Fastnachtbrauch Gansschlagen in Törnen

Gansschlagen in Törnen
So etwas gab es im Burzenland, um Kronstadt, meiner Heimatsstadt nicht.
Das muss festgehalten werden!!
So machten wir uns, Marianne und ich, mit Bahn und Bus nach Törnen auf, in die andere Siedlungsecke der Siebenbürger Sachsen.
Im Dorf angekommen suchten wir den Lehrer auf. Leider kamen wir ihm ganz ungelegen. Er hatte eben die Aussiedlungsgenehmigung erhalten und war im Haushalt auflösen und Packen. Dabei Fremde aufzunehmen wenn man selber im Stress ist und dazu noch Angst hat, das im letzten Moment etwas schief geht? Es war verständlich.
Pfarrer hatte das Dorf auch keinen mehr. Er war seit kurzem für immer nach Deutschland gefahren. Wir besuchten die Kindergärtnerin im Kindergarten. Entsetzt waren wir als wir sahen dass der Kindergarten sich in einem Raum befand, mit nur einer einfachen Tür nach draußen, die nicht richtig schloss. Schnee trieb herein und die Kinder saßen wie die Derwische angezogen um einen Eisenofen.
Hier wärmten wir uns etwas auf.
Wir müssen ein Schlaflager finden. Wir können doch nicht die Nacht im Februar unter freien Himmel verbringen.
Bisher war ich allein unterwegs gewesen und hatte es immer geschafft. Jetzt am Ende meiner Aufzeichnungen nehme ich Marianne mit und nun soll es nicht klappen?
Busverbindungen aus dem Dorf, der die Menschen zur Arbeit in die Stadt und zurück brachte, gab es nur zweimal am Tag. Wir ließen den letzten Bus verstreichen und gingen von Haus zu Haus und baten um Schlafquartier, doch vergebens.
Während wir durchs Dorf gingen trafen wir Herrn Horst Klusch Kulturreferent für Museumsfragen im Kreis Hermannstadt mit zwei Kollegen vom Kulturkomitee die auch zu diesem Volksfest gekommen waren, welches am nächsten Tag stattfinden sollte. Sie hatten als Unterkunft das Parteigästezimmer des Dorfes.
Mit Herrn Klusch kannten wir uns von meinem Vortrag über das Mundartdichtertreffen in Zeiden welches ich in Hermannstadt gehalten hatte, sowie von einer Tagung bei der Karpatenrundschau zum Herausbringen eines Buches über "Rumäniendeutsche Volkskunde im Umriss." (welches erst nach der Wende erschienen ist). Dabei hatte ich einige Dia-Tonmontagen vorgeführt. (siehe Juni 1980)
Die drei Herrn hatten auch keinen Rat wo wir übernachten könnten. So gingen wir von Haus zu Haus weiter.
Zum Schluss landeten wir wieder beim Lehrer. Hier trafen wir auch die drei Herrn bei einem Glas Wein. Als wir unsere Aussichtslosigkeit schilderten, nahm die Lehrerfamilie sich dennoch unsrer an. Allerdings mussten sie Decken vom Nachbarn holen, da sie ihren Überschuss schon abgestoßen hatten. Wir setzten uns zu Ihnen in die Küche und es wurde ein aufschlussreicher interessanter Abend über sächsisches Brauchtum.
Die Nacht war ziemlich kalt, da das Zimmer diesen Winter nicht geheizt worden war und die Decken etwas dünn waren.
Am Sonntag ging es los. Die jungen Männer des Dorfes ritten durch die Straßen mit geschmückten Pferden und die Dorfbewohner versammelten sich auf der Hutweide.
Hier waren zwei Masten aufgestellt. An einem war ein Seil befestigt, das anderen Ende über eine Rolle gezogen, wurde von einem Jungen gehalten.

Man brachte eine Gans der man das Hirn entfernte und band sie mit den Füßen an die Mitte des Seils. Danach stellten sich je zwei Reiter gegenüber auf.

