Hochwasser in Tekes

Am Andreastag hatte es das erste Mal geschneit. In den folgenden Monaten war immer mehr Schnee gefallen und hatte die fast zu Eis verharschte Schneedecke auf 60cm erhöht.
Im Februar war dann der russische Steppenwind über die Ostkarpaten gestiegen und hatte zwei Wochen lang in das siebenbürgische Land geblasen. Vergrämt und frierend blieben die Menschen in Tekes in den warmen Stuben und schürten die nie erlöschenden Holzfeuer. Bei einer Kälte von minus 30 Grad blieben die Schulen geschlossen. Nur in den Rocken- und Spinnstuben lief alles wie gewohnt weiter. Die Männer versäumten an den Abenden das Kartenspielen und blieben zu Hause, um den frierend heimkehrenden Frauen die Stube zu heizen.
Lebhafter ging es im Stübchen (dem "Stifken"), der Nebenstube zu, wo Großeltern und Enkelkinder näher zusammenrückten. Großmutter war mit dem Spinnen der Schafwolle beschäftigt und Großvater saß auf der Holzkiste und rauchte seine Pfeife. Die Kinder- solche gab es in Tekes genug-, hatten sich zu ihm gesetzt und lauschten seinen Erzählungen. Die Aufgabe der Großeltern war auch, das Brennholz ins Haus zu tragen und das "Stifken" warm zu halten. Großvater kannte so viele Geschichten, und so war die erste Kältewoche ganz schön. Wenn Großvater vom Fenster aus die Schneedecke betrachtete, wurde er unruhig und fing an, von Schneeschmelze und Hochwasser zu sprechen. Ja, er hatte es schon erlebt, dass bei plötzlichem Föhn durch das Schmelzwasser sich die ruhigen Bächlein und Bäche in reißende Sturzbäche verwandeln konnten.
Ganze zwei Wochen waren mit dieser Hundskälte vergangen, der kalte Wind hatte aufgehört zu blasen, und warme Süd-Westluft brachte die Schneedecke zum Tauen. Von den Dächern begann es heftig zu tropfen und überall nur Wasser und Schneematsch. Am schlimmsten waren die Weiherwiesen ("Am Wor") betroffen. Von der Südseite des Buchhorns stürzte das Schneewasser durch den Hattert-Rönen- und Sandkuhlgraben in den großen Wiesenbach. Dieser, im Sommer ein still dahinfließender Träumer, wurde in Kürze zu einem wilden Gesellen. Von der anderen Bachseite, wo der Wald steht, brachte das Schmelzwasser auch Gehölz in den Bach und diesen schnell zum Auslaufen. Einem Fluss gleich, strömten die Wasserrnassen auf das Dorf zu, an eine Engstelle, wo aus dem Dorf eine Brücke zur Zigeunersiedlung (der "Ziganie") führt. Vor der Brücke und der Engstelle staute sich das Wasser in einer Breite von etwa 100m und drohte die Brücke weg zu spülen.
Georg Geisler, der neue Dorfhann, ein Mann schneller Entschlüsse, hatte die missliche Lage schnell erkannt und eine Zehntschaft aus der Pantja zusammengetrommelt. Unter seiner Führung versuchten die Männer es zu verhindern, dass die Brücke mitgerissen wurde, in dem sie Treibholz beseitigten, das den Wasserstand hätte steigen lassen. Rumänen waren auch dabei und alle bemühten sich, die Brücke zu retten.
Jenseits der Brücke hatte sich der Hausiererzigeuner Grantschea ein stattliches Haus gebaut, das fast von den Wasserrnassen erreicht war. Anstatt mitzuhelfen stand er jammernd vor seinem Haus. Geisler, der Hann, packte ihm am Kragen und schrie ihn an: "Wenn du nicht sofort mithilfst, wird das Wasser dein Haus bald wegtragen und heute Nacht wird die "Mama dracului" (Die Mutter des Teufels) auch dich holen, denn wer nicht arbeiten will, gehört in die Hölle"! Das hatte Wirkung, der Mann half mit. Stundenlang haben die Männer gekämpft und das Fortschwemmen der Brücke verhindert.
Dann ist der so jählings aus seinem Winterschlaf gerissene „große Bach" langsam ruhiger geworden. In sein Bett zurückgekehrt, hat aber eine Woche lang noch reichlich Wasser hinunter zum Altfluss getragen. Dann hat er sich allmählich beruhigt und im Schatten hoher Weiden seinen ruhigen Schlaf gehalten.

Johann Mathiä

(Beitrag im „Heimatblatt der HOG“, Ausgabe 12, Januar 2007)

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