Vergangenheit -Gegenwart - Zukunft

28. März 2007

Allgemeiner Bericht

Wer hat das Tekeser Waldmännlein noch gekannt?
Wir wollen nicht nur über Persönlichkeiten berichten, die durch ihre Tätigkeit prägend auf das Tekeser Leben gewirkt haben, sondern auch über Menschen, die durch ihre oft sonderbare Art und Lebensweise dem Tekeser Leben eine gewisse Würze verliehen haben.
Es war in den Jahren vor dem 2. Weltkrieg, als ein Tekeser, Namens Georg Melchior, im Dorf als kleiner, leicht buckliger, aber kluger und lustiger Außenseiter bekannt, den sogenannten Ziegelschuppen übernahm und sich dort ansässig machte. Es handelte sich um Reste einer stillgelegten Ziegelei, die von der jüdischen Familie Weiss aufgebaut wurde. In den 30-er Jahren verließ diese Familie Tekes, und Georg Melchior fand dort ein neues Zuhause. Der Ziegelschuppen lag am Rande des kleinen Waldes, unweit der Radelnbrücke, etwa 1 km entfernt vom Dorfe. Unweit davon wurde auch ein neuer Tierfriedhof errichtet, und G. Melchior hatte auch das Amt des Dorfschinders inne.
Er lebte dort allein und wurde immer mehr zum Selbstversorger. Er hielt Ziegen und etwas Federvieh. Von einigen Bauern übernahm er Lämmchen in Pflege. Mit einer ganz kleinen Herde durchstreifte er täglich einige Teile des kleinen Waldes. Im Dorfe sah man ihn sehr selten. Bloß wenn er sich Brot holte oder etwas sehr wichtiges zu erledigen hatte, erschien er und war auch bald wieder verschwunden. Wohl fühlte er sich beim Ziegelschuppen, wo man ihn in einer Kleidung sehen konnte, die ihn einem Urmenschen ähnlich erschienen ließ. Meist trug er Holzschuhe und Kleidungsstücke aus Zeigenfeilen, die er sich selber zu Recht geschneidert hatte.
Er war ein freundlicher Mensch, und jedem vorbeifahrenden Bauern winkte er und rief ihm ein paar freundliche Worte zu. Ging jemand zu ihm hin, oder begegnete ihm im Wald, so dauerte das Gespräch mit ihm immer sehr lange, denn er ließ seiner Phantasie freien Lauf und konnte die interessantesten Geschichten erzählen, so dass man ihm sogar glauben musste.
Ich bin ihm auch einige Male begegnet, entweder wenn wir Kinder Erdbeeren sammeln gingen, oder ich mit meinem Vater ein paar Kehrruten für den Backofen holen wollten. Meist hörte man das Glöckchen einer seiner Ziegen, dann entweder das freundliche Gespräche eines Menschen mit sich selbst, oder jemandem, der ihm nicht antwortete, und das waren seine Tiere.
Noch angenehmer war es, wenn man ihn leise singen hörte, so als wolle er seine Ziegen ein neues Lied lehren. Wenn er uns Kindern begegnete, erzählte er uns etwas über seine Tiere, wie sie hießen und wie klug diese seien.
Als ich ihn, zusammen mit meinem Vater begegnete, da legte er so richtig los und erzählte von sonderbaren Flugzeugen, die lautlos neben dem Ziegelschuppen gelandet seien, aus denen dann sonderbare Menschen, Generäle oder sogar der König gestiegen wären, die ihm irgendwelche Geheimnisse anvertraut hätten, die er aber nur selten preisgegeben hat. Gleich nach dem 2. Weltkrieg, als versprengte, deutsche Soldaten, die hinter die Front geraten waren, und verhältnismäßig viele Zuflucht in Tekes suchten, erzählte er, mehrmals solchen Soldaten zu essen gegeben und ihnen die Wege beschrieben habe, auf denen sie in Richtung Heimat gehen mussten.
Diese Geschichten waren vielleicht die einzig glaubhaften. Später, als ich etwas von fliegenden Untertassen erfuhr, musste ich unwillkürlich an die Phantasiegeschichten unseres Tekeser Waldmännleins, wie ihn die Tekeser nannten, denken. Er hielt auch Hunde, bei denen ständig für Nachwuchs gesorgt wurde, und mancher Tekeser Hofhund stammte vom Ziegelschuppen.
Als in den 50-er Jahren ein Nachkomme der Familie Weiß auftauchte, und das ganze Anwesen aufgelöst, und der Ziegelschuppen abgerissen wurde, musste unser Waldmännlein wieder ins Dorf zurückkehren. Er lebte zurückgezogen, hinter der Kirche, am Dorfende, in dem Häuschen, das einst eine gewisse Frau Marzell, auch eine interessante Figur, bewohnt hatte. Er starb in den 60-er Jahren, und mit ihm verließ eine schillernde Figur die Tekeser Schaubühne.

Erwin Thot
(Beitrag im „Heimatblatt der HOG“, Ausgabe 6, Januar 2001)

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