Westerwelle liberal?

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Georg Schnell
schrieb am 17.11.2009, 09:08 Uhr
Ich frage mich ob die Ansicht von unserem Außenminister noch als "liberal" einzustufen ist oder gleich als "Lobbyismus" gelten kann.
Wenn ein Außenminister die Interessen ausländischer Regierungen gegen die des eigenen Landes vertritt, ist er fehl am Platz. Was Warschau betreibt grenzt an "Einmischung in innere Angelegenheiten" einens suveränen Staates.
Oder seht ihr das anders?
pavel_chinezul
schrieb am 17.11.2009, 11:27 Uhr
Wenn ich richtig informiert bin, so richtet sich eine der Kritiken an die Person Frau Steinbachs, bezüglich ihrer Abstammung. Es heißt, sie wäre keine Vertriebene, im Sinne des Wortes, da ihre Familie nicht aus dieser Gegend kam und Frau Steinbach, nur des Krieges wegen, in der Nähe von Danzig geboren wurde. Ihr Vater war Offizier der Luftwaffe und somit ein Teil der Kriegsmaschinerie, die Polen angegriffen hatte.

Einerseits kann ich die Kritik der Polen nachvollziehen, andererseits denke ich, sollten die Geschehnisse dieser schlimmen Zeit, die vor über 60 Jahren stattfanden, die heutige Politik nicht mehr beeinflussen. Ich meine die Politik auf beiden Seiten.

Ich muss ehrlich gestehen, dass mir der Begriff der " Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates", etwas Bauchschmerzen bereitet. Vermutlich, weil dieses eigentliche Recht immer wieder von totalitären Staaten missbraucht wird, um die Kritik an Menschenrechtsverletzungen verstummen zu lassen.

Fakt ist, dass der deutsche Außenminister, genauso wie die übrigen deutschen Parlamentarier und Staatsbediensteten, dem Wohlergehen Deutschlands verpflichtet sind und jede Mühen auf sich nehmen müssen Schaden abzuwenden. Wenn der deutsche Außenminister nach dem Motto: "Der klügere gibt nach" handelt, bin ich der Meinung sollten wir diesbezüglich ein Auge zudrücken. Vielleicht bringt es Deutschland mehr, als ein rechthaberisches (auch wenn man wirklich im Recht ist) Auftreten.

Es ist leider auch sehr problematisch, dass in der Presse immer wieder Äußerungen (auch bezüglich anderer Themen) aus dem Kontext gerissen werden und nur plakativ genutzt werden. Somit ist es sehr schwierig, sich ein unverfälschtes Bild über die Problematik zu bilden. Ich glaube Herr Westerwelle, ist einer der wenigen, der im Stande wäre genaue Informationen zu liefern. Wenn ein Journalist ein Gespräch mit ihm führen würde und den genauen Wortlaut wiedergeben würde, wären wir besser im Bilde.

Für mich bedeutet der Begriff "Liberal", die Meinung anderer akzeptieren zu können, auch wenn sie nicht meiner entspricht. Ich denke es ist Liberal, die Sorge des kleineren Nachbarn erst einmal wahrzunehmen und im Dialog eine Lösung dafür zu finden.
pavel_chinezul
schrieb am 17.11.2009, 11:50 Uhr
Auf der Internetseite von n-tv heute 17.11. 2009 steht unter anderem:

Zitat n-tv:

"...Außenminister und Vizekanzler Guido Westerwelle lehnt die Berufung der CDU-Politikerin in den Stiftungsbeirat kategorisch ab. Ein Ziel der Stiftung sei letztlich die Versöhnung. "Deswegen kann ich als Außenminister Entscheidungen nicht treffen, die diesem Versöhnungsgedanken entgegenstehen, und ich werde sie auch nicht treffen", sagte der FDP-Chef am Montag. Steinbach habe noch Anfang der 90er Jahre gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze gestimmt, argumentierte Westerwelle..."