Ihre Pferde wurden am Zaum gehalten, und jedem Reiter hatte drei Schläge mit seiner Peitsche frei, um den Kopf der aufgehängten Gans abzuschlagen.
Bei den ersten Schlägen flatterte die Gans noch mit den Flügeln. Beim Zuschlagen zog der Mann am Seil blitzschnell so das die Gans hochschnellte und der Schlag zur Belustigung der Dorfbewohner ins Leere ging. Dies wurde mit Gejohle der Zuschauer quittiert.
Bis 1906 wurde eine lebendige Gans aufgehängt.
Die älteren Dorfbewohner erzählten mir auch, dass sie früher im Reiten nach der Gans geschlagen haben. Weil sie nun keine eigenen Pferde mehr hatten und entsprechend kaum reiten konnten, wurde aus dem Stand gepeitscht. (gepletscht)
Dieser Brauch war auch in Blutroth und Weingartskirchen üblich.
Worauf stützte sich dieser Brauch?
In Weingartskirchen, nach der Überlieferung hatte ein ungarischer Graf hier ein Schloss das von Gänsen bewacht wurde. Da sie einmal verschlafen hatten und Räuber ins Schloss eindringen konnten, wurden die Nachkommen der Gänse nun jährlich auf diese Art und Weise bestraft.
In Törnen und anderen Orten sollen der Sage nach, die Gänse durch ihr Geschnatter den Türken das Versteck der Dorfbewohner verraten haben.
Unschuldig nachrückende Generationen von Gänsen als Kollektivschuld das Gehirn zu entfernen und sie zur Busse für das Vergehen ihrer Vorfahren auszupeitschen bis sie ihren Kopf ganz verlieren, finde ich nicht richtig.
Denn die nachrückenden Generationen sind nicht schuld an dem was andere vor ihnen getan haben.
Mit Gehirnentfernung kann man manches bewirken. Aber wie ich erleben konnte hatte die Gans danach noch oft mit den Flügeln geschlagen. Geholfen hat es ihr nicht da sie an den Füßen gefesselt war.
Erst als die, die sich als Sieger brüsten wollten selber schwach an Zahl wurden, hat ihre Peinigung aufgehört und ist Vergangenheit geworden.
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Das Gansschlagen (oder Gansabreiten) ist nicht ein spezifischer siebenbürger-sächsischer Brauch. Er war auch in Deutschland und den Niederlanden als "Gänsespringen" seit dem 13 Jahrhundert als bäuerliches Reiterspiel bekannt.
Ähnlich wie Gansschlagen, gab es das Hahnsteinigen. Dabei wurde ein Hahn von der Jugend an ein Scheunentor genagelt und gesteinigt bis nichts mehr am Scheunentor hing. Verständlich fand dieser Brauch in den letzten Jahren nur im kleinem Kreis und im Geheimen weiter unter der Dorfjugend statt. Ein Dorf in dem sich in den 70er Jahren dieser Brauch zugetragen hat ist mir bekannt. Wo sonst noch dieser Brauch üblich war, weiß ich nicht.
Auch das Hahnenschießen mit Pfeil und Bogen wurde früher in sächsischen Dörfern praktiziert.
In einem ungarischen Dorf Apaza ersetzte in der kommunistischen Zeit eine Attrappe den lebenden Hahn. Dennoch hat in den 60ziger Jahren ein Hahnenschießen mit einem lebendigen Hahn stattgefunden was danach großen Wirbel hervorgerufen hat.
Das Topfschlagen bei heutigen Kinderfesten erfolgte früher, indem man mit verbundenen Augen nach einen lebenden Hahn schlug, der an einem Fuß angebunden nicht weit laufen konnte. Dieser Brauch wurde im Burzenland ausgeübt. In Wurmloch schlugen Frauen mit verbundenen Augen mit einem Besen nach dem Hahn.
Eleganter ging es in Hermannstadt zu, wo dem Hahn ein Topf übergestülpt wurde. Den Hahn bekam derjenige dem es gelang mit zugebundenen Augen mit einem Stock den Topf zu zerschlagen.
Solche Bräuche fanden zu Neujahr, in der Fastnachtszeit oder am Ostermontag statt. Einige Volkskundler sprechen von Fruchtbarkeitsritualen oder von Opfergaben bei diesen Handlungen.
Frau Maria Luise Schuster der ich die Bilder für ihr Buch "Deutsche Volkstänze die man in Siebenbürgen tanzte und zum Teil noch tanzt" gemacht hatte, erzählte mir das der Königinnentanz in Deutsch-Weißkirch vermutlich ein Opfertanz gewesen sei.
