Wer war Martin Thot?

22. Februar 2007

Allgemeiner Bericht

Ein gebürtiger Tekeser, der als Prediger-Lehrer seinem Heimatdorfe ein Leben lang treu gedient hat

Am 20. August 1892 wurde Martin Thot in Te-kes, als Sohn eines nicht reichen Bauers, der am Katzgraben wohnte, geboren. Von 1900-1904 besuchte er die Schule in Tekes. Sein Vater, ein fortschrittlich denkender Mensch, wollte seinem Sohn eine höhere Schulbildung zukommen lassen und schickte ihn zwei Jahre nach Reps und anschließend zwei Jahre nach Schäßburg in die Bürgerschule (Untergymnasium). Von 1908 bis1912 besuchte er das Lehrerseminar in Hermannstadt, und wurde anschließend in Tekes als Lehrer angestellt. Leider konnte er vorerst diesen Beruf nur ein Jahr ausüben.
Von 1913 bis 1914 machte er seine Wehrdienstausbildung. 1914 begann der erste Weltkrieg, und er kam als junger Unteroffizier an die Ostfront. Im gleichen Jahr wurde er schwer verwundet. In seinem Genesungsurlaub 1915 verlobte er sich mit Regine Zikeli, der Tochter des damaligen Schulrektors und Prediger-Lehrers Michael Zikeli. Der Kriegsdienst war für ihn leider nicht vorbei, wie er gehofft hatte. Wegen Mangel an Offizieren in der Österreich-Ungarischen Armee, wurde auch er wieder an die Ostfront geschickt. Im Juli 1916 geriet er in russische Gefangenschaft und musste vier schwere Jahre in Sibirien, im Gefangenenlager von Tomsk verbringen. Trotz Beendigung des Krieges konnten Offiziere nicht heimkehren, weil in Russland die Oktoberrevolution ausgebrochen war. Martin Thot gehörte unglücklicherweise auch zu einer Gruppe von Offizieren, die noch ein Jahr, 1920-1921, in Samara an der Wolga als Geiseln zurückgehalten wurden.
So kehrte er als letzter der Tekeser Gefangenen des ersten Weltkrieges erst am 16. November 1921 nach Tekes zurück. Am Dorfende wurde er von Vertretern der Kirchengemeinde, Schulkindern und der Blasmusik, nach Tekeser Tradition, festlich empfangen. Die schweren Kriegsjahre und die der Gefangenschaft hat er nur dank seines Glaubens und seiner Entschlossenheit zu überleben überstanden. Im Dezember 1921 heiratete er Regine Zikeli, seine Verlobte, die sechs Jahre auf seine Heimkehr gewartet hatte.
Schon 1922 begann er seine Tätigkeit als Lehrer in Tekes und machte im gleichen Jahr seine Prüfung als Prediger. Er übernahm das Amt des Predigers von seinem Schwiegervater Michael Zikeli und hat es bis 1945 ausgeübt. Bis 1931 hat Martin Thot nur das Amt des Lehrers und Predigers innegehabt.
Erst als der damalige Schulrektor Heinrich Roth, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband, von Tekes wegging, übernahm er auch das Amt des Schulrektors. Dieses hat er auch, mit Ausnahme weniger Jahre, bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1953 bekleidet.
Seinen Lehrerberuf hat er als eine der höchsten Verantwortungen und als eine Berufung betrachtet, seinem Volk durch dessen Kinder zu dienen. Wie er diese Aufgabe erfüllt hat, sollen die Aussagen einiger seiner gewesenen Schüler und Schülerinnen bewerten.
