Tekes vor 50 Jahren

28. März 2007

Allgemeiner Bericht

Eine 850 Jahre alte Geschichte der Siebenbürger Sachsen geht endgültig zu Ende, mit ihr auch die unseres Heimatdorfes Deutsch Tekes.
Der erste Schritt in diese Richtung war die Eingliederung aller sächsischen Wehrpflichtigen in die deutsche Armee während der Jahre 1942/43. Von den Tekesern ließen 48 ihr Leben in diesem schrecklichen zweiten Weltkrieg. Die Überlebenden konnten fast ausschließlich nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren, und das bewirkte nach dem Krieg die Familienzusammenführung, in deren Rahmen auch die ersten Tekeser nach Deutschland aussiedelten. Ausschlaggebend waren aber die Ereignisse am Ende des Krieges, als Rumänien am 23. August 1944 aus dem Bündnis mit Deutschland ausstieg und an der Seite der Sowjetunion gegen Deutschland und seine Verbündeten kämpfte. Der erste schwere Schlag war die Deportation der deutschen Männer, im Alter von 16-45, und der Frauen von 17-35 Jahren, in die Sowjetunion, zur Wiederaufbauarbeit. Aus Tekes wurden 113 Personen verschleppt. Die ältesten unter uns Tekesern werden sich an diesen schrecklichen Tag des 13. Januar 1945 erinnern können, wie die Menschen im Gemeindesaal zusammengetrieben wurden und anschließend für Jahre oder für immer Tekes verlassen mussten. 19 der Verschleppten überlebten die schwere Arbeit und die unmenschlichen Bedingungen in Russland nicht. Die Überlebenden kehrten im Laufe der folgenden 4 Jahre, meist an Körper und Seele geschädigt zurück.
Glücklicherweise gelang es 60 Frauen und Männern, sich der Verschleppung zu entziehen, indem sie sich im Dorfe oder sogar im Wald zeitweilig versteckten. Auf Einzelheiten über die Leiden der Verschleppten, oder die Schikanen und Erpressungen der Versteckten einzugehen, würde den Rahmen dieses Berichtes sprengen.
Betrachten wir lieber die traurigen Ereignisse, die der Verschleppung folgten. Durch eine Agrarreform wurde den Sachsen der Boden enteignet, weil sie als Deutsche zu Kriegsverbrechern erklärt wurden. Ausnahme davon machten die wenigen, die nach dem 23. August 1944 in der rumänischen Armee gegen Deutschland gekämpft hatten. Zunächst wurde der Großteil des enteigneten Bodens an Zigeuner verteilt. Nicht genug damit. Unsere sächsischen Bauern mussten ihnen auch noch die nötigen landwirtschaftlichen Geräte und sogar das nötige Zugvieh abtreten. Die Entrechtung ging noch weiter. Auf 45 Höfen zogen Zigeuner ein, und in vielen Fällen mussten unsere sächsischen Bauern sich in die kleineren, angebauten Räumlichkeiten zurückziehen, und dem „neuen Wirt" Platz machen. Mit einer Ausnahme sind Rumänen nicht in sächsische Höfe eingezogen. Erwähnen möchte ich aber, dass in sächsische Höfe in der Hintergasse, im Zentrum und der oberen Niedergasse keine Zigeuner zugeteilt wurden. In diesen sollten gegebenenfalls Rumänen einziehen, wozu es aber nicht gekommen ist.
Alle bisher geschilderten Ereignisse genügten, um eine Generation von Bauern, die selbst schwer für den Erwerb und die Erhaltung von Grund, Haus und Hof gearbeitet hatten, schwer zu demütigen. Die Tekeser Bauern waren nie reich gewesen, besaßen aber ihren gesunden Bauernstolz, denn sie waren fleißig und hatten nie auf Kosten anderer gelebt.
Was war in dieser traurigen Situation zu tun, wo nicht nur die arbeitsfähigsten Männer, sondern auch die Frauen im besten Alter fehlten. Schon seit Kriegszeiten waren viele Frauen allein mit ihren Kindern geblieben. Durch die Verschleppung blieben in 21 Familien 52 Kinder ohne Eltern und mussten von Großeltern und Verwandten betreut und erhalten werden. Ein Glück, dass es die Großfamilien gab, und in der Not sogar die Urgroßeltern Verantwortung übernahmen, anstatt nach jahrelanger, harter Arbeit die Hände in den Schoß zu legen. Zigeuner und Rumänen konnten den enteigneten Grund nicht ganz bearbeiten. So blieb den Sachsen, meist an der Hattertgrenze etwas Grund, den sie bearbeiten konnten. Alte landwirtschaftliche Geräte wurden repariert, das Milchvieh