Die Weigerung der Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze, noch Anfang der 90er Jahre scheint noch ein Argument zu sein, dass die Polen Frau Steinbach ablehnen. Ob das eine generelle Haltung des Bundes der Vertriebenen war oder nur Frau Steinbachs (und ob es immer noch so wäre), kann ich dem Artikel nicht entnehmen. Hier tritt wieder die Problematik der Unkenntnis aller Hintergründe, die die Bildung einer objektiven Meinung erschweren. Meiner Meinung nach sollte aber Frau Steinbach die Möglichkeit haben zu beweisen, dass sie für Versöhnung einsteht.
Georg Schnell
schrieb am 17.11.2009, 11:58 Uhr
Das ist eine gute Einstellung aber irgendwann sollte jede Partei zu seiner Vergangenheit stehen. Deutschland steht zu seinen Taten, auch wenn ihnen einige in die Schuhe geschoben wurden (siehe Kathyn), dass die Polen auch ihre Schattenseiten haben ist jedoch mit ihrem Nationalismus nicht zu vereinbaren.
Hier haben wir wieder ein Beispiel, wie unsere Volksvertreter sich über den Willen des Souverän hinwegsetzen und Interessen vertreten, die dem Volk eher schaden als nutzen (siehe alle Zoologischen Grippen, Afghanistan, Finanzen, Pharma, Gesundheit.......).
pavel_chinezul
schrieb am 17.11.2009, 12:18 Uhr
Ich bin vollkommen ihrer Meinung, deshalb auch mein Hinweis oben, dass man Frau Steinbach die Chance geben sollte, ihren Willen zur Versöhnung unter Beweis stellen zu dürfen.

Eine andere Sache: Soweit ich weis, wollten die Sowjets die Massaker von Kathyn, den Deutschen in die Schuhe schieben und als bekannt wurde, dass doch die Sowjets dies verübt hatten, haben die Allierten geschwiegen, um die Allianz mit den Sowjets gegen die Nazis nicht zu gefährden. Dies ist ein Trauma der Polen, das bis heute nicht verarbeitet wurde. Es wäre schön, wenn sie die Russen auch mal zur Kasse bitten würden.

Ich muß ehrlich sagen, mich ärgert es ungemein, dass immer wir, die Deutschen, an die Verbrechen des III Reiches erinnert werden und wir auch bereitwillig uns Asche aufs Haupt streuen. Jedes Volk hat im Laufe der Geschichte seine Verbrechen begangen. Ich meine jetzt nicht Sachen die dann so Anfangen: erst warst du schuld, dann haben wir uns gerächt, dann wieder ihr usw. Nein, ich rede von der fast gänzlichen Ausrottung der Indianer der amerikanischen Kontinente, die Sklaven in USA (in den Südstaaten war noch im 20JH. Sitte, einen Farbigen Hey NiggerBoy zu benennen), die Kolonialzeiten usw. Wenn diese Völker eine Entschädigung fordern würden, dann wären viele europäische Staaten, die USA usw. heute pleite.
bankban
schrieb am 17.11.2009, 13:10 Uhr
Rechtfertigung des NS-Staates

"Alle Anstrengungen, den historischen Nationalsozialismus zu rehabilitieren, um damit modernisierte Varianten dieser Ideologie gesellschaftsfähig zu machen, stoßen auf das Hindernis seiner moralischen Kompromittierung durch den von ihm ausgelösten Weltkrieg und die in seinem Zeichen verübten Verbrechen [...] Eine beliebte Argumentationsform rechtfertigender Geschichtsschreibung ist das 'Aufrechnen' von allen möglichen Untaten der Weltgeschichte, um die nationalsozialistischen Verbrechen zu relativieren. Durch den Hinweis auf fremde Schuld soll die eigene geringer erscheinen, um möglichst alle Nationen auf das moralische Niveau des Nationalsozialismus herabzuziehen. Bewußt wird dabei der Unterschied zwischen (fraglos unentschuldbaren) Exzessen und grausamen Geschehnisse im Zuge von Kriegshandlungen und der aus rassistischen Motiven angeordneten und planmäßig durchgeführten Verfolgung und Vernichtung von wehrlosen Minderheiten verwischt."