Edith Melchior, (geb.1923), erinnert sich: Dass ich so gerne zur Schule ging, verdanke ich meinem ersten Lehrer, Herrn Prediger Martin Thot. Er lehrte uns nicht nur spielend das ABC, sondern war auch ein ausgezeichneter Erzieher. Ich glaube, dass mein lieber Lehrer schon damals den Keim für die spätere Berufswahl seiner kleinen Schülerin legte. Als ein unvergessliches Erlebnis aus der Zeit meiner ersten Schuljahre, ist mir die Aufführung des Theaterstückes „Der Dorfdrache", unter seiner Leitung, in Erinnerung geblieben. Die von ihm gemalten Kulissen und die tadellos gespielten Rollen der begabten Schauspieler beeindruckten mich so, dass ich auch heute noch die schönsten Szenen vor Augen habe.
Im Jahre 1946 kam ich als Hilfslehrerin an die Tekeser Schule. Durch seine ständige Anleitung erleichterte er mir die schwere und verantwortungsvolle Arbeit. Auch nach 1953, als er in Rente ging, und ich von ihm das schwere Amt des Schulleiters übernahm, ist er mir immer wieder mit seinen wertvollen Ratschlägen zur Seite gestanden. Bis zu seinem Tode hat uns eine enge Freundschaft verbunden.
Michael Mathiä (geb. 1929) sagt: Er war mein Lehrer in der 1. und 2. Klasse. Vielen, die nicht einmal den Griffel richtig in der Hand halten konnten, hat er mit viel Geduld die Hand geführt, und uns so lesen, schreiben und rechnen gelehrt, daß wir gerne in die Schule gingen. Er kannte die Familienverhältnisse der Schüler, und hat schwache Schüler besonders unterstützt, damit sie nicht ein Schuljahr wiederholen mußten, was für die meisten Familien ein großer Verlust gewesen wäre. Im 6. und 7. Schuljahr habe ich unter seiner Leitung in dem großen Schulgarten im Grundgraben vieles über den Gartenbau und das Veredeln von Obstbäumen lernen können. Hunderte von veredelten Obstbäumchen sind von dort in die Gärten der Bauern gelangt.
Anna Gunkel, geb.Melchior (geb.1928), eine seiner besten Schülerinnen, erklärt: Er war immer bemüht, uns Dorfkindern den Weg ins Leben zu ebnen und unsere Persönlichkeit durch sein Wissen, Können und sein vorbildhaftes Verhalten zu formen. Dabei spielte auch die Vermittlung unserer siebenbürgischen Kultur eine große Rolle.
Sofia Söllner, geb.Schuster, (geb. 1925), sagt: Er hat mich nicht nur mit viel Geduld schreiben und lesen gelehrt, sondern durch seine erzieherische Tätigkeit auch prägend auf mich für mein späteres Leben gewirkt. Durch seine Beziehung zu meinem Vater, der unter seiner Leitung oft Theater gespielt hat, habe ich auch Einblick in seine umfangreiche Kulturtätigkeit in Tekes erhalten.
Michael Fabi (geb. 1936) Pfarrer in Bielefeld, geht in seinen Erinnerungen über die einfache Lehrertätigkeit von Martin Thot hinaus, und unter dem Titel „So denke ich an ihn" äußert er sich wie folgt: Eigentlich verdanke ich zu einem guten Teil „unserm Herrn Prediger" den Anstoß für den Weg vom „Jungen am Rech" zum Pfarrer von Bielefeld.
Alles hatte mit einem „Faber-Lesezeichen" begonnen, das ich von Frau Lehrer Irmgard (Thot) in der 1. Klasse 1942 für gutes Lesen erhalten hatte. Immer wieder leuchtet in der Erinnerung an die Anfänge meiner Schulwege diese farbige Belohnung in Form eines Bleistiftes mit Seidenband auf.
Aber den Weg mit dem Buch nach oben, den hat der Herr Prediger in Gang gesetzt. Zunächst so, dass er des öfters den Zweit- und Drittklässer mitten in der Stunde nach oben in die großen Klassen holte, ihm vor der ganzen Klasse ein Buch hinhielt und dazu aufforderte, den unbekannten Text laut vorzulesen. Es muss wohl immer recht fließend gewesen sein, denn beim Hinausgehen zwischen den Bankreihen, in denen man mich kaum sah, hörte ich ihn nur sagen: „Habt ihr gehört, und der ist nur in der dritten Klasse".