Hier saßen 3 junge Mädchen zwischen 7 und 9 Jahren weiß gekleidet, mit Borten auf dem Haupt und blau verschleiert unter der Dorflinde. Dieses waren die Königinnen. Die Burschen kamen in würdigem Schritt auf den Platz und setzten sich auf die Bänke in einem Kreis um die 3 Mädchen. Die Amtsknechte setzen sich auf die Ehrenplätze. Danach schritten die drei sogenannten "Bräute": Altmagd, Jungmagd und noch ein Mädchen im weißem Kleid herein und führten die Mädchen im Tanzschritt den Amtsknechten mit den Worten zu. "Loss et der gefällich sen!" (Lass sie dir gefällig sein).
Der Tanz hat noch verschiedene Elemente die auf einen Opfergang hinweisen.
Dazu Frau Maria Luise Schuster: Das die 3 Königinnen unberührte Jungfrauen (darum so jung!) waren, die man einer Gottheit im Frühling opferte, um ein gutes Erntejahr durch diesen Gott zu erkaufen, deutet auf einen alten Opfergang hin.
Mehr darüber im Buch von Frau Maria Luise Schuster.
Leider ging mein Lebensabschnitt "dass Sammeln siebenbürgisch sächsischen Brauchtums in Dia und Ton" dem Ende zu. Da wäre noch manches festzuhalten gewesen.
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Die Leute vom Kulturkomitee fotografierten eifrig, was ich ebenfalls tat.
Um den Ton für meine Dia-Tonmontagen aufzunehmen ohne Aufmerksamkeit zu erregen hatte ich das Kassettengerät an der Schulter unter meiner Jacke versteckt und das Mikrofon im Ärmel verborgen. So konnte ich unbemerkt Kommentare um mich herum aufnehmen.
Während ich eifrig fotografierte wurde ich vom Dorfpolizisten angesprochen der meinen Ausweis forderte und mich fragte in wessen Auftrag ich hier fotografiere, und ob ich eine Genehmigung dafür habe. Ich zeigte ihm meinen Mitgliedsausweis der Kunstfotografen Rumäniens, sowie eine Bestätigung als Außenmitarbeiter der Monatszeitschrift "Volk und Kultur" und sagte ihm das ich die Gesetze es Landes kenne die das Fotografieren regeln. Er aber gab sich damit nicht zufrieden, sondern forderte mich auf mit ihm zu gehen.
Ich sträubte mich und sagte ihm dass ich jetzt zu tun habe, ich muss das was hier geschieht dokumentieren, wenn ich fertig bin können wir reden. Er blieb weiter in meiner Nähe.
Als Herr Klusch näher kam, ging ich auf ihn zu und erzählte ihm, dass der Polizist mich aufs Revier mitnehmen wolle. Er hörte mich an, unternahm aber nichts. Daraufhin habe ich mich um Hilfe an seine beiden rumänischen Kollegen gewandt. Wir hatten uns am Abend beim Lehrer kennen gelernt und über Volkskunde ausgiebig unterhalten, wobei ich über meine Kulturtätigkeit mit den Vorträgen berichtet hatte. So waren sie über meine Aktivität im Bilde.
Sie begriffen was sich hier abspielte, gingen auf den Polizisten zu und erklärten ihm dass ich zu ihrer Gruppe gehöre. Somit löste sich dieser Knoten.
Wenn der Polizist mich mitgenommen hätte, wäre ich zwischen die Mühlsteine geraten. So etwas brauchte ich nicht kurz vor meiner Aussiedlung, was einen unnötig langen Rattenschwanz nach sich hätte ziehen können. Besonders verdächtig wären ihm bestimmt mein verstecktes Kassettengerät und meine Tonaufnahmen gewesen.
Das Gespräch mit ihm habe ich gleich gelöscht, da ich nicht wusste ob da nicht doch noch etwas kommt.

Nachdem der Kopf des Gänserichs gefallen war, fand ein Pferderennen statt.

Einige der Reiter durften nicht mitmachen, da die Besitzer der Pferde angst hatten das ihr Pferd sich beim Rennen im Schnee die Füße brechen könnte.

Dem Pferd welches das Rennen gewonnen hatte, wurde der abgeschlagene Ganskopf um den Hals gehängt was unter starken Widerstreben des Pferdes, wahrscheinlich wegen des Blutgeruches geschah.

Danach ritt der Tross ins Dorf zurück.
Gefolgt von den Zuschauern.
Und weiter ging es hoch zu Ross, singend von Haus zu Haus,
wobei die Dorfbewohner ihr Scherflein an Wein in die Gefäße der Jugend leerten.
Endziel war der Dorfsaal wo ein großes Fest der sächsischen Jugend mit Musik und Tanz stattfand.
Die Eier und das Brot dazu hatten sie am Vortag eingesammelt wobei Gruppen von Haus zu Haus mit kleinen Theaterszenen gingen und dafür Eier, Kuchen, Brot oder Geld für die Musikanten des Tanzabends bekamen.

www.wilhelm-roth.de

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