ins Joch gespannt, oft in Zusammenarbeit mit den Verwandten oder Nachbarn. Einige Zigeuner waren nicht in der Lage, richtig Landwirtschaft zu betreiben, gaben dem Sachsen den Grund zur Bearbeitung und erhielten oft dafür den halben Ernteertrag. Ähnliche Varianten gab es noch viele, wo die Zigeuner gut lebten, ohne zu arbeiten. Von dieser Form der Landwirtschaft konnten die Sachsen nicht leben, und deshalb gingen vor allen viele Frauen als Tagelöhnerinnen in benachbarte, rumänische Dörfer oder übernahmen gewisse Flächen an der Hattertgrenze zur Bearbeitung. Andere trieben Handel, indem sie im Dorf Eier, Milch- und Fleischprodukte kauften um diese zum Verkauf nach Fogarasch oder bis ins Burzenland zu bringen. Ich habe diese tapferen Frauen gesehen, wie sie, mit einem schweren Rucksack am Rücken und Tragetaschen in der Hand, sich in aller Hergottsfrüh in Richtung Forgarasch aufmachten. Wagemutigere bepackten einen Pferdewagen mit Lebensmitteln, darunter manchmal auch Fleisch von unerlaubt geschlachteten Kälbern, und fuhren bei Nacht und Nebel, auf Schleichwegen in Richtung Burzenland. Und so konnten ihre oft kinderreichen Familien überleben. Da war ja noch der Herbst und der Winter, mit ihren spezifischen Formen des Geldverdienens. Im Herbst blieb auf keinem wilden Rosenstrauch des Tekeser Hatterts eine Hagebutte, denn die fleißigen Tekeserinnen mit ihren Kindern ernteten sie und verarbeiteten sie zu ungesüßtem Hagebuttenbrei, um diesen dann zu verkaufen. Wenn in Tekes der strenge Winter einkehrte, und man durch den hohen Schnee nicht nach Fogarasch gehen konnte, dann gab es eine Reihe anderer Arbeiten, mit denen man das nötige Geld verdienen konnte, sei es das Stricken, Spinnen oder Weben.
1947 wurde auch in Tekes eine Staatsfarm gegründet, die einen Großteil des enteigneten Grundes in Besitz nahm. Diese Gründung hatte auch positive Folgen, denn viele Männer und Frauen fanden da eine sichere Arbeitsstelle.
Als 1949 die Kollektivwirtschaft gegründet wurde, durften ihr Sachsen nicht beitreten, weil sie keinen Grund besaßen; ein Hohn wenn man ein wenig darüber nachdenkt. Nur mit den Zigeunern konnte die Kollektivwirtschaft nicht überleben. Bald traten ihr auch Sachsen bei und das Leben wurde etwas leichter. Aber man war nicht mehr ein freier Bauer, auf seinem eigenen Grund. Staatsfarm und Kollektivwirtschaft waren nicht die Einrichtungen, wo begabte Jugendliche, deren es viele in Tekes gab, eine Zukunft hatten. Absolventen der Schule begannen Tekes zu verlassen, um sich in Berufsschulen oder Unternehmen eine berufliche Ausbildung zu sichern. Es war eine gute Lösung in den gegebenen Verhältnissen. Aber eine negative Folgeerscheinung hatte dieses Weggehen der Jugendlichen aus Tekes doch gehabt. Für sie gingen viele Werte und Traditionen und der Gemeinschaftssinn, dank derer unser Sachsenvolk Jahrhunderte seine Identität bewahrt hat, verloren.
Einige werden sich fragen, weshalb ich hier Ereignisse schildere, die 50 Jahre zurückliegen und kaum jemanden mehr interessieren, und ein Großteil derer, die damals gelitten haben gar nicht mehr leben.
Mir liegt es am Herzen, in meinem Namen und allderer die mich verstehen, den Frauen, Männern und Jugendlichen, die vor 50 Jahren all das Geschilderte ertragen haben, und sich schwer durchkämpfen mussten, unsere Ehrerbietung zu erweisen. Außerdem möchte ich diejenigen, die nach dieser schweren Zeit geboren wurden, zum Nachdenken anregen, damit sie die sogenannten „Alten" in ihrer Art zu denken und zu fühlen besser verstehen können. Wir wissen heute, dass solche tiefgreifende Erlebnisse, wie die geschilderten, bei den Menschen für Jahrzehnte oder das ganze Leben Spuren hinterlassen, die ihr Denken, Fühlen und Handeln beeinflussen. Diese Schilderungen sollen nicht anklagen oder rechtfertigen, wie es heutzutage meist üblich ist, sondern zum Verstehen und Anerkennen anregen.

Erwin Thot (Beitrag im „Heimatblatt der HOG“, Ausgabe 4, April 1999)

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