Als es dann soweit war, ließ er meine Mutter mit einer geradezu selbstverständlichen Bestimmtheit wissen: „Der Junge muss zur höheren Schule!" Wie wenig wir uns in Tekes zu den Zeiten um höhere Schule Gedanken machten wissen wir alle. Und überhaupt, wie sollte man das 1946 und dann 1950 schaffen?! und was sollte das sein, und wohin sollte es gehen? Auch darauf war seine Antwort, wie immer, ganz eindeutig: „Lehrer soll er werden und dafür nach Schäßburg zur Aufnahmeprüfung fahren". Sein Sohn Erwin, der dort gerade Matura machte, würde für Anmeldung und Unterkunft sorgen.
So eindeutig hat er die erste Phase meines Weges zur höheren Schule und damit ins Lehramt mitbestimmt. Dass dann gar, wie beim ihm selbst, in der Heimatgemeinde Deutsch Tekes der Dienst begann, zeigte auffällige Paralellen zu seinem eigenen Weg.
Auch als der junge Lehrer aus dem Lehramt gehen musste und der Weg zum Theologiestudium führte, konnte sich der Lehrer, Rektor und Prediger in seinem Rat bestätigt sehen. An seine Gottesdienste, Predigten und Beerdigungen kann ich mich nur dunkel, aber dennoch bewegt, erinnern. Dafür habe ich die erste Predigt meines Lebens auf der Kanzel in Tekes in seinem Lutherrock gehalten. Auch sonst habe ich den Rock in den Predigteinsätzen meiner Studienzeit tragen dürfen.
Die Besuche in jener Zeit in dem Haus Ecke Ober- und Niederwinkel gehören zu den besonders eindrücklichen Stunden meiner Ferienaufenthalte. Er und die Frau Prediger freuten sich an meinem Weg und gönnten ihn mir.
Als mich dann im Mai 1961 als Pfarrvikar in Schweischer die Nachricht erreichte: „Der Herr Prediger ist verstorben", und ich gebeten wurde, ihm den letzten geistlichen Dienst zu tun, habe ich mich gleich nach Tekes an seinen Sarg aufgemacht. Es war für lange Zeit der längste Trauerzug und der größte Dienst, der mir aufgetragen war. Es war aber auch die eindrücklichste Weise, dem Lehrer dreier Generationen aus unsrem Dorf den Dank aller und den ganz persönlichen zu bezeugen.
Nun stehe ich selbst am Ende meines Dienstes als Pfarrer. Dabei will und muss ich daran denken, dass ich nebst Gott dem Herrn und meiner Mutter dem „Herrn Prediger Thot" für diesen Weg einen wesentlichen Anstoß verdanke.
Martin Thot hat sich auch seinem Predigeramt mit vollem Ernst gewidmet.
Anna Geisler, geb.Mathiä (geb.1920), erinnert sich an die Gottesdienste, in denen er predigte: Zu den Bibeltexten seiner Predigt wählte er Beispiele aus dem Alltagsleben, oft auch aus dem unserer Gemeinde, und verstand es so gut alles darzustellen, dass alle das auch verstehen konnten und getröstet oder im Glauben gestärkt nach Hause gingen.
In seinen ersten Dienstjahren übernahm er von Frau Pfarrer Hain die Leitung der Theatertätigkeit in Tekes. Er fertigte Kulissen für ein Zimmer, für eine Dorfansicht und eine Waldlandschaft an, und auch den Bühnenvorhang mit einem sächsischen Brautpaar drauf, der als einziges dieser Stücke gerettet werden konnte. In jahrzehntelanger Arbeit hat er mit den vielen begabten Laienschauspielern aus Tekes Theaterstücke aufgeführt, die selten oder nie auf einer Dorfbühne zu sehen waren.