Gustav Spann, Rechtfertigung des NS-Staates. In: Legenden, Lügen, Vorurteile. Ein Wörterbuch zur Zeitgeschichte. Hrsgg. Wolfgang Benz. München 1993 (3. Aufl.), S. 170-175 (Zitate auf S. 170 und 172).
Sächsin
schrieb am 17.11.2009, 14:20 Uhr
@pavel_chinezul, welcher schrieb:

"Ich muß ehrlich sagen, mich ärgert es ungemein, dass immer wir, die Deutschen, an die Verbrechen des III Reiches erinnert werden und wir auch bereitwillig uns Asche aufs Haupt streuen. Jedes Volk hat im Laufe der Geschichte seine Verbrechen begangen. Ich meine jetzt nicht Sachen die dann so Anfangen: erst warst du schuld, dann haben wir uns gerächt, dann wieder ihr usw. Nein, ich rede von der fast gänzlichen Ausrottung der Indianer der amerikanischen Kontinente, die Sklaven in USA (in den Südstaaten war noch im 20JH. Sitte, einen Farbigen Hey NiggerBoy zu benennen), die Kolonialzeiten usw. Wenn diese Völker eine Entschädigung fordern würden, dann wären viele europäische Staaten, die USA usw. heute pleite."

das sehe ich auch so.
Lavinia
schrieb am 18.11.2009, 01:20 Uhr
NS-Vergleiche verbieten sich aus mehreren Gründen. Vergleiche mit dem NS-Regime offenbaren, dass man glaubt, dass das Regime zwar schlimm war, aber doch nicht so schlimm, als dass es einen Vergleich mit einem anderen Ereignis (Z.B.Völkermord anderer Staaten) ausschließen würde. Dies kommt einer Verharmlosung der Verbrechen des NS-Regimes gleich. Denn damit wird die Singularität der Verbrechen bestritten, die darin liegt, dass eine Staatsregierung ihre gesamte militärische Gewalt dafür einsetzte, um bestimmte Volksgruppen (Juden, Zigeuner) zu vernichten. Die Vernichtungslager der Nazis, die planmäßibe, bürokratische Ermordung von Millionen von Menschen, welche das erklärte Ziel war, stellen einen einmaligen Vorgang in der Weltgeschichte dar.
Georg Schnell
schrieb am 18.11.2009, 04:15 Uhr
Jedes Volk gedenkt seiner Opfer und dass sollte erlaubt sein. Niemand will aufrechnen oder relativieren, sondern schlicht und einfach an seine Opfer erinnern.
Ich glaube, ein „Zentrum für Vertreibung“, ist das beste Mahnmal.
Unser Thema aber ist „Westerwelle liberal?“
pavel_chinezul
schrieb am 18.11.2009, 07:32 Uhr
Hallo User Georg Schnell

Ich glaube, es ist leider ein bisschen schwierig die Themen auseinander zu halten, da sie im Eingang dieses Threads Herr Westerwelles Liberalität mit "Einmischung in die inneren Angelegenheiten" seitens Polens verknüpft haben und mir persönlich kein anderes Thema, als die Nominierung Frau Steinbachs in den Verwaltungsrat der Stiftung gegen Vertreibung bekannt wäre, bei der Polen versucht auf die deutsche Politik Einfluss zu nehmen. Oder meinten sie ein anderes Thema, das mir persönlich bisher unbekannt ist, bei der Polen sich einzumischen versucht?
Wenn es aber wirklich nur um die Geschichte mit dem BdV geht das sie meinten, denke ich, werden wir immer wieder im Verlaufe der Diskussion auf die Thematik, ich will es vorsichtig formulieren, "Vergangenheitsbewältigung" stoßen. Oder sind sie anderer Meinung?

