Eine seltsame Krankheit

Schönheit hat auch ihre Tücken, vor allem dann, wenn die Werbephase vorbei ist und der Alltag allmählich einkehrt. Das sollte auch ein junger Mann erfahren, nachdem der Rausch über die gelungene Partie abgeklungen war. Denn nun zeigte sich das Verborgene hinter der schönen Fassade. Die junge Hausfrau klagte nach kurzer Zeit über eine seltsame Krankheit, die sie befallen habe und die es ihr unmöglich mache, ihren Mann zur Feldarbeit zu begleiten. Der, gutgläubig und noch immer in ihrem Bann stehend, bedauerte sie und verabschiedete sich zärtlich. Am Abend kehrte er müde von der Feldarbeit zurück, kümmerte sich um seine bedauernswerte Frau und um den Haushalt. So ging das eine ganze Weile, bis unser Mann den Eindruck hatte, nicht mehr alles bewältigen zu können und wissen wollte, wieso sich keine Besserung einstellte. Daher verabschiedete er sich eines Morgens wie üblich, schloss die Tür hinter sich und lenkte seine Schritte Richtung Tor. Dort aber verbarg er sich schnell hinter dem Haus und wartete gespannt, was sich denn ereignen würde. Es waren aber keine fünf Minuten vorbei, da verließ unsere Kranke das Haus und begab sich mit einem Körbchen zum Hühnerstall. Während sie die Eier einsammelte, schlich der Man wieder ins Haus und suchte sich ein Versteck in der Küche. Die Frau kehrte vergnügt ins Haus zurück und machte sich geschäftig daran einen deftigen Pfannkuchen zuzubereiten. Zehn Eier, zählte der Mann, mussten wohl dran glauben und er wunderte sich über den ungewöhnlichen Appetit seiner Kranken. Na warte, dachte er sich da, dir will ich kräftig den Appetit verderben. Als sie kurz darauf wieder die Küche verließ, weil sie wahrscheinlich die Milch vergessen hatte, sprang er schleunigst aus dem Versteck, verdoppelte die Anzahl der Eier für den Festschmaus seiner Angebeteten und kehrte wieder ins sichere Versteck zurück. Nur gut, dass er sich wieder ruhig hingekauert hatte, kehrte seine Bedauernswerte summend zurück und machte sich dran den Pfannkuchen fertigzustellen. Das Vergnügen schien mit zunehmender Festigkeit des Pfannkuchens zu steigen und mündete in fröhlichem Gesang, als sie mit der Pfanne Richtung Tisch stolzierte und den Inhalt in einen Teller leerte. Mit sichtlichem Spaß an der Sache machte sie sich daran, den vollen Teller zu leeren. Als aber das gewohnte Pensum erreicht schien, begann sie zu stöhnen, so als könnte sie ihre tägliche Ration nicht mehr bewältigen. Mit jedem Bissen vergrößerte sich das Stöhnen und wurde immer mehr zu einem Würgen, bis die Arme aufsprang, ihren Ranzen mit beiden Händen fasste und ihn hin und her schüttelte, dabei wie beschwörend auf ihn einredend: „Rüttel dich und schüttel dich, Magen. Oder bin ich doch nicht gesund?“ Das genügte aber unserem Mann. Er sprang aus seinem Versteck und verdarb seiner kranken Frau nicht nur den Appetit, sondern auch die Lust darauf, sich weiter vor der anstehenden Arbeit zu drücken.

H. Kepp

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