Katharina Fabi, geb. Müller (geb.1918), eine seiner begabtesten Schauspielerinnen, erinnert sich: Das Theaterspielen gehörte zu seinem Leben. Als ich noch 13 Jahre alt war vertraute er mir die erste anspruchsvolle Rolle an und hat mit uns während der Winterszeit viele Theaterstücke, sowohl in sächsischer Mundart, als auch in deutscher Sprache aufgeführt. Selbst eine Freilichtbühne hat er bauen lassen, auf der im Pfarrhof bei einer Präsentation ein Theaterstück aufgeführt wurde. Er war streng, hatte aber auch Verständnis für manchen Streich, den wir uns leisteten. Er hat nicht nur die älteren, bewährten Theaterspieler mit anspruchsvollen Rollen bedacht, sondern auch viele junge Spieler gefördert.
Erwähnt werden sollte auch seine Tätigkeit im Zusammenhang mit der Landwirtschaft in Tekes. Zu Beginn der 20-er Jahre übernahm er die Leitung des Landwirtschaftlichen Vereins. Er war auf Neuerungen bedacht. So wurde mit jungen Wirten eine dritte Druschgesellschaft gegründet, neue Rinder- und Schweinerassen eingeführt und erstmals Sämaschinen und eine Spritze für Obstbäume angeschafft, die von den Mitgliedern benutzt werden konnten. Während der Winterszeit hat er viele Vorträge und Kurse organisiert und viel zur Fortbildung der Tekeser Bauern beigetragen. Manche Pläne, wie das Kommassieren des Bodens oder Entwässerungsarbeiten in der Neugasse und im Weiher, konnten nicht verwirklicht werden. Grund dafür war der Beginn des zweiten Weltkrieges.
Den schwersten Abschnitt seiner Dienstzeit erlebte er unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg. Durch eine Anzeige des damaligen rumänischen Pfarrers wurde er beschuldigt, ein Nazi gewesen zu sein, und musste lange kämpfen, um nicht endgültig aus dem Lehramt entlassen zu werden. 1945 wurden seine Tochter Irmgard Thot und Hans Schüller, die Lehrer in Tekes waren, nach Russland verschleppt, und er blieb allein mit 213 Schülern. Weil der damalige Pfarrer nicht bereit war, im Schulunterricht auszuhelfen, blieb er allein mit den vielen Kindern. Glücklicherweise konnte er erreichen, dass die Frau von Lehrer Schüller aushelfen konnte, und nach einem Jahr auch Edith Melchior angestellt wurde, die nach seiner Pensionierung, als eine würdige Nachfolgerin die Schulleitung übernahm.
Er war ein strenger, aber gerechter Familienvater. Seinen drei Kindern hat er gemeinsam mit seiner Gattin, die der ruhende Pol in der Familie war, eine entsprechende Schul- und Berufsausbildung gesichert. Nur mit seinem Lehrergehalt wäre das nicht möglich gewesen, wenn er nicht auch Bienenzüchter und ein halber Landwirt gewesen wäre.
Er ist einige Male aufgefordert worden, in andere Ortschaften als Pfarrer zu gehen, blieb aber seinem Tekes treu. Mögen die Tekeser seinem Andenken auch die Treue halten.
Es ist nicht üblich, dass ein Sohn eine Würdigung über seinen Vater verfasst. Weil sein vielseitiges Wirken in Tekes niemand mehr genau kennt, habe ich es mir erlaubt, in einer möglichst objektiven Form sein Leben in großen Zügen zu schildern. Ich glaube es ihm, auch im Namen der Tekeser, schuldig zu sein.

Erwin Thot (Beitrag im „Heimatblatt der HOG“, Ausgabe 3, Februar 1998)

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