An Userin Lavinia

Mit der Einmaligkeit der Verbrechen des NS-Regimes, bin ich fast mit ihnen einverstanden, aber nur fast, denn dieselben Verbrechen wurden während der Stalinzeit in der SU verübt. Alle anderen Geschehnisse im Laufe der Geschichte, da bin ich vollkommen ihrer Meinung, sind mit denen dieser schlimmen Zeit unvergleichbar. Aber wie Herr Schnell angedeutet hat, befinden wir uns im Thread mit der Thematik, wie liberal ist Herr Westerwelle. Vielleicht sollten wir eine Diskussion starten, die das Thema NS-Verbrechen-Einmalig oder nicht? beleuchtet. Was meinen sie dazu?
bankban
schrieb am 18.11.2009, 08:33 Uhr
@ User Schnell: Das Thema "Westerwelle liberal" haben Sie doch in Ihrem ersten Beitrag mit der Nominierung von Frau Steinbach verknüpft. Und diese Nominierung bzw. deren Kritik seitens vieler Polen hängt ja wiederum mit den Geschehnissen in Polen zwischen 1939 und 1945 zusammen. Ich gebe Ihnen vordergründig Recht, dass die polnischen Versuche, Frau Steinbachs Nominierung zu verhindern, sehr stark wie eine "Einmischung in die inneren deutschen Angelegenheiten" ausschauen. "Verzicht ist Verrat" ist daher auch der auf einer emotionalen Ebene nachvollziehbare Titel eines Kommentars von Berthold Kohler in der gestrigen FAZ. Doch verdeutlicht genau dieser Titel auch, wie man eine solche Haltung einordnen muss. Der Spruch stammt nämlich noch von W. Brandt, der dies den Schlesieren gesagt haben soll. Wann - das weiß ich nicht. Aber wohl in den 1960er und 1970er Jahren. Das "Problem" heute ist aber, dass wir uns im Jahre 2009 befinden, d.h. vll. sollten wir weniger auf 30-40 Jahre alten Einstellungen beharren. Das Problem mit Frau Steinbach sehe ich nicht nur darin, dass sie Anfang der 1990er Jahre gegen die Anerkennung der Grenzen war. (Dass sie dadurch in Polen zu einer Hassfigur wurde, ist verständlich: stellen wir uns doch vor, Ungarn würde jemanden in eine ähnliche Position hieven, der den Vertrag von Trianon revidieren möchte. Wäre nicht die Aufregung Rumäniens über die regierungsamtliche ungarische Unterstützung von Revisionisten gerechtfertigt und verständlich?) Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt an Frau Steinbach ist jedoch, dass sie sich nicht oder zu wenig von solchen Kollegen sich distanziert (hat), die noch vor ein paar Jahren (in der Organisation "Preußische Treuhand") vor dem EGH um die Rückgabe von ehemals deutschem Eigentum prozessierten. Wie soll nun jemand (Fr. Steinbach) glaubwürdiges und authentisches Führungsmitglied eines solchen Zentrums sein, dessen Ziel angeblich die Versöhnung ist, wenn diese Person zugleich Mitarbeiter hat (oder vor kurzem noch hatte), die die innerpolnischen (Rechts- und Eigentums)Verhältnisse derart aushebeln wollen? Der Anstand würde es daher gebieten, meine ich (und ich glaube, dieser Gedanke geht in die Richtung dessen, was pavel_chinezul mal schrieb), hier mehr Sensibilität walten zu lassen. Exakt 70 Jahre nach dem Ausbruch des Krieges den Nachbarn, deren Land das meiste im Krieg und unter dem Wüten von solchen Soldaten gelitten hat, deren Tochter dieses Land nicht anerkennt, genau diese Tochter zu präsentieren, ist doch logischerweise als Provokation zu werten. Solche realpolitischen Überlegungen, die dennoch auch etwas von einer Großherzigkeit haben, wären also in dieser Frage m.M.n. angebrachter als beleidigte Kurzschlüsse nach dem 60er Jahre Motto von oben.

