"Mein Junge, mach uns ja keine Schande!"

Das waren die mahnenden Worte meine Mutter, wenn ich an Winterabenden des Jahres 1945 zu meinen Klassenfreunden Michael, Georg und Johann ging, um gemeinsam etwas zu unternehmen.
1944 wurden wir konfirmiert, so dass meine Freunde zu den sogenannten jungen "Knechten" (Burschen) des Dorfes gehörten und das Recht besaßen, zu den "Mägden" in die Rockenstube zu gehen. Mit der Rockenstube war aber nicht viel los, denn im Januar 1945 wurden der Großteil der Mägde, die älter waren als wir, nach Russland verschleppt und übriggeblieben waren nur unsere Klassenfreundinnen, die nicht an uns, sondern an den wenigen älteren Burschen interessiert waren, die der Russlandverschleppung entkommen waren. So saßen wir oft bei einem meiner Freunde, spielten Karten, sangen oder unterhielten uns. Aber ohne den Kontakt zum weiblichen Geschlecht ging es doch nicht.
Wir waren mit Mädchen, die 2 Jahre jünger waren als wir und noch zur Schule in die 7. Klasse gingen gut befreundet.
Diese trafen sich an Winterabenden auch in kleinen Gruppen, aber weder ihre Klassenfreunde, geschweige denn Knechte, durften dabei sein. Dennoch waren meine Freunde an einigen Abenden heimlich doch zu den Mädchen gegangen, ohne dabei erwischt zu werden. Die Mädchen mussten in der Schule angeben, wo sie sich jeden Abend trafen.
Eines Abends, als ich bei meinen Freuden war, wurde der Vorschlag gemacht, den Mädchen einen kurzen Besuch zu machen.
Mein Vater war Schuldirektor und machte gelegentlich Kontrollen bei den Mädchen. Ich wollte nicht "Spielverderber" sein, hatte gemischte Gefühle, hoffte aber dass mein Vater nicht gerade an dem Abend die Mädchen, zu denen wir gingen, kontrollieren würde.
Wir saßen gemütlich bei Katharina und ich erzählte ihnen über das Leben der Schüler am Schäßburger Gymnasium, das ich besuchte. Es waren kluge Mädchen, die wohl die Fähigkeiten besaßen, aber nicht wie ich das Glück hatten, ein Gymnasium zu besuchen.
Es war spät geworden und ich glaubte unentdeckt zu bleiben. Ein Klopfen an die geschlossene Jalousien ließ uns plötzlich verstummen. Katharina öffnete ein Fenster und fragte, wer da sei. Alle hatten wir damit gerechnet, dass es andere Burschen seien. Aber Katharinas Miene und die Antwort "ja ich komme gleich" ließ uns Schlimmeres ahnen. Sie schloss das Fenster und sagte kurz: "der Herr Prediger", also mein Vater der Schulrektor war da. Ein Glück, dass das "Gassentürchen" abgeschlossen war, sonst wäre mein Vater schon vor der verschlossenen Haustür gestanden. Nun hieß es schnell handeln. Wir mussten verschwinden. Aber wohin? Am einfachsten wäre es gewesen, durch den Hof in die Scheune zu laufen.
Da hätte uns mein Vater aber sicher gehört. Katharina fand schnell eine Teillösung. Sie zeigte auf einen Schrank, der vor einer Tür stand und meinte, dahinter hätten 2-3 von uns Platz. Wir packten an, ein Ruck, und schon konnte Johann hinter den Schrank schlüpfen. Dabei hatte er den Staub, der sich dort im Laufe der Jahre gesammelt hatte, aufgewirbelt, so dass Georg zurückwich und sich weigerte dort Unterschlupf zu suchen. Der Schrank wurde zurückgeschoben und Georg entschloss sich, während der Zeit wo mein Vater vom Gassentürchen zur Haustür ging, aus dem Fenster zu springen, das ziemlich tief lag. Was sollte mit Michael und mir geschehen? Ich sah das große Bauernbett mit den vielen gestickten Kissen, das in keiner großen Stube fehlte und drängte Michael, darunter zu kriechen. Während Katharina zum Gassentürchen ging, zwängte auch ich mich unter das Bett. Platz für zwei schmächtige Bürschchen wäre da gewesen, aber zu unserem großen Unglück stand unter dem Bett ein Korb mit Emailgeschirr. Um nicht entdeckt zu werden musste ich mich zum Teil auf Michael legen. Kaum hatte ich eine halbwegs annehmbare Position eingenommen, trat mein Vater in die gute Stube. Georg war unbemerkt durch das Fenster entwischt, und die Mädchen bemühten sich ruhig zu erscheinen.
Katharina bot meinem Vater einen Stuhl an, und er setzte sich zu ihnen. Lachend fragte er, wie viele Burschen schon zu Besuch gewesen seien. Die Mädchen beteuerten treuherzig, dass sie keine Burschen ins Haus lassen würden. Glücklicherweise begann mein Vater mit den Mädeln zu plaudern, denn es geschah etwas, was uns fast verraten hätte. Michael flüsterte mir zu, er könne nicht mehr richtig atmen, weil ich sozusagen auf ihm lag. Ich konnte nicht nach außen hin rücken, weil ich sonst entdeckt worden wäre. Ich flüsterte ihm zu, ein wenig nach innen zu rücken, was er auch versuchte. Da geschah das Unglück. Er reichte leicht an den Korb mit dem Geschirr an, und das gab einen Laut, der von allen wahrgenommen wurde. Aber die kluge Katharina rettete die Situation. Weil es draußen kalt war, durfte die Katze im Haus bleiben. Katharina machte zwei Schritte in Richtung Ofen und rief "Kaatz". Mit diesem Ausruf pflegte man gewöhnlich Katzen zu verscheuchen. Zusätzlich sagte sie noch, um weiter abzulenken "Diesen Katzen genügt das, was man ihnen zu fressen gibt nicht, die müssen noch am ungewaschenen Geschirr herumlecken". Damit war die Situation gerettet. Mein Vater ging bald weg. Michael und ich krochen schweißgebadet unter dem Bett heraus und holten Johann hinter dem Schrank hervor, der endlich ungehemmt niesen konnte. Georg hatte sich aus dem Staub gemacht. Vorsichtig verließen wir das Haus und schlichen nach Hause.
Als ich nach Jahren meinem Vater mein Vergehen berichtete, sagte er schmunzelnd: "Gut, dass ich euch nicht erwischt habe, denn für uns beide und auch die anderen wäre der schöne Abend richtig verdorben worden".

Erwin Thot

(Beitrag im „Heimatblatt der HOG“, Ausgabe 7, Februar 2002)

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