Die Mitte der Welt

Nach dem verheerenden Sturm Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, dem auch die beiden Kirchtürme zum Opfer fielen, denen das Dorf seinen Namen zu verdanken hat, meinten viele, sich auf Törner Kosten mokieren zu müssen: Das Dorf sei die Mitte der Welt, weil der Kirchturm keinen Schatten werfe und die Glocken hingen auf einem Zwetschkenbaum. Dabei musste aber so mancher mit Törner Schlagfertigkeit vorlieb nehmen, wenn er allzu dreist wurde. So erging es auch zwei Fremden, die zu Fuß durch das Wieschen zur Dorfmitte unterwegs waren. Als sie einen älteren Mann trafen, wollten sie von ihm wissen, ob er ihnen sagen könne, wo der Pfosten zu finden sei, der die Mitte der Welt markiere. Dabei konnten sie sich ein hämisches Lächeln nicht verkneifen. Das könne er nur zum Teil, antwortete da der Törner ernst. Der Pfosten sei nämlich des hohen Alters wegen längst verfault, das Loch könne er ihnen aber sehr wohl noch zeigen. Dabei kehrte er ihnen schnell den Rücken zu, ließ die Hosen runter und wies ihnen das besagte Loch. Schlagartig wandten sich da unsere beiden Witzbolde ab und gingen ohne ein Wort des Abschieds ihres Weges.

H. Kepp

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