@pavel-chinezul: Es freut mich, dass Sie Ihre Aussage von gestern etwas revidiert haben. Zugleich würde ich ihre Aussage über die Vergleichbarkeit der Stalinschen Verbrechen mit den NS-Verbrechen (insbesondere dem Holocaust) insofern hinterfragen, als die Ausrottung eines gesamten Volkes samt Frauen und Kinder auf der ganzen Welt eben nicht zum Programm stalinistisches Terrors gehörte. Dieser richtete sich zwar sehr willkürlich gegen Klassen und Verdächtige jeder Art, jedoch ging es nicht darum, sie planmäßig, maschinell, industriell und administrativ alles daran setzend, auszulöschen und selbst die Erinnerung an ihre Existenz zu vernichten. Denn dies war nämlich im Falle des Holocausts der Fall. Der Gulag war eben nicht eine Ansammlung von Tötungslagern sondern von Arbeitslagern (in welchen ein Menschenleben nichts wert war, es jedoch keine Vergasungs- und Krematorienanlagen gab). Daher tun wir den jüdischen Opfern des Holocausts ein Unrecht an und verharmlosen wir diesen Holocaust, wenn wir ihn sei es mit dem Stalinschen Terror, oder dem Sterben der Indianer in Nordamerika (das ja z.B. auf keine Ideologie, auf kein zentrales Regierungshandeln etc. zurückführbar ist) vergleichen. Ein ebensolcher Unsinn ist es, wenn Ungarn aus Rumänien über den "kulturellen Genozid" faseln (L. Tökés), der angeblich an ihnen in Rumänien verübt wurde oder wird. Worüber in den letzten Jahren jedoch geschrieben wurde, ist ob und inwiefern der Völkermord an den Armeniern als Genozid und Holocaust betrachtet werden kann (es gab wohl nämlich einen konkreten Plan der türkischen Regierung zur Beseitigung aller Armenier. Doch soweit ich weiß, "nur" aller in der Türkei lebenden Armenier und nicht jener, die außerhalb der Grenzen lebten. Hier betrete ich aber unsicheres Terrain, denn ich hab mich damit nicht so stark auseinandergesetzt. Daher auch meine vorsichtige Formulierung).
In der Hoffnung, mit diesen Überlegungen einen sinnvollen Beitrag geleistet zu haben, noch einen schönen Tag,
Bankban
pavel_chinezul
schrieb am 18.11.2009, 10:43 Uhr (am 18.11.2009, 11:10 Uhr geändert).
@user bankban

Zur Person Steinbach meine ich, dass jeder die Chance verdient seinen guten Willen und Lernfähigkeit zu beweisen. Wie ich schon mal erwähnt hatte, kann man sich auf Äußerungen die in Medien publik gemacht werden, schwerlich verlassen, weil die Erfahrung zeigt, dass sehr oft plakativ vorgegangen wird. Ich sehe keine Gefahr für die Demokratie, da Frau Steinbach nicht als einzige das Sagen in diesem Rat hat. Falls sie doch nicht die Zeichen der Zeit erkannt haben soll (hier ist auch der BdV gemeint), kann sie immer noch von den anderen schnell ins Abseits geschickt werden. Sie erinnern sich, ich sagte weiter oben "... sollten die Geschehnisse dieser schlimmen Zeit, die vor über 60 Jahren stattfanden, die heutige Politik nicht mehr beeinflussen. Ich meine die Politik auf beiden Seiten." In "beiden Seiten" war auch unter anderem der BdV gemeint.

Ich konnte am Anfang ihren Auszug Rechtfertigung des NS-Staates nicht ganz deuten, in welchem Zusammenhang sie den gebracht hatten. Danke, dass sie später präziser wurden. Somit kann ich, meine vielleicht etwas missverständliche Äußerung bezüglich des angedeuteten Ärgers, präzisieren. Ich hatte die Zeit der NS-Diktatur als schlimm bezeichnet (siehe Auszug aus meinem Kommentar). Meines Erachtens sollte eine Konsequenz aus der Vergangenheit sein, dass es nicht hilft ständig mit dem Finger auf einen zu zeigen, denn genau diese Haltung führt zu Rachegelüsten und die daraus folgenden Gräueltaten, ein immerwährender Kreis von Aktion-Reaktion-Gegenaktion usw. Ein Erinnern und Ermahnen muss immer sein, um solche Verbrechen zu versuchen zu verhindern, aber nicht rechthaberisch, sondern emotionslos. Sie sollten bei allen Verbrechen die von den Deutschen im II Weltkrieg verübt wurden, eines nicht vergessen, die Vernichtung der europäischen Juden konnte deshalb so erfolgreich durchgezogen werden, weil es genügend Kollaborateure in den anderen Staaten gab, die diese Menschen gerne verpfiffen haben. Der Antisemitismus war und ist leider auch heute noch in Europa verbreitet. Genauso wie es für diese Länder, obwohl genügend Kollaborateure vorhanden, keine Kollektivschuld gab, haben die Deutschen das Recht eine Kollektivschuld von sich zu weisen. Der ständige Versuch uns Deutschen eine Kollektivschuld anzuhängen, war der Hintergrund meines geäußerten Ärgernisses. Sie sollten bitte bedenken, allzu oft wird bei einer gegenteiligen Meinung Deutschlands, die Nazi-Keule herausgeholt. Bei der Wiedervereinigung wurden doch auch von außerhalb Stimmen laut, die eine Gefahr für Europa seitens der Deutschen heraufbeschworen (und das auch noch von Verbündeten). Wegen solchen Sachen bin ich verärgert, denn man kann uns nicht mehr mit dem Deutschland der 30er Jahre vergleichen. Es ist an der Zeit die Zukunft, mit dem Wissen und den Lehren aus der Vergangenheit, zu gestalten.

