Gansabreiten

Es heißt, die Törner sollen zur Zeit der Türkeneinfälle in ein nahes Wäldchen geflüchtet sein. Als die feindlichen Reiter vorbeizogen, fing eine Schar Gänse zu schnattern an, was zur Entdeckung der Flüchtlinge führte. Seither soll hier die Gans „geschlagen“ werden („De Gus schlon“ Anm. H. K.). Eltern klagten aber, dass sie ihren Kindern zum „Gansabrennen“ teure Pferde suchen müssten, über das auch oft Unglücke sich ereigneten, vermerkt 1765 das Protokoll einer Kirchenvisitation. So hatten die Behörden das Gansabreiten verboten, weil „solches ohnedem je von dem Heydenthum herrühre“. Trotz diesem kirchlichen Interdikt wurde der grausame Brauch erst 1912 in Gergeschdorf untersagt. Um auf den Brauch nicht zu verzichten, entschloss man sich, eine tote Gans „zu pletschen“ („ze platschen“ Anm. H.K.). So erfolgt auch jetzt das Gansabreiten in Törnrn, Blutroth und Weingartskirchen, Gemeinden im Zekeschtal. Törnen 1968. Hinter den Gärten hört man es knallen wie bei einer Hasenjagd. Jeder Bursch möchte, dass seine Peitsche am lautesten knallt. Der Schmass (Schmiss, freies Ende der Peitsche) wird so lange geprobt, bis er kräftig knallt. Die Vorbereitungen für das Gansabreiten besorgt der Altknecht. Er verfügt, dass man die Holzsparren und den Wisebum (Heubaum) in einem Abstand von fünf Metern in die Erde rammt, an dem das Seil befestigt wird. Am Heubaum befindet sich ein Öhr, durch welches das Seil bis auf Manneshöhe herunterhängt. In der Mitte des Seiles wird die geschlachtete Gans an den Füßen angebunden, so dass sie mitdem Kopf nach unten hängt. Das Lefken (Liebchen) näht unterdessen seinem Burschen eine Fuesenichtblom („Fuesenichtblaum“ Anm. H. K., Fastnachtsblume) aus feiner Wolle und bunten Fronsen (Bändchen) an die schwarze Lammfellmütze. Am Dienstag vor Aschermittwoch in der Früh – am Tag des Gansabreitens – legt der Bursch in Festkleidung mit der Fuesenichtblaum an der Mütze den geschmückten Zaum und Sattel auf das Pferd, nimmt seine Gisel (Peitsche) und platscht (knallt) jauchzend vor dem Haustor so laut er kann: De helich Fuesnicht as hai! (Die heilige Fastnacht ist da!) Dann reitet er zum Dorfplatz, wo sich die Burschen versammeln. Hauptakteure sind wohl die sächsischen Burschen, beteiligt ist aber die ganze Gemeinde. Auch Rumänen aus den Nachbardörfern sind erschienen. Am Ort des Gansabreitens kündigt ein Marsch der Blaskapelle den Beginn des Schauspiels an: „Nun sind sie aufgestellt. Der Altknecht hüben, der Jungaltknecht drüben. Sie schwingen ihre Peitschen über den Köpfen, Burschen ziehen am Seil, so dass die Gans hin und her schaukelt. Da gibt es einen Knall, die Federn fliegen. Der Altknecht hat die Gans getroffen. Die Pferde bäumen sich, Zurufe, Beifall. Und nun folgt Schlag auf Schlag. Die Gans fliegt hoch, ein Zeichen, dass zwei andere Burschen an die Reihe kommen. Jeder trachtet danach, den Hals der Gans zu treffen… Das Spiel geht weiter bis um die Mittagszeit“ (R. Mildt). Nach dem Gusplatschen findet ein Wettrennen der Reiter am Wiesken statt. Der Bursche, der den Kopf der Gans abgeschlagen hat, muss ihn im Wettrennen verteidigen. Dem Sieger wird der Ganskopf zugesprochen und schmückt die Brust seines Pferdes. Früher war das Gansabreiten in Törnen gefährlicher. Die Reiter stürmten in geschlossenen Reihen unter der Gans durch und versuchten sie zu treffen. […] Am Abend sind im Fuesnicht-Haus alle Tische mit blendend weißen, selbstgewebten Tischtüchern gedeckt, das Brode-Lavent, eine saure Fleischbrühe mit Fleisch wird aufgetragen. An diesem essen nehmen alle Knechte teil, die beim Gansabreiten dabei waren, sowie der Kniechtvueter. Nach dem Essen werden die Tische und Bänke hinausgetragen, der Tanz beginnt. […] Beim Gansabreiten handelt es sich nicht um einen spezifisch siebenbürgisch-sächsischen Brauch. Er war auch in Deutschland und in den Niederlanden als „Gänsespringen“, seit dem 13. Jahrhundert als bäuerliches Reiterspiel bekannt. Die Geschicklichkeitsproben, die man forderte – früher war es der Säbel und nicht die Peitsche - , sollten die Wehrtüchtigkeit der Bauern erhöhen.

H. Kepp

(Aus: Carl Göllner, Im Kreislauf des Jahres. Historisches Brauchtum der Siebenbürger Sachsen, Kriterion, Bukarest 1987, S. 42 ff.)

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