michael Kraus anlässlich seiner Verabschiedung in den Ruhestand und später anlässlich des Trauergottesdienstes nicht nur für seine bekannten Charaktereigenschaften: Gläubigkeit, Opferbereitschaft und Eifer während seiner gewaltigen missionarischen Tätigkeit - die Verkündung des christlichen Glaubens in die entlegensten Gebiete dieses Planeten. Er besaß dazu die Gabe als Mensch anderen Menschen Kraft und Zuversicht für die Zukunft zu schenken. Der Bezirksapostel von Australien sagte, er hätte von Michael Kraus unter anderem gelernt, niemals unachtsam an einem Opferkasten vorbeizugehen, eine Tugend die ihre Wurzeln sicherlich in der Nachbarschaftshilfe Siebenbürgens hat. Michael Kraus starb als der älteste bekannte Meeburger voriges Jahr im Alter von über 95 Jahren. Er hat stets nach den Worten Gottes gelebt: „Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben!“ (Offb. 2,10) In der Meeburger Monografie ist Michael Kraus als 18jähriger Jugendlicher vor seiner Auswanderung 1926 nach Amerika abgebildet. veröffentlicht: M. Schuller, „Karpatenrundschau“, 06.03.2004

M. Schuller, veröffentlicht in „Karpatenrundschau“

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