Ich glaube schon, dass der Stalinismus (nicht was später in der SU kam), mit dem Nationalsozialismus vergleichbar ist. In den KZs wurden auch die Andersdenkenden, Homosexuelle, Kommunisten, Priester usw neben den Juden und Zigeuner ermordet. Also ich sehe hier keine Vernichtungseinrichtung vorrangig nur für eine bestimmte Volksgruppe, sondern für Alle die dem System nicht ins Bild passten. War es unter Stalin anders? Ich denke nicht. Da hieß es Gulag und nicht KZ. Menschen wurden hier wegen ihrer Herkunft (z.B. Adlige), ihres Glaubens (z.B. Priester), Kritiker (z.B. ehemalige Weggefährten, auch Kommunisten), Intellektuelle usw. vernichtet. Das einzige, das es nicht gab, das waren die Gaskammern. Stalin brauchte so etwas nicht, denn wenn es mal wieder eine Säuberungswelle gab, wurden die Leute einfach erschossen oder die Natur in Sibirien hat das übernommen. Beide Systeme wollten eine Weltherrschaft unter ihrer Führung etablieren. Das die Methoden sich in einigen Details unterschieden, ändert nichts an der Tatsache: Diese Systeme waren verbrecherisch und menschenverachtend. Jeder der diese Zeit glorifiziert, müsste mal, nur für eine Woche, in so einer Einrichtung eingesperrt werden, um es am eigenen Leibe zu spüren, wie gut es in der Demokratie ist, auch wenn nicht alles perfekt ist.

Vielleicht ein bisschen ketzerisch gesagt, alle Verbrechen sind doch vergleichbar (Holocaust war ganz klar als Einziges, ein Geplantes), denn die bewusste Tötung anderer Menschen beruht auf der Unart der Spezies Mensch, zu meinen etwas Besseres zu sein als der Andere. Tiere töten bewusst um zu fressen. Es liegt in der Natur des Menschen auch aus niederen Motiven bewusst zu töten. Nur die Hemmschwelle zu töten, ist bei jedem Menschen unterschiedlich hoch.

Konnte ich jetzt meine missverstandenen Äußerungen, besser darstellen?
PS: Diese Frage ist ohne jeglichen Hintergedanken oder eventuellen Unterstellungen gestellt worden, sondern als ehrliche Frage für eine offene, nicht persönlich werdende Diskussion. Ich wollte das hier präzisieren, denn es ist hier öfters so, dass ein Missverständnis das andere jagt, daraus werden persönliche Dispute usw. mit dem Ergebnis, dass nicht mehr zum Thema diskutiert wird, sondern die ganze Energie in Attacken und Gegenattacken gesteckt wird. Die Fairness bleibt auf der Strecke. Ich meine hiermit alle aus dem Forum. Wir sind hier um zu diskutieren, oder. Bei einer vermeintlichen Attacke, wäre es hilfreich erstmal nachzufragen, wie es der Andere gemeint hat. Vielleicht war es nur eine falsche Wortwahl, ohne jeglichen Hintergedanken. So interpretiere ich die Forenregeln, oder sieht das Jemand anders?

@User Georg Schnell

Nicht böse sein, ich wollte nur User bankban antworten. Sein Kommentar ist nunmal in diesem Thread.
bankban
schrieb am 18.11.2009, 11:37 Uhr
@ pavel_chinezul

Ich stimme Ihnen in manchen Punkten zu, doch in mehreren nicht.

1. Zur Person Steinbach. Ich bin auch der Ansicht, dass man ihr eine persönliche Entwicklung zugestehen sollte. Doch stellt sich die Frage, ob sie denn Zeichen einer solchen Entwicklung hat erkennen lassen oder nicht. Hat sie in den letzten Jahren ihr Abstimmungsverhalten von 1991 (Anerkennung der Oder-Neiße-Linie) bedauert und die Grenzen anerkannt? Hat sie sich deutlich von der Preußischen Treuhand und deren Zielen distanziert?
Mir sind keine solchen Äußerungen von ihr bekannt. D.h. sie hat immer noch dieses Image, was ihr selbst auch nicht entgangen sein dürfte. Warum unternimmt sie dann nichts, um es zu korrigieren? Meinen Sie nicht, dass es auch für die Regierung einfacher wäre, Frau Steinbach zu unterstützen, wenn sie sich anders verhalten würde? Würden nicht die Polen Frau Steinbachs Anwesenheit im Beirat ignorieren, wenn Frau Steinbach sie von ihrem Sinneswandel überzeugt hätte?
2. Frage der Kollaboration. Latein ist nicht meine Stärke, doch würde ich das Wort aus "co + laborare", als "mit-arbeiten" ableiten. Daraus geht schon hervor, dass hier jemand einem anderen zur Hand ging. Selbstverständlich gab es Antisemitismus auch anderswo. Doch vergessen wir eins nicht: es war das NSDAP-Programm von 1920, das die Exklusion der Juden als Forderung enthielt. Es war die deutsche Maschinerie, die das Vernichtungsprogramm umsetzte. Dass sie dabei gerne auf die Mitwirkung der Einheimischen zurückgriff, kann genauso wenig geleugnet werden, wie die antisemitischen Pogrome in Polen 1939/1940, im Baltikum, wie die Beteiligung der Ukrainer an der Verfolgung oder auch der ungarischen und rumänischen Soldaten sowie Administration. Doch war das eben "nur" eine Beteiligung und der Druck, große Teile der Organisation wie auch des Gesamtapparates sowie die Aufrechterhaltung der Tötungsmaschinerie in den besetzten polnischen Gebieten wurde von Deutschen erledigt. D.h. die Täterschaft kann man nicht mit einer Waage verteilen, abwiegen.
3. Dass Kollektivschuld unsinnig ist, bedarf keiner Erörterung.
4. In der Frage der Gleichsetzung des Stalinismus mit dem NS bzw. der Verbrechen beider Regimes gehen unsere Meinungen stark auseinander. Ich bedauere es, dass Sie die Dimensionsunterschiede nicht sehen: auf der einen Seite sollte systematisch und unter Beteiligung großer Teile der Gesellschaft und der Kirchen ein ganzes Volk ausgerottet werden, auf der anderen Seite geht es um sogenannte Systemfeinde unabhängig der Ethnie, die von einem entfesselten Machtapparat, dessen Mitglieder selbst oft genug ebenfalls unter die Räder gerieten, vorrangig zum Arbeiten hingeschickt wurden. Nichts liegt mir ferner, als die Opfer des Stalinismus zu beleidigen, ihr Leid kleinzureden, zu verharmlosen etc. Aber es muss doch unterschieden werden zwischen dem Gulag, der 1937 auf Befehl von Berija (meine ich) und unter der Voraussetzung eingerichtet wurde, dass er sich selbst trägt, also dem Staat wirtschaftlich nicht zu Last fällt. UNd er wurde in den 1950er Jahren (1953?1955?) genau deshalb aufgelöst, weil er subventioniert werden musste, also ein Minusgeschäft wurde. Die KZs wurden aber von den Nazis ausdrücklich zwecks Exklusion (in Dtl.) und zwecks Exterminierung eingerichtet (in Polen). Beide miteinander zu vergleichen bzw. auf dieselbe Stufe zu setzen, geht also nicht. Auf die ganze Vorgeschichte der Judenfeindschaft, der etwas Ähnliches in Bezug auf die stalinistischen Verbrechen nicht an die Seite gestellt werden kann, möchte ich jetzt nicht eingehen.
Ich erwarte nicht, dass Sie mir sofort zustimmen. Es würde mich aber freuen, wenn Sie hierüber nachdenken würden.
Ansonsten bin ich auch der Meinung, dass man Missverständnisse am besten in einer Diskussion ausräumt.
MfG,
Bankban


pavel_chinezul
schrieb am 18.11.2009, 12:31 Uhr (am 18.11.2009, 12:40 Uhr geändert).
An @User lavinia

Die ganze Menschheitsgeschichte ist doch geprägt von Gräueltaten einer Menschengruppe an einer anderen. Das es bis zum 20 Jh. noch keine Staatspolitik gab, die eine geplante Vernichtungsmaschinerie ins Leben rief, liegt doch nur daran, dass es erst seit Napoleons Zeiten eine Entwicklung zu den sogenannten Nationalstaaten gibt und, dass erst die technische Entwicklung des ausgehenden 19 Jh. die Basis dafür geschaffen hat. Glauben sie nicht, dass bei einer früheren Anwesenheit dieser Möglichkeiten in der Menschheitsgeschichte, der menschliche Fanatismus sowas wie den Holocaust der 1930er Jahre schon längst erlebt hätte? Ich denke schon.

Eine Art Staatspolitik andere zu vernichten, wenn sie so wollen, gab es doch schon in der Geschichte. Ich würde die Kreuzzüge, die Glaubenskriege zwischen Katholiken und Protestanten, die Missionierung der Indianer als so etwas sehen. Ganz klar war die Politik des Vatikans alles was nicht katholisch ist zu Konvertieren oder zu vernichten.

Auch die Vernichtung und Vertreibung der Armenier aus der Türkei 1915-1917 wird ganz klar als Völkermord definiert, mit den dazugehörenden Massaker und Todesmärsche. Die technischen Mittel waren noch nicht so fortgeschritten wie in den folgenden 30er Jahre.

Ich würde soweit gehen zu behaupten, dass wir im Balkankrieg der 1990er Jahre in Bosnien-Herzegovina ein, dem Holocaust im II Weltkrieg, sehr ähnliches Phänomen erlebten. Die moderne Technik lässt grüßen.

Es gibt noch eine Menge Beispiele in der Geschichte der Menschheit, die zeigen können, dass der Holocaust im III Reich gar nicht so einzigartig ist. Ich komme zurück zur These eines meiner vorherigen Kommentare, dass es in der Natur des Menschen liegt, solche Auswüchse zu generieren. Jedes Volk wäre zu so einer Tat fähig gewesen. Meine Hoffnung ist, dass solche Geschehnisse mit steigendem Grad der Bildung verhindert werden können.

Wir sollen als Deutsche unserer Verantwortung weiterhin bewußt bleiben und mitwirken, dass so etwas nicht wieder passieren kann. Das ist unsere heutige Pflicht den Opfern des deutschen Holocaustes gegenüber, ob es nun Juden, Zigeuner, Slaven usw. waren.



pavel_chinezul
schrieb am 18.11.2009, 12:38 Uhr (am 18.11.2009, 13:19 Uhr geändert).
@User bankban

Ich habe mir unter Wikipedia mal den Begriff Gulag angesehen und etwas interessantes entdeckt. Die Vorläufer der Gulags waren Konzentrationslager. Bestimmt nicht wie die ausgeklügelten der Nazis, aber auch mit dem Ziel Menschen einzusperren. Die Gulags kamen später. Bei dem Begriff Konzentrationslager kommt man auf eine andere Seite in Wikipedia.

Da wird unter anderem von den ersten Lagern gesprochen. Bitte sehen sie selbst was den Cherokee-Indianern wiederfahren ist. Ein Präsident der USA hat dieses Volk aus rassistischen Gründen fast vernichtet. Das die Vernichtungsmaschinerie hier, nicht wie die der Nazis war, ändert aber nichts an der Tatsache des vom Staate geplanten Völkermordes, auch wenn ihre Zahl nicht an die der ermordeten Juden herankommt.

Ich will nicht den Holocaust der Nazis in Frage stellen, nur seine Einzigartigkeit. Ich habe selber Familienmitglieder, auch wenn nur Eingeheiratete, die damals darunter gelitten hatten und ihr Andenken ist mir heilig.

Mein Credo bleibt immer: Jedes Menschenleben ist wertvoll und kostbar und jeder Tote ist einer zuviel.

Auch wenn wir nicht in allen Punkten einer Meinung sind und vielleicht auch nie sein werden, machen Meinungsunterschiede die Würze einer Diskussion aus.

MfG Erwin

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